Zurück von der Reha und aus einem erholsamen Urlaub, habe ich eine neue Geschichte. Es war eine ereignisreiche Zeit, die zwar sehr anstrengend war, aber meiner Gesundheit und nicht nur der viel gebracht hat.
Ich war mir nicht ganz sicher, in welche Kategorie ich sie stecken sollte, dann habe ich mich aber für „Romanze“ entschieden, statt für „Betagt“. Denn dass ich schon älter bin, das weiß ich selber, aber auch in meinem Alter können die Gefühle noch einmal erwachen.
Die an dieser Geschichte beteiligten Personen gibt es wirklich, sind alle über 18 Jahre alt und die Namen wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes natürlich geändert. Die Handlung ist bis auf wenige, d.h. die extremen Passagen, nicht nur reine Fantasie, sondern hat sich in ähnlicher Form ereignet.
Ich wünsche euch beim Lesen viel Spaß und Kurzweil.
Prolog
„Also langsam wird es Zeit, daß du endlich etwas für deine Gesundheit tust!“
Doc Olaf, mein Hausarzt, schaute mich ernst über den Rand seiner Brille an und legte seine Stirn in Falten.
„Schau dich doch einmal an. Seit deinem Unfall vor sieben Jahren hast du fast 40 kg zugenommen, dein Herz hat schwer zu kämpfen, dein Blutdruck geht fast durch die Decke und seit 5 Jahren hast du auch noch Diabetis II. Alter Mann, es wird allerhöchste Zeit, daß du endlich etwas dagegen unternimmst.“
„Jaja, ich weiß es doch. Aber sieh doch mal, ich habe eine Pflegetochter, die mich braucht und mein Patenkind und ihre Schwestern kann ich doch auch nicht im Stich lassen.“
„Papperlapapp, Louise hat schließlich noch ihre Mutter und ihre Oma und mit Sammys Eltern habe ich neulich ernste Worte geredet. Aber das brauch ich dir nicht zu erzählen, Ivonne hat dir sicher unter die Nase gerieben, was ich ihr aufs Brot geschmiert habe. Und wenn du nicht auf Reha gehst, dann kann es sein, daß deine Mädels bald gar nichts mehr von dir haben.“
Jetzt war ich aber doch geschockt. Daß es so schlimm um mich stand hatte ich nicht vermutet. Nun gut, ich koche gerne und gut und genau so esse ich auch. Und Sport treibe ich eigentlich nur noch auf EUROSPORT.
Ich schaute mir das Datenblatt meiner letzten Vorsorgeuntersuchung an und erkannte nun den Ernst meiner Lage.
„Capice?“ meinte Olaf, “ also hier habe ich den Antrag für eine Kur oder Rehamaßnahme. Wenn du das wahrnehmen willst, dann unterschreibe ich und schicke ihn noch heute ab. Deine Krankenkasse wird auf jeden Fall ihre Zustimmung geben. In ein paar Tagen wirst du dann erfahren, wohin es geht.“
„Du hast mich überzeugt“, erwiderte ich, „und es ist ja nicht das erste mal, daß ich sowas mache.“
„Arne, du mußt vor allen Dingen abnehmen. Für dein Idealgewicht fehlen dir einfach 45 cm Körpergröße. Je weniger Pfunde du auf den Rippen hast, desto besser geht es deinem Herzen und dem Blutdruck. Die Bewegung fällt dir leichter und du bist nicht mehr so kurzatmig wie zur Zeit. Du schnaufst ja schon bei der kleinsten Anstrengung wie ein Walroß. Und bei der Liebe gibt es dann auch mehr Vergnügen.“
„Hahaha, sei bloß still. Meine Holde hat in letzter Zeit auch so einige Bemerkungen vom Stapel gelassen. Ich bin halt keine Dreissig mehr. Momentan liegt unsere Beziehung sowieso auf Eis. Wir wollen etwas Abstand wahren, um zu klären, wie unsere Partnerschaft weiterlaufen soll.“
„Warum hast du dir auch so eine junge wie Claudia ausgesucht? Die Dame stellt gewiß bestimmte Ansprüche an deine Leistungsfähigkeit. Zwischen euch liegen doch, ich glaube 24 Jahre, also eine ganze Generation. Also, wenn du sie nicht mehr schaffst und sie vielleicht abgeben möchtest, kannst du sie gerne an mich verweisen.“
„Jetzt mach mal halblang, Olaf. Sie ist auch deine Patientin und da geht dann schon mal garnichts. Und was deine Bettina dazu sagen wird, das wissen wir beide nur zu genau. Da musst du nur an Elisabeth denken (siehe MTA). Mann, hast du da hinterher alt ausgesehen.“
Ich lachte schallend und Olaf verzog schmerzhaft sein Gesicht.
