Da es sich um eine Fortsetzungsreihe handelt, ist die Lektüre der Teile I und II zu empfehlen, will man die Entwicklung der Erzählerin nachverfolgen.

***

So, diesmal kommen Sie mir aber nicht davon, ohne dass ich etwas über Ihre ersten eigenen Erlebnisse im Ring erfahre. Vom Zuschauen haben Sie mir ja bei unseren letzten Treffen zur Genüge berichtet. Ich will jetzt endlich etwas über Sie selbst im Ring erfahren…

Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, Sie seien selbst so aufgeregt, wie ich es damals war.

Das könnte man schon so sagen… Ihre Erzählung hat mich noch lange beschäftigt. Ich kann ihre Leidenschaft für das Thaiboxen mittlerweile immer besser nachvollziehen.

Wie ich Ihnen ja schon beim letzten Mal erzählt habe, trainierte ich also wie eine Besessene. Mein ganzer Alltag wurde mittlerweile von der Arbeit einerseits und dann, in jeder Minute meiner Freizeit, vom Boxen bestimmt. Wenn ich nicht im Verlag war, dann trainierte ich. Oder ich stellte Trainings- und Ernährungspläne auf. Oder ich schaute mir immer wieder Videos meiner neuen Heldinnen an: International gibt es eine Menge Frauen im Muay Thai, viele Profis, und ich saß Stunden um Stunden glotzend vor dem Bildschirm um mir ihre Kämpfe anzuschauen. Wie gesagt, es hatte mich voll und ganz gepackt. Ich wollte so sein wie diese starken Frauen, die offensichtlich meine neue Leidenschaft teilten, die sich voll und ganz dieser einen Sache hingaben: Dem Kampf im Ring.

Manchmal studierte ich gewissenhaft ihre Techniken, sah mir immer wieder in Zeitlupe bestimmte Kombinationen aus Tritten und Schlägen an — manchmal saß ich aber auch nur sabbernd vor dem Rechner und spielte an mir herum, bis es mir schließlich heftig kam. Das hätte ich am liebsten schon damals an diesem Abend am Ring getan, von dem ich Ihnen beim ersten Treffen berichtet habe — Sie verstehen schon…

Sicher. Erzählen Sie weiter…

Ich wäre am liebsten sofort in den Ring geklettert. Von meiner Begeisterung für den Sparring habe ich Ihnen ja auch schon erzählt. Aber das befriedigte mich nicht. Das war mir alles zu kontrolliert, die Schutzausrüstung zu dick, ständig wird man vom Trainer unterbrochen. Ich wollte mich aber im freien Kampf einer Gegnerin stellen, es bis zum Ende austragen. Von mir aus kann man auch sagen: Ich wollte jemanden umhauen, wegkicken, ausknocken. Dafür trainierte ich ja schließlich so hart und unerbittlich gegen mich selbst. Aber es half alles nichts. Im Verein ist das Wort des Trainers Gesetz, und der beobachtete meine überbordende Motiviertheit eher mit Skepsis. Yannick und Tim brauchte ich da gar nicht nach ihrer Meinung zu fragen, sie stellten seine sportlichen Entscheidungen eh nie in Frage.

Diese Warterei, das muss Sie ja schon gewurmt haben.

Hat es auch. Aber wie so oft im Leben kommt es dann doch anders als man denkt, viel eher und unerwartet. Und wenn Sie sich an meiner bisherigen ungewöhnlichen Geschichte nicht gestört haben, dann wird Sie das, was jetzt kommt, wahrscheinlich auch nicht so sehr wundern…

Nun hören Sie endlich auf, mich so auf die Folter zu spannen. Was geschah?

Ich erblickte ein neues Gesicht beim Training. Sie kam aus dem Containerbüro und wirkte mit allem sehr vertraut, so, als kenne sie sich schon bestens aus. Später erfuhr ich, dass sie hier eine Zeit lang trainiert hatte. Dann war sie beruflich in einer anderen Stadt gewesen und ich hatte sie daher bisher noch nicht zu Gesicht bekommen.

