ayy. mein weihnachtsgeschenk für euch.
nicht umtauschbar.
AMEN SHE PRAYED. let’s go drama baby.
*
Martyr of pleasing
This prison you’ve built within me
You brought me to the ground
while you carry the world on your hands.
– Neurotech: Atlas
YOU AND ME AGAINST THE WORLD, Part VI.
* * *
Kapitel 10: Devil’s Night’s Collapse.
Warm spürte er seinen eigenen Atem über seine Oberlippe streichen. Gänsehaut. Gänsehaut am ganzen Körper. Es kribbelte. Es setzte ihn unter Spannung.
Sein Herz pochte hart gegen seinen Hals. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die Finsternis. Unfähig, seinen Atem zu beruhigen.
Zum ersten Mal in seinem fast neunzehnjährigen Leben fühlte Jona sich außer Gefecht gesetzt.
Eine Schande, wie lächerlich einfach das gewesen war. Ausgerechnet er, der rebellische Einzelgänger, der für Gefühle nie was übrig gehabt hatte, kapitulierte hemmungslos vor seinem Herzflattern.
Albern.
Albern, albern, albern.
Jona stieß die Luft aus seinen Lungen und wollte sich auf die Seite drehen. Mitten in seiner unbedachten Bewegung kollidierte er jedoch mit etwas Warmem. Erschrocken hielt Jona die Luft an.
Da vorn, keine Handbreit von ihm entfernt, lag ein Hindernis. Ein atmendes Hindernis. Ein atmendes, menschliches Hindernis. Ein atmendes, menschliches, VERDAMMT vertrautes Hindernis. Es strahlte angenehme Wärme aus, während es auf seiner linken Seite lag und mit regelmäßigen Atemzügen leise vor sich hin schlief.
What the actual fuck.
War der nicht eigentlich abgehauen???
Und viel interessanter: Sollte der nicht eigentlich längst brav in seinem Bettchen liegen, so tun als wäre er der Musterschüler, für den ihn alle hielten, und gefälligst den Puls von jemand Anderem mit seiner Anwesenheit in absurden Rhythmus bringen?! Was zur Hölle TAT der noch hier???
Ächzend richtete Jona sich auf. So gut seine Handfesseln das zuließen. Holy shit. Er war immer noch gefesselt. Dieser frivole Eindringling hatte ja nicht im Traum daran gedacht, Jona seine Freiheit zurück zu geben… aber das würde der büßen. Oh ja. Jona stöhnte unterdrückt auf.
Seine Handgelenke schmerzten. Die ganze Nacht hatten sie gegen die rauen Seile geschrammt. Das war wirklich verdammt unangenehm. Vermutlich blieben auch ein paar hübsche Spuren zurück… Na super. Jona lächelte bitter. Das würde den ganzen Idioten vom Internat willkommenen Zündstoff für Spekulationen liefern.
REICHLICH Zündstoff.
Für REICHLICH Spekulationen…
Fuck. Jona konnte es kaum noch erwarten… Die ganzen hämischen Kommentare, die zynischen Bemerkungen, die hirnbefreiten Anspielungen… mhmpf.
Aber noch viel unangenehmer als seine finsteren Gedanken war Jona die Nähe des Eindringlings. Was wollte der noch hier?!
„Ja, was will ich wohl noch hier?“, raunte die dunkle, vertraute Stimme in sein linkes Ohr.
Jona schauderte. Zu seinem Entsetzen wurde ihm jäh bewusst, dass er gerade laut gedacht hatte.
Aber zu spät für Rechtfertigungen: Schon spürte Jona kräftige Hände auf seinen Schultern, die ihn mit geschicktem Schubser herumwirbelten, sodass er sich rücklings auf der zerschlissenen Matratze wiederfand. Der Eindringling hockte sie frech auf seine Lenden und beugte sich dann nah über ihn.
