Kapitel 8: Krisengipfel der G7
Als wir nach einer knappen Viertelstunde zu Ana zurückkehrten, sah ich, was Kiki mit ‚im eigenen Saft schmoren lassen‘ gemeint hatte: Die dralle Russin tropfte aus allen Löchern und Poren. Ihre rosige Haut glänzte vom Schweiß, und auf dem Boden schimmerten kleine Lachen aus Mösensaft, Tränen und Speichel. Ihr unverletztes Auge war halb geschlossen, der Mund weit offen. Spucke klebte in Fäden und als Schaum an Wangen und Kinn, während sich ihrer Kehle ein angestrengtes Keuchen entrang. Ihr kurviger Körper wand sich wie ein Aal, als versuchte er, ihre Brüste und Klit den Saugglocken und ihr Arschloch dem Buttplug entgegenzudrängen, um stärkere Reize zu empfangen. Dass wir den Raum betreten hatten, nahm sie erst wahr, als Kiki sich über sie beugte und ihr die Stirn abtupfte.
„Och, Ana-Schätzchen, was hast Du denn?“ Ich musste grinsen. Die dreckige Heuchlerin.
Ana begann zu wimmern und stammeln. Sie schien dem Irrsinn nahe oder doch mindestens völlig verzweifelt zu sein. Ich verstand kein Wort, aber zwischen den abgehackten russischen Silben schnappten heiser schluchzende Laute, die nicht nach Mensch klangen, aus ihrem unkontrolliert zuckenden Leib. Jetzt machte ich mir doch langsam Sorgen.
„Ich hab’s wohl ein bisschen übertrieben.“ Ich musste gegen das Crescendo von Anas Winseln und Flehen lauter sprechen. Kiki sah mich verwundert an. Mit gerunzelter Stirn nickte ich in Anas Richtung. „Die dreht uns doch durch!“
„Das stimmt“, bestätigte Kiki, seltsam lächelnd, „wir müssen was unternehmen.“
“Was gibt’s denn da zu grinsen? Los jetzt!“, drängte ich und suchte mit fliegenden Fingern nach dem Schalter der Vakuumpumpe. Das Brummen verstummte. Ana schrie auf und zuckte noch wilder.
„Hank!“, rief Kiki und griff mir an den Arm. „Es ist anders als Du denkst.“
Ich sah sie verständnislos an. Die gefesselte Russin warf sich unter schrillem Protestgeheul auf dem Stuhl herum, dass das Metallgestell ächzte. Das war’s, dachte ich, jetzt schnappt sie über.
Kiki richtete sich auf, ging um den Stuhl herum und hielt mir die Fernsteuerung des Plugs vor die Nase.
„Sieh doch!“ Halb belustigt, halb ungeduldig. „Deswegen ist die so fertig.“
Ich stierte verständnislos auf den matten Metallkasten. Das zornige Gebrüll der russischen Patientin dröhnte in meinen Ohren. Kiki wackelte mit der Fernbedienung vor meinem Gesicht herum.
„Hallo?“, lachte sie, „Der Akku ist leer!“
Keine halbe Stunde später waren wir auf der Autobahn. Ich saß am Lenkrad, Kiki telefonierte und im Rückspiegel sah ich, dass Ana die zweite Flasche Mineralwasser öffnete. Von Zeit zu Zeit glitt ihre Hand über die in weißen Lack eingeschnürte Brust. Ihre aufgedunsenen Nippel waren selbst durch das feste Material ihres Mieders deutlich zu erkennen. Ich fragte mich, wie sie wohl jetzt aussehen mochten.
Kurz zuvor war ich Zeuge geworden, wie Kiki die Saugglocken von der Möse und den Titten der bis weit über die Grenzen der Zurechnungsfähigkeit aufgegeilten Russin abgezogen hatte. Das nasse Schmatzen hatte ich noch im Ohr. Ihre Nippel und der Kitzler hatten die Größe von Weinkorken gehabt und waren dunkelrot gewesen. Ich hatte – mit Handschuhen, versteht sich – die obszön geschwollenen Zitzen sanft zwischen den Fingern gerollt, daran gezogen und die festen Euter geknetet, während meine Schwester drei Finger ihrer rechten Hand in Anas wundes Arschloch geschoben und mit dem Daumen den Damm massiert hatte. Von Kikis Kopf hatte ich vor allem die Haare gesehen, als sie ihr Gesicht in Anas jungfräuliche Fotze gepresst und schnaufend und schluckend an der grotesk langen, prallen Eichel ihrer Klitoris gelutscht und gesaugt hatte.
