Vorbemerkung: Das hier ist ein Auszug aus dem Roman „Dunkle Magie“, den ich vor einiger Zeit mal geschrieben habe. Noch nicht gut genug, um veröffentlicht zu werden, aber vielleicht gefällt diese „Leseprobe“ meines Thrillers/ Krimis/ wie auch immer hier ja dem einen oder anderen (wenn nicht, bin ich für konstruktive Kritik wie immer offen).
Kurz etwas zum Inhalt: Jenny und ihre neue Mitschülerin Samantha sind schnell beste Freundinnen geworden. Einige merkwürdige Ereignisse lassen in ihr aber einen absurden Verdacht wachsen: Führt Samantha etwa ein Doppelleben? Hat sie etwas mit dem Tod der elfjährigen Lena zu tun? Jenny kann es nicht glauben, als sie tatsächlich Beweise dafür findet und erkennt, dass ein weiteres Kind in tödlicher Gefahr schwebt. Als sie Sam damit konfrontiert, spitzt sich die Situation zu und ein dramatisches Wochenende beginnt…
Freitag, 8. Oktober 2010
20:13 Uhr.
Sams Perspektive
Ich drehte den altmodisch verschnörkelten Schlüssel herum und trat in das Gästezimmer. Halb rechnete ich damit, dass Jenny mich aus der Dunkelheit heraus angreifen würde, in einem verzweifelten Versuch, abzuhauen, aber nichts passierte.
Als ich das Licht anmachte, entdeckte ich sie auf dem Bett. Sie hatte sich darauf zusammengekauert wie ein Embryo und drehte mir den Rücken zu. An ihrem Atemrhythmus erkannte ich, dass sie nicht schlief. Sie rührte sich nicht, als ich mich auf die Bettkante setzte, aber ich sah, wie sich ihre feinen blonden Härchen im Nacken aufrichteten. Wegen mir bekam sie eine Gänsehaut. Sie musste Angst vor mir haben oder mich verabscheuen. Wahrscheinlich beides. Der Gedanke machte mir Spaß.
„Na?“, fragte ich leise. „Hast du schon aufgegeben?“
Sie antwortete nicht.
„Das wäre sehr schade“, fuhr ich fort. „Weißt du, wir spielen dieses Spiel hier zwar nach meinen Regeln. Aber wenn du deswegen einfach nicht mehr mitmachst, bist du ein ziemlich langweiliger Gegner.“
Schweigen.
„Ehrlich, ich hatte mir mehr von dir erhofft. Nach deinem Auftritt bei mir zu Hause. Das war richtig cool.“
Noch immer keine Reaktion. Wenn sie dachte, dass sie mich mit ihrer Schweigenummer aussitzen konnte, musste ich sie enttäuschen.
„Ich wette, ich weiß, was dir durch den Kopf geht“, sagte ich sanft und näherte meine Hand ihrem Nacken. „Du fragst dich, was ich mit meinem Mädchen gemacht habe in den Stunden, die du hier eingesperrt warst.“
Ganz leicht berührten meine Finger ihre Haut. Sofort spannten sich ihre Muskeln an und sie warf sich herum. Sie lag auf dem Rücken und starrte mich an wie ein verletztes Tier, in ihren aufgerissenen Augen hinter der Brille spiegelte sich Abscheu. Aber noch keine Angst.
Ich grinste leicht.
„Keine Sorge, du hast nichts verpasst. Sie lebt noch. Und ihr erstes Mal hat sie auch noch vor sich.“
Ihre Lippen öffneten sich ein wenig, aber sie überlegte es sich anders und kniff sie nur umso fester wieder zusammen.
„Ja?“, erkundigte ich mich spöttisch. „Wolltest du was sagen?“
Jenny richtete sich auf und zog die Beine eng an ihren Körper. Schützend schlang sie ihre Arme darum.
„Wie hast du es eigentlich geschafft, dass Serafina dir so vertraut?“
Mit dieser Frage war es ihr tatsächlich gelungen, mich zu überraschen.