So ein ausgesprochen hübsches Ding! Als sie die Kapuze ihres Hoodies zurückschlug kam ein frecher, pechschwarzer Bob zum Vorschein, der ihre hohen Wangenknochen umspielte und einen auffälligen Kontrast zu ihren blitzblauen Augen bildete. Ihre vollen Lippen spitzten sich nur ein winziges Bisschen zu einem spöttischen Ansatz von Kussmund, als sie mir in die Augen schaute: „Hallo, ich bin Tanja. Du bist also unsere kleine Pippi Langstrumpf… Ich hab‘ schon so Einiges von dir gehört.“ War das jetzt nett oder herablassend gemeint? Ich konnte mir keinen rechten Reim darauf machen. Mit dieser leicht hochnäsigen Begrüßung hatte sie einen Nerv getroffen. Ohne lange zu überlegen säuselte ich zurück: „Von dir hab ich bis jetzt noch nichts gehört. Aber trotzdem nett, dich kennen zu lernen.“ Mist! Das war jetzt eindeutig eine Provokation. Ihre Kusslippen verzogen sich zu einem Lächeln, das ich wiederum kaum einordnen konnte. „Wir werden bestimmt viel Spaß zusammen haben. Ich zieh mich dann mal um…“, war alles, was sie noch entgegnete. Und damit verschwand sie in der Umkleide. Ich stand da wie ein . Zugleich eingeschnappt, ein wenig verschämt und doch fasziniert und angezogen, glotzte ich ihr nach.

Als sie wieder auftauchte musste ich erst einmal schlucken. Ihre Erscheinung im Sportdress war einfach phänomenal. Ihre Figur war jungenhaft, aber nicht hemdsärmelig — eher so wie der David von Michelangelo, nur eben in weiblich-sexy. Definierte Muskeln zeugten von Kraft und einer Menge Training, wirkten aber nicht plump. Im weißen Sport-BH steckten zwei kugelrunde Apfeltitten und aus den weißen Muay-Thai-Shorts ragten lange, wohlgeformte Beine hervor, deren Muskelspiel erahnen ließ, dass sie ordentliche Tritte austeilen konnten. Ihre ganze Körpersprache war ein Mix aus Anmut und Selbstbewusstsein. Als wäre sie gestern erst zum letzten Training hier gewesen, schnappte sie sich ein Springseil und begann mit dem Aufwärmen.

Oh oh, ich ahne etwas. Da läuft doch was.

Stimmt. Von Anfang an war da ein gewisses Knistern zwischen uns. Es fällt mir schwer, das in Worte zu fassen. Einerseits war ich ungeheuer angezogen von ihr. Sie war genau so, wie ich mir den Idealtyp der mutigen Kämpferin vorstellte. Hübsch, sexy und trainiert bis in die letzte Faser ihres Körpers. Dazu fröhlich und selbstbewusst. Vom ersten Augenblick an wäre ich gerne ihre beste geworden, hätte gerne alles über sie erfahren. Aber das selbstbewusste, gewinnende Wesen hatte auch etwas Herablassendes. Wann immer wir uns im Gym näherkamen, ob beim Krafttraining, an den Sandsäcken oder wenn wir beim Schattenboxen nebeneinander standen — immer ließ sie mich spüren, dass ich für sie nur die übermotivierte, naive Neue war, die man nicht richtig ernst nehmen konnte. Das überdrehte Ballettmädchen.

