Die Irritation
Es war für René schwer zu verstehen. Wie konnte sich jemand nur so widersprüchlich verhalten? Die Frau machte ihn verrückt. Erst hatte Renée kokett bei der allerersten Klavierstunde mit ihm geflirtet, dann hatte sie aber bei der nächsten und den darauf folgenden Stunden „Rühr-mich-nicht-an“ gespielt. Und bei der bis jetzt letzten Klavierstunde hatte sie ihn plötzlich regelrecht provoziert, bis er spontan reagiert hatte und darauf eingegangen war. Aber danach hatte sie ihn wieder ziemlich distanziert behandelt. Was ging nur in der Frau vor?
Nach der letzten Klavierstunde hatte sie weitere Termine abgesagt. René hatte seine Arbeit extra früher beendet, um sie noch zum Ende ihrer Nachhilfestunde für seine Tochter sehen zu können. Er hatte fest damit gerechnet, danach an den vorherigen Abend anknüpfen zu können. Zu seinem Befremden hatte sie ihn jedoch eher distanziert begrüßt und ihn vor seiner Tochter ausdrücklich gesiezt, obwohl sie sich am Abend vorher natürlich geduzt hatten.
Er hatte das nicht erwartet, verstand aber ihre verschreckte Reaktion sofort, als er ihren Gesichtsausdruck sah, der ihr Unbehagen mit einer ihr bis dato wohl unbekannten Situation deutlich machte. Reaktionsschnell hatte er sie in ein Klavierkonzert eingeladen. Als er ihr Zögern wahrnahm, hatte er schnell hinzugefügt, dass auch befreundete Ehepaare mit dabei sein würden. Erst daraufhin hatte sie zugestimmt.
Bei dem Klavierkonzert hatte sie sich höflich aber neutral verhalten. Er schaffte es, sie zu einem weiteren Treffen, diesmal ein Diskussionsabend unter Freunden, zu überreden. An diesem Abend bezauberte ihre unprätentiöse Art trotz ihrer umfassenden Bildung auch seine Freunde. Und als er seinem besten Freund Peter gestand, dass er berechtigte Hoffnungen hatte, dass sie vielleicht an seiner dominanten Art Gefallen finden könnte, nannte dieser ihn einen Trottel, wenn er eine so gut zu ihm passende Frau laufen lassen würde. Der hatte gut reden – es war einfacher gesagt als getan.
Es machte ihn nervös, dass Versuche sich mit ihr allein zu treffen, sofort auf eine höfliche aber unmissverständliche Ablehnung stießen. Denn inzwischen war er irgendwie am Haken. Es machte ihm Spaß sie um sich zu haben. Er musste sich eingestehen, dass sie ihm nicht mehr aus dem Sinn ging und das war etwas, was er nicht mehr gewohnt war.
Es war nicht so, dass er nach dem viel zu frühen Tod seiner Frau überhaupt keine Beziehungen mehr gehabt hätte, aber es waren nur kurze gewesen. Wenn der Sex mit einer Bekanntschaft aus dem Leder-Club nach seinem Geschmack gewesen war, dann hatte er trotzdem meistens keine Lust auf die längere Fortsetzung der Beziehung, weil er sich mit der Betreffenden kaum außerhalb des Schlafzimmers unterhalten konnte. Oder wenn er anderswo eine Frau kennengelernt hatte, mit der er gut reden konnte, dann hatte seine zugegebenermaßen spezielle Art im Schlafzimmer die Frau häufig so verschreckt, dass sie nichts weiter mit ihm zu tun haben wollte. Jetzt hatte er den Eindruck, dass beides zusammen kommen könnte, wenn, ja wenn er Renée nicht auch vorzeitig verschrecken würde. Er glaubte inzwischen zu wissen, dass sie vorher noch nie einen dominanten Partner gehabt hatte, aber sicherlich doch eine Neigung dazu hatte. Aber leider war er sich auch nicht ganz sicher, ob letzteres wirklich so war.
