Der Songtext gehört zu Mägo de Oz‘ Sin tí, sería silencio.
Vermutlich ist meine Übersetzung nicht perfekt, aber ich will auch gar nichts Perfektes.
Dieser Text entspringt dem Bedürfnis, meiner Melancholie Ausdruck zu verleihen.
Er ist schon etwas älter, aber trotzdem möchte ich den Text einer meiner liebsten Freundinnen widmen, die heute einen schweren Verlust hinnehmen musste. Ich wünschte, ich könnte bei ihr sein… verdammte Distanz.
Dieser Text enthält keinerlei horizontalen Szenen.
Ohne dich ist da nur Stille
»Dieses letzte Lied möchte ich jemandem widmen.«
Maron räuspert sich leise, nimmt das Mikro dann wieder nah an ihre Lippen. »Und wenn er mir heute Nacht zuhört, dann weiß er jetzt, dass er gemeint ist.«
Seitdem du nicht mehr da bist
schläft die Bühne
nur mit deiner Stimme kannst du sie aufwachen lassen
„TOOOR!!!“
Jubelnd fiel er in ihre weit ausgebreiteten Arme. Hob sie ohne Vorwarnung von den Füßen und wirbelte mit ihr im Arm um die eigene Achse. Quietschend klammerte Maron sich an ihn. Ihr langes Haar wehte im Wind. Sie kuschelte sich ganz fest an Talon. Sog seinen verschwitzten, deodurchströmten Duft ganz tief in ihre Lungen.
Atemlos setzte Talon seine Freundin wieder ab, grinste sie mit leuchtenden Augen an.
Drückte ihr dann einen Kuss auf die Lippen und flüsterte ihr flüchtig ins Ohr: „Das feiern wir heute Nacht… nur du und ich.“
Über seine Wangen huschte ein leichter Rotschimmer, als er zurück aufs Fußballfeld stürmte, um sich von seiner Elf ausgelassen feiern zu lassen.
Maron blickte ihm mit glühendem Blick nach.
Bei seinen Worten hatte ihr Herz angefangen, wild gegen ihren Brustkorb zu hämmern.
Heute Nacht…
Falls du sehen kannst,
wie viel mehr fehlt
meine Gitarre ist im Stehen verstummt
„Schau mal da!“ Aufregt deutete Maron hoch zu den Sternen. Talon sah auf vom Teleskop und folgte Marons ausgestecktem Arm mit den Augen.
„Eine Sternschnuppe“, hauchte Maron. „Los, wünschen!“
Talon lächelte nachsichtig, kniff kurz die Augen zu und nickte dann. „Und du?“
„Hab ich längst“, grinste Maron.
„Und was?“, neckte Talon.
„Darf ich nicht verraten, geht sonst nicht in Erfüllung.“ Maron quietschte auf, als Talon ihr die Arme um die Hüften schlang und sie das Gleichgewicht verlor. Arm in Arm stürzten sie in den weichen Sand, wo Maron sich lachend auf den Rücken drehte, um Talon angucken zu können.
Er sah sie mit seinem typischen leicht ironischen Lächeln an. Er war ihr viel zu nah…
„Du darfst den Wunsch also nicht verraten?“, fragte er. Sein Atem strich warm über Marons Lippen. Maron nickte langsam. „Aber er ist gerade in Erfüllung gegangen“, hauchte sie, schlang ihre Arme um seinen Nacken und zog ihn in einen tiefen Kuss.
jede Nacht ist ein Akt der Liebe
und das Konzert macht sich ein Bett
aber fehlst du, dein Atemzug
ist es ein Wiegenlied, das mich beruhigt
„Ich kann das nicht.“ Leichenblass im Gesicht lehnte Maron sich an die kühle Wand. Sie zitterte, das war nicht zu übersehen.
„Trink etwas“, versuchte Talon sie zu beruhigen, aber Maron lehnte ab. „Dann muss ich kotzen.“
„Ach Quatsch.“ Talon lächelte ihr aufmunternd zu.