„Lassen wir die alten Kamellen. Arne, du gehst auf Reha, hinterher machst du 4 Wochen Aktivurlaub und dann will ich Ergebnisse sehen. Wir sprechen uns in 8 Wochen wieder. Enttäusche mich nicht. Hol dir bei Frau Schmidt deine Rezepte ab, nur die Rezepte und lass die Finger von ihr, du altes Ferkel und dann verschwinde.“
Also tat ich wie geheißen.
*
REHA
Montag, 17.07,2017
Gegen 9 Uhr kam mein Fahrer vorbei und holte mich ab. Meine Versicherung hatte etwas dagegen, dass ich mit dem Roller zur Reha fuhr und meine Sachbearbeiterin hatte nur gemeint: „Nix da, sie werden geholt und auch wieder nach Hause gefahren!“
In der Klinik angekommen, holte ich mir meinen Zimmerschlüssel ab, meldete Telefon und TV an und wurde mit einer Broschüre und meinem Gepäck aufs Zimmer gebracht. Dort sollte ich erst einmal einräumen, zu Mittag essen und um 14 Uhr mich bei meiner Stationsärztin zur Eingangsuntersuchung einfinden.
Im Speisesaal bekam ich meinen Platz für die nächsten Wochen gezeigt, da stand mein Namensschild mit dem Zusatz „Red.“ und eine Flasche Mineralwasser.
Na super. Ein Blick auf mein Namensschild und meine Mitesser am Tisch wussten, das der Moppel auf Diät gesetzt war. Und das große ˋDˋ zeigte auch noch an, dass ich Diabetiker war. Im Klartext bedeutete dies, dass ich nicht nur wenig zu essen bekam, es musste nicht einmal schmecken. Meine gute Laune schmolz dahin wie ein Schnuller auf einer heißen Herdplatte. Und dann war ich doch überrascht. Sechs Kartoffeln, jede in der Größe einer Murmel, etwas Fisch (gedünstet) und ein Klacks Soße ließen meinen Magen heftig aufknurren und machten mich nicht so richtig satt.
Pünktlich 14 Uhr wartete ich vor dem Zimmer der Stationsärztin auf die Dinge, die auf mich zukommen sollten. Frau Dr. Erika Pätzold machte keinen schlechten Eindruck auf mich. Ende 30, schlank und sportlich, sah sie auch auf den zweiten Blick nicht einmal so schlecht aus. Sie bat mich Platz zu nehmen, blätterte in meinen Arztberichten herum und sah mich durchdringend an.
„Tja, Herr N., das schaut alles nicht so gut aus, was mir ihr Hausarzt da mitteilt. Das wird ein hartes Stück Arbeit für sie in den nächsten Wochen. Zu den normalen Anwendungen gibt es für sie jeden Morgen nach dem Frühstück eine Stunde Ergometertraining und ab 15 Uhr zwei Stunden Wassertherapie und Schwimmen. Sie haben so viele Baustellen, da ist die Zeit die sie bei uns verbringen, fast zu kurz. Gehen wir es an.“
Frau Doktor ließ mich den Oberkörper freimachen und rücklings auf die Liege legen. Dann maß sie Blutdruck und Puls, wobei beides viel zu hoch war, hörte Herz und Lunge ab und schüttelte mißbilligend den Kopf.