Irgendwie musste er einen Weg finden, sie langsam heranzuführen, ohne sie durch überhastete Aktionen zu verjagen. Aber seit dieser speziellen Klavierstunde juckte es ihn in den Fingern, ihren entzückenden Po wieder mit seiner Hand so zum Beben zu bringen und ihre Reaktionen darauf zu hören. Die Szene spielte sich wieder und wieder in seiner Erinnerung ab, wenn er abends im Bett lag. Er durfte sich diese Erinnerung eigentlich nicht erlauben, wenn er nicht voreilig handeln wollte, aber in seinen Träumen geschah noch viel mehr.
Denn bei der letzten Klavierstunde hatte es so vielversprechend angefangen. Er hatte einfach die sich ihm bietende Gelegenheit beim Schopf gepackt und seinen Neigungen freien Lauf gelassen, ohne darüber wirklich nachzudenken. Er hatte einfach angenommen, dass sie schon protestieren würde, wenn er ihre Grenzen überschritt. Andererseits hatte er ja wohl deutlich genug angekündigt, was er beabsichtigte.
Viel Zeit zum Vorbereiten hatte er ihr bei der besagten Klavierstunde nicht gelassen, als er ihren seidenen Slip auf ihre Oberschenkel herabgestreift hatte. Er holte damals weiter aus, der nächste Schlag klatschte laut auf ihre linke, blanke Pobacke und entlockte ihr ein „AU!“. Er genoss es den Abdruck seiner Hand wie aufgedruckt auf ihrer Haut zu sehen. Er wartete einen Moment, dann zählte er „12″ und wiederholte das mit der rechten Pobacke. Genauso wie die neun darauf folgenden.
Nach dem letzten Schlag hatte er gesagt: „Siebenundzwanzig sind nun wirklich genug. Ich werde Dich etwas eincremen.“ Zum Schluss blieb dabei seine Hand auf ihrem Po liegen, einer seiner cremigen Finger schlich sich zwischen ihre Beine. „Was soll das denn?“ Sie meldete sich leise fragend, wehrte sich aber nicht.
Sein Finger strich durch ihre Po-Kerbe hin zu der Spalte ihrer Weiblichkeit, er streichelte sie sanft und drückte ganz leise auf den empfindlichen Punkt. Sie protestierte leise und verschämt: „Nein…“
Aber er konnte sich einfach nicht zurück halten. Er hielt sie mit seiner linken Hand fest und drückte mit dem Finger seiner rechten Hand deutlicher zu, der daraufhin plötzlich ohne großen Widerstand in sie hinein glitt, als ob das gar nichts sei. Das geschah so plötzlich, dass sie gegen das tiefe Eindringen nichts unternehmen konnte. Es war ein Hochgefühl für ihn zu merken, wie erregt sie offensichtlich war. Sie versuchte zwar ihre Beine zu schließen, aber als er gegen ihren Willen seinen Finger in ihr bewegte, stöhnte sie unwillkürlich wollüstig auf, was ihm natürlich nicht entging. Worauf ihm die Bemerkung entrutschte: „Das flutscht ja richtig rein, als ob Du darauf gewartet hättest!“
Das brachte das Fass mehr als zum Überlau¬fen: „ Wie kannst Du mich nur vor laufender Kamera so beleidigen!“ Sie war sichtlich empört und artikulierte laut: „Nein, Nein! Sofort aufhören.“
Na ja, also da war er wohl über das Ziel hinaus geschossen, aber einen Versuch war es wert gewesen. Er schaltete schnell die Kamera aus und half ihr sofort beim Aufstehen, aber mit dem Hinweis, dass er sich beim nächsten Mal nicht aufhalten lassen würde. Dann hatte er sie einfach umarmt und geküsst — und sie hatte nicht mehr so vehement protestiert, sondern ihn machen lassen. Er hatte dies besonders genossen, weil er ihr keine Zeit gelassen hatte, ihr Höschen hochziehen zu können und sich an dieser Gewissheit weidete. Es war einfach eine Freude, über ihren Rock zu streichen und zu wissen, dass nur dieser dünne Stoff sich zwischen seiner Hand und ihrem hübschen Po befand. Langsam begann er auch ihren Rocksaum wieder anzuheben.
