Lena besah die Prozedur mit Unbehagen. Nackt wie sie war, wurde ihre Freundin Lila in den Kellerraum geführt, um den atriumsartig sich die leeren Sitzränge gruppierten, die vollkommen im Dunkeln lagen. Sein Boden lag voller Staub oder Asche und sofort färbten sich Lilas Fußsohlen tiefbraun und die Spuren ihrer Füße führten von der Eisentür, die Lena an ein Parkhaus erinnerte, unter ein Gespärre aus zwei schwer beringten Eisenketten, die an einem frei schwebenden Rundbalken baumelten. Lila durfte selber gehen; sie ging mit Stolz, etwas zu viel Stolz, fand Lena, für das, was hier gewöhnlich aus aufrechten, emanzipierten und schönen Menschen gemacht wurde. Denn schön war sie allemal. Schlank, aber voll.
Der Typ, ein in finstere lumpige Pullover gehüllter dicklicher Kerl, über dessen Bart eine alberne Zorromaske klebte, und der enigmatisch mit verschlossenen Händen hinterdreinstiefelte, hatte diese Schönheit nicht verdient. Lena sollte das wissen, fand sie, immerhin war es ihre Lila, die sie sich verdient hatte, vielleicht durch ihre eigene mickrige Schönheit, hoffentlich durch mehr. Die sich nun, mit zitterndem, aber immer noch grinsendem Mundwinkel, von ihm — sollte er doch Pornos gucken! — nackt wie sie war, die angeblich wehrlosen Handgelenke (Lena kannte diese Handgelenke alles andere als wehrlos) in zwei dicke rostige Schellen schnallen ließ, welche ihre Person derart vollständig entblößt an der Decke festzurrten.
Lila war nun jeder Fähigkeit entledigt, ihren Körper zu schützen. An der Mauerwand warteten Peitschen und Stöcke in Gestellen aufgereiht. An der rückwärtigen Wand schwamm außerdem ein ganzer Schwarm Dildos in allen Größen, Längen und Oberflächenbeschaffenheiten (von gerillt bis Stahlnieten) wie schwarze Wale über die Backsteinfugen. Lena selbst würde in diesen schwarzen gepolsterten Sessel verbannt sein. Wahrscheinlich fassten sich die Leute, die bei sowas zuschauten, an. Sie schüttelte sich.
Lila stand noch mit dem Gesicht zu ihr. Lena sah ihre Augen erwartungsvoll glänzen. Ihre Freundin war geblendet von den goldenen Scheinwerfern. Vielleicht konnte sie sie im Zuschauerraum ja gar nicht sehen. Sie drehte ihren Kopf jedenfalls gleich dem Kerl zu, der mittlerweile einige Peitschen aus dem Gestell ausgesucht hatte und sie wie ein Reisigbündel mitbrachte. Er ging schleppenden Schrittes, fast gelangweilt. Ob ihn der Anblick von Lilas Brüsten, ihrem schmalen, etwas knöchernen Gesicht, das für heute geschminkt war, ihrer leicht zausen blonden Frisur, ihren gespreizten Beinen überhaupt noch anmachte? Seine plumpe Hose ließ darüber keine Schlüsse zu.
Er ließ alle Peitschen zu ihren Füßen in den Staub fallen bis auf eine. Eine ganz dünne, fast eine Schnur nur, an einem polierten Eschenholzstab. Lila wandte sich instinktiv ab, als er sie hob, begriff aber ihren Fehler und schaute gleich der Gefahr entgegen, wie es nun einmal ihre Philosophie war. Da hob der Kerl den Stab noch höher, schwang ihn, und die Schnur flog durch die Luft. Nun kniff Lila aber erst Recht die Augen zu. Es sirrte im Saal wie von einer Biene, dann zuckte auf einmal ihr Oberschenkel auf, von einer unsichtbaren Kraft getroffen, dass Haut, Muskeln und Fett ganz in Wallung gerieten. Das Mädchen zischte. Lena zog ebenso instinktiv die Schultern zusammen, als hätte der Schlag sie selbst getroffen. Aber war sie vor diesem Eindruck schon zurückgewichen; fühlte sie sich von diesem Schlag bereits verletzt, als wäre ihre Freundin Fleisch von ihrem Fleisch, sollte ihr Herz in der nächsten Stunde noch hundert Mal splittern.
Auf den einen Schlag folgten viele. Als irgendwann Lilas erster Schrei aufbrandete in der dumpfen Halle, hatte Lena die Knie hochgezogen auf den Sitz.