Lampenfieber. Ausgerechnet Maron Tachikawa. Selbstbewusste Prinzessin, die schon auf so manchen Partys mit Mezzosopran und Gitarre die komplette Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
„Natürlich kannst du das. Ich glaube ganz fest an dich. Du brauchst keine Angst haben. Ich bin doch da.“
Maron stieß zittrig die Luft aus. Sah ihn aber an. Und nickte dann. „Dankeschön… Und was soll auch schon passieren? Mehr als schiefgehen kann es ja nicht.“
„Genau“, pflichtete Talon, Positivdenkmensch aus Leidenschaft, ihr eifrig bei. „Und jetzt gehst du da raus, auf die Bühne, und zeigst denen, dass Maron die tollste Sängerin des ganzen Universums ist!“
Ohne dich ist da nur Stille
ohne dich stirbt meine Stimme
ohne dich zittern vor Kälte
die Träume aus jedem Lied
„Ich hasse dich, Talon!“
Porzellan flog auf ihn zu, zerschellte an der Wand. Talon hatte gerade noch ausweichen können.
Zornlodernd funkelte Maron ihn an. Bebend vor Wut.
„Ich hasse dich abgrundtief!“
Sie atmete tief durch, spähte nach dem nächsten Küchenutensil, dem sie das Fliegen beibringen konnte.
„Was ist denn so schlimm daran?! Es ist nur ein Wochenende! Zwei Tage Matt, seine Gitarre und ich in London!“, fauchte Talon zurück und ging vor Marons Lieblingstasse in Deckung.
„SCHEIßE!“, fluchte Maron, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade zertrümmert hatte. Geschockt starrte sie auf die Tasse, die einmal quer in der Mitte durchgebrochen war.
Bevor Talon sie daran hindern konnte, hatte sie die Scherben angefasst und zuckte schon im nächsten Augenblick zurück. Blutig rot rann es über ihren linken Zeigefinger und tropfte auf die Fliesen.
„Lass gut sein.“ Talon kniete neben ihr und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er ihren Finger zwischen die Lippen genommen.
Mit Tränen in den Augen starrte sie ihn an.
Talon zuckte die Schultern, lächelte schief.
„Du verdammter Idiot“, schluchzte Maron. „Ich hasse dich so sehr, dass ich gar nicht aufhören kann, dich zu lieben.“
Denn wenn du nicht da bist,
wer heilt mich dann
von meiner Einsamkeit
denn ohne deine Stimme
werde ich mich nicht heilen können,
heute möchte ich singen
„Nein…“
Maron wich zurück. Sie wollte jetzt nicht berührt werden. Sie wollte es jetzt nicht hören. Sie wollte niemanden sehen, mit niemandem reden. Nicht einmal denken.
„Das ist nicht wahr“, stieß sie aus. „Das ist eine verdammte gemeine Lüge!“
„Ich wünschte, es wäre so.“ Matts Stimme klang brüchig. Seine tiefblauen Augen suchten Marons Blick. Aber Maron sah stur weg. Hoch zum Himmel, wo sich dichte Wolken türmten und vor die Sommersonne schoben. Ganz so, als wollten sie ihr spotten.
„Wann?“, keuchte Maron und richtete den Blick nun doch auf Talons besten Freund seit immer und für alle Ewigkeiten.
Matt biss sich auf die Lippen. Kämpfte um Beherrschung. Schüttelte dann den Kopf.
„SAG MIR WANN!!!“, keifte Maron hysterisch. Obwohl sie die Antwort längst wusste.
„Heute Morgen…“, brachte Matt hervor. Sein Blick sank gen Boden. Als ob da all die Antworten für die Fragen herumlagen, die ihn seitdem so quälten.
„Heute Morgen“, wiederholte Maron. Brach dann in lautes Lachen aus. Verstört wich Matt vor ihr zurück.
Maron riss den Kopf in den Nacken. Mittlerweile schüttelte sie sich am ganzen Körper. Sie konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
Und dann, dann endlich kamen die Tränen.
