Zum Glück war zwischen den Jahren nicht so viel Verkehr in der Stadt, deshalb hatte Roxy noch ausreichend Zeit zum Packen. Und so kamen sie auch noch rechtzeitig auf dem Bahnsteig an — sogar noch bevor der ICE einfuhr.
Nach dem überstürzten Aufbruch und dem ständigen Blick auf der Uhr fiel jetzt die Hektik von Marion ab. Und ihr wurde plötzlich klar, dass ihre geliebte Roxy schon in ein paar Minuten im Zug sitzen würde. Und Marion allein auf dem kalten Bahnsteig zurückblieb. Oh Gott, sie könnte jetzt schon heulen!
Um das Gefühl der aufkommenden Leere zu bekämpfen, stellte sie sich ihrer jungen Geliebten gegenüber, nahm auch ihre zweite Hand und schaute sie sehnsuchtsvoll an.
„Schreibst du mir, wenn du gut im Hotel angekommen bist, Liebes?“
„Spätestens“ antwortet Roxy knapp, aber einfühlsam.
„Und wann geht die Veranstaltung heute Abend los?“
„Um Sechs ist Saalöffnung mit Stehempfang. Das große Blabla beginnt um Sieben.“
„Blabla? Bist wohl nicht so die große Kunstliebhaberin, was?“
„Och, wie man’s nimmt. Die Reden sind halt meistens saulangweilig.“
„Und was machst du dann noch so lang, bis es losgeht?“
„Was heißt da noch so lang? Hab volles Programm: Einchecken, Schminken, Umziehn, Einweisung…“
„Einweisung?“ unterbrach Marion neugierig.
„Klar. Wir müssen ja wissen, um was es geht. Und wer so alles kommt. Bei wem man welche Themen umschiffen muss und so. Du kannst da nicht einfach aufkreuzen und dumm rumlabern“ grinste Roxy ihre ahnungslose Geliebte leicht oberlehrerhaft an.
Marion wollte noch etwas entgegnen, aber dann fuhr der Zug ein. Und jetzt brachen die Tränen doch aus ihr raus.
„Och Mari-Schatzi, nicht weinen.“ Roxy wischte ihrer Geliebten eine Kullerträne von der Wange. „Ich bin doch Morgen Mittag schon wieder zurück.“
Marion rang sich ein Lächeln ab und meinte sich mutmachend:
„Das will ich hoffen, kleines Fräulein! Ich hol dich dann wieder hier ab. Wann kommst du denn?“
„Planmäßig um 11:22 Uhr. Also so zwischen Eins und halb Zwei.“
Als ihre Geliebte nur fragend schaute, meinte sie: „War ’n Scherz. Will nur sagen, dass du nicht überpünktlich sein brauchst. Die Bahn isses auch nie.“
„Gut, weil 11:22 Uhr könnte knapp werden. Ich gucke, dass mein Termin wegen des Vorstandspostens nicht so lange geht.“
„Ach ja! Dein Termin ist auf jeden Fall wichtiger. Wann geht’s denn los?“
„Um Elf.“
„Und dann willst du ernsthaft schon um halb zwölf hier sein?“
„Wieso nicht? Ich will’s kurz machen. Ich geh hin und sag einfach, dass ich den Job mache.“
„Aber willst du denn nicht noch verhandeln?“
„Nö, was denn?“
„Na Kohle. Einfluss…“ Roxy grinste schief „… ne heiße Vorzimmerschnecke…“
Marion gluckste auf. „Hab ich doch schon alles!“
„Ne heiße Vorzimmerschnecke? Echt?“ fragte Roxy gespielt interessiert.
„Nee…“ Marion nahm ihre Freundin ganz fest in den Arm, flüsterte ihr liebevoll „… aber nen megaheißen Betthasen…“ ins Ohr und schaute sie verliebt an.