Das ließ ich mir ein Tage lang so gefallen. Dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich nahm meinen Mut zusammen und sprach sie direkt an, als sie neben mir einen Sandsack bearbeitete. Unumwunden fragte ich sie, was eigentlich ihr Problem mit mir sei. Ihre Antwort kam prompt: „Tja, um hier akzeptiert zu werden muss man schon ein bisschen mehr bringen als sich nur vom schwarzen Krieger und dem Jüngling mit dem Eselsschwanz durchknattern zu lassen, Primaballerina.“

Das saß. Und ich konnte es natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Innerlich versetzte ich ihr einen Leberhaken. „Die Primaballerina wird dir beim Pas de Deux so dermaßen deinen hübschen Arsch versohlen, dass du die Boxhandschuhe an den Nagel hängen und mit Stricken anfangen wirst“, zischte ich grimmig zurück. „Gerne, jederzeit“, flötete sie. „Wenn du willst noch heute Abend. Nur du und ich. Hier im Ring. Isabell kann uns zur Hand gehen, wenn du nichts dagegen hast. Dann kannst du dir die Abreibung deines Lebens holen…“

„Blas dich bloß nicht so auf, wir werden schon sehen.“ Mehr fiel mir nicht ein, und schnaubend ließ ich sie stehen. Sie hatte auch gar nicht aufgehört, immer wieder eine Kombination aus Punches und Ellenbogenstößen auf den Sandsack einprasseln zu lassen.

„Lass dich bloß nicht auf so was ein“, riet Yannick mir eindringlich, als ich ihm davon erzählte. „Erstens gibt das Ärger mit dem Coach, und zweitens wird die gute Tanja Sonne und Mond aus dir herausprügeln, noch bevor du ‚Verbandskasten‘ sagen kannst. Glaub mir, sie hat schon einige Kämpfe bestritten und wesentlich mehr Erfahrung als du. Da kannst du dich noch so fit und stark fühlen. Die wartet nur darauf, dass du anbeißt… die haut dich grün und blau!“ Ich war ein bisschen enttäuscht, dass er mir meine Chancenlosigkeit so geradeheraus unter die Nase rieb, ließ mich aber zunächst einmal umstimmen.

Das klingt mir aber nicht so, als hätte er Sie damit wirklich überzeugt.

Stimmt. Nur zwei Tage später traf ich sie erneut beim Training. „Ooch, Pippi hat kalte Füße bekommen“, war alles, was Tanja sagen musste. Ich trat auf sie zu und mit leisen Stimmen wurden wir uns sehr schnell einig. Abends, wenn keiner mehr trainierte, würden wir uns im Gym treffen. Tanjas Isabell (eine üppige Blondine, mit der ich schon trainiert hatte und die Muay Thai eher als Fitnessprogramm ausübte) würde uns sekundieren und auch die Rolle der Ringrichterin übernehmen.

Na endlich. Ich platze langsam vor Aufregung und Neugier…

Dann können Sie sich ja ungefähr vorstellen, wie ich mich an diesem Abend auf dem Weg zum Gym fühlte. Den Gang zur Umkleide, das Anziehen des Outfits, das Bandagieren und auch das Aufwärmen spulte ich wie in Trance ab. Dass Tanja zur gleichen Zeit dasselbe tat, registrierte ich nur am Rande. Bei allem hat mir übrigens ihre Freundin schweigend, aber nicht unfreundlich geholfen. Ich vertraute ihr, sie würde fair bleiben. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass ihr Lächeln eher Spott als echte Freundlichkeit bedeutete. Schließlich gingen wir alle zusammen schweigend zu dem Ort, den ich mir so sehr herbeigesehnt hatte und an dem ich mich so unbedingt beweisen wollte.

Ich fühlte mich nackt, wie ich ihr da im Ring gegenüberstand. Und im Grunde genommen ist man das ja auch. Wir trugen zwar beide einen Tiefschutz unter unseren Shorts — das ist einfach ein Muss, das lernt man schon beim allerersten Sparring — aber ansonsten gibt es kaum etwas, das die Wucht der Hiebe abmildert. Der Brustschutz ist eher so was wie ein eng anliegender Sport-BH, und wer einmal einen Boxhandschuh auf die Nase bekommen hat, der weiß, dass der eher die eigenen Fingerknochen als die Gegnerin schützen soll.