Heute Morgen hatte sie sich an der U-Bahn-Station von Talon verabschiedet. Er hatte das Wochenende bei ihr verbracht, und sie wollten sich am Nachmittag mit dem Rest der Rasselbande treffen, die sich ihre Freunde schimpften.
Maron hatte der U-Bahn nachgeblickt, bis sie im Tunnel verschwunden war. Und dann war sie nach Hause gegangen. Und dann hatte irgendwann Matt geklingelt und sie gefragt, ob sie gerade die Nachrichten gucken würde.
Überrascht hatte Maron Nein gesagt.
„Dann tu es auch nicht“, hatte Matt gesagt.
„Was meinst du damit? Wieso soll ich das nicht tun?“, hatte Maron wissen wollen. Und dann hatte Matt es ihr stockend gesagt.
Die U-Bahn war im Tunnel entgleist. Zehn Menschen hatte der Unfall das Leben gekostet. Und einer von ihnen war Talon.
Seitdem du nicht mehr da bist
werden die Minuten zu Stunden
die Niederlage pfeift ein Lied
Alles schläft, seitdem. Ihre Erinnerungen. Ihr Lächeln. Ihre Lebensfreude.
Das Publikum ist leer.
Sie sitzt allein auf der Bühne, die Gitarre auf dem Schoß. Ihr Gesang verhallt ungehört.
Sag mir, wo du bist
ich brauche deine Hände
die meine Ängste zum Klatschen bringen
Danach war alles nur noch grau.
Die Leere in ihr.
Die Fotos von Talon an der Wand.
Der Liebesbrief, den er ihr aus Jux und Dollerei am Valentinstag geschickt hatte.
Zwei Jahre waren sie ein Paar gewesen. Zwei Jahre waren ihnen vergönnt gewesen.
Maron wusste nicht mehr, wann Matt endlich gegangen war. Oder wie sie es geschafft hatte, ihre beste Freundin am Telefon davon zu überzeugen, dass sie wirklich mit niemandem reden wollte.
Sie hasste die mitleidigen Blicke der Anderen. Das mitfühlende Lächeln, mit dem sie Maron in die Arme schlossen. Die gutgemeinten Aufmunterungsversuche.
Maron wollte nie wieder lachen. Nie wieder glücklich sein. Ihre Welt war grau, und genauso wollte Maron sie haben. Grau und trist und trostlos.
Jede Nacht vermute ich dich hier
mir deinen Blick schenkend
mich umarmend mit Armen aus Licht
dein Lächeln war mein Kopfkissen
„Wenn wir unseren Schulabschluss haben“, hatte Talon irgendwann an einem verregneten Nachmittag im Herbst gesagt, „dann fliegen wir in die USA. Was hältst du davon?“
Begeisterung war gar nichts gewesen im Vergleich zu dem, was Maron gejubelt hatte.
„Dann werden wir so viel Eis mit Marshmallows essen, bis uns schlecht ist. Und über den Hollywoodboulevard schlendern. Und auf die Statue of Liberty klettern! Und irgendwo in Texas auf einer Rinderranch wohnen.“
Sie war gar nicht mehr zu bremsen gewesen. Auf ihrem Bett liegend, die Füße gegen die Wand gestemmt, hatte Talon zu ihr gesehen. Maron hatte auf dem Boden vor ihm gehockt, einen aufgeschlagenen Atlas vor sich, und seinen Blick strahlend erwidert.
Damals waren sie gerade drei Wochen zusammen gewesen. Der Schulabschluss schien noch Ewigkeiten entfernt… aber das hielt keinen von beiden davon ab, trotzdem zu träumen.
Sag den Sternen,
jetzt wo du Ewigkeit bist,
dass ich dir einen schönen Platz suche
einen schönen Ort
Eine Woche nach ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staten hatte Talon sie nach ihrer Messenger-Adresse gefragt. Maron war damals gerade 14 geworden und er 15.