„Gegenfrage“, sagte ich und nahm im Schneidersitz auf dem Bett Platz, sodass wir einander genau gegenüber saßen. „Wie schaffst du es, dich sachlich mit mit zu unterhalten, obwohl du emotional unglaublich aufgewühlt bist?“
Sie zog die Augenbrauen hoch.
„Bin ich das?“
„Na komm. Als die beiden Alten vorhin abgekratzt sind, warst du noch reichlich mitgenommen.“
In ihren Augen flackerte es. Gespielt gleichgültig zuckte sie mit den Achseln.
„Ich kann nicht ändern, was passiert. Warum sollte ich also jetzt noch hysterisch sein? Oder ist es dir lieber, wenn ich dich anschreie und als perverses Schwein beschimpfe? Ich glaub, du weißt selber, was du bist.“
Ich lächelte.
„Da ist sie ja wieder, meine charmante Jenny. So will ich dich hören.“
Sie schnaubte verächtlich.
„Ich will trotzdem wissen, wie du es schaffst, kleine Mädchen derartig zu manipulieren, dass sie dich für ihre beste Freundin halten.“
Manipulieren. Das Wort passte eigentlich nicht wirklich. Ich machte… Eindruck auf die Mädchen. Versuchte herauszufinden, was sie sich wünschten, was ihre Träume waren und ihnen auf diese Weise nahe zu kommen. Mit Serafina lag die Sache schon etwas anders. Sie hatte mich beeindruckt — und das nicht zu knapp.
Ich sah Jenny tief in die Augen, wie ich es schon oft bei meinen Mädchen getan hatte. Ganz verfehlte mein Blick seine Wirkung auch bei ihr nicht. Nervös schlug sie die Augenlider nieder, aber nur für einen kurzen Moment, dann starrte sie trotzig zurück.
„Ich erfülle ihre Träume“, sagte ich leise, mit einem dunklen Unterton in der Stimme.
Bevor sie etwas entgegnen konnte, polterten kleine Füße die Treppe hoch und gleich darauf stand Serafina in der Tür.
Ich wandte ihr das Gesicht zu und musste unwillkürlich über ihren Blick schmunzeln, mit dem sie verwirrt von mir zu Jenny schaute.
„Tut mir Leid, Prinzessin“, sagte ich entschuldigend, „Zofe Jenny und ich mussten eben noch was klären. Wir wollten dich nicht warten lassen.“
„Worauf warten?“, fragte Jenny alarmiert.
Wer weiß, woran sie dachte.
Ich sprang vom Bett.
„Na, du sollst doch deiner Prinzessin was Anständiges kochen, liebe Zofe. Und ihrem Werwolf natürlich auch. Wir sind am Verhungern.“
Sie rührte sich nicht, sondern sah mich nur verständnislos an. Werwolf?, las ich in ihren Augen.
Laut sagte sie: „Ich kann überhaupt nicht kochen.“
Ich grinste nur und zwinkerte ihr zu.
„Du solltest es besser schnell lernen, sonst frag ich die Prinzessin, ob ich dich bestrafen darf.“
„Wenn sie uns nichts kochen will, darf sie eben auch selber nichts essen“, mischte sich Serafina ein.
Mühsam verbiss ich mir ein Lachen. Das Mädchen war großartig.
Abwartend hakte ich die Daumen in die Gürtelschlaufen und musterte Jenny, die stur sitzen blieb.
„Glaub mir, Herzchen, es ist besser für dich, wenn du mit nach unten kommst“, meinte ich gelassen. Offenbar war die unterschwellige Drohung bei ihr angekommen, denn sie stand langsam auf.
„Na also“, sagte ich munter. „Braves Mädchen.“
Ich war wirklich gespannt, wie sich dieses Wochenende entwickeln würde.
(…)
Samstag, 9. Oktober 2010
09:11 Uhr.
Jennys Perspektive
Etwas weiches, haariges fuhr mir über das Gesicht und brachte mich zum Niesen, als es an meiner Nase vorbei strich. Verwirrt schreckte ich aus meinem leichten Schlaf und blickte in die klugen gelben Augen einer schwarz-weiß gescheckten Katze.
