VORBEMERKUNG:

Die Geschichte IM ORIENT habe ich im Rahmen eines Wettbewerbes zum Thema „Mittelalter“ geschrieben. Dabei bin ich bewusst das Risiko eingegangen, von diversen Experten wegen abenteuerlicher Missachtung geographischer, religiöser, kultureller, fremdsprachlicher oder historischer Fakten virtuell hingerichtet zu werden. Nur unterhalten wollte ich, nicht mehr und nicht weniger.

Natürlich kann man sich vorstellen, dass die Geschichte weitergeht und vielleicht wird sogar einmal eine Familiensaga draus …

Und nun: Viel Spaß!

Helios53

Ritter Wigbert im Orient

©Helios53 VII/2010

Brütende Hitze lag über dem staubigen Tal. Graugelbe Felsen und dazwischen vereinzelte, stachelige, verkrüppelte Bäume. Langsam schleppten die Pferde ihre schweren, weil schwer bewaffneten Reiter dahin, die in den Sätteln dösten und von der gottgefälligen Erfüllung ihrer Mission träumten. Ein Kreuzzug war wieder einmal unterwegs, um die Ungläubigen von den Heiligen Stätten in Jerusalem zu verjagen. Die Hauptmacht war schon weit voraus, aber die Mannen Wigbert von Rammsburgs hatten nicht widerstehen können, einige Abstecher zu unternehmen, um Ansiedelungen links und rechts des Weges zu plündern.

Wigbert selbst hatte dafür zwar wenig Verständnis, aber er war kein reicher Burgherr und seine bunt zusammengewürfelte Truppe hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er alleine gegen die Ungläubigen kämpfen konnte, wenn er weder angemessenen Sold zahlen, noch Schändung und Plünderung gewähren wollte. Daher drängte es ihn, das große Heer einzuholen, sich einem Fürsten anzuschließen, der die ritterlichen Tugenden hoch hielt und dafür sein verkommenes Häuflein von Strauchdieben und liederlichen Söldnern zum Teufel zu jagen.

Während Wigbert also düsteren Gedanken nachhing, erhob sich mit einem Male Kriegsgeschrei von beiden Seiten, Pfeile prasselten auf die überraschten Männer nieder und hinter großen Felsblöcken stürmten Schwerter schwingende Reiter und lanzenbewehrte Fußsoldaten hervor. Es entwickelte sich ein wüstes Getümmel, denn den Soldaten unter dem Banner des Kreuzes war keine Zeit geblieben, sich zu sammeln. Wigbert gab seinem Braunen die Sporen und ritt den erstbesten Feind über den Haufen, spaltete dessen Schädel im Vorbeistürmen und stürzte sich sofort auf den nächsten. Dieser schwang ein Krummschwert, aber Wigbert konnte den Hieb mit seinem Schild abwehren und schon bohrte sich sein langes Schwert in Feindesbrust.

Da wandten sich die Feinde zur Flucht und schon wollte ihnen Wigbert nachsetzen, da brach sein treues Pferd unter ihm zusammen. Ein Fußsoldat hatte es mit seiner Lanze aufgespießt. Wütend sprang Wigbert zu Boden und rannte Zähne fletschend hinter den Flüchtigen her. Links und rechts sanken von seinem Schwert tödlich getroffene Kämpfer zu Boden. „Mir nach!“, brüllte er, „schickt diese ungläubigen Hunde zur Hölle! Auf sie, mit Gebrüll!“ Entsetzt wichen die Feinde vor dem rasenden Ritter und so brach er ungehindert durch niedriges Strauchwerk, wo er sich unversehens vor einem reich geschmückten Zelt wiederfand, das von mehreren martialischen Kriegern und einer kleinwüchsigen Gestalt in einer kostbaren Rüstung bewacht wurde.