Die runde Russin hatte uns unsere Bemühungen mit einem Orgasmus gedankt, der nach dem ganzen Lärm erstaunlich leise gewesen war. Ihr Höhepunkt hatte länger gedauert, als wir gebraucht hatten, ihn ihr zu bescheren. Als sie gekommen war, hatte sich ihr Puppengesicht minutenlang zu einem stummen Schrei verzerrt. Wie eine Ertrinkende hatte sie mit weit aufgerissenem Mund nach Luft gerungen. Zehn-, fünfzehnmal hatte sie ihren Hinterkopf gegen das Polster der Kopfstütze geschlagen, bis ihre Spannung nachgelassen hatte und ihr ausgelaugter Körper in unseren Händen wie schmelzendes Wachs zusammengesunken war.
„Und fahrt den Bulli in die Tiefgarage!“ Kikis Anweisung galt Katharina. „Gut. Habt ihr schon was gegessen?“
Für den Moment, in dem sie der Antwort lauschte, war nur das sanfte Brummen des Motors und das Rauschen des Fahrtwinds zu hören. Zur Rechten glomm noch letztes Rot am Rand des Nachthimmels. Kiki verabschiedete sich und verstaute mein Telefon im Handschuhfach.
„Sergej ist angekommen, kurz nachdem wir weg waren, das Auto ist von der Straße, und jetzt haben alle Hunger.“ Sie gähnte. „Ich übrigens auch.“
„Ich könnte auch was vertragen“, entgegnete ich. „Holen wir uns was bei Mario?“
Kiki lachte leise.„Schon wieder Mario? Da waren wir doch erst gestern abend.“
Richtig. Und gestern nachmittag sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Es kam mir vor, als habe dieses Abenteuer vor Wochen begonnen.
„Kann ich machen Suppe“, meldete sich Ana überraschend zu Wort.
„Es wird aber ziemlich spät, wenn wir jetzt noch einkaufen müssen“, sagte Kiki, sich nach hinten drehend.
„Ist genug da. Machen Suppe“, beschied uns Ana, hakte das Thema ab, sah aus dem Fenster und setzte die Wasserflasche an die Lippen. Offenbar hatte sie meine Vorräte gesichtet. Tolle Frau – Sexspielzeug, bizarre Krankenschwester und Haushälterin in einer Person.
Zuhause angekommen, stellte ich fest, dass die Übernahme meiner schönen Altbauwohnung durch die russischen Truppen weit fortgeschritten war. Im Flur begrüßte uns eine quietschvergnügte Tanja. Ihr schmaler Körper verlor sich in einem meiner maßgeschneiderten, blütenweißen Savile-Row-Oberhemden, das ihr bis über die Knie reichte. Dazu trug sie ein Paar der missfarbenen, dicken Wollsocken, die Frau Kleinert, meine Raumpflegerin – auf diese Bezeichnung legte sie größten Wert – mir jedes Jahr zu Weihnachten strickte. Mir brach auf der Stelle der Schweiß aus – ganz bestimmt nicht wegen des Outfits, sondern wegen der tropischen Temperaturen, die in der ganzen Wohnung herrschten.
Tanja musterte ihre dralle Schwester mit großen Augen und fragte etwas. Ana antwortete ausführlich und illustrierte den Wortschwall mit Gesten in Kikis und meine Richtung, sowie Griffen an ihre Brüste und ihre Scham. Tanja schlug kichernd die Hand vor den Mund, und die beiden bogen in die Küche ab. Auf dem Tisch erkannte ich eine beeindruckende Batterie unetikettierter Wodkaflaschen, bevor die Tür sich hinter den Schwestern schloss.