Ärgerlicherweise hatte just in diesem Moment der Hotelpage an der Tür geklopft mit einer dringenden Nachricht von seinen Geschäftsfreunden. Zu seinem Ärger hatte er sich überhastet von seiner wohlgeformten Klavierschülerin verabschieden müssen.
Unentschlossen
Und nun lief er dieser Erinnerung quasi hinterher, weil er jedes Mal den ambivalenten Ausdruck auf ihrem Gesicht wahrnahm, wenn sie Sorgen hatte, mit ihm noch einmal ganz allein zu sein. In Gesellschaft mit anderen war sie ganz entspannt mit ihm und es war eine Freude sich mit ihr zu unterhalten oder ihre wohlgeformte Figur wahrzunehmen.
Es war eine glückliche Fügung, dass die Konferenz in Singapur verschoben wurde, an der sie teilnehmen wollte. So brauchte er sich noch nicht darüber zu sorgen, wen sie dort kennen lernen könnte. Es war verrückt – er war schon eifersüchtig, obwohl sie noch nicht einmal seine Freundin war. Andererseits wusste er sehr genau wie viel ihr an der Teilnahme dort lag. Selbstverständlich würde er dafür sorgen, dass sie dort hinfliegen konnte.
Er musste sich erneut eingestehen, dass sie ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Er ertappte sich dabei wie er versuchte sie immer häufiger treffen zu wollen. Langsam wurde es schwierig, entsprechende Anlässe zu finden. Teilweise lehnte sie auch Termine aus Zeitmangel ab, weil ihre statistischen Auswertungen ihrer Versuche viel Zeit fraßen. Jedenfalls behauptete sie das so. Dem konnte er zumindest abhelfen. Er hatte einen Geschäftsfreund, der in Softwaregeschäften tätig war. So bekam er als Freundschaftsgeste von ihm eine für sie kostenlose Kopie eines Statistikprogramms, das ihr sicher viel Zeit einsparen würde. Dann hatte er auch noch die gute Idee, sie zu bitten ihm als seine Übersetzerin bei Geschäftskontakten zu helfen. So war sie nicht allein mit ihm, aber er konnte sie vorher abholen.
Aber inzwischen sorgte er sich auch darüber, ob sie jeweils heil und gesund bei sich in ihrem Studentenapartment ankam. Die Umgebung ihres Wohnviertels war alles andere als gut angesehen in der Stadt. Und er schätzte es überhaupt nicht, wenn er daran dachte, wie sie spätabends aus der U-Bahn ausstieg und vielleicht gar durch den dunklen Park zu ihrer Wohnung ging.
Das Ticket
Renée schaut auf das Ticket für den Flieger nach Asien. Die ältere Dame aus dem Reisebüro erklärt ihr gerade alles über die Economy-Klasse mit erhöhtem Sitzabstand. Renée fühlt sich dank René wie der absolute Glückspilz. Sie kann nicht nur zur Konferenz fliegen, ohne sich dafür in finanzielle Schwierigkeiten zu bewegen — nein, sie wird dahin auch noch mit einem unerwarteten Luxus fliegen. Sie kann immer noch nicht begreifen, wie alles passiert war.
Auch in anderer Hinsicht ist alles viel besser gelaufen, als sie es sich vor noch nicht einmal einem Monat vorgestellt hat. Zunächst hat sie sich vorgenommen, doch lieber auf Distanz zu René zu gehen, denn gleichzeitig seiner Tochter Nachhilfe zu geben und ihn als Freund zu haben, erscheint ihr als eine schwierig zu handhabende Situation. Und das war vielleicht noch optimistisch gesehen.