Wie ein Berserker stürzte sich Wigbert auf den ersten Mann und spaltete ihm mit einem wuchtigen Hieb den Schild, rammte ihm das Schwert in die Brust und nahm sich den nächsten vor. Getroffen sank auch der zu Boden und so stand er auf einmal vor dem Kleinen, der mit schrillem Schrei seinen Säbel schwang und auf Wigbert eindrang. Der konnte die schnellen Hiebe vorerst nur abwehren, ehe er endlich zu einer Angriffsmöglichkeit kam. Sein heftiger Schlag, zerschmetterte nicht nur des Gegners Schild, sondern traf auch noch dessen Kopf, sodass der Helm in weitem Bogen davon flog. Soeben holte Wigbert zum tödlichen Schwertstreich aus, da erstarrte er. Sein Gegner war kein Mann, sondern eine Frau, ein Mädchen, so wunderschön, wie er noch keines je gesehen hatte. Wie gebannt starrte Wigbert in das trotzig blickende Gesicht, rammte sein Schwert in den Boden und sank auf ein Knie, da …

Mühsam schlug Wigbert die Augen auf. Sein Schädel schmerzte höllisch und dröhnte wie eine Kesselpauke. Es war dunkel und kühl. Ächzend rappelte er sich auf und stellte fest, dass er bis auf sein Hemd völlig nackt war. Schwindel übermannte ihn und so torkelte er ein Schritte, ehe er an eine felsige Wand stieß. Wo war er? Und wie kam er hierher?

Langsam setzte die Erinnerung ein. Der Kreuzzug, die Plünderungen, der Überfall, der Kampf. Die Frau! Und dann? Aus seinen Kopfschmerzen schloss er, dass er niedergeschlagen worden war, vermutlich mit einer Keule oder einem Morgenstern. Dass er überhaupt noch lebte, verdankte er wahrscheinlich dem wohlgeschmiedeten Helm, den er von seinem geerbt hatte. Wo war der Helm? Wigbert kroch auf dem Boden herum, fand weder Helm, noch Waffen, noch seine Sachen, dafür nur harte Wände und eine steinerne Treppe, die an einer festen Holztür endete. Er war gefangen!

Nach und nach begann sein Verstand wieder zu arbeiten und er fragte sich, warum sie ihn gefangen genommen und nicht gleich getötet hatten. Und natürlich, in wessen Gewalt er sich wohl befand. Versuchte man etwa, Lösegeld für ihn zu fordern? Ha! Wer würde schon etwas zahlen für einen armen Ritter? Entmutigt sank er zu Boden ergab sich vorläufig in sein Schicksal.

Zwei Tage kümmerte sich niemand um den Gefangenen, weder Speise noch Trank erhielt er, Hunger und Durst quälten, die Dunkelheit zermürbte ihn. Endlich rasselte es an der Tür und zwei bärtige Riesen in wallenden weißen Gewändern, gefolgt von Fackelträgern und weiteren Bewaffneten erschienen in Wigberts Verlies. Der blinzelte ein wenig verstört in die flackernden Flammen. Schon packten ihn die Schergen links und rechts, erstickten seinen schwachen Widerstand im Ansatz und schleiften ihn die Treppe hinauf, durch die Türe und verwinkelte Gänge. Eine Türe öffnete sich wie von Geisterhand zu einem sonnenhellen Saal, der vollständig mit kostbaren Teppichen ausgelegt war. Dort warfen ihn seine Wärter mit dem Gesicht voraus auf den Boden.

Nach einigen Augenblicken atemloser Stille donnerte eine Stimme gebieterisch. Wigbert verstand kein Wort, doch dann hörte er von hinten: „Der Emir von Marallah gebietet dir, ungläubiger Hund, aufzustehen!“ Zugleich zerrten ihn die beiden Riesen auf die Beine. „Ich bin Bertram aus Wien. Der Emir hat mich vor acht Jahren von einem Sklavenhändler gekauft. Ich war Begleiter eines reichen Kaufmannes, der vor Rhodos von Piraten überfallen, getötet und ausgeraubt wurde. Weil ich ein wenig von der Heilkunde verstehe, sagte ich, ich wäre Arzt und da bei dem Überfall auch etliche Piraten verletzt worden waren, ließen sie mich leben. Allerdings als Sklaven. Als wertvollen Sklaven, denn in diesen kriegerischen Zeiten sind Heilkundige sehr gefragt. So kam ich hierher und nun werde ich für euch übersetzen.“

