Wer den ersten Teil bereits abartig fand, kann beruhigt wegklicken, denn auch wenn es insgesamt etwas weniger wild zugeht und ich in diesem Teil erst so richtig für die geballte Ladung Werwölfe Anlauf nehme, wird es doch nicht viel weniger glitschig und feucht-fröhlich.

Wem die kleinen Märchenbezüge gefallen, dem sei der Titel von Kapitel Drei hier schon genannt. Er lautet: Schneeweißchen und Rosenrot.

Viel Spaß beim Rätseln, was ich daraus machen werde… ;-D

*****

Kapitel Zwei

Dornröschen

Schnell eilte Claudia durch den Regen in Richtung ihres neuen Zuhauses. Sie umklammerte die beiden Papiertüten mit ihren Einkäufen und versuchte, sie mit ihrem Körper ein wenig abzuschirmen. Wenn sich ihre Einkäufe auf dem regennassen Gehsteig verteilen würden, wäre das ärgerlich.

Sie hielt den Kopf gesenkt und starrte auf den vor ihr liegenden Weg. Nur ab und zu sah sie auf, um zu schauen, ob sie ihren Eingang schon erreicht hatte. Sie wohnte noch nicht lange genug hier, um die einzelnen Vorgärten aus dem Augenwinkel auseinanderzuhalten.

Ach wem wollte sie etwas vormachen? Ihr eigener Vorgarten war sehr wohl auch mit gesenktem Kopf zu erkennen. Er hatte als Einziger keinen ordentlich gemähten Rasen.

In Wahrheit wollte sie niemanden aus ihrer neuen Nachbarschaft sehen. Sie wollte die Blicke nicht wahrnehmen, die man ihr zuwarf. Seitdem sie hierher gezogen war. Und in den Wochen zuvor. Seit… jener Nacht…

Passenderweise donnerte es genau zu diesem Gedanken. So als wäre ihr Leben ein Film. Der dritte Teil von Sieben Zwerge. Dort donnerte es ja auch bei jeder Erwähnung von jener Nacht.

Nur gab es in ihrem Leben kein Happy End. Es war kein Märchen, sondern eine Art Alptraum, aus dem sie einfach nicht erwachen konnte. Sie war Dornröschen und ihr Schlaf dauerte an, weil sich ganz einfach niemand an ihrer Dornenhecke versuchen wollte.

Ein Blitz zuckte über den grauen Himmel und Claudia blickte wieder auf. Sie war beinahe angekommen. Aber das war nicht der Grund, aus dem sie den Kopf nicht sofort wieder senkte.

Auf ihrer Einfahrt stand ein Lieferwagen. Ein einfacher Mietwagen mit dem Logo eines bekannten Autoservice darauf. Und mit geöffneter Hecktür. Kisten und Teile von Möbeln waren darin zu erkennen.

Verdammt…

Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die andere Hälfte des Reihenhauses, das sie bewohnte, wieder vermietet wurde. Aber es hätte nach ihrem Geschmack ruhig etwas mehr Zeit sein dürfen.

Die letzten waren erst vor einer Woche ausgezogen. Nachdem sie es nicht mehr ausgehalten hatten. Was – wie Claudia sehr genau wusste – ganz allein ihr Verdienst war.

Es war ihre Bürde, dass es niemand mehr in ihrer Nähe aushielt. Es war ein Preis, den sie für etwas zahlte, an das sie sich nicht mehr erinnern konnte. Nur ein ganz vages Gefühl von Hoffnung war geblieben. Hoffnung darauf, dass sie die Bürde nur tapfer lange genug tragen musste, um…

Nun… Sie wusste nicht, was dann geschehen würde. Ob überhaupt etwas geschehen würde. Aber sie klammerte sich daran und wagte nicht loszulassen, denn ihr blieb sonst nichts mehr im Leben.

Unwillkürlich sah sie auf ihr Handgelenk. Der lange Streifen roten Stoffs war genau dort. Mehrfach um den Arm geschlungen und fest verknotet. Und man sah ihm an, wie lange er schon getragen wurde.