Der Peiniger fing an, sie mit dickeren Peitschen zu traktieren. Der Schrei war eine hörbare Zäsur gewesen; auch für ihn, wie es schien. Vielleicht gehörte das zum Prozedere: Erst wenn das Opfer schrie, fing man an, richtig zur Sache zu gehen. Er packte sie an der Schulter, sie, deren Nacken schon runterhing; schwer sah man es unter ihren Brüsten atmen, deren Nippelchen, die ebenso schon mehrfach von einem sirrenden Faden gestreift worden waren, leicht tanzten. Aber nun wurde sie gewendet. Ihre Zehen stippten dabei über den Boden, als wäre er ein heiße Kochplatte. Ihr schwerer Atem setzte sich zwischen den Schulterblättern fort; ihre Arschbacken, die runden, hielt sie zusammengekniffen, die Muskeln verkrampft.
Nun konnte Lena die Miene ihrer Freundin nicht mehr sehen, so leidend sie auch war, was sie besonders grausam fand. Aber warum überhaupt Ansprüche stellen, wies sie sich zurecht, während ihre Freundin dort im Lampenschein die wirklichen Qualen litt? Dabei war Lila bisher im Vorspiel nur umzüngelt worden. Jetzt sollte sie geradezu in Flammen aufgehen.
Der Peiniger, mit seinen dicken, rissigen Händen, fummelte an einer sichtlich geölten Bullenpeitsche, ein kolossales Ding von mindestens Daumendicke am Schaft, welcher wie ein Knochen stilisiert war, und deren Schnur in einer nadelspitzen Schmitze auslief. Hiermit, das begriff Lena, konnte man Schmerz in jedem Ausmaß erzeugen, das einem gefiel.
Und sie hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass Lila ein sehr extravagantes Gespür für Gefallen an den Tag legte. Ihr Peiniger hatte sicher Auftrag, sie bis an ihre Grenzen zu bringen. Nur war das Problem mit Lila allzuoft: Sie kannte keine. Lena selbst wäre schon dagegen gewesen, überhaupt nur mit irgendwem den barbusigen Anblick ihrer Freundin zu teilen. Und jetzt waren sie hier.
Und der Kerl schwang die Bullenpeitsche weit aus. Diese flog im Gegensatz zu den schmaleren Modellen fast lautlos. Dafür schmatzte ihr Knall nur umso härter und lauter; und härter und lauter gellte auch Lilas Schrei durch das Studio. Lena sprang entsetzt auf, als sich ein dicker roter Striemen auf Lilas Rücken abzeichnete. Er glänzte im Scheinwerferlicht. Sie blutete! Lenas eigenes Herz raste. Ihre Freundin blutete! Aber der Kerl — er hörte nicht auf. Durfte er das? schrie es in ihren Gedanken. War das vereinbart gewesen? Sie kniff die Augen zusammen, um besser nach Lila schauen zu können. Aber der Nacken der Gefesselten hing weiterhin. Was, wenn sie bewusstlos war, und deswegen überhaupt keine Anzeichen der Verweigerung machen konnte?
Wohl völlig Unbeeindruckt von diesen Zweifeln aus dem Zuschauerraum schwang er den schweren Riemen ein zweites Mal, diesmal sogar mit einem kunstvollen Schnörkel in der Luft, und wieder ging der Riemen auf dem bloßen schönen Rücken von Lila nieder wie ein Eispickel auf den verschneiten See. Und wieder schrie sie, dass es Lena durch Mark und Bein ging, und wieder leuchtete dort ein dicker roter Striemen auf. Und von dem ersten Striemen, der etwas weiter oben hing, gefährlich nah an ihrem Nacken, rann bereits ein purpurner Blutstropfen.
Lena schmiss es fast über die Lehne ihres Vordersitzes. Dessen Kopfstütze drückte sich in ihren Bauch und nahm ihr den Atem. Ihre Gedanken kreiselten in Hilflosigkeit, weil sie nicht wusste, was verabredet gewesen war und inwiefern dies alles ihrem Willen entsprach. Nicht Lenas Willen natürlich, Lilas Willen. Lila hatte natürlich überhaupt nichts erzählt. Sie hatte die beständigen Quengeleien und Fragereien ihres »Brünettchens«, wie sie ihre Partnerin nannte, nur mit ihrem gewohnten spielerisch-verächtlichen Grinsen abgetan. Hatte an ihren Piercings gefingert, wie im Vorwurf an Lena, dass sie sich selbst keine stechen ließ.