Seine Worte strichen wie kribbelnde Finger über Jonas Haut. „Ich will damit weitermachen, was wir vor einigen Stunden einfach so frivol abgebrochen haben…“
– – –
Zoëys Stimmung war mörderisch.
Hatten die es doch tatsächlich GEWAGT, sie einzusperren.
Sie nannten das großzügig „Untersuchungshaft“.
Pah.
Schikane, nichts anderes war das!
Protestierend rüttelte Zoëy an der Türklinke ihrer mehr als bescheidenen Unterkunft. Vergeblich. Die Tür war abgeschlossen. Natürlich. Sie war hier eingesperrt. Ausgeliefert auf Gedeih und Verderb. Verflucht sei derjenige, dem sie das hier verdankte! Er konnte nur hoffen, dass Zoëy niemals herausfand, wer er war.
Schnaubend kehrte Zoëy der Tür den Rücken. Ließ sich langsam am massiven Holz herabsinken. Vergrub den schweren Kopf in den eiskalten Händen.
Irgendein Unhold hatte sie auflaufen lassen. Irgendwer hatte sich Zugang verschafft zum Kellerversteck, um Zoëy in verflixt noch mal verfluchte Schwierigkeiten zu bringen. Dass sie nicht lachte! Als ob sie das nicht bereits zur Genüge wäre… Der Unhold hätte einfach nur abwarten müssen…
Stattdessen hatte er Zoëys kleines Kräuterlager aufgespiced mit bewusstseinsmanipulierender Synthetik und dann bei der örtlichen Polizei gepetzt. Zoëy schäumte immer noch, wenn sie an die Blicke ihrer Freunde dachte, als das Sondereinsatzkommando den Keller gestürmt hatte. Entsetzen war gar nichts im Vergleich dazu, was sich in den erblassten Gesichtern ihrer treuen Gefährten gespiegelt hatte.
Schmach und Schande. Eine solche Blamage wünschte sie nicht einmal ihrer Todfeindin! Obwohl die echt einiges mehr verdient hätte… aber egal, das war ein anderer Gedankengang.
Zoëy knirschte unterdrückt mit den Zähnen.
Sie würde den Schuldigen finden. Und dann würde er auf seinen Knien um Gnade winseln. Sie würde ihn fertigmachen. Eiskalt. Gewissenlos. Genauso, wie er sie verraten hatte. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Im selben Herzschlag kam ihr ein Gedanke.
Zoëy hob langsam den Blick. Starrte mit übernächtigten, brennenden Augen auf die gegenüberliegende Wand und atmete tief durch, als die Erkenntnis sie durchzuckte wie ein Stromschlag.
Fuck. Darauf hätte sie auch eher kommen können. Alles sprach dafür: Das konnte ja nur ER gewesen sein…
– – –
Irgendwann kurz vorm Morgengrauen schreckte Mona aus traumlosem Schlaf hoch.
Für einen Moment war sie der Illusion erlegen, dass jemand am Fußende von ihrem Bett hockte und sie beim Schlafen beobachtete. Aber da war niemand. Mona schauderte und zog ihre Decke fest um ihre nackten Schultern. Was für ein unheimlicher Gedanken…
Dann realisierte sie, dass ihre Finger über nackte Haut strichen.
Nackte Haut. Mona stutzte und sah langsam an sich herunter. Sie war komplett nackt… Was war hier passiert?
„Du und deine Erinnerungen nach ’nem Trip“, spottete Admiral leise. Mona drehte sich langsam zu ihr um. „Wo warst du?“
Admiral hockte auf Monas Schreibtisch unterm Fenster, genauso splitterfasernackt wie Mona.
Neckisch fiel ihr dunkles Haar über ihre sanft gerundeten Brüste. Irgendwo unter den welligen Strähnen erahnte Mona samtige, fleischige Brustwarzen. Hart aufgerichtet, vermutete Mona. Es war ziemlich kühl in ihrem Zimmer.