Sie kann und will sich nicht vorstellen, wie Sandra reagieren würde, wenn deren Vater sie vor ihr küssen würde. Bei dem nächsten Nachhilfeunterricht ist es daher für sie merkwürdig, als sie seine Tochter wiedersieht. Sie fragt sich unwillkürlich, ob der Vater seiner Tochter irgendetwas erzählt hat. Nach der ersten Viertelstunde hat sie sich aber wieder gefangen. Leider kommt René an diesem Tag unerwartet früh nach Hause. Sie weiß im ersten Moment nicht, wo sie ihre Hände lassen soll, als er ihr lächelnd entgegenkommt. Dann spricht sie ihn mit Herr Rhei und „Sie“ an. Sandra wirkt etwas irritiert, als ihr Vater sie hingegen duzt und mit Vornamen anspricht und das auch noch mit einem strahlenden Lächeln auf seinem Gesicht. Er wendet sich dann an seine Tochter:
„Sandra, Renée zählt jetzt zu meinem Freundeskreis. Das haben wir beim letzten Mal beschlossen. Wir duzen uns und ich werde sie heute Abend in das Klavierkonzert mit meinen Freunden einladen.“
Renée hört seine Einladung mit gemischten Gefühlen. Zu lebhaft hat sie noch den Verlauf des letzten Klavierunterrichtes bei ihm in Erinnerung. Sie errötet unwillkürlich, aber sie nimmt auch mit Erleichterung wahr, dass René keine Anspielungen darauf macht, noch dabei zu ihr hinschaut. Genauso erleichtert ist sie, dass Sandra eher positiv reagiert und sich freut ihre Nachhilfelehrerin auf diese Weise noch häufiger zu sehen. Renée hofft nur, dass dies auch so anhält. Sie nimmt sich vor, bei nächster Gelegenheit René zu bitten, ob er nicht eine andere Nachhilfekraft für Sandra finden könne. Sie hat auf einmal wieder so etwas wie ein soziales Leben, denn René hat ihr ein Statistikprogramm zur Verfügung gestellt, das die Auswertungen ihrer Versuche stark erleichtert. So hat sie mehr Zeit zur Verfügung und braucht nicht mehr so viele Stunden mit den umfangreichen Excel-Tabellen zu verbringen, die sie vorher genutzt hat. Dadurch hat er sie in seinen Freundeskreis mit einbeziehen können. Es ist fantastisch zu Konzerten oder in die Oper zu gehen beziehungsweise mit seinen Freunden einem Restaurant zu plauschen. Sie ist häufig die jüngste in der Runde, aber sie fühlt sich immer akzeptiert.
Michaela ist echt eifersüchtig auf ihr dermaßen bereichertes Leben. Aber als Renée ihr verspricht, dass sie natürlich auch das Programm nützen könne, ist sie etwas weniger verschnupft. Trotzdem ist Michaela in ihren Kommentaren nicht immer feinfühlig.
Aber René ist anscheinend klug genug, nach dem furiosen Start ihre Beziehung langsam angehen zu lassen. Dieser Klavierabend hat Renée bezüglich ihrer eigenen Reaktionen verunsichert. In den ersten beiden Wochen nach dem letzten Klavierunterricht ist sie dankbar dafür, dass er sie nur freundschaftlich mit einem Wangenkuss und einer Umarmung begrüßt, und vor allen Dingen dies weder vor Michaela noch vor Sandra tut. In anderer Hinsicht ist sie jedoch auch ziemlich irritiert. René behandelt sie in seinem Freundeskreis zwar ausgesprochen zuvorkommend, aber er lässt bald keinen Zweifel daran, dass er bei ihr als jüngerer Frau das Heft in der Hand hatte. Hingegen behandelt er die ältere Birgit von Traden als der anderen neuen Single-Frau in seinem Freundeskreis nicht in so bestimmender Art und Weise.
Gleichwohl unterhält er sich an diesem Abend mit Frau von Traden sehr gut. Renée hat es schon erlebt, wie beide am Telefon miteinander umgehen und es erscheint ihr, als ob diese beiden sich sehr sympathisch sind. Sie fragt sich unwillkürlich, ob diese Dame ihn näher kennt. Die ist wohl Mitte dreißig und sieht elegant und wohlhabend aus.