Claudia konnte sich ihre fast schon an Irrsinn grenzende Besessenheit von diesem Fetzen selbst nicht erklären. Er war ein Symbol für etwas. Etwas Verlorenes. Etwas Wichtiges. Und er roch noch immer danach, wenn sie ihn sich dicht an die Nase hielt. Er beruhigte sie. Und noch ein wenig mehr…

Aber niemand außer ihr schien dieses Gefühl zu teilen. Jeder andere, den sie kannte, fand im Gegenteil den Stoffstreifen abstoßend und manche nahmen einen widerlichen Gestank wahr, der davon ausging.

Es war natürlich absurd, aber irgendwie schien alles, was in den letzten Monaten schief gegangen war, mit diesem Stück Stoff in Verbindung zu stehen.

Nein. Das war wirklich absurd. Unwillig schüttelte Claudia den Kopf, während sie die Straße überquerte.

Nicht ihr ungewöhnliches Armband hatte ihre Beziehung zerstört und sogar ihre beste in die Flucht geschlagen. Es waren Ignoranz und Besserwisserei, die daran die Schuld trugen.

Claudia hatte ihr Bestes getan, um allen Menschen in ihrer Umgebung zu erklären, dass mit ihr alles in Ordnung war. Sie war weder traumatisiert noch geistesgestört. Und vor allem war sie nicht einer Vergewaltigung geworden. Aber niemand glaubte ihr.

Sicherlich wäre es hilfreich gewesen, wenn sie sich selbst an die Ereignisse im Park erinnern könnte. Wenn sie wüsste, wie es dazu gekommen war, dass sie völlig verschmiert mit allen möglichen Körperflüssigkeiten von einem Ausflug zurückkehrte, der eigentlich eine etwas seltsame Geburtstagsüberraschung hatte werden sollen.

Aber auch wenn sie sich zugegebenermaßen in der Zeit danach ein wenig seltsam verhalten hatte, war sie doch diejenige, die am besten wissen musste, ob sie traumatisiert war. Oder nicht?

In Gedanken versunken bemerkte sie zu spät, dass eine Person sich rückwärts aus dem Transporter schob. Die eher kleine Gestalt trug eine riesige Kiste und trat der Blondine direkt in den Weg. Die Kollision war unvermeidlich und hart.

Wie in Zeitlupe sah Claudia die Frau nach vorne stolpern und den Halt an der Kiste verlieren, während sie fühlte, wie ihre Einkaufstüten rissen und sich in Wohlgefallen auflösten. Obst, eingepackte Lebensmittel und ein andere Kleinigkeiten verteilten sich auf dem Gehsteig. Dann schlug der Karton klirrend auf und gab die darin befindlichen Geschirrteile frei, der sich fröhlich unter die Einkäufe am Boden mischte.

„Scheiße!“, fluchte die .

Claudia lag etwas Ähnliches auf der Zunge, aber Anblick und Stimme der Frau brachten sie völlig aus dem Konzept. Ihre Kehle schnürte sich zu und sie konnte nur noch starren.

Vor ihr stand eine junge Brünette in schwarzer Jeans und grauem T-Shirt. Sie war offenbar schon ein paar Mal durch den Regen geeilt, denn das Shirt war völlig durchnässt und lag am Körper an wie eine zweite Haut. Ein flacher Bauch und kleine, feste Brüste zeichneten sich deutlich ab. Ebenso wie die vom kühlen Regen sichtbar verhärteten Nippel.

Aber obwohl diese Dinge der verblüfften Blondine durchaus auffielen – und auch gefielen, wie sie eingestehen musste – war es das Gesicht der Fremden, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie war einfach wunderschön…

Ein wenig irritiert blickte die Frau sie aus ihren grauen Augen an, die beinahe ein wenig silbrig zu schimmern schienen. Und in diesem Blick lag eine Tiefe, die Claudia die Knie weichmachte.