„Stellen Sie sich mal hin und versuchen Sie mit den Fingerspitzen ihre Zehen zu erreichen.“
Lächerlich!
Das hatte ich nach der LWS-Versteifung, der künstlichen Hüfte und nach dem Unfall nicht mehr geschafft. Also würde es nun auch nicht funktionieren.
Frau Doktor stieß verächtlich die Luft zwischen ihren schmalen Lippen aus.
„Ziehen sie mal ihre Jeans aus und stützen sie sich mit den Unterarmen auf der Liege ab.“
Was wollte sie damit wohl herausfinden?
Ich tat was sie wollte und plötzlich zog sie mir meinen Slip bis zu den Knien herunter.
Überrascht schnappte ich nach Luft.
Ich vernahm ein schmatzendes Geräusch und dann fuhr mir ein nasser Finger bis zum Anschlag in meinen rektalen Ausgang.
Himmel, A…. und Wolkenbruch! Was sollte denn jetzt die Krebsvorsorgeuntersuchung und was ging die meine Prostata an??? Und das Ganze ohne Handschuh!!!
Bevor ich noch etwas sagen konnte, schloß sich ihre andere Hand um meinen Schwanz und begann mit leichten Wichsbewegungen. Und das so gekonnt, daß ich ganz gegen meinen Willen einen Ständer bekam, der sich gewaschen hatte. Ich schloß die Augen und begann zu genießen. Der Handgriff wurde fester, die Bewegungen schneller und heftiger und der Finger in meinem Hintern machte auch noch mit.
Das war zuviel des Guten. Mit einem heftigen Stöhnen schoß ich meine komplette Ladung in die Hand der Stationsärztin ab. Ich knickte leicht in den Knien ein und hatte Mühe auf den Beinen zu bleiben. Etwas mühsam richtete ich mich auf und sah, wie sich Frau Doktor ihre vollgesaute Hand ableckte und meine Sahne schmatzend herunterschluckte.
Ich musste ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut haben, denn sie grinste mich breit an.
„Nicht schlecht und auch die Menge stimmt. Das war jetzt die Eingangsuntersuchung der speziellen Art. Wir werden noch auf sie zurückkommen.“
Wir? Ich verstand gar nichts mehr.
„Sie können sich anziehen“, meinte Frau Dr. Pätzold. „Dann gehen sie ins Stationszimmer zu Schwester Gina, holen sich ihr Nackenkissen und ihre Rolle ab und den Plan für den ersten Tag. Wiegen, Blutdruck, EKG, Zucker und das ganze andere Zeug. Ab morgen geht es dann richtig los. Viel Spaß noch.“
Na, die hatte einen Humor. Ich zog mich an, bekam noch einen Zettel für die Stationsschwester und ging mit weichen Beinen aus dem Arztzimmer.
Komisch, das lief ganz anders als bei meinen bisherigen Rehamaßnahmen. In Gedanken versunken versuchte ich erst einmal wieder, einen klaren Kopf zu bekommen. Ich verstand eigentlich nur Bahnhof.
*
„Hallo, huhu, sie sind dran.“
Ich zuckte zusammen und blickte auf.
Und ich starrte in zwei riesengroße blaue Augen hinter einer Brille mit dicken Gläsern.
„Äh . . .ja . . ach so, ja ich komme schon.“
Ich stand auf und wunderte mich. War ich gewachsen, oder war die Schwester eine von der kurzen Sorte. Sie drehte sich um und ich folgte ihr. Also eindeutig das zweite. Ich war nicht gewachsen.
Sie bat mich Platz zu nehmen und noch einmal mußte ich das Blutdruckmessen über mich ergehen lassen. Und wieder war der viel zu hoch.
Dann schrieb Schwester Gina ( wie ich auf ihrem Namensschild lesen konnte ) meine Daten in meine Krankenakte und so hatte ich endlich die Zeit, sie etwas genauer anzusehen.