In meinem Wohnzimmer hielt mit quietschenden Bremsen ein Zug.
Sergej und Kathi hatten es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht. Die Brünette trug mein uraltes Bodycount-T-Shirt und ebenfalls ein Paar der wollenen kleinertschen Geschmacksverirrungen. Sergej leider nicht – seine ungepflegten, nackten Füße hatte er behaglich auf der Glasplatte meines flammneuen Noguchi-Couchtischs geparkt. Immerhin trug er seine eigenen Klamotten. Neben seinen Käsemauken standen eine fast leere Wodkaflasche und drei der mundgeblasenen Tumbler aus schwedischem Bleikristall. Zwei davon waren randvoll mit Schnaps. Das dritte Glas hatte mein Importeur zum Aschenbecher umfunktioniert und schon zur Hälfte mit den Kippen seiner übelriechenden Pappfilterzigaretten gefüllt. Die von einem Schwelbrand kündende Rauchsäule blieb unbeachtet. Im dichten Nebel des nach allen Regeln der Kunst vollgequalmten Zimmers fiel sie ohnehin nicht ins Gewicht.
Kathi lächelte erfreut durch die stinkenden Schwaden hindurch und Sergej schwenkte begeistert sein Glas in meine Richtung, mir ein breites, schadhaftes Grinsen widmend. Wodka schwappte auf den Seidenteppich. Vermutlich würde der Fusel ein gewaltiges Loch hineinätzen. Der Zug hatte indessen rumpelnd wieder an Geschwindigkeit gewonnen. Sergejs Lippen bewegten sich in seinem unrasierten Gesicht, aber seine Worte verloren sich im Inferno des Lärms. Im Fernsehen lief in ohrenbetäubender Lautstärke ‚Liebesgrüße aus Moskau‘. Wie passend. 007 machte sich gerade daran, Red Grant das Lebenslicht auszupusten, und ich bekam große Lust, die Szene mit Sergej in der Rolle des Bösewichts nachzustellen. Stattdessen kniff ich die Augen zu, massierte meine Nasenwurzel und machte auf dem Absatz kehrt.
Die Suche nach einer Oase der Stille und Abgeschiedenheit führte mich ins Badezimmer. Der Fußboden war sauber, aber als ich mir ein Bad einlassen wollte, musste ich feststellen, dass sich im Abfluss eine große Menge Haare aller möglichen Längen und Farben angesammelt hatte. Ich hasse Haare im Abfluss, speziell, wenn es fremde sind. Ich revidierte meinen Plan zugunsten der Dusche. Beim Öffnen der Glastür ließ mich der Anblick der von gekräuselten, schwarzen Haaren übersäten Duschtasse angewidert zurücktaumeln. Der Sherlock in mir stellte fest, dass von den weiblichen Angehörigen der osteuropäischen Invasionsarmee keine über solche Wolle verfügte. Vor meinem geistigen Auge entstand das unerquickliche Bild eines russischen Waldschrats, der sich in meiner Dusche seines Pelzes entledigte oder entledigen ließ. Die Vorstellung wurde rasch abgelöst von der Zukunftsvision eines grauenhaften Blutbads im Wohnzimmer. Vom Waschbeckenrand zwinkerte mir verführerisch das Rasiermesser zu. Die morgens noch blitzblanke, jahrelang penibel gepflegte Klinge war mit Rostflecken gesprenkelt.
„Eigentlich ist er doch ein netter Kerl“, sagte ich mir selbst, „und es sind doch alles liebe Mädchen.“ Ich glaubte mir noch nicht so recht, also flüstere ich nochmal vor mich hin: „Netter Kerl, liebe Mädchen.“ Ich griff nach Klopapier. Leer, was sonst? „Netter Kerl, liebe Mädchen.“ Ich holte eine neue Rolle aus dem Schränkchen. Mein neues Mantra begann schon zu helfen. „Netter Kerl, liebe Mädchen.“ Ich riss zwei Meter ab, wickelte sie mir um die Hand und klaubte das Knäuel aus der Badewanne. „Netter Kerl, liebe Mädchen!“ Ich musste es mir nur oft genug sagen. Nach kurzer Zeit hatte ich auch das letzte eklige Härchen aus der Dusche gewischt. „Netter Kerl, liebe Mädchen!“ War doch gar nicht so schlimm! Ich betätigte das Pedal des Treteimers. Irgendwer hatte den Abfallbehälter geleert, aber keinen neuen Beutel hineingetan. „Netter Kerl, liebe Mädchen!“ Im Mülleimer klebte ein benutztes, auslaufendes Kondom.
