Die letzte Semesterwoche

Tamara war aufgeregt wie vor jeder Prüfung. Sie brauchte den Schein, ansonsten müsste sie die Vorlesung im übernächsten Semester noch einmal hören. Die Arbeit mit Laura hatte sie aber wesentlich sicherer werden lassen, als sie das letzte Woche noch war. Die pure Angst vor der Klausur war aber verschwunden.

Kurz bevor sie in den Hörsaal ging, wo die Klausur geschrieben wurde, kam Laura zu ihr gehetzt.

„Ich wollte dich nur noch mal schnell drücken und dir viel Glück wünschen!“, sagte die Blondine.

„Das ist aber lieb von dir. Danke!“, sagte sie und verschwand mit den anderen im Raum. Laura schaute ihr nach.

Zwei Stunden später war Tamara ein schwerer Stein vom Herzen gefallen. Laura erwartete sie diesmal vor dem Ausgang des Hörsaals und fragte gleich: „Na, wie war es?“

„Ich glaube, ich habs gepackt. Ich konnte zu allen Fragen etwas schreiben. Und, was soll ich dir sagen, ein Fragen konnte ich nur beantworten, weil wir zusammen gearbeitet haben.“

„Das ist ja prima“, sagte Laura lächelnd.

Sie umarmten sich und drückten sich ganz fest. Ein Studenten schauten sich das Lesben-Pärchen vor dem Ausgang des Hörsaals an. Laura und Tamara kannten immer mehr Studenten. Nicht mit Namen aber doch mit ihrem Umgang.

„Ich muss leider los“, sagte Laura. „Gleich schreibe ich meine Abschlussklausur. Die will ich auch bestehen.“

„Oh, warum hast du nichts davon gesagt? Ich wäre doch eher gegangen, damit du dich auch vorbereiten kannst.“

„Keine Sorge. Ich habe keine großen Probleme gehabt, dieses Semester. Wird schon klappen“, meinte Laura. „So, wir sehen uns!“, fügte sie an und verschwand.

Tamara spulte die weiteren Vorlesungen des heutigen Tags einfach ab. Eine Übung fiel aus, und so war sie schon relativ früh zu Hause. Sie konnte sogar vor der Zubereitung des Abendessens noch etwas für die nächste Klausur durchsehen. Vor dem Zubettgehen konnte sie noch alle Mitschriften und Übungen durcharbeiten, die sie mit Laura bearbeitet hatte.

Und so ging sie auch optimistisch in die Klausur am Dienstag Vormittag. Auch in diesem Fach hatte sie nachher ein gutes Gefühl. Sie hätte sich bei Laura gern noch einmal für ihre Hilfe bedankt, doch sie traf sie nicht an.

Vorlesungen und Übungen fanden in der letzten Semesterwoche nur noch sporadisch statt. Alle waren mit ihren Gedanken wohl schon in der vorlesungsfreien Zeit. Zum Ende der Semesterferien musste Tamara auch noch eine Klausur schreiben. Aber um dafür zu lernen war noch genügend Zeit. Das Thema lag ihr und sie hatte keine Schwierigkeiten gehabt, alle Übungspunkte zu bekommen.

Tamara war öfters früh zu Hause. Als sie gelangweilt in ihrem Zimmer war, fiel ihr auf, dass sie und Laura nicht einmal ihre Kontaktdaten ausgetauscht hatten. Sie hatten sich bislang nur an der Uni getroffen. Und so wusste Tamara nicht einmal, wohin sie ihr eine Email schicken sollte. Vielleicht hatte sie ja sogar Skype, und sie konnten abends miteinander reden. Aber nein, Tamara schüttelte über ihr Verhalten den Kopf.

Am Freitag musste sie ins Institut. Dort wurden im Schaukasten immer die Ergebnisse der Klausuren ausgehängt. Mit zitternden Beinen machte sie sich auf den Weg. Das Institut für Genetik war im vierten Stockwerk. Sie nahm die Treppen, um sich etwas zu beruhigen. Oder aber, um die Information, ob sie bestanden hatte oder nicht, noch etwas hinauszuzögern.

Sie ging zum Kasten, wo schon eine Reihe von Kommilitonen aufgeregt davor standen und schnatterten. Zufriedene und enttäuschte Gesichter hielten sich die Waage. Als Tamara endlich heran kam, sah sie, dass die Assistenten die Liste mal wieder nach Punkten und nicht nach Matrikelnummern sortiert hatten. So verdrehte sie die Augen und arbeitete sich von oben nach unten durch. Die schlechteste Arbeit hatte gerade einmal drei von einhundert Punkten geschafft.