Roxy strahlte sie an, und dann bekam ihr Blick wieder diesen unnachahmlich frechen Ausdruck. Sie hielt ihren Mund eng an Marions Ohr und flüsterte: „Stimmt, Mari-Baby. Und wenn ich dann zurück bin, darfst du dein Häschen stundenlang durchrammeln, hm?“
„Au ja!“ freute sich Marion, nachdem ihr zunächst wieder das Blut in den Kopf geschossen war, aber Roxy sie so unschuldig angelächelt hatte, als ob sie über das Wetter gesprochen hätten.
„Du, ich muss jetzt aber los, sonst fährt der Zug noch ohne mich ab“ sagte Roxy schnell und fiel Marion nochmal in die Arme, um sie ganz fest zu drücken.
„Roxy-Schatz. Ich hab dich so wahnsinnig lieb“ flüsterte Marion überwältigt vor Abschiedsschmerz. „Pass auf dich auf, Liebes“. Jetzt kullerten ihr wieder die Tränen.
„Ich lieb dich noch wahnsinniger, Mari-Schatz. Pass auch auf dich auf“ flüsterte sie liebevoll, aber gefasst zurück, und löste sich, um ihren Trolli zu nehmen.
Marion war beeindruckt, wie cool die Kleine mit der Situation umging. Deshalb nahm sie sich ein Beispiel, wischte sich die Tränen von den Wangen und fasste mit beiden Händen Roxys hübschen Kopf.
„Komm Roxy-Schatz, lass dich nochmal knutschen.“
Sie wollte ihr eigentlich nur einen dicken Kuss auf den Mund geben, zumal der ältere Kerl neben ihnen ohnehin schon so neugierig rüber geglotzt hatte. Aber Roxy konnte ihre Zunge natürlich wieder mal nicht bei sich behalten. Und Marion ihr einmal mehr nicht widerstehen.
Und so verabschiedeten sich das Traumpaar mit einem intensiven Zungenkuss voneinander. Mitten auf dem Bahnsteig. Was beiden aber völlig wurscht war, bis dann leider die Durchsage zum Einsteigen kam.
Als sie sich wieder voneinander lösten, bemerkte Marion, dass der Kerl jetzt richtig penetrant rüber starrte. Also funkelte sie ihn böse an. Auch Roxy hatte es mitbekommen und konnte ihre freche Klappe nicht halten.
„Brauchst gar nicht so zu glotzen. Kommst eh nicht an die Reihe.“
Der Gaffer wurde knallrot und drehte sich beschämt weg. Die Freundinnen mussten auflachen, hielten sich aber mit einem letzten Anflug von Respekt die Hand vor den Mund.
„Also tschüss, Mari-Schatzi. Ich melde mich“ sagte Roxy, drückte nochmal Marions Hand und rannte dann durch die Zugtüren. Gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf schlossen sie schon.
Marion ging ihr hinterher und schaute angestrengt durch die verspiegelten Fenster. Konnte ihre Süße aber leider nirgends erkennen. Deshalb winkte sie einfach aufs Geradewohl, als der Zug ausfuhr.
Jetzt stand sie da, auf dem zugigen Bahnsteig und fühlte sich unendlich leer und traurig. Am liebsten hätte sie geheult, aber die Blöße wollte sie sich dann doch nicht geben. Mit hängendem Kopf schlich sie zur Bahnhofshalle, ganz in Gedanken an ihren süßen Wirbelwind, der ihr jetzt schon so wahnsinnig fehlte.
Da vibrierte es in ihrer Hosentasche. Das Smartphone. Stirnrunzelnd holte sie es heraus. Drauf war schon eine Nachricht von ihrer Kleinen. „Ich vermisse dich! Trauersmiley Knutschsmiley“. Sofort wurde Marion wieder etwas heller zumute.
„Ich dich noch mehr. Knutschsmiley. Hast du einen schönen Platz gefunden? Bussismiley“
„Geht so. Aber ist ja nur für 90 Minuten. Schulterzucksmiliey Was hast du jetzt so vor?“ kam es nach wenigen Sekunden schon zurück. Marion war erstarrt vor Ehrfurcht, wie die Kleine so schnell und fehlerfrei schreiben konnte. Und sie musste überlegen, was sie antworten sollte. Sie hatte sich vorgenommen, sexy Unterwäsche shoppen zu gehen. Aber das wollte sie ihr natürlich nicht auf die Nase binden, sondern sie morgen Abend damit überraschen.