Ohne zu zögern hatte Maron sie ihm gegeben. Klar, warum auch nicht? Schließlich waren sie Freunde. Auch wenn sie sich fast drei Jahre lang nicht gesehen hatten.
Maron hatte sich anfangs nicht einmal über das Kribbeln in ihrem Innersten gewundert, das aufblühte, kaum dass Talon ihr schrieb. Bis es immer wärmer, immer tiefer wurde. Irgendwann hatte Maron kaum abwarten können, dass er online war. Und ewiglange über Antworten nachgedacht.
Sie hatten nächtelang gechattet.
Emails geschrieben, wenn einer gerade nicht online war.
Handynummern ausgetauscht.
Am 09. Oktober hatte Talon ihr eine SMS geschickt, ob sie spontan Lust auf Kino hätte, Matt hätte kurzfristig abgesagt und Talon deswegen eine Kinokarte übrig.
Maron hatte nicht lange darüber nachdenken müssen.
Der Abend hatte mit ihrem ersten Kuss geendet.
Seitdem waren sie unzertrennlich.
ich muss dich hören
deine Stimme darf niemals aus meinem Sein verblassen
Nacht für Nacht malt sich seine Silhouette vor ihrem tränenverschleierten Blick ab.
Nacht für Nacht kann sie seine Stimme hören. Wie sie ihren Namen sagt. Ihr langsam über die Haut streichelt. Gänsehaut in ihr auslöst.
Nacht für Nacht sehnt sie sich nach ihm. Quälend. Verzehrend.
Schlafen? Unmöglich.
Das Gefühl, ihn zu vermissen, ist unerträglich.
Ohne dich wird es nur Stille geben
ohne dich stirbt meine Stimme
ohne dich zittern vor Kälte
die Träume aus jedem Lied
Ihre Hand zupft sanft über die Saiten der Akustikgitarre.
Talon hatte ihr jedes Mal begeistert zugehört. Ab und an sogar krumm und schief mitgekräht und Maron damit ungewollt zum Lachen gebracht.
Sie hatten sich leidenschaftlich gestritten und leidenschaftlich versöhnt.
Sie waren zusammen durch finstere Zeiten gegangen. Aber das hatte sie nur noch tiefer zueinander gebracht.
Talon war Marons Schutzwall. Derjenige, der sie auffing, wenn alles andere um sie herum zerbrach. Das Licht in ihrer Finsternis.
Mit ihm konnte sie nie traurig sein. Er heilte ihre Einsamkeit und verschloss die Narben tiefer Wunden in ihrer Seele.
Ohne ihn gibt es nichts, das Maron in dieser Welt hält.
Denn wenn du nicht bist,
wer wird mich dann heilen
von meiner Einsamkeit?
Denn ohne deine Stimme
kann ich keinem Engel zuhören, der singt
Langsam lässt Maron die Gitarre zu Boden sinken. Schaut auf in das Publikum aus leeren Reihen.
»Lieben Dank, dass ihr mir heute Nacht zugehört habt.«
Maron richtet sich auf und verneigt sich.
Sieht dann mit schwerem Blick auf die Gitarre.
Morgen Abend ist es so weit. Dann wird sie vor richtigem Publikum spielen. Es war immer ihr Traum gewesen, Sängerin zu sein. Nach ihrem Schulabschluss hat sie professionellen Gesangsunterricht genommen und sich zur Sängerin ausbilden lassen. Seit einem halben Jahr tourt sie mit ihrer Band quer durchs Land.
Manchmal wundern sich ihre Bandmitglieder über ihre schräge Macke, die Nacht vor jedem Konzert allein auf der Bühne verbringen zu wollen.
Aber für Maron ist es ein Ritual geworden.
Vor jedem Konzert singt sie nur für Talon.
Weil es sich dann jedes Mal so anfühlt, als würde er da irgendwo in der ersten Reihe hocken und ihr verschmitzt zuhören.
ENDE.
Dankeschön fürs Lesen.