Nein, groß war sie wirklich nicht. Zwei lange blonde Zöpfe ließen sie wie ein Schulmädchen wirken, obwohl sie doch gewiß über Dreißig war. Sie hatte ein hübsches Gesicht, schön geschwungene Lippen, voll und rot, die zum Küssen einluden, eine kleine gerade Nase und wunderschöne hellblaue Augen, mit denen sie mich intensiv durch ihre Brille anschaute. Und was ich so durch ihren Schwesternkittel erahnen konnte, eine schlanke, schmale Hüfte und zwei Beine ( mehr zu sagen wäre geraten). Aber was für ihre Größe groß war und zwar eindeutig sehr groß, das war ihre Oberweite. Ich war wie gebannt und konnte gar nicht mehr wegschauen.
„Tststs, wo gucken sie denn hin? Und so wie sie gucken, da fühle ich mich gleich etwas geschmeichelt? Aber um Sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen, ich brauche noch ihr Gewicht. Also rauf auf die Waage.“
Das gefiel mir jetzt aber gar nicht. All meine Felle, die noch gar nicht erjagt hatte, sah ich davonschwimmen, wenn die Waage schonungslos mein größtes Manko preisgab.
Seufzend stieg ich auf die Waage und schloß ergeben die Augen.
Schwester Gina schnappte überrascht nach Luft und meinte: „Steigen Sie noch mal runter und dann wieder hinauf. Da stimmt was nicht.“
Ich folgte ihren Worten und erntete ein Kopfschütteln. Und wieder runter. Sie schaltete die Waage aus und wieder ein.
„Los, nochmal.“
Noch einmal das gleiche Spiel.
„Ich glaub´ s nicht.“
Ich blickte auf das Display.
– 132,7 kg -. Also mindestens 40 kg zu schwer.
Schwester Gina schaute mich ungläubig mit ihren wunderschönen großen Augen an.
„Also das hätte ich nicht gedacht.“
„Was? Dass es so viel ist?“ wollte ich wissen.
Sie zuckte mit ihren Schultern.
„Naja, so um die 110kg hätte ich gedacht. Da habe ich mich aber gehörig verschätzt. Das sieht man ihnen aber wirklich nicht an.“
„Danke,“ erwiderte ich strahlend. „Jetzt geht es mir aber gleich besser.“
Wir grinsten beide wie die Honigkuchenpferde. Sie wurde mir immer sympathischer.
Hoppala, alter Knabe. Halte dich zurück. Wenn sie das erfahren würde, was gerade mit der Ärztin passiert war, dann hatte ich bei ihr garantiert verschissen. Also mach mal langsam.
„So, hier ist ihr Kissen und die Nackenrolle. Ich komme später noch vorbei und bringe ihnen ihren Tageszettel für morgen vorbei. Zimmer 223, nicht wahr?“
„Stimmt schon, aber ich kann ihn doch in meinen Postfach holen,“ meinte ich etwas unsicher.
Schwester Gina lachte.
„Sie liegen auf Station 2, da wo die Gehbehinderten sind. Und denen bringen wir ihre Tages- und Wochenpläne vorbei. Zuerst war unklar, ob wir Sie in die kardiologische oder die orthopädische Abteilung legen sollten, aber die Probleme mit den Knochen sind schwerwiegender als die Herzgeschichte. Das meinte zumindest die Ärztin. Und ich auch. So kann ich Sie unter meine Fittiche nehmen. Oder, was dagegen?“
Ich schluckte, schüttelte den Kopf und hüstelte verlegen. Was für Aussichten.
„Im Übrigen glaube ich, dass wir uns kennen. Vor sieben Jahren waren sie in der anderen Klinik nach einem Unfall auf Reha. Ich war damals auf Station 4 und sie kamen zweimal die Woche zu Schwester Elli zum Blutabnehmen obwohl sie doch auf Sation 1 waren. Aber die haben ihre Vene nicht gefunden und ihr Arm hat nach dem ersten Versuch wie ein Nadelkissen ausgesehen. Sie sehen also, sie sind mir damals schon aufgefallen. Und Sie? Sie sind damals um Diana rumgetanzt und haben mich nicht einmal wahrgenommen.“
Schwester Gina blickte mich vorwurfsvoll an und ich wurde richtig verlegen. Sie hatte recht, ich konnte mich nicht an sie erinnern, an Diana aber schon. Ob man das allerdings mit den zwei Krücken „herumtanzten“ nennen konnte, da hatte ich so meine Zweifel.