Bei ihr hingegen benimmt er sich bestimmend. Wenn es später am Abend ist, so erlaubt er ihr es zum Beispiel nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr in ihre Wohnung zu fahren, sondern beharrt darauf, dass sie von ihm nach Hause gefahren wird oder ein Taxi nimmt, das er dann vorab bezahlt. Ohne Zweifel ist dies fürsorglich gemeint, aber es ist auch gewöhnungsbedürftig. Sie kommt sich am Anfang wie ein unselbständiges Kind vor, das nicht allein fahren darf.
Als es das erste Mal passiert, hat sie sich sowohl bevormundet als auch geschmeichelt gefühlt. Er hat sie am Freitagabend zu einem Abendessen eingeladen. Neue Geschäftspartner haben ihm ein Gespräch im Restaurant Vier Jahreszeiten in der Innenstadt angeboten und er will sie zu diesem Treffen mitnehmen. Er hat argumentiert, dass ihre Französisch-Kenntnisse ihm bei diesem ersten Kontakt mit den beiden Herren aus Tunesien helfen würden. Deren Englisch ist zwar ganz passabel, aber ein paar Mal könne sie schon helfen und für ihn wären auch Nuancen im Verständnis sehr wichtig.
Renée hat sich sorgfältig auf das Gespräch vorbereitet. Sie will einen professionellen Eindruck vermitteln. Sie benutzt nur ein dezentes Make-up und trägt ihre Haare geschlossen. Ihr grauer Hosenanzug ist der Situation wohl angemessen. Schnell hört sie sich derweil noch für eine halbe Stunde einen französischen Rundfunksender an, um in der Sprache drin zu sein. Als Herr Rhei sie abholt, ist sie gut präpariert. Es freut sie, dass er ihre Mühe honoriert, indem er ihren geschäftsmäßigen Auftritt lobt. Mit gemischten Gefühlen bemerkt sie hingegen, wie er mit sichtlichem Interesse begutachtet, wie der hintere Part ihrer Hosen ausgefüllt ist.
Offensichtlich sind die beiden Herren es gewohnt, dienstbare Geister um sich zu haben. Jedenfalls lassen sie sich in dem noblen Restaurant mit einer Grandezza und Selbstverständlichkeit bedienen, die Renée beeindruckt, obwohl sie eigentlich Luxusrestaurant und deren Gäste eher skeptisch sieht. Die beiden Araber mussten ziemlich reich sein — sie werden mit einer Zuvorkommenheit von dem Personal behandelt, die in Renée’s Augen ungewöhnlich ist. Allerdings kennt sie sich mit solchen Restaurant zugegebenermaßen nur wenig aus. Als sie bei der Übersetzung helfen kann, nehmen sie ihre Hilfe als gegeben an. Renée fühlt sich eindeutig herablassend behandelt. Nach dem etwas steifen Mahl mit diesen reich aussehenden Kaufleuten kommt es zu einer für sie unerwarteten Szene.
Vor dem Eingang des Lokals befindet sich eine Haltebucht für Taxis. Die beiden potentiellen Geschäftspartner erkundigen sich bei René nach der schnellsten Möglichkeit zum Hafen zu gelangen. Als er Taxi und U-Bahn erwähnt, bitten sie ihn höflich, ihnen doch ein Taxi zu bestellen. Für sie als Geschäftsleute sei öffentlicher Nahtransport nicht das geeignete Mittel, sondern eher für subalterne Angestellte wie seine Übersetzerin geeignet, von der sie sich jetzt zu verabschieden wünschen und ob René sie nicht begleiten wolle.