Ich seufzte resigniert, als der mäßigende Einfluss meines Mantras auf den Dämon der Mordlust verpuffte, atmete tief durch und ließ den Deckel zuschnappen. Dann schraubte ich an der Badewannenarmatur herum, bis die Temperatur stimmte. Das Plätschern des einlaufenden Wassers besänftigte mich ein bisschen. Ich machte das Polieren und Abziehen des Rasiermessers zu einer Zen-Übung, bis meine Hand ruhig genug war, dass ich mich rasieren konnte. Dann stieg ich in die Wanne. Als das warme Wasser mich umfing, gelang es mir, mich etwas zu entspannen und die Dinge in einem anderen Licht zu betrachten. Der Ärger fiel von mir ab. Schließlich, sagte ich mir, hätte es schlimmer kommen können.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, Sergej kam herein, ließ die Hose herunter, setzte sich aufs Klo und nickte mir freundlich zu. Mein entgeisterter Blick samt herunterklappender Kinnlade irritierte ihn scheinbar nicht sehr.
„Ähh, Sergej?“
„Hmmpfffas?“, schnaufte er. Sein Gesicht hatte sich vor Anstrengung verfärbt. Dann platschte es unter ihm, und er stieß geräuschvoll stöhnend und erleichtert lächelnd den Atem aus. Ein übler Geruch wehte zu mir herüber.
„Ach, nichts.“ In einem Akt übermenschlicher Selbstbeherrschung verzichtete ich darauf, meiner immer länger werdenden imaginären To-do-Liste den Punkt ‚Leichenteile des russischen Mädchenhändlers entsorgen und Badezimmer mit Sagrotan fluten, nachdem ich sein Blut getrunken, seine Hoden an die Ratten verfüttert und auf seinen bestialisch zerstückelten Leichnam geschissen habe‘ hinzuzufügen und tauchte unter. Ich beschloss, heldenhaft unter Wasser auszuharren, bis der Spuk ein Ende hätte, und sollte es mich mein Leben kosten.
Als ich, um Atem ringend und nackt – mein Bademantel war verschwunden – über den Flur ins Schlafzimmer stolperte, war es verdächtig still geworden. Das Bett war gemacht, auf der Decke lag Anas Schwesterntracht, und sämtliche Schranktüren und Schubladen in meiner kleinen Ankleidekammer standen offen. Ich schlüpfte in eine schwarze Karatehose und ein T-Shirt, trat barfuß auf den Flur und fühlte kühle Luft aus dem Wohnzimmer dringen. Kathi und Sergej hatten aufgeräumt, Licht und Fernseher ausgeschaltet, die Fenster zum Lüften geöffnet und sogar daran gedacht, derweil die Heizung abzudrehen. Aus der Küche drang gedämpftes Stimmengewirr.
Als ich die Tür öffnete, verstummten die Gespräche und meine „Gäste“ sahen mich erwartungsvoll an. Ana stand am Herd und rührte in meinem größten Kochtopf herum, aus dem es verführerisch duftete. Die anderen hatten aus der Küche der Kellerwohnung einen zweiten Tisch und weitere Stühle heraufgeschafft, eine Tischdecke gefunden und saßen nun an einer langen Tafel, die meine Küche fast vollständig ausfüllte. Auf dem Tisch standen Suppenteller, Gläser, Wodka- und Wasserflaschen und zwei Kerzenleuchter. Ich versuchte, einen finsteren Blick in die Runde zu schicken, aber die fröhlichen Gesichter stimmten mich schon wieder etwas milder, und der appetitliche Geruch erinnerte mich daran, dass ich vollkommen ausgehungert war.