„Ich fahr jetzt heim und stürze mich in Arbeit Mundwinkel-nach-unten-Smiley“
„Ja, tu das. Wird Zeit, dass du deinen Saustall endlich mal aufräumst, Miss Piggy 3 x Zwinkersmiley“
„Hallo? Ordnung ist das halbe Leben! Zwinkersmiley Lachsmiley“
„Jawohl, Frau Dr. Spießburger! Wachsoldat-Smiley Zwinkersmiley“
„Freches Aas Lachsmiliey Komm du mir mal nach Hause! Zwinkersmiley“. Beim Absenden fiel ihr ein, dass sie Roxy immer noch keinen Hausschlüssel gegeben hatte. Sie nahm es sich deshalb fest als Wiedersehensgeschenk vor.
„Mach ich! Ganz bestimmt! 3 x Bussi-Smiley 3 x Umarmsmiley“
Marion freute sich über die liebe Aussage und schickte ihr drei Freusmileys und einen Knutschsmiley. Prompt kam ein Knutsch-Smiley und ein Winke-Smiley zurück.
Marion nahm das als vorläufiges Ende des Chats und steckte das Smartphone wieder in die Tasche. Und war schon gar nicht mehr so betrübt. Sie erklärte den Messengerdienst jetzt endgültig zu einer Top-Innovation der letzten Jahrzehnte und nahm sich fest vor, ihre Roxy anzuschreiben, wann immer sie sich einsam fühlte.
Sie ließ ihren Mercedes in der Tiefgarage stehen und ging direkt in die Innenstadt. Durch die Haupteinkaufsstraße, aber vorbei an den großen Kaufhäusern. Dort gab es zwar auch große Wäscheabteilungen. Aber diese waren ihr zu unfamiliär. Zumal sie wahrscheinlich Beratung nötig hatte, nachdem ihr Dessousmodel Roxy nicht dabei war.
Also ging sie in eine weniger belebte Seitenstraße, in der sie ein Wäschegeschäft kannte. Nicht von innen, denn bisher hatte sie noch nicht wirklich einen Grund gehabt, dort zu stöbern oder gar zu kaufen. Aber sie hatte schon öfters mal einen Blick auf die Auslage geworfen. Und fand es teils recht aufregend.
Auch heute guckte sie zunächst interessiert in das Schaufenster. Neben gewöhnlicher Unterwäsche war auch ein aufregendes, schwarzes Set aus Spitzen-BH, Slip, Corsage und Strümpfen ausgestellt. So ähnlich, wie Roxy es neulich getragen hatte. Daneben lagen mehr oder weniger knappe und Aufmerksamkeit erregend bunte Höschen.
Mit leichtem Herzklopfen trat sie durch die Türe und war im ersten Moment überrascht, wie groß der Laden war. Entsprechend irritiert musste sie sich erst einmal orientieren. Sie wurde auf den ersten Blick aber nicht fündig, wo sie ihr Stöbern beginnen sollte. Hier herrschten eher weiße und hautfarbene Stoffe vor. Davon hatte sie schon Genügend.
Eine Verkäuferin hatte sie schon bemerkt und kam auf Sie zu. ‚Typisch‘ dachte sich Marion. Im Baumarkt findest du nie jemand vom Personal, aber wenn du dich erst mal nur umsehen willst, dann stehen sie gleich Schlange…
„Guten Tag, kann ich Ihnen weiterhelfen?“ fragte die ältere, aber modisch gepflegte Dame freundlich reserviert und musterte ihre Kundin von oben bis unten. In anderem Zusammenhang hätte sie diese kritische Inaugenscheinnahme übergriffig empfunden. Im Falle der Verkäuferin führte sie das Verhalten aber darauf zurück, dass sie einen Eindruck von Marions Statur benötigte, um richtig beraten zu können. Allerdings zweifelte Marion stark daran, ob diese nette Dame sie wirklich darin beraten konnte, mit welcher Wäsche man blutjunge, am ganzen Körper tätowierte und gepiercte Frauen verführen konnte.