Als ich dann endlich in meiner Ringecke nervös von einem Bein aufs andere hüpfte, betrachtete ich sie an diesem Abend zum ersten Mal etwas genauer. Ihr kurzer Bob behinderte sie beim Kämpfen nicht und sie trug die Haare offen wie immer. Die pechschwarzen Boxhandschuhe standen im Gegensatz zu ihren strahlend weißen, mit geschwungenen Goldbuchstaben verzierten Shorts. Ein eng anliegendes, ebenfalls schwarzes Top schnürte ihre Brüste ein. Über ihren Bizeps hatte sie rot-weiße, geflochtene Bänder um ihre Oberarme geknüpft, ein traditioneller Glücksbringer. Ich selbst hatte mir mein Outfit gut überlegt — schauen Sie nicht so, man will im Ring schließlich nicht nur gut austeilen, sondern auch gut aussehen. Meine Lockenmähne hatte ich, so fest es geht, zu einem hoch angesetzten Pferdeschwanz zusammengebunden. Top, Shorts und Knöchelbandagen leuchteten im gleichen Grün und waren mit weißen Tribal-Mustern verziert. Die fand ich damals irre schick. Und Grün passt gut zu meinen kupferroten Haaren. Nur meine Fäuste steckten, wie die von Tanja, in schwarzen Boxhandschuhen.

Jetzt sah sie zu mir herüber. Mich anlächelnd hauchte sie einen Kuss erst auf die linke, dann auf die rechte Faust. Ganz langsam hob sie ihre Ellenbogen in meine Richtung und ließ sie provozierend kreisen. Abwechselnd auf einem Bein stehend tat sie das gleiche mit ihren Knien. Dann zwinkerte sie mir zu, gerade so, als wollte sie mir noch einmal zeigen, womit sie mir gleich wehtun wollte.

Schließlich blieb mein Blick an den grellen, neongelben Bandagen um ihre Knöchel hängen, die nicht so recht zum Rest ihrer Montur passten. Diesen Blick musste sie bemerkt haben. „Damit du wenigstens eine kleine Chance hast und früh genug siehst, aus welcher Richtung die Schmerzen kommen, Süße!“, flötete sie mir aus der Distanz entgegen.

Ihre offensive Art machte mich dann doch sprachlos und ich war froh, als Isabell uns jetzt in die Mitte beorderte und ich nichts mehr entgegnen musste. Nun standen wir uns wortlos gegenüber. Ich hatte mir fest vorgenommen, ihrem Blick standzuhalten, was mir auch gelang. Isabell packte uns beide an den Unterarmen, dirigierte uns so, dass unsere Nasenspitzen sich fast berührten und verkündete: „Also Mädels, drei Runden à drei Minuten, aber so lange werdet ihr wahrscheinlich nicht brauchen. Punkte werden hier nicht gezählt. Entweder ihr geht über die volle Distanz, dann bekommt ihr beide ein Küsschen von mir und wir lassen es dabei, oder es gibt hier einen Knockout, vielleicht auch eine Aufgabe. Full Thai Rules, ihr wisst, was auf euch zukommt, also nachher bitte kein Gejammer.“

Das bedeutete den Einsatz von Ellenbogen und Knien zum Kopf. Eigentlich war das erfahreneren Kämpferinnen vorbehalten, die sich schon ihre Sporen verdient hatten. Aber uns war beiden klar, dass wir uns mit solchen Feinheiten nicht aufhalten wollten. Angriffslustig beugte Tanja sich zu mir vor, so dass unsere Nasen sich berührten. Ich ließ mich nicht provozieren. Ihre funkelnden, blitzblauen Augen fixierten mich. Ich stand stocksteif, wie angewurzelt. Sie kam dann noch näher, legte ihre Wange quasi an meine, und ich konnte ihren heißen Atem an meinem Ohr spüren, als sie mir zuflüsterte: „Ich werd‘ dir weh tun, Süße. Ich werd‘ dir sehr weh tun, und du wirst hoffen, dass ich endlich damit aufhöre. Aber ich werd‘ dir weiter weh tun. Und noch weiter. Du glaubst gar nicht, wie sehr. Und irgendwann werd‘ ich lieb zu dir sein. So lieb. Und du wirst mich anbetteln, nicht mehr aufzuhören…“