„Was gibt’s denn hier zu feiern?“, grummelte ich, an Kiki gewandt, und setzte mich auf den freien Platz zwischen Katharina und meine Schwester. Statt ihrer ergriff die Brünette das Wort.
„Unsere Befreiung“, antwortete sie lächelnd. Zum ersten Mal sah ich ihr direkt in die Augen. Sie standen leicht schräg, unter dunklen, schweren Lidern mit langen, fast schwarzen Wimpern. Es fiel mir eigenartig schwer, diesem Blick standzuhalten. Ich versuchte herauszufinden, was mich so irritierte und musterte ihr Gesicht. Sie hatte hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und einen großen Mund mit vollen Lippen. Die Mundwinkel waren ein wenig nach unten gebogen, was ihrem Lächeln einen leicht ironischen Anstrich gab. Das etwas nichtssagend Hübsche der ungleichen Zwillinge fehlte ihr völlig, stattdessen meinte ich, in ihrem Gesicht eine faszinierende Mischung aus Humor und Melancholie, erwachsener Lebensklugheit und katzenhafter Wildheit zu lesen. Mein Blick wanderte zurück zu ihren Augen und endlich fand ich den Grund für meine Verwirrung: Ihre linke Iris war von undurchdringlichem Tiefbraun, doch die rechte leuchtete in einem fast unwirklich hellen Blau. Die Erkenntnis änderte nichts an meiner Verunsicherung, und ich riss mich von ihrem Anblick los.
„Ihr seid nicht frei, ihr seid auf der Flucht“, sagte ich in die Runde.
„Jetzt sind wir vor allem mal hungrig“, meldete sich Kiki von links und hielt ihren Teller hoch. „Ana, was ist jetzt?“
Die Blonde drehte sich herum. Sie hatte sich das gleiche wie Tanja angezogen, füllte das Hemd aber deutlich besser aus. Der Stoff spannte sich über ihren strammen Titten, und ihre immer noch eindrucksvoll geschwollenen Brustwarzen, gereizt durch das sanfte Scheuern der dünnen Baumwolle, versuchten offenbar das feine Gewebe zu durchstoßen. Tanja und Sergej, die sich leise auf Russisch unterhalten hatten, verstummten.
„Ihr warten und trinken!“, kommandierte Ana streng. Nichts passierte. Sie brauchte ein Weilchen, bis sie bemerkte, dass die Blicke aus sechs Augenpaaren gebannt an ihren aufgepumpten Zitzen hingen. Sie erkannte den Autoritätsverlust, errötete lächelnd und beeilte sich, sich wieder dem Suppentopf zuzuwenden.
„Nazdarovje!“ Erstaunlicherweise war es Sergej, der sich als erster wieder gefangen, uns allen Wodka eingeschenkt und sein überschwappendes Glas schwungvoll erhoben hatte. Ich tauschte einen Blick mit Kiki und sah ein, dass es wenig sinnvoll wäre, jetzt ein ernsthaftes Gespräch zu beginnen. Also prostete ich in die Runde, setzte eine Art Lächeln auf und nippte vorsichtig am Schnaps. Augenblicklich schien die Spannung sich zu lösen und der Raum füllte sich bald wieder mit Stimmengewirr und Gelächter. Sogar Ira, die in meinen Bademantel gehüllt zwei Plätze von mir entfernt saß und wie immer schwieg, trank und schien sich etwas zu entspannen.
Es war der beste Wodka, den ich jemals getrunken hatte, und als nun die Teller von Hand zu Hand gereicht wurden und mit heißem, duftendem Borschtsch gefüllt zurückkehrten, als Kathi mir einen großen Löffel saure Sahne über meine Portion gab und mir den schweinischen Witz übersetzte, den Sergej erzählte, konnte ich mitlachen und mich an der scheinbar unzerstörbaren Lebenslust der Schicksalsgenossen erfreuen.
Bald lehnte ich mich satt und zufrieden zurück und beobachtete, wie die kleine Tanja mit seliger Miene ihren dritten Teller leerte. Ich nahm mir noch von dem köstlichen Wodka und bemerkte, dass Sergej mich lächelnd ansah. Ich hob ihm mein Glas entgegen.