„Äh ja, guten Tag“ gab Marion entsprechend reserviert zurück, „… ich suche Unterwäsche…“.
„Natürlich“ antwortete die Dame jetzt noch ein wenig zurückhaltender, während Marion gleich bewusstwurde, wie blöd ihre Antwort war. Was sonst sollte sie hier denn kaufen wollen? Sie wollte sich entschuldigen, aber die Verkäuferin lächelte nur mild und versuchte fragend zu helfen:
„Suchen Sie also eher etwas Bequemes, Praktisches für den Alltag?“
Marion dachte jetzt zunächst an den Ersatz für ihre Liebestöter, also schon robuste, pflegeleichte Wäsche, aber eben knapper, lebhafter, verspielter. „Ja, das wäre erst mal am wichtigsten…“ gab sie nachdenklich unter leichtem Nicken zurück.
„Wenn Sie mir dann bitte folgen wollen…“
Die Dame, sie durfte schon Mitte Sechzig sein, führte sie einen Bereich weiter hinten im Laden. Intuitiv kam ihr der Gedanke, es könnte sich um die Inhaberin selbst handeln. Zumindest würde frau sich doch sonst im Alter einen eher gesetzteren Job suchen.
„Haben Sie schon eine bestimmte Marke oder Passform im Kopf?“ frage die Verkäuferin freundlich reserviert weiter.
„Nein, überhaupt nicht. Ehrlich gesagt würde ich mich gerne erst einmal umschauen.“
„Selbstverständlich. Wenn Sie das Passende gefunden haben, oder Fragen haben, melden Sie sich einfach. Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung“ sprach sie und zog sich höflich, aber noch reservierter zurück.
„Vielen Dank!“ entgegnete Marion erleichtert und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die ausliegende Ware.
Eigentlich hatte sie eher Ständer mit Kleiderbügeln erwartet, so dass man die Wäsche wie bei der Oberbekleidung auch herunternehmen und anprobieren, oder zumindest vorhalten konnte, um sich damit im Spiegel zu betrachten. Hier gab es aber hauptsächlich Regale, die mit aufeinandergestapelten Verpackungen gefüllt waren. 5 Slips, weiß, Baumwolle; BH weiß verstärkt…
Marion nahm sich ein Slipset und betrachtete die Ware unter der Klarsichtfolie. Liebestöter. Kein bisschen aufregender als ihre bisherigen. Und wahrscheinlich sogar noch in schlechterer Qualität. Bei den BHs kein anderes Bild. Von Spitze, Rüschen oder frechen Schleifen keine Spur. Von Korsagen und Strapsgürteln noch weniger. Also hier war sie definitiv falsch.
Sie trat suchend um die nächste Regalreihe. Dort gab es zwar die erwarteten Stücke auf Kleiderbügeln. Allerdings hautfarbene Mieder in doch sehr üppig ausfallenden Größen. Also in der Richtung ging es wahrscheinlich schnurstracks auf die Sanitätsabteilung zu, dachte sich Marion sarkastisch und machte schnell eine Kehrtwende.
In der anderen Richtung wurde es zwar sportlicher, aber eben auch noch praktischer. Sportunterwäsche hatte sie schon reichlich. Irgendwie kam sie nicht weiter und beschloss, die Verkäuferin etwas detaillierter anzusprechen. Allerdings wollte sie dabei die Begriffe „Korsage“ und „Strapse“ vermeiden, denn das würde die ältere Dame wohl mit der eben erkundeten Miederabteilung assoziieren.
„Entschuldigen Sie, ich glaube, wir haben da aneinander vorbeigesprochen. Die Wäsche dort ist mir dann doch viel zu bequem und praktisch“ sprach sie die Verkäuferin an, die sie sofort professionell und aufmerksam anlächelte. „Sie haben doch sicher auch etwas… Verführerischeres?“
„Natürlich. Dachten Sie eher an Panties, High-Cuts, Tangas? Oder Bodys?“
Die direkte Frage überraschte und überforderte Marion gleichermaßen. Sie konnte sich nur unter dem Begriff Tanga etwas Konkretes vorstellen. Allerdings nicht unbedingt etwas Bequemes für den Alltag. Entsprechend verunsichert gab sie zurück:
„Ähm, ich weiß nicht… wie bezeichnet sich denn das schwarze Set, dass Sie im Schaufenster ausgestellt haben?“
„Sie meinen den Body-Stocking?“ Wieder musterte die Dame sie von Kopf bis Fuß. Und diesmal hatte Marion den Eindruck, es war eher abschätzend.