In der Zeit nach jener Nacht hatte sie ihren Frieden damit gemacht, dass Frauen sich plötzlich auf ihrem Radar zu befinden schienen. Aber noch keine hatte sie so schlicht und einfach umgehauen, wie diese. Es fühlte sich beinahe so an, als würde sich die schreckliche Leere in ihrem Herzen ein klein wenig füllen und nicht mehr ins Bodenlose reichen.

„Tut mir leid“, sagte die Frau nach einer kleinen Weile, in der sie Claudias Blick ganz ruhig ertrug. „Ich hab nicht aufgepasst.“

Nur mit Mühe schaffte es die Angesprochene, sich von der Betrachtung loszureißen. Ziemlich neben der Spur bemerkte sie die ausgestreckte Hand ihres Gegenübers und ergriff sie, ohne nachzudenken.

Erst dann zuckte die Erkenntnis durch ihren Geist, dass sie damit einen Fehler machte. Und sofort versuchte sie, sich gegen die unvermeidliche Reaktion zu stählen.

Sie hatte Wochen Zeit gehabt, bei den verschiedensten Menschen die gleiche Reaktion zu beobachten, wenn sie ihr gegenübertraten. Irgendetwas an ihr war anders. Und es schien eine verstörende Wirkung auf ihre Mitmenschen zu haben.

Ihre Bürde war, dass es – von ihrer besten Freundin bis zum wildfremden Passanten – niemand lange in ihrer Nähe aushielt. Und das Händeschütteln war besonders schlimm. Es ließ die meisten Leute zurückschrecken als wäre sie eine Giftschlange. Die wenigen, die sich beherrschen konnten, brachen den Körperkontakt so schnell wie möglich ab. Und alle suchten dann möglichst bald das Weite.

Es war kein schönes Gefühl, wenn die Menschen einen auf diese Weise mieden. In etwa so mussten sich Aussätzige im Mittelalter gefühlt haben.

Claudia versuchte, irgendwo noch ein paar Kraftreserven zu finden, um das unvermeidliche Entsetzen im Blick der Frau zu ertragen. Es würde gleich in der nächsten Sekunde Einzug halten und die schönen Augen verschleiern. Und dann würde sie ihre Hand fortreißen, als hätte sie in einen Haufen Scheiße gegriffen.

Und obwohl sie es bereits kommen sah, konnte die Blondine ihren Blick einfach nicht lösen oder ihre Hand selbst zurückziehen. Die Hoffnung starb wohl wirklich erst nach einem langen Todeskampf.

Oder auch nie…

„Ich bin Hilda“, verkündete die Brünette lächelnd und schüttelte fest, aber sanft die Hand. „Ich ziehe gerade ein.“

Claudia konnte wieder nicht antworten. Sie konnte nur auf ihre Hand starren und sich wundern. Während ihr Herz von einem rasenden Panikpuls auf ein hoffnungsvolles Flattern beschleunigte.

„Oh, Shit!“, fluchte Hilda dann, nachdem sie zunächst auf eine Erwiderung gewartet hatte. „Die Sachen. Deine Einkäufe. Das wird ja alles dreckig.“

Schon im nächsten Moment hockte sie sich hin und fing damit an, alle möglichen Dinge auf dem Boden einzusammeln. Aber für Claudia zählte nur, dass sie keine Anzeichen von Furcht zeigte. Kein Ekel. Keine Ablehnung. Sie verhielt sich ganz… normal.

Wie in Trance beugte sie sich hinunter und half fahrig dabei mit, irgendwelche Dinge aufzuheben. Sie machte dabei keinen Unterschied zwischen in Zeitungspapier eingeschlagenen Tassen, Stücken zerbrochener Teller und Äpfeln. Sie wusste nicht einmal, was sie da eigentlich tat.

„Warte“, meinte Hilda plötzlich. „Ich weiß was!“

Und damit sprang sie auf, kletterte in den Transporter und rumorte kurz in dessen Innerem. Noch bevor Claudia zur Besinnung kam, war sie mit einem leeren Wäschekorb wieder draußen. Und gleich darauf sammelte sie die Einkäufe dort hinein.