Sie wusste nur zu gut, wie Admirals rosigen Brustwarzen aussahen. Manchmal, wenn die Nächte einsam waren, dann erschien Admiral wie aus dem Nichts in Monas Bett, schmiegte ihren nackten Körper gegen Monas und schlief mit ihr im Arm ein. Und manchmal, wenn die Sehnsucht beide Mädchen fest im Griff hielt, dann blieb es nicht bei harmlosen Kuschelstunden… Vermutlich hatte sich vor einigen Stunden ähnliches abgespielt, das Monas drogenvernebelter Verstand umgehend wieder ins Erinnerungsnirvana geschickt hatte.
Aber Mona stand der Sinn ohnehin nicht nach heimlichen Intimitäten.
„Sag mir, wo du warst!“, forderte sie leise, presste die Decke gegen sich und sah Admiral über den Deckenrand an.
Admiral ließ sich langsam vom Schreibtisch rutschen. Mit wenigen Schritten hatte sie das Bett erreicht und kniete sich vor Mona. „Ich… ich musste mich da noch um etwas kümmern, das keinen Aufschub geduldet hat.“
„Ville?“ Mona klang halb ängstlich, halb neugierig.
Über Admirals Lippen huschte der Anflug eines kleinen Lächelns. Es hatte fast bösartige Züge…
Mona ahnte schon länger, dass da irgendwas zwischen ihrem Exfreund und Admiral lief… aber sie weigerte sich, Gewissheit zu verlangen. Aus Angst, vermutete Admiral. Angst, ihre liebste Freundin dann zu hassen. Angst, ihren Ex dann mit Vorwürfen zu erschlagen. Angst vor ihren eigenen Gefühlen, die sie ja ohnehin nicht unter Kontrolle hatte. Aber dafür gab es ja Admiral. Admiral, mit der Mona es sich nicht verderben wollte. Also fragte sie halt nicht nach. Und so schloss sich Monas Logik zu einem hübschen kleinen Kreis.
„Nein“, antwortete Admiral aus diesem Gedanken heraus sanft. „Der ist…“
Spurlos verschwunden, hatte sie sagen wollen. Besann sich dann eines Besseren. „…vollauf mit der …Matheklausur beschäftigt, die übermorgen ansteht.“
Was nicht einmal gelogen war: Ville hatte die anstehende Mathemathikklausur als fadenscheinige Ausrede benutzt, um Admiral schnöde abzuspeisen. Aber bitte, wenn er sich einen Abend mit ihr entgehen lassen wollte…
Dummerweise hatte Admiral bisher nicht herausfinden können, was Ville stattdessen wirklich getan hatte. Eins war nämlich gewiss: Eher würde der Vollmond am dunklen Himmel da draußen lilagestreift anlaufen, als dass Ville „Ich hab Lernen nicht nötig“ Sköldmark freiwillig Mathe paukte.
„Achso“, murmelte Mona abweisend. Sie glaubte Admiral kein Wort, das stand ihr quer über die blasse Stirn geschrieben. Verdammt. Also musste Admiral härtere Geschütze auffahren…
„Rutsch mal.“ Sie richtete sich auf, schlüpfte zu Mona unter die Decke und kuschelte sich ganz dicht an sie.
„Erzähl mir, wo du warst“, verlangte Mona eindringlich. Sie konnte so entschlossen sein. Wenn sie wollte. Wenn…
Die Frage, warum sie nackt war, hatte sie vergessen. Das spielte ohnehin keine Rolle.
„Also gut“, seufzte Admiral. Und fügte in Gedanken hinzu: „Dann mach dich mal bereit für ’ne volle Salve an Manipulation, Süße.“
– – –
Monoton zogen die Monate ins Land.
Der goldene Spätsommer wich einem verregneten Herbst, und auf einen trostlosen September folgte ein kalte Oktober. Der brachte dann schließlich die ersten Herbststürme mit sich.
Jonas Laune war an manchen Tagen genauso finster wie der grau in grau verhangene Himmel da draußen vor den Fenstern. Und diese unheimliche Stille, die das Internat überschattete wie eine lauernde Kreatur, tat ihr Übriges dazu.