„Ja, ich nehme an. Etwas in der Art suche ich.“
„Nun, das ist ja jetzt nicht gerade alltagstauglich und pflegeleicht.“ Sie schaute jetzt oberlehrerhaft. „Und nicht ganz günstig.“
In Marion kochte jetzt Ärger hoch, denn sie hatte ein Deja-Vu. So erging es ihr schon, als sie ihren Mercedes kaufte. Glaubte denn alle Welt, nur weil man nicht ständig in Designerklamotten rumläuft, könne man sich nicht auch mal etwas Exklusiveres leisten?!
„Hören Sie…“ setzte Marion verärgert an, der versnobten Dame einen Vortrag zu halten, hatte dann aber eine Art plötzliche Eingebung, weshalb es hier vielleicht doch eher ein Missverständnis sein könnte. Deshalb fuhr sie etwas versöhnlicher, aber bestimmt fort:
„… ich weiß, ich mache nicht den Eindruck, als ob ich großen Wert auf ein attraktives Äußeres legen würde. Aber das täuscht. Ich war heute nur sehr spät dran. Und für exklusive Wäsche hatte ich bisher noch keine Verwendung, wenn Sie verstehen, was ich meine. Also der Preis spielt keine Rolle.“
Tatsächlich hatte sie wegen des überstürzten Aufbruchs, um Roxy noch rechtzeitig zum Bahnhof zu bringen, nur schnell die nächstbesten Klamotten geschnappt und auf jegliche Schminke verzichtet. Aber vielleicht war auch allein der letzte Satz ausschlaggebend, jedenfalls schien es geholfen zu haben. Die Dame machte ein erschrockenes und ehrlich wirkendes Gesicht.
„Oh, entschuldigen Sie. Das tut mir schrecklich leid, dass wir aneinander vorbeigesprochen haben. Sie benötigen also erst einmal eine Beratung?“
Noch zögerte Marion, unumwunden zuzustimmen. Sie konnte sich nach wie vor nicht vorstellen, dass diese Frau Roxys Geschmack auch nur annähernd einschätzen konnte.
„Wahrscheinlich haben Sie recht…“ nickte sie dann etwas unschlüssig.
„Und hatten dabei wahrscheinlich an eine jüngere Kollegin gedacht?“
Jetzt fühlte sich Marion ertappt und nickte verlegen. „Aber das ist jetzt nicht persönlich gemeint…“ gab sie entschuldigend hinterher, doch die Dame lächelte nur wissend, und beugte sich etwas zu Marion, um ihr unter vorgehaltener Hand zuzuflüstern:
„Wissen Sie, ich frage selbst auch immer meine jungen Kolleginnen, die sind da so viel aufgeschlossener als meine Generation.“
Sie nahm die Hand wieder herunter und fragte in normalem Ton:
„Wieviel Zeit haben Sie denn mitgebracht?“
Marion war über die Entwicklung der Dinge erfreut und jetzt doch hochmotiviert, sich reichlich mit Dessous für ihre Roxy einzudecken.
„Alle Zeit der Welt. Wann schließen Sie denn?“ gab sie augenzwinkernd zurück.
„Wir schließen erst, wenn Sie zufrieden sind“ kam es jedoch sehr ernst und professionell zurück.