Seit wann hatte ich eine Katze?
Ich rieb mir die verklebten Augen und blinzelte in die helle, freundliche Morgensonne, die durch das Fenster in ein fremdes Zimmer schien. Mein Gefängnis.
Seufzend drehte ich mich auf den Rücken.
„Hättest du mich nicht noch ein bisschen schlafen lassen können?“, fragte ich die Katze, die neben mir auf dem Kopfkissen saß. „Bis eben hatte ich Ruhe vor der Wirklichkeit.“
Seltsamerweise hatte ich keine Albträume gehabt, zumindest keine, an die ich mich hätte erinnern können. Insgeheim hatte ich befürchtet, im Schlaf wieder und wieder den schrecklichen Tod von Luise und Theo Gärtner mitansehen zu müssen, aber die grausigen Bilder verschonten mich. Stattdessen war mein Schlaf wie ein tiefes, dunkles Loch, aus dem ich nur ganz allmählich wieder auftauchte.
Die Katze stand auf und stolzierte vom Kissen herunter, wobei sie mir mit dem Schwanz die Wange entlang fuhr. Damit musste sie mich eben geweckt haben. Wie selbstverständlich kletterte das Tier auf meinen Bauch, streckte sich darauf aus und warf mir einen, wie es schien, auffordernden Blick zu. Unwillkürlich musste ich lächeln und begann, die Katze am Kopf zu kraulen, worauf sie entspannt die Augen schloss und zu schnurren begann. Ich fühlte mich durch die Anwesenheit des Tieres irgendwie getröstet. Zumindest war ich nicht völlig allein.
„Eigentlich musst du doch ziemlich verwirrt sein“, sagte ich leise. „Herrchen und Frauchen plötzlich nicht mehr da und dafür drei Fremde im Haus.“
Gestern Abend hatte ich für Serafina und Samantha kochen müssen. Danach, was sie mir kurz nach dem Mord an dem Ehepaar gesagt hatte, widerstrebte es mir, sie so zu nennen. Es stimmte, vor einer Weile hatte ich noch die Meinung gehabt, dass „Samantha“ ein schöner, warm klingender Name war. Aber sie hatte recht, diese Assoziationen passten absolut nicht zu ihr. Der Benutzername für ihren PC fiel mir wieder ein. Sam. Kurz und hart. So würde sie ab jetzt für mich heißen.
Aus einer Packung Spaghetti und ein bisschen Gemüse — besonders viel Auswahl gab es in der Küche der Gärtners nicht — hatte ich schließlich ein ganz passables Abendessen zustande gebracht. Serafina und… Sam zumindest hatten nichts weiter daran auszusetzen und ich war so ausgehungert, dass ich widerspruchslos alles gegessen hätte.
Die Unterhaltung der beiden war ziemlich angeregt und in meinen Ohren vollkommen absurd. Von Trollen war die Rede, von Elfen, Feen und Drachen. Dazwischen warfen sie mit seltsamen Worten um sich, die ich noch nie gehört hatte.
Auf die Gefahr hin, Sam wütend zu machen, unterbrach ich das Gespräch.
„’tschuldigung“, sagte ich bemüht höflich, „aber worum geht es überhaupt bei diesem Kaluria, von dem ihr da redet?“
Als hätte ich einen unverzeihlichen Fehler gemacht, blitzte mich Serafina zornig an.
„Ich hab ’s doch gesagt, du verstehst überhaupt nichts!“, schrie sie.
Sam dagegen lächelte.
„Schon gut, Prinzessin. Sei nicht so hart mit Zofe Jenny, sie lernt doch noch.“
„Was heißt hier eigentlich Zofe?“, fragte ich schon etwas mutiger. „Was soll überhaupt dieser ganze Blödsinn“ — bei diesem Wort wurden Sams Augen schmal — „mit Werwolf und Prinzessin?“
Serafina warf klirrend ihre Gabel hin und sprang auf.