Noch einmal schlug der Kerl einmal zu. Die Gefolterte schrie diesmal schon schwächer. Nur in der Stille danach hörte Lena auf einmal ein neues Geräusch. War das — ein Schluchzen? Weinte Lila? Da gab es für Lena kein Halten mehr. Sie stürmte durch die Sitzreihen zur Treppe, stolperte über Kabel und Lüftungsgitter. Hier, da die Stufen völlig im Dunklen lagen, musste sie ihren Laufschritt wohl oder übel verlangsamen, wenn sie sich nicht den Hals brechen wollte. Was für eine Ironie wäre das — Genickbruch im BDSM-Studio. In der Zeit, die sie brauchte, um den Weg zu bewältigen von ihrem Sitzplatz, den sie absichtlich etwas höher gewählt hatte, um dem barbarischen Tun nicht allzu nah zu sein, zum Proszenium, gingen drei weitere Schläge auf ihre Freundin nieder. Die mittlerweile hörbar und durchaus nachdrücklich schluchzte. Aber die Peitsche hielt sich wie eine Naturgewalt vom menschlichen Leid unbeeindruckt.
Lena langte an das Bühnenpodest, das sich noch in Brusthöhe über den niedrigsten Rängen erhob. Der Dominus sah oder beachtete sie nicht. Vielleicht war er Reaktionen wie die ihre gewöhnt; vielleicht nicht. Lena kümmerte die Denke hinter seiner verrohten Stirn nicht. Mit schwitzenden Fingern arbeitete sie sich an dem Podest herauf; krabbelte über die Kante wie auf einen Teppich aus Licht. Binnen Sekunden war auch ihre Jeans völlig zerschmoddert und tiefbraun von der dicken Ascheschicht, ebenso wie ihre Hände, wie es sich auch unter ihre ehedem blau lackierten Nägel grub. Und sie hatte fast noch geglaubt, sie müsste sich schick machen — für das hier.
Er, der Folterknecht, war mittlerweile auf einen Rohrstock ausgewichen; das einzige Schmerzinstrument, mit dem er Lilas Körper noch nicht traktiert hatte. Vielleicht hielt er den Stock in seiner bestimmteren Handhabung für unriskanter, jetzt wo Angehörige die Bühne störten. Lena dachte gar nicht daran, ihn irgendwie zu behelligen und duckte sich einfach an ihm vorbei.
Stattdessen stürzte sie direkt zu Lila, nutzte dabei ihren linken gespreizten Schenkel als Pol, sich um sie herumzuwerfen und ihr, zugegeben gleich unter ihrer Scham zum knieen kommend, ins Gesicht zu schauen. Lila schwitzte sichtlich, schwitzte brutal. So, dass ihr die Schweißtropfen von ihren nassen Strähnen heruntertropften; einer davon traf Lenas Knie, dann einer ihre Wange. Ihre Freundin schwitzte aus. Und blutete aus, wie sie sich erinnern musste.
Aber sie war — oh Gott, zum Glück — noch wach. Und das völlig ermattete Lächeln, dass sie aus ihrer Halsbeuge heraus zu ihrer kleinen Partnerin herunterwarf, beglückt darüber, dass plötzlich sie so fürsorglich und ängstlich unter ihr erschienen war, trotz der Gefahr, von einem Rohrstock umgehauen zu werden, ließ dessen Adressatin Lena auf ihren Po zurückplumpsen. Sie schaute hinauf, Lila schaute hinunter. Ihre Hose würde sie nie wieder sauber kriegen. Aber was war schon die Hose gegen den ehedem so makellosen Rücken ihrer Freundin? Da weinte auch Lena. Und sie weinten beide. Lila lächelnd, Lena wie ein trotziges Kind, das nicht verstand, warum ihre Mutter mit dem Steuerberater flirten musste.
Diesen Moment der Verletzlichkeit nutzte der sichtlich völlig gefühlskalte Typ, mit dem Rohrstock weiter draufzuprügeln. Schneller und Härter, direkt auf die Oberschenkel gleich unter dem Gesäß, das zusammen mit den Schenkeln munter flatterte; er schlug, als hätte er ein Pensum vollzukriegen. Vielleicht hatte er das auch. Wenn Lila es wusste, war es jedenfalls nicht mehr auf ihrem Gesicht abzulesen, das zusehends seine menschlichen Züge verlor. Sie keuchte über ihr, Sabber tropfte herab. Lena fing den Sabber mit ihrem Knie und das war alles, was sie tun konnte — und wollte. Bald fing die derart Traktierte an, nicht nur an den Oberschenkeln, sondern am ganzen Körper zu zittern. Zuerst zu zittern, dann unkontrolliert zu schlottern, dass die Ketten rasselten und der Sand unter ihren Zehen trotz seiner öligen Konsistenz aufstob.