Renée sieht, wie ihr Arbeitgeber die Stirn runzelt. Kühl erklärt er, dass er zunächst für Frau Span sorgen müsse. Ohne sie zu fragen, winkt René eines heran und gab dem Taxifahrer Geld und ihre Adresse. Sie beginnt zu protestieren, denn erstens haben die beiden ja in gewisser Hinsicht Recht. Für eine Studentin ist Taxibenutzung in ihren Augen eine glatte Verschwendung, da ihre U-Bahnlinie in der Nähe ist und zweitens will sie auch noch an den Fahrkartenautomaten, um für den nächsten Tag ein Erweiterungsticket vorab zu kaufen. Er sieht sie kurz an und unterstreicht, wie wichtig ihm es ist, dass sie als junge Frau um diese Uhrzeit sicher nach Hause kommt. Die Betonung macht auch seinen beiden Geschäftspartnern klar, wie wenig er es schätzt, dass sie Renée als vernachlässigenswert betrachten.
Das alleine ändert schon ihre Meinung über René. Ihr Herz fliegt ihm zu, als er das Risiko eingeht seine Geschäftspartner zu verärgern, während er ihren Belangen die Priorität gibt. Dann setzt er noch eins drauf und er nimmtsie einfach vor seinen Geschäftsfreunden in seine Arme und küsst sie demonstrativ. Sie ist mehr als überrascht, als er sie vor diesen einflussreichen Potentaten umarmt. Das alles nimmt ihr den Atem und erstickt ihre Einwände definitiv. So ein Mann, der sie wie ein Ritter gegen die überhebliche Art dieser Großkotze verteidigt, dem kann sie nicht mit Gegenargumenten kommen.
Sie ist verwirrt und lässt sich danach ohne Widerworte ins Taxi setzen. Ihr Herz klopft, denn so etwas ist ihr noch nie passiert. In ihrer zurückhaltenden Art hat sie sich noch nie von einem Freund in der Gegenwart von Respektspersonen wie z.B. ihrem Professor küssen lassen, geschweige denn auf eine so demonstrative Art. Ebenso wenig hat sie sich jemals wie eine Unschuld vom Lande in das Taxi setzen lassen, wo sie sich doch in der Großstadt gut auskennt. Er hat dem Taxifahrer das Geld und eine Notiz gegeben, auf der ihre Adresse steht. So fürsorglich hat sie noch kein Mann behandelt. Allerdings hat er auch die Unverfrorenheit besessen ihr zu sagen, dass dies auch in Zukunft so sein würde und händigt ihr eine Geldkarte aus, die sie für diese Zwecke nutzen solle. Dann wird er noch regelrecht autoritär – wenn er je erfahren würde, dass sie nach 22 Uhr noch mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs wäre, dann… Sie ist so baff gewesen, dass sie bei seiner letzten Bemerkung stumm geblieben ist, aber sie hat sich fest vorgenommen bei der nächsten Gelegenheit souveräner zu reagieren und auf ihrer Unabhängigkeit zu bestehen. Er kann sie ja gerne nach Hause fahren mit seinem Wagen, aber sich ins Taxi setzen zu lassen, obwohl sie eine Monatskarte hat, ist nicht richtig. Sie will sich nicht so verpflichtet fühlen. Die nächsten Male fährt er sie aber jeweils eigenhändig nach Hause, da er bei den Veranstaltungen auf Alkohol verzichtet hat. So kann sie nichts sagen. Und er braucht ja nicht zu wissen, wann sie von der Staatsbibliothek oder dem Physikinstitut abends allein nach Hause fährt.
Bei der nächsten Nachhilfestunde erklärt sie Sandra andeutungsweise, dass sie sich nun tatsächlich zum Freundeskreis ihres Vaters als zugehörig betrachtet. Danach wich sie weiteren Fragen von Sandra hingegen geschickt aus. Sie kannte die Antwort auf deren Erkundigungen selber nicht mehr.
Nach einiger Überlegung ist sie entschlossen, ihm nicht weiter auszuweichen, aber irgendwie ergeben sich keine weiteren Möglichkeiten. Dann hört sie noch per Zufall, wie Sandra am Telefon mit Birgit von Traden plauschte, jedenfalls glaubte sie das den Wortfetzen zu entnehmen. Irgendwie gab ihr das einen Stich ins Herz. Hat sie schon den richtigen Zeitpunkt verpasst?