„Ich helfe dir den Kram nach Hause zu tragen“, verkündete sie fröhlich. „Wo wohnst du?“

Claudia konnte nur langsam den Arm heben und auf ihre Haustür zeigen. Und dann hätte sie sich beinahe auf den Hosenboden gesetzt, als auf dem Gesicht der seltsamen Frau ein strahlendes Lächeln erblühte.

Es huschte nur kurz über die Züge, aber es hatte eine nachhaltige Wirkung auf die Blondine. Sie fühlte ein Kribbeln in ihrem Bauch, dass entweder eine wirklich schlimme Magen-Darm-Grippe werden würde, oder von einer Horde prähistorischer Riesenschmetterlinge stammte.

„Cool“, meinte Hilda und richtete sich auf. „Ich hatte schon befürchtet, meine Nachbarn wären übermäßig redselig.“

Nach einer Verzögerung von einer knappen Sekunde hatte Claudia die Worte verarbeitet. Das verschmitzte Lächeln auf dem Gesicht ihres Gegenübers ergab damit einen Sinn. Sie wurde fast augenblicklich rot.

„Tut… tut mir leid“, stotterte sie. „Ich… ich bin nur… Ich war… Ich hab…“

„Schon okay. Ich find dich auch süß.“

Mit diesen Worten lief Hilda los und steuerte auf die Haustür zu. Und Claudia setzte sich nun tatsächlich auf den Hosenboden.

Natürlich rappelte sie sich sofort wieder auf und schaffte es dann sogar, der anderen hinterher zu gehen. Und sie kam auch schnell mit sich überein, sich diesen Wortlaut nur eingebildet zu haben. Bestimmt hatte die Brünette etwas ganz anderes gesagt.

Und außerdem war süß nicht ganz die richtige Formulierung, wie Claudia sich dann mit einem Blick auf den sportlichen Knackarsch ihrer neuen Nachbarin eingestehen musste. Sie fand diese Frau nämlich einfach anbetungswürdig.

Mit zittrigen Fingern schloss sie die Tür auf und ließ die andere Frau eintreten. Nach einer kurzen Orientierungspause steuerte die dann zielstrebig die Küche an. Vermutlich hatte sie schnell realisiert, dass ihre Haushälfte im Prinzip spiegelverkehrt angeordnet war.

Schnell war Hilda daher auch wieder im Flur. Claudia riss sich zusammen und schaffte es inzwischen wenigstens selbst durch de Haustür.

„Falls was verdorben ist, ersetze ich es dir natürlich. Sag einfach Bescheid“, erklärte ihre Nachbarin lächelnd. „Aber jetzt muss ich erst meinen Kram ausladen. Vielleicht können wir ja die Tage mal einen Kaffee trinken, wenn ich mich ein wenig eingerichtet habe?“

Claudia konnte nur wie betäubt nicken. Und dann war die andere Frau auch schon wieder in den Regen verschwunden und ließ eine schmerzende Leere zurück.

Zuerst fühlte sie sich von der tonnenschweren Last der plötzlichen Einsamkeit und Niedergeschlagenheit fast erdrückt. Dann schaltete ihr Gehirn endlich wieder auf normale Geschwindigkeit und sie rief sich zur Ordnung.

Die Frau war nett zu ihrer zukünftigen Nachbarin gewesen. Aber mehr war da ganz sicher nicht. Auch wenn sie nicht so reagiert hatte, wie sonst jeder Mensch mittlerweile auf die Blondine reagierte. Und Claudia selbst war einfach unendlich einsam, weswegen sie sich sofort an diesen einen Hoffnungsschimmer klammerte.

Aber in Wahrheit war da nichts Außergewöhnliches. Sie redete sich nur etwas ein, wenn sie an Interesse seitens der anderen Frau glaubte.