Und damit drehte sie sich um und schritt in ihre Ecke, ließ die Schultern kreisen und warf den Kopf hin und her, als hätte sie gar nichts gesagt und wollte sich nur noch ein bisschen locker machen. Ihre Worte kreisten in meinem Kopf, während Isabell mir noch den Mundschutz zwischen die Zähne schob. Das gleiche tat sie auch bei Tanja, die ungeduldig danach schnappte. Ohne weiteres hob sie schließlich die Fäuste, ließ sie langsam kreisen und kam mit wiegenden Schritten auf mich zu…

„Fight!“, krächzte Isabell, und dann begann der Tanz. Zu meinem eigenen Erstaunen wechselte meine Stimmung mit einem Mal von zitternd-unsicher zu freudig-erregt. Auf genau diesen Moment hatte ich verdammt lange und hart hin trainiert. Dass er nun so unvermittelt und unter so seltsamen Umständen gekommen war, daran verschwendete ich in diesem Moment keinen Gedanken. Ich würde mich jetzt mit dem heißesten und stärksten Mädchen im Gym messen, und das war alles, was für mich zählte. Überhaupt bestand mein gesamtes Universum in diesem Moment nur aus diesem Boxring, in dem sie mir lächelnd entgegentänzelte. Nein, das war mehr als ein Lächeln, das war die gleiche freudige Erregung, die auch mich durchströmte. Bestimmt waren wir beide gleichermaßen euphorisch. Aber wahrscheinlich würde nur eine von uns beiden am Ende noch aufrecht stehen und den süßen Triumph des Sieges genießen können. Wir umtanzten uns, wiegend, kreisend, das Gewicht von einem aufs andere Bein verlagernd. Abwartend. Zwei Gladiatorinnen gleich, die eine aufgeheizte Menge gegeneinander hetzt, so sah ich mich…

Wie in einem Film über das antike Rom. Ruhm und Ehre für die siegreiche Kämpferin!

Nichts da. Sekundenbruchteile später wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Als ihre Füße in kurzer Folge auf meine beiden Oberschenkel trafen, erst links, dann rechts, dann wieder links, da wurde mir überaus deutlich in Erinnerung gerufen, dass kämpfen auch einstecken bedeutet. Und einstecken bedeutet, Schmerzen zu ertragen. Scharf und schneidend wie Peitschenhiebe, mit einem fiesen Nachhall, so fühlten sich diese Tritte auf meine ungeschützten Oberschenkel an. Und sie setzte nach. Ihre schnellen Rechts-Links-Kombinationen trafen auf meine Deckung, aber ihre Wucht ließ mich dennoch rückwärts taumeln. Bevor ich mich sammeln konnte setzte sie ihre Kicks höher an, traf mich in die Seite und ehe ich mich versah, hatte sie mich an den Ringseilen gestellt. Schon versuchte sie, ihre Ellenbogen einzusetzen, aber so einfach wollte ich es ihr dann doch nicht machen. Tim hatte solche Attacken schon mit mir trainiert, und ich umklammerte sie so eng und so fest ich konnte, um ihr den Spielraum für die Ellbogenstöße zu nehmen. Trotzdem knallten ihre Knochen im Gerangel auf mein Schlüsselbein, und wieder durchzuckte mich heißer, stechender Schmerz.

Bekamen Sie da nicht langsam Angst?