Erstaunt sah sich Wigbert um. Etwa zehn Schritte vor ihm lag auf einem mit Polstern und seidenen Decken ausgestatteten Podest ein großer, dicker Mann mit wallendem, schwarzen Bart, der ihn grimmig musterte. Auf dem Kopf hatte er dafür gar keine Haare mehr. Ehe Wigbert noch eine Frage stellen konnte, fing der Emir wieder an, mit lauter Stimme zu sprechen und Bertram übersetzte: „Ungläubiger! Du bist in unser Land gekommen, um zu plündern, zu rauben und zu morden. Du hast dein Leben verwirkt. Aber du hast meine Lieblingsfrau verschont und daher schenke ich dir dein armseliges Leben. Dennoch kommst du nicht ungestraft davon. Bis ans Ende deiner Tage gehörst du mir. Der Hakim wird dir deine Männlichkeit nehmen. Sobald du dich davon erholt hast, wirst du die niedrigsten Dienste als Eunuch tun – als meiner Frauen. Du wirst den Harem nie wieder verlassen. Tag für Tag werden die herrlichsten Frauen um dich, aber du wirst kein Mann mehr sein. Das soll deine Strafe werden. Schafft ihn weg!“

Wieder packten die kräftigen Männer zu, führte Wigbert unverzüglich hinaus und erneut durch endlose Gänge, ehe sie ihn in einem Raum, ganz im entlegensten Winkel eines Palastes oder einer Burg rücklings auf einen Tisch legten und mit weit gespreizten Beinen festbanden. Zum Abschied warfen sie ihm noch grimmige Blicke zu, dann blieb er allein, allein mit der Angst und der Ungewissheit. Verwundet war er schon oft, mit solchen Schmerzen kannte er sich aus, aber kastriert worden war er natürlich noch nie, da fehlte ihm die Erfahrung. Auf diese hätte er selbstverständlich gerne verzichtet, doch das Schicksal schien es nicht gut mit ihm zu meinen.

Nach endlosen Minuten erschien endlich Bertram, der Hakim. „Nun, mein , hört mir gut zu. Wir haben nur wenig Zeit. Ihr wollt hier raus, ich will hier raus. Allein schaffe ich es nicht, denn ich bin kein Mann des Kampfes und ohne Geld und Waffen kommt man von hier nicht zurück in die Heimat. Ich gehe ein hohes Risiko ein — und ihr auch — aber ich bin bereit, euch den Schwanz nicht abzuschneiden, den Emir zu täuschen und euch zu helfen, von hier zu fliehen, wenn ihr versprecht, mich mitzunehmen, mich und Saafira. Sagt ja, oder …“

Wigbert atmete auf. Es gab doch noch Hoffnung. „Ja, natürlich!“, rief er erfreut. „Ich tue alles, um hier heil heraus zu kommen, doch wer ist Saafira?“

„Ich erkläre euch alles später. Wir werden genug Zeit haben, während ihr euch hier in Fieberphantasien wälzt und eure furchtbare Verletzung auskuriert. Zumindest wird es so aussehen, keine Angst, ihr werdet nicht viel zu leiden haben“, fügte er rasch hinzu, als Wigbert unruhig an seinen Fesseln zerrte, „aber es muss schon so aussehen, als hätte ich euch Schwanz und Eier abgeschnitten.“

Mit diesen Worten schlug Bertram Wigberts Hemd zurück. „Die liebe Güte! Was wäre das für eine Verschwendung“, rief er, als er der prachtvollen Organe ansichtig wurde. „Und jetzt schreit so laut ihr könnt, schreiet vor Schmerz und Entsetzen und heulet, winselt, kreischet, was das Zeug hält, denn jetzt schneide ich euch euren Riesenschwanz ab.“ Mit diesen Worten schnitt Bertram einmal links und einmal rechts in Wigberts Oberschenkel, dass das Blut spritzte. Der Hakim warf Verbandsstoff auf die Wunden, tränkte sie mit Blut, warf sie in die Ecke und fuhr damit fort, bis die Blutung zum Stillstand kam.