„Du bist gemein! Ich will nicht, dass du so über uns und Kaluria sprichst. Du sollst verschwinden!“
Damit stürmte sie aus der Küche.
Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte Sam mich über den Tisch hinweg am Kragen gepackt und halb aus dem Stuhl gehoben. Zum ersten Mal bekam ich eine Ahnung davon, wie viel Kraft sie wirklich hatte.
„Okay Jenny“, zischte sie mir zwischen zusammengebissenen Zähnen zu, ihr Gesicht keine Handbreit von meinem entfernt. „Du willst, dass das Ganze hier ein vorzeitiges Ende für dich nimmt, ja?“
Ich war stumm vor Schreck und sie schüttelte mich wie einen nassen Sack.
„Ja, willst du das? Sag was, du Miststück!“
„N-nein“, flüsterte ich.
„Was? Ich hab dich nicht verstanden!“
„Nein!“, sagte ich lauter.
„Ach ja?“, entgegnete sie gespielt überrascht und lockerte ihren Griff ein wenig. „Mir war aber so.“
Ich schüttelte zaghaft den Kopf.
„Okay“, sagte sie langsam, legte unvermittelt ihre linke Hand um meinen Hals und drückte gerade so fest zu, dass ich eben noch Luft bekam. „Also, entweder du hältst die Fresse, stellst keine blöden Fragen und tust, was dir gesagt wird, oder du landest bei unseren zwei Freunden im Keller. Und glaub mir“, sie kam mir so nahe, dass unsere Nasen einander berührten, „für dich würde ich mir wesentlich mehr Zeit nehmen. Klar so weit?“
„Ja“, presste ich heraus.
Sie grinste böse. „Gut.“
Nachdem sie mich in den Stuhl zurückgestoßen hatte, drehte sie sich um und verließ die Küche, bestimmt wollte sie Serafina suchen. Über die Schulter sagte sie: „Mach dir keine Hoffnungen, ich bin gleich wieder da. Und falls du vorhaben solltest, irgendwen anzurufen oder abzuhauen: Das Telefon ist tot, Fenster und Türen sind verschlossen. Sämtliche Schlüssel und dein Handy habe ich. Okay?“
„Ja.“
Ich hatte auch nichts anderes erwartet.
Nicht lange danach kehrte Sam mit Serafina zurück und brachte mich wieder in das kleine Gästezimmer im ersten Stock.
„Und nachdem sie mich eingeschlossen hatte, hab ich dich hier entdeckt“, sagte ich zu der Katze.
Sie hatte auf dem Sessel am Fenster gekauert und mich angestarrt wie einen Geist. Ich ließ sie in Ruhe und legte mich auf das Bett. Im Küchenschrank hatte ich verschiedene Dosen mit Katzenfutter entdeckt und mich bereits gefragt, wo das arme Tier sich aufhalten mochte. Offensichtlich hatte es sich bisher erfolgreich vor uns versteckt und musste sich in dieses Zimmer zurückgezogen haben, nachdem Sam mich in die Küche beordert hatte.
„Tut mir wirklich Leid, dass du mit mir eingesperrt wurdest“, sagte ich. „Aber anscheinend hast du dich ja trotzdem dazu entschlossen, mich zu mögen.“
Das Schnurren der Katze brach abrupt ab, als ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Sie hob den Kopf und ihre Schwanzspitze zuckte alarmiert. Unwillkürlich hielt ich den Atem an.
Kaum dass die Tür einen Spalt breit offen war und Sam ihren Kopf herein gesteckt hatte, sauste die Katze wie ein geölter Blitz vom Bett herunter und an ihr vorbei auf den Flur. Wie gerne hätte ich in diesem Moment mit ihr getauscht.
Verblüfft sah Sam erst dem Tier hinterher und warf dann mir einen fragenden Blick zu.
„Was war das denn gerade?“
„Die Hauskatze“, erwiderte ich trocken.
„Und wie kommt die hier rein?“, fragte sie scharf.
Ich richtete mich auf und versuchte, meine zerzausten Haare glatt zu streichen.