„Werden wohl die Nachwehen des Unfalls gewesen sein. Vor Dr. Pätzold muss ich sie allerdings warnen.“
Sie legte mir ihre kleine Hand auf meinen Unterarm und ein wohliger Schauer erfasste mich. „
Sie sind noch ein jüngerer Patient, also unter Siebzig und die meisten anderen Klienten sind doch schon erheblich weiter. Wie ich von anderen erfahren habe, kann die Ärztin ziemlich handgreiflich werden und zwar sehr nachdrücklich. Sie ist momentan unbemannt und hat schon Entzugserscheinungen. Also gehen Sie ihr aus dem Weg, wenn es möglich ist.“
Jetzt hätte es mich doch interessiert, wie es mit „ihr“ ausschaute.
Sie blickte mich erschrocken an.
„Ach verdammt! Morgen ist Arztvisite. Auf dem Patientenzimmer! Und die Chefärztin, Dr. Fehrmanek, das notgeile Luder, ist ja auch dabei. Oh Gott, das darf doch nicht sein. Und ich habe morgen keinen Dienst und kann nicht dabei sein. Oh Gott, oh Gott, was mache ich bloß?“
Sie schaute mich verzweifelt an.
Und nun tat ich etwas, was ich eigentlich gar nicht vorhatte. Ich legte meine Hände auf ihre Schultern und zog sie leicht an mich.
„Keine Angst, ich kann mich schon wehren. Und außerdem hatte ich vorhin schon eine Untersuchung. Vielleicht geht dieser Kelch an mir vorbei.“
Schwester Gina lehnte sich kurz an mich und ging dann wieder auf Abstand.
„Vielleicht geht ja alles gut. Jetzt gehen sie auf ihr Zimmer und gewöhnen Sie sich an die neue Umgebung. Um 17:30 Uhr gibt es Abendessen. Gehen sie schon. Ich muss noch meine Runde machen.“
*
Dienstag, 18.07.2017
Himmel, was hatte ich schlecht geschlafen. Die rustikale Behandlung durch die Ärztin und der erfreuliche Anblick der Stationsschwester geisterten die ganze Nacht durch meine Gedanken. Und das Krankenbett war zu schmal und unbequem.
Ein kurzer Blick auf die Uhr und es war Zeit. Kurz vor 7 Uhr, also auf zum Wiegen. Ich setzte mich auf einen Stuhl vor das Stationszimmer und freute mich auf die Begegnung mit Schwester Gina. Doch als ich an der Reihe war, was für eine Enttäuschung. Gina war nicht da. Eine neue Schicht hatte übernommen und so würde ich sie heute nicht mehr sehen.
Dann der nächste Tiefschlag durch die Waage. Nun ja, was hatte ich denn erwartet? Ein Wunder?
Wenigstens waren meine Zuckerwerte ganz normal, denn wenn ich auch sonst recht schluderig mit meiner Gesundheit umging, darauf achtete ich, weil ich keine Lust hatte, irgendwann mit dem Insulinspritzen anzufangen. Nach dem Frühstück Blutdruck messen und beim Anblick dieser Werte bekam nicht nur die Schwester eine Gänsehaut. Ich musste endlich etwas tun.
Und als ich meinen Therapieplan für die erste Woche bekam, da wusste ich, was sie mit mir vorhatten. Jeden Morgen nach dem Frühstück eine Stunde auf den Ergometer und jeden Nachmittag ab 15 Uhr zwei Stunden freies Schwimmen und eigenständige Übungen für Beine und Hüften im Wasser. Leistungssport also.