„Fang unten an mit Suchen“, hörte sie Lauras Stimme in ihrem Ohr.

Tamara drehte sich um. „Ich hab dich vermisst, mein Liebes!“, sagte sie und umarmte ihre .

„Ich dich auch“, sagte sie. „Und nun schau!“

Tamara beherzigte den Rat und schaute ganz unten nach, wo die besten Punktzahlen standen. Sie stieß einen Freudenschrei aus.

„Ich hab die zweitbeste Klausur geschafft!“, sagte sie und fiel Laura erneut um den Hals.

„Und in Genetik bist du die beste“, sagte Laura leise.

„Wirklich? Woher kennst du meine Matrikelnummer? Das kann doch nicht sein.“

„Du hast deine Matrikelnummer auf jedes Heft und in jedes Buch geschrieben. Die musste ich mir einfach merken“, sagte Laura und zeigte auf den zweiten Schaukasten. „Schau selbst. Nur die unterste Punktzahl.“

Tamara überzeugte sich und konnte es nicht glauben, dass sie so gut abgeschnitten hatte.

„Und wie ist es bei dir gelaufen? Hast du auch schon die Ergebnisse?“

„Ich war auch ganz gut“, erwiderte Tamara lächelnd.

„Ganz gut?“, fragte Tamara nach.

„Okay, ich war die beste“, jetzt musste Laura auch lachen.

Die beiden Studentinnen umarmten sich noch einmal. Dann wurde Laura plötzlich ernst.

„Wir werden uns in den Ferien nicht sehen können“, sagte sie.

„Aber warum denn?“, antwortete Tamara entsetzt.

„Ich fahre gleich zu meinen Eltern nach St. Pölten. Dort verbringe ich die ganze vorlesungsfreie Zeit und bereite mich auf mein Seminar in der ersten Semesterwoche vor. Erst dann bin ich wieder hier.“

„Das ist ja schrecklich, meine Liebe!“, könnte Tamara nur sagen.

„Hier“, sagte Laura und reichte ihr einen Zettel. „Mein Facebook und meine Email-Adresse. Das haben wir ganz vergessen auszutauschen. Leider ist das Netz bei uns zu Hause sehr schlecht. Wir wohnen etwas abseits vom Breitband. Aber für eine Mail oder Chat wird es reichen.“

Tamara setzte ihre Tasche hin und kramte einen Block heraus. Sie schrieb auch ihre Email-Adresse auf. Auf Facebook war sie noch nicht vertreten, das würde sie aber ganz bestimmt schnell ändern.

Die Mädchen drückten sich noch einmal und trennten sich dann. Beide hatten Tränen in den Augen.

Tamara ging noch ins Rondell, um einen Kaffee zu trinken. Sie saß kaum da, als der Maschinenbau- zu ihr kam.

„Hi, heute auch dein letzter Tag?“, fragte er freundlich.

Tamara schaute mit Tränen in den Augen zu ihm hoch. „Bitte lass mich allein, ja?“, sagte sie.

„Was ist passiert? Kann ich dir helfen?“, fragte er ehrlich besorgt.

„Nein, geh einfach. Ich möchte allein sein.“

„Machs gut“, sagte er. „Ich hoffe, wir sehen uns im nächsten Semester wieder.“

Tamara schaute nicht auf, und er ging davon.

Die junge musste die Trennung von ihrer gerade erst liebgewonnenen verkraften. In so kurzer Zeit hatten sie so viele Dinge zusammen erlebt. Ihre Gefühle waren Achterbahn gefahren. Und jetzt war es einfach von jetzt auf direkt zu Ende. Würde sie sie überhaupt wiedersehen?, fragte sie sich.

Als Tamara am Nachmittag nach Hause kam, erinnerte Sabine sie daran, dass ihr Stipendium morgen beginnen würde. Das hatte sie ganz verdrängt.

„Morgen schon?“, fragte sie.

„Ja, aber das wusstest du doch“, sagte sie. „Deshalb hast du heute Abend komplett frei. Pack bitte einen Koffer mit deinen besten Sachen und vergiss deinen Kulturbeutel nicht. Pack auch gern etwas zu lesen ein, aber ich glaube nicht, dass du Zeit dazu haben wirst. Die Stipendien sind immer sehr vollgepackt.“

„Ist gut“, sagte sie und ging hoch. Sie warf ihre Tasche in die Ecke und warf sich aufs Bett.

Die Achterbahnfahrt ihrer Gefühle hatte gerade erst begonnen.

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