Es war die Ruhe vor dem nächsten schweren Sturm, der über sie alle hereinbrechen sollte.
Sie schrieben den 30. Oktober.
Die Nacht vor Halloween.
Devil’s Night.
Und zu allem Überfluss regnete es nach zehn trügerischen Minuten Sonnenschein gegen halb neun morgens schon seit Stunden wie aus Kübeln. Soviel zum kitschig verklärten Herbst in bunten Farben.
Jona hatte sich auf die Fensterbank vom Gemeinschaftsraum seiner Station verzogen. Die breiten Nischen vor den Fenstern waren mit Kissen ausgestattet und verfügten über ein gewisses Maß an Gemütlichkeit. Für Jona hatten die Fensterbänke deshalb extrem viel Lieblingsplatzcharakter.
Auf seinen angewinkelten Knien lag Jonas Zeichenblock.
Seine Hände allerdings ruhten untätig auf seinen Oberschenkeln. Jona war vollauf damit beschäftigt, missmutig nach draußen zu stieren. In dieses miesepieselige Matschewetter. Schon erwähnt, dass er dieses lahme Grau in Grau in Grau nicht ausstehen konnte?
Wenn das so weiterregnete da draußen, dann stand ihnen allen die nächste Sintflut bevor. Spukige Halloweendekoration für Outdoor fiel ins Wasser! Wortwörtlich. Was hieß, dass er ganz umsonst stundenlang riesige Kürbisse ausgehöhlt und mit schwarzen dicken Kerzen ausgestattet hatte. Sollte das Lohn und Dank für diese schweißtreibende Beschäftigungstherapie sein?! Na danke auch.
Jona seufzte genervt und drehte den Blick weg vom vergitterten Fenster.
Nicht, dass der Ausblick nicht ohnehin frustrierend war, mit den stabilen Eisenstangen auf der anderen Seite. Eindrucksvoll dekorativ, diese Knastmaßnahmen, ehrlich.
Aber sie waren ja notwendig, wie die Rektorin nicht müde wurde zu betonen. Ehe hier noch jemand auf die kreative Fluchtidee „Selbstmord durch Fenstersprung“ kam… Immerhin lag Station B6 in elf Metern Höhe. Wäre vermutlich keine sonderlich lebensbejahende Idee, spontan aus dem Fenster zu hüpfen.
Kopfschüttelnd widmete Jona sich wieder seinem Zeichenblock. Er war ziemlich talentiert, was das Zeichnen anging, das war nicht zu verleugnen. Mit sicherer Strichführung konnte er Personen porträtieren, ölige Landschaften auf Leinwände bannen und mit Aquarellen abstrakte Figuren auf Papier einfangen.
Sein neustes Motiv hatte etwas bitterbeißend Zynisches: Sein persönliches Horrorinternat vor einer surrealen Seenlandschaft. Im Vordergrund kauerte eine dunkle, kopflose Person mit einem fies grinsenden Kürbis unterm linken Arm, aus dem zähes Blut hervorquoll. Der Kopflose drohte dem Betrachter mit einem schmalen Dolch, während im linken oberen Rand der Skizze ein noch farbloser Vollmond aufging.
Doch heute Abend kam er nicht mehr dazu, den Stift wieder anzusetzen. Im selben Moment, da stumpfe Bleistiftmiene raues Papier berührte, ging ein markerschütternder Schrei durch den Flur von Station B6.
Jona zuckte fürchterlich zusammen und ließ dabei seinen Bleistift fallen.
Außer ihm hielt sich nur Ville im Gemeinschaftsraum auf, der vor dem Kamin in einem Sessel herumlungerte und irgendeinen Schundroman verschlang.