Und wieder war für Lena hier eine Grenze gesprengt. Es war ihr egal, was in der Entsagungserklärung unterschrieben stand: Ihre Freundin wie tollwütig sabbern zu sehen, bluten, schwitzen, weinen und schlottern, weckte Urinstinkte. Instinkte der Umarmung, der Zuwendung, der Anerkennung: Du bist Mensch. Und völlig blind für den weiter prasselnden Rohrstock sprang sie ganz plötzlich auf und umarmte ihre Freundin. Das war immerhin das normalste von der Welt; so umarmte sie sie auch im Tierpark, umgeben von Kindern mit Lutschern und Ballons. Das hatte der Peiniger natürlich nicht kommen sehen. Prompt fuhr ein besonders harter Schlag auf Lenas zwischen den Wunden aufgetauchten Handrücken nieder. Sie quiekte auf wie ein gestochenes Schwein, quiekte fast mehr als Lila geschrien hatte, nur die Umarmung löste sie nicht. Um nichts in der Welt.
Die Schläge stoppten. Der Typ wusste, dass er vielleicht einen folgenschweren Fehler begangen hatte. Der auch Konsequenzen haben konnte, wenn er jetzt unfreundlich wurde, etwa indem er sie anblaffte dafür, dass sie die Bühne betreten hatte in der laufenden Flagellation. Eilig zog er sich an seine Mauer mit den Folterwerkzeugen zurück. Die Dildos glänzten im goldenen Licht über ihm.
Keine zwanzig Minuten später stand Lila wieder, zuerst abgeschnallt, dann halb in die Umkleide gestreift und dort mit von Seiten des nun nicht mehr ganz so sinistren Peinigers mit Wasser und Salbe und von Seiten Lenas vielen Streicheleinheiten versorgt, vollständig angekleidet vor ihr in der Lobby des BDSM-Studios. Hier hingen obszöne Poster — eine von oben bis unten gepiercte Rezeptionistin wandte ihnen den von schwarzer Spitze bedeckten Rücken zu und tippte auf einem piependen Kreditkartenleser.
Aber sie waren alle egal. Die Leute auf den Postern oder die Passanten, die draußen verhohlen glotzten. Das hier war überstanden. Lena küsste Lila, aber die zuckte sofort wieder mit einem scharfen Lufteinsaugen zurück. »Nicht dorthin.« hauchte sie, wieder etwas zitternd; Lena hatte wohl, indem sie sie zum Kuss auch nur an der Schulter gefasst hatte, den Ausläufer frischen Wundschorfs berührt.
»Zeig mir lieber deine Hand.« meinte sie.
Lena streckte gehorsam ihre geschundene Hand vor, die übrigens auch brutal wehtat, besonders auf den Knöcheln. Eine breiter roter Striemen, wie eine kleine Rennstrecke durch die Hügel zwischen ihren Fingern, prägte sich dort ein. Lila tastete sie behutsam ab.
Gebrochen war nichts. Nichts Augenscheinliches zumindest.
Zwei Monate später aber verließ Lena Lila. Sie suchte sich stattdessen einen Jungen, der für sie Klavier spielte und ihr Gedichte vorlas. Ihn heiratete sie später und bekam zwei Kinder, beides Töchter. Es gab noch Fotos von ihr mit Lila und ihr Ehemann mochte jenes Album nicht, das im Obergeschoss in einem unter die Dachschräge gezimmerten Eckregal stand. Schwarz mit roten Flammenlettern; es war ein Geschenk von Lilas Schwager gewesen. Lenas Mann hatte sie nun mehrfach gebeten, es in den Dachboden zu verräumen, man bedenke die Kleinen — und, was soll man sagen, er hatte Recht behalten.
Als ihre Tochter gerade fünf war, stand sie eines Tages plötzlich vor ihr in der Küche, mit dem Foto in der Hand. Das sind »Was ist das, Mami«s, die man niemals hören will. Es zeigte Lilas unbekleideten Rücken — Lila wandte den Kopf über die Schulter in die Kamera und grinste frivol — der vom Nacken bis zum Steiß mit überkreuzten weißlichen Schnüren besät war; Narben von dem Prozedere damals im BDSM-Studio, dem Lena beigewohnt hatte. Und es zeigte eine, natürlich viel jüngere, aber dennoch auch für die Kleine klar als ihre Mutter erkennbare, Lena, die, mit ebenso frecher Miene, mit der Zunge darüber leckte. Nur wer das Foto damals geschossen hatte, das hatte sie vergessen. Danach fragte ihre Tochter auch nicht.
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[© Emanuel Senden 2020; kommentiert gerne :) ]