Wigbert hatte beim ersten Schnitt überrascht scharf die Luft eingesogen, sich dann aber besonnen und wie ein Wahnsinniger gebrüllt und gekreischt, geflennt wie ein Säugling und gewinselt wie ein Welpe. „Sehr gut, mein Freund, das macht ihr ganz wunderbar“, lobte Bertram und legte einen dicken Verband an, der die wirklichen Wunden zwar nur knapp bedeckte, aber so aussah, als umhülle er eine furchtbare Wunde am Unterleib. „Ich gebe euch jetzt ein Betäubungsmittel, dann schlaft ihr bis morgen und hernach erzähle ich euch beim Verbandswechsel, was ihr wissen müsst und wissen wollt.“

Damit reichte er ihm einen Trinkschlauch. Endlich konnte er seinen Durst ein wenig stillen, doch es war nur wenig Flüssigkeit und sehr bald fiel er auch in einen tiefen Schlaf.

Als er wieder erwachte, fühlte er sich zwar ausgeruht, aber unendlich hungrig, durstig und alle Knochen taten ihm weh, denn er war immer noch auf dem Tisch festgebunden. Bertram saß neben ihm und lächelte zuversichtlich. „Ich habe inzwischen den Verband gewechselt, denn ich musste noch einmal schneiden. Ich brauchte mehr Blut, denn einerseits hört so eine Wunde, wie ihr sie haben müsstet, nicht so schnell auf zu bluten, andererseits musste ich dem Emir euer blutiges Gemächt auf einem Silberteller vorlegen. Ich weiß schon, was ihr fragen wollt, hört einfach zu, ich erzähle euch alles, was wichtig ist. Beim Kampf vor vier Tagen habt ihr einen Mann so schwer verletzt, dass er vorgestern starb. Da hatte der Emir aber bereits entschieden, wie er euch zu bestrafen gedachte. Also habe ich den Toten entmannt, diese Teile in einem Krug aufbewahrt und in Quellwasser gekühlt. Gestern Abend habe ich dem Emir diese, bespritzt mit eurem Blut vorgelegt und bei meinem Augenlicht geschworen, dass das euer Blut sei. Der Tote war da schon verscharrt.“

Wigbert war schwer beeindruckt von Bertrams Schläue und dankte ihm von Herzen. „Aber wie geht es nun weiter? Und sagt mir, was es mit Saafira auf sich hat!“

„Noch nicht! Erst einmal sei euch gesagt, dass gleich zwei kräftige Sklaven kommen werden, die euch von diesem Tisch weg tragen und nebenan in ein Bett legen werden. Das muss wieder sehr schmerzhaft wirken, also stöhnt und jammert ordentlich. Sie sollen euch ruhig für einen Schwächling halten, umso weniger werden sie euch beachten. Das gibt uns bessere Möglichkeiten zur Flucht. Ich habe schon vorgebaut und dem Emir erklärt, dass ich in der weiteren Umgebung nach Heilkräutern forschen möchte. Hoffentlich gelingt es mir, dabei geheime Depots anzulegen für die Ausrüstung, die wir brauchen werden.“ Wigbert nickte ehrfürchtig. Mit diesem umsichtigen und gerissenen Bertram schien die Freiheit nicht mehr fern.

Da kamen auch schon die Sklaven. Wigbert wurde losgebunden und achtlos im Nebenraum auf eine Art Diwan geworfen. Einer stieß eine Flut gutturaler Laute aus und Bertram nickte. „Er sagt, dass diese Türe immer versperrt sein muss und ich für euch verantwortlich bin. Er kommt aber gleich wieder, wird euch eine eiserne Fußfessel anlegen und diese mit einer Kette verbinden, die dort an der Wand in einem Ring enden soll. Keine Bange, es ist nur für ein Tage“, übersetzte und erläuterte Bertram.