Missmutig, aber wenigstens wieder bei Vernunft, ging sie in ihr Schlafzimmer, um sich die nassen Sachen auszuziehen. Und auf der Treppe hielt sie noch einmal inne, rieb sich kurz die Schläfen und sagte dann zu sich selbst: „Scheiß drauf. Und wenn schon…“

Als sie gleich darauf nach draußen in den Regen trat, musste sie dann keine ihrer schnell zurechtgelegten Aussagen verwenden. Hilda verschwand gerade mit den Resten des großen Kartons im Haus, der ihr heruntergefallen war. Ein wenig erleichtert ging Claudia zum Transporter und sah hinein. Dann atmete sie tief durch und schnappte sich selbst einen der Umzugskartons.

Als sie auf dem Weg ins Haus ihrer neuen Nachbarin begegnete, zog die nicht einmal eine Augenbraue hoch. Stattdessen strahlte sie Claudia an und… warf ihr einen Luftkuss zu.

Fast wären der Blondine daraufhin die Beine eingeknickt. Aber sie fing sich noch rechtzeitig.

Was sich daran anschloss, war ein wunderbarer, feuchter Traum. Auch wenn das vermutlich kein anderer Mensch so gesehen hätte.

Einträchtig und völlig ohne Probleme, sich aufeinander abzustimmen, entluden Claudia und Hilda den Transporter. Kleine Scherze über Hinkelsteine in diesem oder ein Kilo Feder in jenem Paket hätten vermutlich niemanden zum Lächeln gebracht, der sich nicht an der Plackerei beteiligte. Aber bei den beiden Frauen funktionierte es prima.

Claudia kam gehörig ins Schwitzen und entledigte sich ohne das geringste Zögern nach einer Weile ihres Pullovers. Darunter trug sie nur ein dünnes Top und schon der erste Weg zurück durch den Regen machte dessen Untauglichkeit als Bikinioberteil klar. Aber das war völlig gleichgültig, denn Hilda gefiel es ganz offensichtlich sehr. Sie kam nämlich nicht nur selbst kurz aus dem Tritt, sondern pfiff ihrer neuen Nachbarin auch leise hinterher.

Für Claudia war es ein unwahrscheinlich befreiender Nachmittag im frühsommerlich kühlen Regen, der ihr ganz bestimmt einen schrecklichen Muskelkater und vielleicht auch eine Erkältung einbringen würde. Aber dafür hatte sie zum ersten Mal seit Wochen das Gefühl, kein einsames Alien auf der Erde zu sein. Sie erlebte endlich wieder ein wenig lange vermisste Normalität.

Oder was man so Normalität nennen mochte…

In Hildas Gegenwart taute sie nämlich nicht einfach auf. Sie schmolz wie ein Eiswürfel in der Mikrowelle. Und ihr Verhalten schwankte objektiv betrachtet zwischen kindlicher Gelöstheit und einem eher pubertären Verhaltensmuster.

Sicherlich war sie sich zu einem Teil der Tatsache bewusst, dass sie eine wildfremde Frau immer wieder geradezu anhimmelte. Aber diese Frau nahm ihr das weder krumm, noch zeigte sie Anzeichen von Ablehnung. Es war im Gegenteil so, dass Hilda ganz offensichtlich mit ihr flirtete. Kein Irrtum möglich.

„Wie schaffst du diese megaschweren Kisten bloß?“, fragte Claudia einmal erstaunt. Sie hatte eine davon zu heben versucht und völlig versagt.

„Wenn du so dicke Beine und Arme hättest wie ich, würde dir das leichtfallen“, lautete die Antwort.

„Ich finde deine Beine zum Anbeißen“, murmelte Claudia daraufhin, sobald Hilda ein Stück weit weg war.

„Und ich deinen Arsch“, rief die jedoch gutgelaunt.

Das war doch ziemlich unmissverständlich, oder nicht?

Alle Zweifel vertrieb dann ein Gespräch bei einer kurzen Pause vor den allerletzten Kisten im Transporter.

„Wohnst du allein?“, wollte Hilda wissen.

Claudia nickte und wischte sich die Mischung von Scheiß und Regenwasser aus dem Gesicht.