„Oh, das ist nett von Ihnen. Aber ich denke nicht, dass es nötig wird, Ihren Feierabend für mich zu opfern. Das wäre mir nicht recht.“
„Sie nehmen sich einfach die Zeit, die Sie brauchen Frau…“
„Zimmermann“
„…Frau Zimmermann. Ich frage gleich nach, welches der Mädchen gerade frei ist. Darf ich Ihnen so lange den Mantel abnehmen und etwas zu trinken anbieten?“
Minuten später saß Marion in einem bequemen Sessel, der zu einer Sitzgruppe noch weiter hinten im Laden gehörte. Auf dem Tisch stand ein Glas kühles Mineralwasser, von dem sie gleich ein paar reichliche Schlucke genommen hatte, während sie die ältere Dame beim Telefonieren beobachtete. Sie würden doch jetzt hoffentlich nicht nur wegen ihr eine Verkäuferin von zuhause oder einer anderen Filiale anfordern…
Die Bedenken zerschlugen sich, als sie keine Minute später das Klacken hoher Absätze hörte. Sie drehte sich in die Richtung, aus der es kam und sah eine hübsche junge Frau in kurzem Rock und gewagten Dekolletee auf sie zukommen.
„Frau Zimmermann?“ kam sie mit offenem Lächeln und ausgestreckter Hand auf sie zu. Marion sprang auf und ergriff ihre Hand.
„Hallo, mein Name ist Alessia.“ Ihr Händegriff war zurückhaltend, aber selbstbewusst. „Ich darf Sie bei der Suche nach den passenden Dessous unterstützen?“
„Gern“ gab Marion zurück, während sie die angenehm warme Hand noch einen Moment lang hielt und die attraktive Erscheinung musterte. Sie war bestimmt nicht viel älter als 25 und etwa gleich groß wie Marion. Dunkles langes Haar und dunklerer Teint, welcher jedoch auch von üppigem Make-Up herrühren konnte. Sie war auch sonst recht stark geschminkt, fast wie die Verkäuferinnen in den Kosmetikabteilungen, die ihre Produkte quasi an sich selbst anboten. Marion ertappte sich folgerichtig bei dem aufregenden Gedanken, dass Alessia jetzt auch ein Teil ihrer exklusiven Ware drunter tragen könnte. Was da am unteren Ende des aufregenden Dekolletees herausblitzte sah zumindest sehr verdächtig danach aus.
„Kommen Sie, wir setzten uns nochmal einen Moment.“ Sie nahm Marion gegenüber Platz, schlug ihre hübschen Beine übereinander und streifte ihren Rock zurecht. Marion setzte sich auch wieder, überrascht, dass es nicht gleich in die Praxis überging. Aber durchaus neugierig auf was da kommen sollte.
Alessia schien die leichte Irritation wahrzunehmen und setzte gleich zur Erklärung an:
„Ich würde Ihnen zunächst gerne etwas über unsere Angebotspalette erzählen. Und dann ein paar Fragen stellen, damit ich in meinen Vorschlägen ganz individuell auf Sie eingehen kann.“
Sie formulierte dies zwar nicht als Frage, aber Marion fühlte sich trotzdem aufgefordert, zuzustimmen.
Die hübsche Verkäuferin nahm jetzt eine Art Katalog vom Beistelltisch und legte ihn aufgeschlagen und für Marion gut sichtbar auf den Tisch zwischen Ihnen. Interessiert betrachtete sie die Fotos, die unterschiedlichste aufregende Wäsche an schlanken, nicht minder aufregenden Models zeigten.
„Frau Krüger sagte mir, Sie haben bisher noch keine Erfahrung mit Dessous beziehungsweise Reizwäsche?“
„Äh, nicht wirklich.“ Dabei setzte sie voraus, es gehe ausschließlich um Erfahrungen mit Dessous an ihrem eigenen Körper…
„Sehen Sie, ich ziehe da immer einen Vergleich mit Oberkleidung und Schuhen. Da stehen Zweck und Optik allermeist gleichrangig nebeneinander. Bei Unterwäsche ist es kurioserweise genau umgekehrt. Streng genommen erfüllt Unterwäsche den alleinigen Zweck, die Oberkleidung zu schonen, und dabei eben gerade nicht gesehen zu werden. In diesem Sinne sind Dessous eigentlich gar nichts für untendrunter. Deren Hauptzweck ist die Optik. Können Sie soweit folgen?“