Als das geschehen war, versperrte er die Türe von innen. „So, nun sind wir unter uns. Aber sprich leise, hier sind überall Lauscher. Was mit Saafira ist, wolltest du wissen? Nun, Saafira ist die Frau, die ich liebe. Leider liebt sie der Emir auch, sogar ganz besonders. Es ist die kämpferische Dame, die ihr verschontet, seine derzeitige Lieblingsfrau. Vor knapp einem Jahr hat er die junge Berberin einem ägyptischen Sklavenhändler abgekauft, weil er ihr unverschleiertes Gesicht erblickt hatte und sofort unsterblich verliebt war. Ihr Gewicht in Silber musste er berappen, aber dazu ist er reich genug. Berberfrauen tragen keine Schleier und bei manchen Stämmen lernen die Mädchen nicht nur kochen, weben oder Stoffe zu färben, sondern auch das Kriegshandwerk. Saafira stammt aus so einer Gruppe. Eigentlich hätte sie da draußen nichts zu suchen gehabt, aber in ihren Adern fließt statt Blut feurige Lava und sie hat dem Emir in den letzten Nächten so zugesetzt, dass er ihr erlaubte, auf diesem Streifzug mitzureiten. Den Rest wisst ihr ja.“

„So ganz weiß ich es nicht, aber ich kann es mir denken. Als ich dieses wunderschöne Mädchen sah, vergaß ich meine Umgebung und da hat mir wohl einer ihrer Wächter mit einer Keule den Schädel eingeschlagen.“

„Suliman mit einem Morgenstern war es, aber eingeschlagen ist doch wohl kaum richtig, soweit ich sehen kann, ist euer Schädel noch ganz und ihr seid schon auf dem Weg der Besserung.“ Bertram winkte beruhigend mit der Hand. „Ich weiß schon, was ihr fragen wollt. Vor etlichen Monaten erkrankte Saafira ernsthaft und musste aus dem Harem zu mir gebracht werden. Natürlich war immer eine Aufpasserin dabei, meist in der Gestalt der alten des Emirs. Glücklicherweise schläft sie immer bald ein und als es Saafira etwas besser ging, konnten wir uns ausgiebig unterhalten. Dabei haben wir uns ineinander verliebt und wollen gemeinsam unser Leben aufs Spiel setzen für eine Flucht und die Freiheit. Natürlich muss sie einstweilen dem Emir noch zu Willen sein, jeden zweiten Sonntag, denn der Emir hat seine festen Gewohnheiten und zwölf Haremsdamen, die in immer der gleichen Reihenfolge mit ihm sein Lager zu teilen die Ehre haben. Am Freitag hingegen übt er sich in Enthaltsamkeit.

Übrigens scheinen die Bemühungen des Emirs nicht zu fruchten, denn bisher hat ihm noch keine ein Kind geschenkt. Selbstverständlich liegt es nicht an ihm, sondern sind die Frauen daran schuld. Auch um diese Unfruchtbarkeiten zu beheben, muss ich seltene Kräuter sammeln.“ Bertram grinste durchtrieben.

Zehn Tage später wurde Wigbert in seine neuen Aufgaben als Eunuch eingewiesen. Er bekam im Harem einen Verschlag zugeteilt und die notwendige Kleidung, weite Hosen, bunte Oberkleider und weiche Pantoffeln. Sein Kopf wurde kahl geschoren, auch sein rotblonder Bart musste daran glauben. Seine Aufgabe bestand schlicht und einfach darin, den zwölf Haremsdamen, die der Emir aus den entlegensten Gebieten gekauft hatte, alle Wünsche zu erfüllen, nach Möglichkeit bereits, bevor sie sie äußerten.