Nein, Angst spürte ich in diesem Moment überhaupt nicht. Aus dem Training war ich Schmerzen durchaus gewohnt, im Sparring habe ich ein ums andere Mal Einiges einstecken müssen. Aber das hier hatte eine andere Qualität. Im Training erduldet man Schmerzen um aus ihnen zu lernen. Oder um sich gegen sie abzuhärten. Im Kampf geht es nur noch darum, wer dem anderen mehr Schmerzen zufügen kann und wer mehr davon erträgt — zumindest dann, wenn es nicht gleich zu einem schnellen Knockout kommt. Diese Schmerzen hier törnten mich eher an. Ich fühlte mich hellwach und lebendig, ich kontrollierte jede einzelne Faser meines Körpers. Die Schmerzen verstärkten nur dieses Empfinden, dieses Bewusstsein meiner selbst. Und grimmig versprach ich mir, ihr diese Peitschenhiebe zehnfach zurückzuzahlen. Ihr ebenfalls weh zu tun.

Aber erst einmal musste ich von diesen Hieben, die so wach machen, noch mehr einstecken. Sie tänzelte vor mir hin und her, und ich ertappte mich dabei, wie ich gar nicht mehr angriff, sondern nur abwartete, um ihre nächste Attacke so einigermaßen abzuwehren oder sie daran zu hindern, mir allzu weh zu tun. Das schien sie sofort zu bemerken. „Komm schon, Ballerina“, raunzte sie mich an. „Das kann doch nicht alles sein, was du draufhast? Ich werd‘ doch kein kleines Mädchen verprügeln…“

Das saß. Ich täuschte kurz mit den Fäusten an um einen Lowkick hinterherzuschicken. Das hatte im Sparring mit den anderen Mädels häufig hervorragend funktioniert. Bei ihr aber nicht. Trotzdem — irgendwie verstand sie, dass ich es ernst meinte, und so langsam steigerten wir uns in den Rausch des Kampfes…

Bitte, Bitte! Erklären Sie mir diesen Rausch genauer!

Wie ich eben schon sagte: reine Euphorie. Dieses unglaubliche Gefühl, dass die Zeit stehen zu bleiben scheint. Dass es nur das Hier und Jetzt gibt. Man empfindet eine unbändige Freude. Und man ist in wie in einer innigen Umarmung nur auf die Gegnerin fixiert, es gibt nichts mehr außerhalb dieses Kosmos der Kämpfenden. Ja, es ist wie ein Liebesspiel, es ist eine reine Lust. Dieses vollkommene Ausblenden von allem, das um einen herum ist, das kenne ich sonst nur vom Ficken. Die Welt besteht nur noch aus dem Ring, und die Zeitspanne, in der man denkt, erstreckt sich nur bis zum nächsten Hieb oder Tritt. Oder höchstens bis zum Ende der Runde — aber das ist fast schon zu weit, denn das Ziel, das man anstrebt, ist ja schließlich, die Gegnerin vorher niederzustrecken. So warfen wir uns also aufeinander, lächelnd und voller Freude. Und trotz dieses Rausches kann ich mich noch an jede einzelne Attacke, jeden Block und jeden Treffer erinnern, den wir uns in den ersten zwei Runden schenkten.

Langsam, langsam. Wie verlief der Kampf denn genau?

Keine Angst, ich gehe schon noch ins Detail. Also die erste Runde entwickelte sich dann doch eher zu einem Abtasten. Nachdem Tanja zu Beginn mächtig vorangestürmt war muss sie gemerkt haben, dass ich doch nicht ganz so einfach zu knacken war, wie sie sich das vorgestellt hatte. Aber immer noch griff sie mit kalter Präzision und aus einem Gefühl der Überlegenheit an. Ich zeigte ihr gute Blocks und konterte auch ein Mal geschickt. Die schmerzvollen Attacken gleich zu Beginn waren vergessen. Als Isabell das Ende der ersten Runde läutete, hätte ich am liebsten sofort weitergemacht. Das war ein gutes Zeichen. Meine Kondition stimmte, das harte Training zahlte sich aus.

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