„Wieder gut?“, fragte er. Ich nickte knapp. Offenbar war ihm aufgegangen, dass er mich ein bisschen zu sehr getriezt hatte, und dies war seine Art sich zu entschuldigen.
„Verdammt gutes Zeug“, sagte ich anerkennend. „Wie heißt die Marke?“
„Letzter Gruß aus Moskwa.“ Er lachte bitter auf, und für einen Augenblick fiel die Maske des ewig fröhlichen Halunken und machte einem Ausdruck tiefer Wehmut und Verlorenheit Platz. Kiki beugte sich vor und raunte ihm etwas zu, das ich nicht verstand. Sofort hellte sich seine Miene wieder auf und er nickte, breit grinsend. Ich konnte mir denken, welche Art Trost sie ihm versprochen hatte. Als ich die Cohiba-Kiste aus dem Humidor im Flur holte und auf den Tisch stellte, schien sein seelisches Gleichgewicht vorerst wiederhergestellt zu sein.
„Wodka und Havannas – die süßesten Früchte des Sozialismus’“, zwinkerte ich ihm zu, und er lachte, während er sich eine Zigarre nahm und genüsslich schnüffelnd unter der Nase rollte.
„Und was ist mit mir?“, meldete sich Katharina von rechts. Ich sah ihr tief in die ungleichen Augen.
„Entschuldigung, wie uncharmant von mir!“ Ich gab mich zerknirscht. „Die allersüßesten Früchte seid natürlich ihr Frauen.“
„Danke für die Blumen“, lächelte sie spöttisch, „aber ich wollte eigentlich nur wissen, ob ich auch eine kriege.“ Sie nickte in Richtung der Zigarrenkiste.
Als es auf Mitternacht zuging, saßen wir drei einträchtig rauchend und schweigend da und warfen uns hin und wieder amüsierte Blicke zu, während Tanja einen lebensbedrohlichen Hustenanfall simulierte und schließlich das Fenster aufriss. Die angenehm kühle, süßliche Luft der Sommernacht drang herein und vermischte sich mit dem schweren Rauch und dem Essensgeruch zu einem Duft, den ich gerne noch länger genossen hätte, doch nach einer Weile erhob sich Kiki, kehrte mit Schreibblock und Stift zurück und erinnerte uns daran, dass noch Ernsteres zu erledigen war. Wie auf Kommando stand Ana auf und machte sich daran, den Tisch abzuräumen und Kaffee zuzubereiten. Ich nahm noch einen Schluck Wodka und schenkte mir danach Wasser ein, obwohl ich nicht das Gefühl hatte, betrunken zu sein.
Kiki und ich kamen überein, dass ich das Reden und sie das Übersetzen übernähme. Ich bemühte mich, meine Gedanken zu sortieren und mich auf das zu besinnen, was mir den ganzen Tag schon im Kopf herumgegangen war. Ich räusperte mich geräuschvoll, und tatsächlich wandten alle sich mir zu und schwiegen.
„Also, wie ich schon sagte, ihr seid auf der Flucht. Und wir“, ich bedachte Kiki mit einem Seitenblick, „mit euch. Ich kenne mich ein bisschen aus in dem Geschäft, und Gabriel kann es sich nicht leisten, euch und uns einfach ziehen zu lassen. Er wird alles tun, um euch zurückzuholen oder sich schlimmstenfalls nur zu rächen.“
Kiki übersetzte, und eine kurze Diskussion auf Russisch folgte.
„Der findet doch schnell genug Ersatz!“, fasste Katharina die Einwände zusammen.
„Es geht nicht darum, ob der Betrieb weitergeht, es geht auch nicht um das Geld, das ihm durch die Lappen geht, wenn ihr weg seid. Es geht darum, dass er sein Gesicht wahren muss. Er kann es sich nicht leisten, Schwäche zu zeigen – weder gegenüber der Konkurrenz, noch gegenüber seinen Angestellten. Ließe er das zu, müsste er damit rechnen, von anderen Zuhältern angegriffen zu werden und dass ihm die Mädchen scharenweise davonliefen. Über kurz oder lang könnte er den Laden dichtmachen.“
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