Beim Mittagessen lernte ich dann meine Leidensgenossen, die mit mir am Tisch 38 saßen, näher kennen. Links von mir war Werner aus dem Rheintal, Computerfachmann und so wie ich auch Rollerfahrer. Er war Mitte Fünfzig und hatte einen ausgesprochen trockenen, englischen Humor. Wir verstanden uns vom ersten Augenblick an. Ihm gegenüber saß Stefan, ständig übellaunig und über das Essen meckernd. Dabei hatte er als einzigster an unserem Tisch, was Menge und Zubereitung betraf, keinerlei Einschränkungen und vom abendlichen Buffet kam er mindestens zweimal mit übervollem Teller zurück. Er bekam von uns den Namen „Christkind“, weil wir uns in Gedanken vostellten, wie dieser bärtige, schlecht gelaunte Moppel in einer Krippe lag und von den heiligen drei Königen mit Geschenken bedacht wurde (natürlich Schnitzel und Torten). Wenn er zum Essen kam, sahen sich Werner und ich nur an und das große Grinsen ging los.
Und schließlich saß mir gegenüber Barbara aus Berlin und diese Frau sorgte dafür, daß ich, obwohl ich am wenigsten zu essen bekam, immer am längsten brauchte. Anfang dreißig, groß und eine Figur, die einen nur umhaute. Lange braune Haare, eine riesengroße dunkelbraune Brille und ein attraktives, ernstes Gesicht, ließen sie wie den typischen Blaustumpf, also eine unbemannte Grundschullehrerin, aussehen. Aber weit gefehlt. Wie sie mir später erzählte, war sie Architektin und Statikerin mit eigenem Büro.
Und um die Statik musste sie sich kümmern, denn sie hatte eine Oberweite, die sogar die schönen Brüste von Gina um zwei Größen übertraf. Und die Gravitation zog und zerrte unbarmherzig daran. Ich hatte also nicht nur bei jeder Mahlzeit zwei große Melonen vor Augen (das einzigste Obst, bei dem ich zweimal zulangen durfte, welch eine Symbolik), nein auch bei der Wassertherapie und beim freien Schwimmen war sie ständig in meiner Nähe und sorgte für permanenten Aufstand in meiner Badehose. Ich musste immer etwas länger im Wasser bleiben bis sie weg war, sonst wären bald Gerüchte in Umlauf gekommen. Und so sollte ich meinen Blutdruck in den Griff bekommen? Unmöglich.
Und dann hatte ich die Arztvisite versäumt. Ich war zwar zur angegebenen Zeit auf meinem Zimmer, aber niemand kam. Als ich dann zur nächsten Therapie ging, warteten einige Patienten vor dem Arztzimmer.
´Da kann sie ja nicht kommen, wenn sie so eine Menge Betrieb hat´ dachte ich bei mir, als ich aber zufällig auf die Tafel in meiner Etage blickte, erkannte ich, daß die Visite vom Patientenzimmer ins Arztzimmer verlegt worden war. Das hatte ich vollkommen verpennt.
Als ich mich dann bei Frau Dr. Pätzold entschuldigte, meinte sie nur: „Kein Problem, das holen wir nach.“
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Mittwoch, 19.07.2017
Hurra, auf der Waage erschienen andere Zahlen. Ich konnte es kaum glauben. 131,2 kg. Wow, ich war auf dem richtigen Weg. Und Gina hatte Dienst und freute sich mit mir. Aber das Blutdruckmessen ergab das gleiche düstere Bild wie am Tag zuvor. 198 zu 110 zu 92. Herzinfarkt, ick hör dir trapsen.
Auch Schwester Gina war sichtlich unzufrieden. Aber wie sollte ich mich auch beruhigen, wenn sie sich so aufreizend vor mir bewegte. Ein offener Schwesternkittel, eine teiltransparente Bluse und ein blauer BH, der zwei Kugeln verbarg, die einem Mann den Himmel auf Erden versprachen.
„Hören sie zu, Schwester,“ meinte ich, als sie diesbezüglich eine kritische Bemerkung machte. „Ich komme in einer Stunde noch einmal. Da ist dann ihre Bluse bis oben geschlossen, der Kittel zugeknöpft und dann werden wir doch mal sehen, ob wir nicht normale Werte zusammen bringen.“