Als erstes wurde er zu einer blonden Walküre gebracht, welche ihn abschätzig musterte und dann verkündete: „Mein Name ist Swanhild und ich komme aus Brabant. Weil ich deine Sprache spreche, werde ich dir vorübergehend alles übersetzen, aber gib gut Acht, denn du musst auf jeden Fall die Sprache des Emirs, also Arabisch lernen und beherrschen. Hier werde ich Sanila genannt. Ich werde dir nun die Damen dieses Harems vorstellen. Du hast alle Befehle, die dir von einer von uns gegeben werden, unverzüglich zu befolgen.“

Der Harem war in einem eigenen Trakt des Burgpalastes eingerichtet. Ein annähernd quadratischer Saal von ungefähr siebzig Schritten Seitenlänge war durch schlanke Säulenreihen geometrisch exakt unterteilt, wobei auf jeweils vier Säulen eine halbrunde Kuppel ruhte, die prächtig mit Ornamenten aus Mosaiksteinen geschmückt waren. Die Wände waren mit blauen, grünen oder gelben glasierten Kacheln verkleidet, der Fußboden bestand aus poliertem, prokonnesischem Marmor, fast weiß, mit dekorativen grauen Streifen. Darauf lag eine Vielzahl kostbarer Knüpfteppiche, an den Wänden hingen fein gewirkte Kelims. In der Mitte aber erhob sich ein achteckiger Turm. Im Inneren befanden sich vier ebenfalls achteckige Räume übereinander, die durch flache, in die dicke Mauer eingebaute Wendeltreppen, miteinander verbunden waren. Die unteren drei Räume zeigten nur schmale Fensterschlitze, ganz oben aber waren großzügige Spitzbögen angeordnet, drei an jeder der acht Seiten und darüber ein hohes Holzdach. So war dieser Platz gut beschattet und gut belüftet.

Zu drei Seiten des Turmes erblickte Wigbert in den Boden eingelassene Becken, in denen fette Karpfen schwammen, aber auch zwei nackte, junge Frauen tummelten sich kichernd im Wasser. Swanhild führte ihn überall herum, zuletzt an die Außenwände des großen Saales. Dort waren auf drei Seiten jeweils sechs tiefe, gewölbeartige und durch bunte Vorhänge abgetrennte Räumlichkeiten, in denen die Haremsdamen ihre Privatgemächer hatten.

Die Hauptfrau war Aishe, eine nicht mehr ganz junge Frau, Tochter eines Emirs, dessen Gebiet an Marallah grenzte. Sie war recht üppig gebaut, was eine ganze Reihe halb durchsichtiger Schleier nicht verbergen konnte. Das war auch gar nicht der Sinn der Sache, denn jeder Mann im Orient zeigte gerne, dass er seine Frauen gut ernähren konnte.

Gut gepolstert zeigten sich auch Sirah aus Byzanz und Halima aus Marokko, die erste und zweite Nebenfrau. Alle drei protzten mit Silberschmuck, waren auffällig geschminkt und straften Wigbert mit gelangweilter Verachtung. Saafira, die in jeglicher Hinsicht jüngste Nebenfrau und derzeitige Favoritin des Herrschers, dankte Wigbert jedoch herzlich, dass er sie verschont hatte. Der so Gelobte errötete zart und verbeugte sich tief. Diese vier privilegierten, weil offiziellen Gemahlinnen bewohnten die Gemächer nebeneinander an der nach Mekka ausgerichteten Seite, während die nicht offiziellen Frauen, die den Status von Mätressen hatten, die beiden anschließenden Seiten belegten. An der vierten Wand hingegen gab es nur eine große, aus schweren Holzbohlen gefertigte Tür, die außen stets von zwei Wächtern gesichert war, sowie eine schmale Pforte, die zum Behandlungsraum des Hakims führte.

Ganz im Gegensatz zu den drei erstgenannten Haupt- und Nebenfrauen schenkten die anderen neun Frauen, Swanhild aus Brabant, Marie-Claire aus Burgund, die Mara gerufen wurde, Miriam aus Jerusalem, Suleika aus Alexandrien, Tirza aus Shiraz, die Andalusierin Isabella, Rosanna aus Taormina, die Armenierin Tamar und eben Bertrams geheime Verlobte Saafira, Wigbert sehr viel Beachtung, allerdings hauptsächlich in der Form, dass sie ihn den lieben, langen Tag auf Trab hielten.

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