Seit der Sache mit dem Keller war Jona ihm aus dem Weg gegangen und hatte getan, als gäbe es Ville gar nicht. Es grenzte wirklich hart an Selbstgeißelung. Ganz zu schweigen von der Beherrschung, die ihn das kostete. Aber das war Jona allemale lieber, als Ville damit zu konfrontieren, was er herausgefunden hatte. Jona wusste nämlich, wer ihm da die Nacht im Keller versüßt hatte, die er Ville und seiner schamlos ausgelebten Hinterlistigkeit verdankte. Und diesen Joker, war Jona fest entschlossen, würde er nicht so leicht verspielen.
Für einen Herzschlag kreuzten sich ihre Blicke, als Ville nun genauso alarmiert aufsprang wie Jona. Alles Ungesagte zwischen ihnen schwelte. Fest entschlossen, dem Drängen in seiner Brust nicht nachzugeben, wandte Jona den Blick als Erster ab.
Die beiden erklärten Erzrivalen erreichten gleichzeitig die Tür, stießen sich gegenseitig aus dem Weg und stürmten dann auf den Flur.
Weit mussten sie allerdings gar nicht hasten.
Vielleicht fünf Schritte vom Gemeinschaftsraum entfernt hockte jemand in einer dunklen Lache. Beim Näherkommen erkannte Jona auch, wer: Mona zitterte unablässig und schluchzte dabei besinnungslos, während sie den regungslosen Körpern in ihren Armen fest an sich presste. Sie saß in einem See aus noch warmem Blut, aber das schien ihr egal zu sein. Oder, ganz absurd, sie nahm es einfach gar nicht wahr.
Ihr leerer Blick war auf irgendetwas in weiter Ferne gerichtet, das vermutlich niemand außer ihr selbst sehen konnte. Ihre Lippen stammelten stumme Worte.
Ville und Jona tauschten einen erschütterten Blick.
Doch während Ville stocksteif verharrte, gab Jona sich einen Ruck und kam dem Mädchen ohne zu zögern näher.
Mona bemerkte ihn gar nicht. Erst, als er den unverzeihlichen Frevel begehen und den leblosen Körper aus ihrem Klammergriff lösen wollte, richtete sie den ausdruckslosen Blick auf ihn. Fast flehend schüttelte sie den Kopf. Aus ihren weit aufgerissenen Augen tropften konstant dicke Tränen, die ihr das Gesicht und den Hals hinunterliefen.
In dem Moment bemerkte Jona den langen Schnitt unterhalb des Adamsapfels von der Person, die Mona so verzweifelt an sich drückte. Unablässig quoll dunkles Blut aus der tiefen Wunde hervor. Erklärte zumindest die Blutlache.
Lähmendes Entsetzen durchschauderte Jona, als er die Person erkannte: Es war Kjell.
Ville zog hörbar tief Luft ein, wich leichenbleich im Gesicht einen Schritt vor Mona und ihrer Last zurück.
Jona hingegen beugte sich hinunter, um entschlossen nach Kjells linkem Arm zu tasten. Er wollte jetzt Gewissheit! …auch wenn dieser extreme Blutverlust eigentlich für sich selbst sprach.
Trotzdem legte Jona dem leblosen Kjell seinen Zeige- und Mittelfinger an den Punkt, wo seine Pulsschlagader die Handwurzel passieren musste… und schüttelte bald darauf den Kopf. Wie erwartet: „Er ist tot. Lass ihn los, du kannst nichts mehr für ihn tun.“
Mona interessierte das nur geringfügig. Mit glasigem Blick sah sie direkt durch ihn hindurch, während sie irgendwelche unzusammenhängende Sätze über ihre bebenden weißen Lippen brachte: „N-nein, er kann gar nicht tot sein… er hat mich doch grad nach Kirstie gefragt! Aber zur Hölle mit dieser Irren… ha, ha…“
Mona lachte leise.
Es klang verdammt hysterisch. Sie war vermutlich kurz vorm Nervenzusammenbruch.