„Kein , der dir die Nächte versüßt?“, erkundigte sich die Brünette, während sie betont gleichgültig auf ihre Schuhe sah.

„Kein Freund“, bestätigte Claudia. „Und auch keine Freundin.“

Hildas Kopf schnellte hoch und ihre Blicke trafen sich für einen langen, vielsagenden Moment. Ihr Herz schlug Purzelbäume, als sie das feine, zufriedene Lächeln auf den Lippen der anderen sah. Und noch mehr, als deren Blick sich durch ihre Augen einen Weg direkt in ihren Unterleib bahnte.

„Gut“, hauchte Hilda sehr leise. Und sehr entschlossen.

Eine halbe Stunde später waren sie leider fertig mit dem Ausladen. Erschöpft ließ sich Claudia auf eine der Kisten sinken und bedauerte, dass dieser Nachmittag, der eigentlich schon ein früher Abend war, sich dem Ende zuneigte.

„Ich bin dir wirklich sehr dankbar“, erklärte Hilda ernsthaft. „Ohne dich hätte ich viel länger gebraucht und… es wäre sehr viel… langweiliger gewesen.“

„Es war mir ein Vergnügen dir zu… helfen“, antwortete die Blondine und benutze ihre Pause und einen langen Blick auf das nasse Shirt der anderen, um ihren Worten eine eigene Zusatzbedeutung zu geben.

Ein kurz aufblitzendes, wissendes Lächeln war ihr Lohn.

„Ich würde dich gerne auf einen Tee oder sowas einladen“, erklärte Hilda dann. „Aber leider habe ich weder Lebensmittel noch Strom oder Wasser.“

„Aber…“ Claudia stutzte. „Es ist doch Freitag. Dann können die dir das ja erst am Montag anstellen.“

„Dienstag, wurde mir gesagt.“

„Wie soll das… Also das ist doch…“, ereiferte sie sich. „Ich lasse dich keinesfalls ohne Strom und Wasser in diesem Chaos zurück. Das kommt überhaupt nicht infrage. Du kommst mit zu mir und morgen fangen wir bei Licht an, deine Sachen auszuräumen.“

Entschlossen sprang sie bei ihren Worten auf und streckte ihrer neuen Nachbarin die Hand entgegen. Die reagierte nicht sofort, sondern sah Claudia einen langen Augenblick lang durchdringend an.

„Du musst das nicht tun“, saget sie dann eindringlich.

„Aber ich will das tun“, entgegnete Claudia mit einem Mal ganz und gar nicht mehr energisch, sondern sehr leise und scheu.

Statt einer Antwort nickte Hilda nur und stand auf. Fest ergriff sie die ihr angebotene Hand.

In ihrem Haus angekommen fühlte sich Claudia ein wenig, als brächte sie ein Date mit nach Hause. Ein verschwitztes, nasses Date, das ihr den Teppich volltropfte. Und vieleicht auch ganz erbärmlich fror, denn Claudia ging das nur deswegen nicht so, weil sie mächtig aufgeregt war. Schnell stürzte sie sich in die Organisation des Abends, um sich abzulenken.

„Du gehst duschen und ich koche und einen Tee und mache etwas zu essen“, erklärte sie. „Das Bad ist da hinten.“

„Ich nehme die erste Dusche, wenn du dich auf eine Pizza einladen lässt“, widersprach Hilda entschlossen. „Und wenn du den Tee fertig hast, gehst du auch duschen.“

Die Gastgeberin in ihr wollte sich erst sträuben, aber dann dachte Claudia daran, wie wenig zu essen sie eigentlich im Haus hatte. Und der Zustand ihrer Einkäufe war noch ungeklärt. Also kapitulierte sie und nickte.

Was dann geschah, verschlug ihr die Sprache für die nächsten Minuten nachdrücklich.

Im Weggehen zog sich Hilda ihr Shirt über den Kopf und legte es sich über den Arm. Sie zeigte keine Scheu und dachte sich vielleicht nicht einmal etwas dabei, dass Claudia nun ihren nackten Rücken sehen konnte.

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