„Reg dich ab. Sie war schon gestern Abend hier drin und hat mir unfreiwilligerweise bis gerade eben Gesellschaft geleistet.“
Sie nickte flüchtig, das Thema schien damit für sie beendet.
„Aha. Los, hoch mit dir. Wir wollen ein anständiges Frühstück.“
Ein müdes Grinsen zog über mein Gesicht.
„Hat die Prinzessin sich dazu entschlossen, mir zu verzeihen, ja?“, fragte ich sarkastisch und spürte einen harten Kloß im Hals. Es war einfach nur grauenvoll, dass Serafina ihre zukünftige Mörderin liebte und mich, die ich wirklich auf ihrer Seite stand, hasste. Schlimmer, sie schien mich zu verachten.
„Du solltest ihre Gnade zu schätzen wissen, Herzchen“, entgegnete Sam spöttisch. „Wird ’s bald?“
„Darf ich mich vorher wenigstens noch waschen?“
Mit schief gelegtem Kopf und funkelnden Augen musterte sie mich.
„Mal überlegen. Hmm… nein.“
Wortlos stand ich auf, protestierte nicht gegen die Erniedrigung. Sie hätte sich schließlich auch Schlimmeres einfallen lassen können um mich zu demütigen.
Ich ging die Treppe hinunter in die Küche, Sam immer dicht auf den Fersen. Serafina saß bereits am Tisch und zappelte ungeduldig mit den Beinen.
„Guten Morgen“, begrüßte ich sie und erntete nichts weiter als einen finsteren Blick. Ich spürte ein hysterisches Lachen in mir aufsteigen. Es war einfach absurd. Wenn ich doch nur die Chance hätte, mit dem Mädchen allein zu sein, dann könnte ich zumindest versuchen, sie davon zu überzeugen, dass nicht ich es war, die ihr Böses wollte. Aber wenn ich nicht oben in meinem provisorischen Gefängnis hockte, musste ich die „Zofe“ spielen und Sam ließ mich keine Sekunde aus den Augen.
Ich versuchte, mich trotzdem ganz normal zu verhalten, auch wenn es mir schwer fiel.
„Was möchtest du essen?“, fragte ich Serafina und holte drei Teller aus dem Schrank. „Brot ist reichlich da. Oder möchtest du Brötchen? Müsli haben wir auch, hab ich gestern gesehen.“
„Brötchen“, kam es kurz angebunden aus ihrer Richtung.
Immerhin, sie sprach mit mir.
„Für dich auch?“, fragte ich Sam, ohne sie anzusehen.
„Gerne, Zofe Jenny.“
Ich schob ein paar Brötchen zum Aufbacken in den Ofen, dann stellte ich alles auf den Tisch, was sich an Belag finden ließ. Marmelade war da, Honig, Butter, ein bisschen Käse und ein kleiner Rest Leberwurst.
„Was darf ’s zu trinken sein?“
„Kakao“, forderte Serafina prompt und ich schüttelte bedauernd den Kopf.
„Haben wir nicht.“
Als sich ihr Gesicht bedrohlich zu verziehen begann, fügte ich schnell hinzu: „Wie wär ’s mit einer frischen Honigmilch? Mit extra viel Honig.“
Sie wirkte nicht völlig überzeugt, nickte aber.
Während ich darauf wartete, dass die Milch aufkochte, fiel mir siedendheiß die Katze ein. Sie musste seit gestern Nachmittag nichts gefressen und getrunken haben.
„Hast du was dagegen, wenn ich der Katze was zu fressen gebe?“, fragte ich Sam.
Sofort war Serafina ganz Ohr.
„Katze?“
„Noch eine Überraschung für dich“, sagte Sam und lächelte sie an. „Eine Katze für das Wochenende.“
Fast schon bewundernswert, wie geschickt sie erneut einen Punkt für sich verbuchte. Erst ein Haus für das Kind und jetzt auch noch ein Tier als Zugabe.