Jona atmete tief durch und wollte ihren sinnlosen Monolog brüsk unterbrechen, doch da stammelte Mona sich bereits weiter durch ihren Text. „Hast du den Kürbis gesehen? Der muss hier doch irgendwo sein… Kjell hat gesagt, dass der Kürbis wichtig ist! Er darf nicht verloren gehen… A-aber dann ist er einfach zusammengebrochen, und, und… woher kommt nur dieses viele Blut? Oh Gott… Oh Gott…“
Sie begann leise zu wimmern und sich hin- und herzuwiegen, Kjells leblosen Körper weiterhin fest an sich gepresst.
Das war sinnlos.
Jona richtete sich auf.
Jeglicher Versuch, eine vernünftige Konversation mit Mona in ihrem jetzigen Geisteszustand zu führen, war nur Zeitverschwendung. Blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich an Ville zu wenden.
Der saß mittlerweile leichenblass an der Wand, den Kopf in seine Hände gestützt.
„Bist du imstande, unsere Aufseherin zu berichtigen?“, wollte Jona schroff von ihm wissen.
Ville schüttelte langsam den Kopf und vermied dabei krampfhaft, Jona anzusehen. Ihm war seine kleine Schwäche abgrundtief peinlich, wie Jona nicht ohne gewisse Genugtuung registrierte.
„Alles muss man selbst machen“, knurrte er resignierend und machte sich mit gestrafften Schultern auf den Weg über den langen Flur hin zum „Kontrollhäuschen“ — wie es die Insassen von Station B6 nannten — wo zu dieser fortgeschrittenen Stunde die Nachtaufsicht saß und erfolgreich tat, als wäre sie nicht zuständig.
Würde er das eben ändern!
Jona stoppte keuchenden Atems vor der Tür neben dem riesigen Panoramafenster mit Luxusaussicht auf die mit Sicherheitsglas ausgerüstete Stationstür, klopfte eindringlich gegen das robuste Holz und auf ein vermuffeltes „Herein“ betrat er den engen Raum.
Eine nicht mehr ganz so junge Frau saß kaugummikauend am Schreibtisch – neben einem quietschenden alten Stuhl das einzige Mobiliar, aber viel mehr hatte hier wohl auch einfach nicht reingepasst – und las mit desinteressierter Miene irgendein Klatschblatt über das uninspirierte Sexleben von irgendwelchen unbekannten X-Prominenten. Sie sah nicht einmal auf, sondern fragte nur mit ätzender Stimme monoton: „Was willst du?“
Überflüssig zu erwähnen, dass diese brünette Tante ohne nennenswerte Frisur in den splissigen Haaren Jona irgendwie aggressiv machte. Und dementsprechend war sein Tonfall und die Wortwahl auch alles andere als höflich, als er ihr antwortete.
„Och, nichts Besonderes eigentlich. Drogen und Kondome hab ich noch genug und an ’nem Quickie mit Ihnen reizt mich irgendwie auch nichts. Aber ich dachte, es könnte Sie vielleicht interessieren, dass am Ende des Flurs eine Leiche in den Armen eines unter Schock stehenden Mädchens liegt…“
Heh. Effektiver hätte ein Bombeneinschlag auch nicht wirken können.
Madame Nachtaufsicht hatte bei seinen unverschämten Worten anfangs noch pikiert, dann zunehmend entsetzter das Schundblatt sinken lassen. Nun starrte sie ihn für wenige Herzschläge wortlos an, ehe sie hastig nach ihrem Pager griff, um die Internatsleitung zu alarmieren.
Bemüht, nicht allzu grimmig-zufrieden auszusehen, verschränkte Jona seine Arme vor der Brust.
„Mitkommen“, kommandierte die ätzende Stimme, die Madame Nachtaufsicht vor Urzeiten mal um einige Oktaven zu hoch gerutscht und irgendwo zwischen f#6 und b7 stecken geblieben war. Wie konnte man mit so einer Fieselstimme nur reden? Jona schauderte, wich den nach ihm grabschenden Krallen aus und leistete dem Befehl dann unwillig Folge.
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