„Wo ist sie? Darf ich sie füttern?“
Das Mädchen hielt es kaum mehr auf dem Stuhl vor lauter Aufregung.
„Tja, keine Ahnung, wo sie sich im Moment rumtreibt, aber wenn sie kommt, darfst du ihr gern was zu fressen geben.“
Als hätte es nur auf sein Stichwort gewartet, tauchte das Tier lautlos in der Tür auf, blieb an der Schwelle stehen und sondierte misstrauisch die Lage. Schnell nahm ich die Milch vom Herd und holte eine Untertasse aus dem Schrank. Bisher hatte ich nirgendwo das Futtergeschirr der Katze entdecken können.
„Da ist sie“, sagte ich ruhig zu Serafina. „Aber stürm nicht gleich auf sie los, sie ist noch ein bisschen scheu.“
Serafinas Wangen glühten vor Begeisterung.
„Ist die schön!“
„Möchtest du ihr ein bisschen Futter auf den Teller geben?“, fragte ich freundlich.
„Mhm.“
Sofort war das Kind an meiner Seite, schaute mir gespannt über die Schulter. Immerhin, über der Katze schien sie ihren Groll gegen mich vergessen zu haben — zumindest vorübergehend.
„Warte, ich mach dir die Dose auf. Das geht ziemlich schwer.“
Mittlerweile hatte das Tier sich ein wenig weiter in die Küche gewagt, vielleicht, weil es mich erkannt hatte — aber mit Sicherheit vor allem deshalb, weil es das Futter witterte.
„Stell ihr den Teller hin“, sagte ich zu dem Mädchen, „und dann geh ein Stückchen zurück, damit sie sich traut, heran zu kommen.“
Sie gehorchte und hockte sich ein paar Schritte entfernt auf den Boden, beobachtete gespannt das Tier. Insgeheim wunderte ich mich, dass Sam sich bis jetzt noch nicht eingemischt hatte. Unauffällig schielte ich zu ihr herüber und sah erstaunt, dass sie Serafina mit einem fast… ja, liebevollen Lächeln betrachtete. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Was sollte ich davon halten? Dann aber drehte sie plötzlich den Kopf in meine Richtung und innerhalb eines Sekundenbruchteils verwandelte sich der Ausdruck ihres Gesichts in das, was ich mittlerweile als typisch Sam einordnete: ein hartes Funkeln in den Augen und ein gehässiges, überhebliches Grinsen.
„Guck mal, Wizard, sie frisst!“, riss Serafinas glückliche Stimme uns aus dem stummen Kräftemessen unserer Blicke.
„Schön“, entgegnete Sam sanft und fügte in einem schärferen Ton an mich gewandt hinzu: „Wird das heute noch was mit dem Frühstück?“
Wortlos drehte ich mich um und rührte Honig in Serafinas Milch, machte die Kaffeemaschine für Sam an, holte die Brötchen aus dem Ofen.
„Sie lässt sich sogar von mir streicheln“, hörte ich das Kind hinter mir jauchzen. „So schönes weiches Fell hat sie. Komm, Wizard, fühl mal!“
Sam schob den Stuhl zurück und ging zu Serafina, während ich Milch und Brötchen auf dem Tisch platzierte.
Für einen Moment war es still, dann…
„Verdammtes Mistvieh!“
Erschrocken fuhr ich herum. Die Katze kauerte mit angelegten Ohren und gesträubtem Fell auf dem Boden, ihr Schwanz peitschte aggressiv von einer Seite zur anderen. Serafina saß mit weit aufgerissenen Augen daneben und presste beide Hände auf den Mund. Sam stand vorgebeugt da und starrte das Tier hasserfüllt an. Über ihren rechten Unterarm zogen sich drei lange blutige Kratzer von der Ellenbeuge fast bis zum Handgelenk hinunter. Es sah gefährlich aus.
„Dieses. Verfluchte. Biest!“, knurrte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Sie machte einen Schritt auf die Katze zu, wollte sie packen, aber das Tier war schneller. Fauchend raste es aus der Küche.
Weitere Geschichten zum Thema