Schon sehr früh wusste ich, dass Liam nicht mein richtiger Bruder war. Er war der Sohn von Vaters Schwester Linette. Das Geheimnis um Liams Erzeuger nahm Linette mit in ihr frühes Grab. Meine Eltern hatten nach ein paar unfruchtbaren Jahren die Hoffnung auf eigene Kinder aufgegeben, und so nahmen sie den kleinen Liam als willkommenes Geschenk des Schicksals auf. Doch drei Jahre später kam Sinead zur Welt und weitere drei Jahre später ich, Shawn. Dennoch galt Liam als der Älteste, genoss alle Rechte, die mit diesem Status verbunden waren und es stand außer Frage, dass er eines Tages den Hof erben sollte.
Trotz des großen Altersunterschiedes kamen Liam und ich sehr gut miteinander aus. Ich bewunderte und verehrte ihn um so mehr, je älter ich wurde. Er hatte märchenhaft geschickte Hände. Er konnte selbst aus Stroh noch Spielzeug basteln, machte schöne Holz¬schnitzereien und flocht Angelschnüre aus Pferdehaar. Mit den Tieren des Hofes verstand er sich, als könne er mit ihnen reden. Er war überall beliebt. Die Mädchen liefen ihm nach, denn er konnte tanzen, wie kaum ein zweiter und er hatte eine so gute Singstimme, dass er einer Vogelmutter den letzten Wurm entlocken konnte. Er war größer und kräftiger sogar als Daddy, hatte dichtes schwarzes Haar und die blausten Augen, die ich je gesehen habe. Ich bin wie Mutter und Schwester eher etwas zu dünn, mein Haar kaum zu bändigen, lockig und kupferfarben, meine Augen zeigen ein wechselhaftes Grüngrau.
Als ich heranwuchs, stellte ich fest, dass ich für Liam mehr empfand, als es unter Brüdern üblich ist. Ich hatte Angst vor diesem Gefühl, besonders als ich feststellte, dass es ihm genauso ging. Früher war ich stets zu ihm unter die Decke gekrochen, wenn ich Angst hatte oder Schutz suchte. Nun mied ich ihn geradezu gewissenhaft, obwohl ich darunter litt.
Wir teilten ein Zimmer. Es ging auf den Herbst zu und draußen tobte ein Sturm, wie er selbst für Barrybundoyle selten war.
„Es donnert“, Shawn, sagte Liam und seine Stimme klang merkwürdig rau.
„Und?“ fragte ich.
„Weißt du nicht mehr, wie du früher …“
„Ich bin doch kein Kind mehr!“ unterbrach ich ihn.
„Es war aber sehr schön, dich bei mir zu haben, oder fandest du das nicht?“
„O Liam“, ich bemühte mich, recht erwachsen zu klingen, „ich bin doch nun schon bald ein Mann. Da kann ich doch nicht mehr …“
„Was kannst du nicht mehr?“ wollte er wissen.
„Kuscheln wie ein Baby und so.“
Verhaltenes Lachen kam aus Liams Richtung. „Nun, wenn du meinst. Dann gute Nacht.“
Es stürmte mittlerweile so sehr, dass ich fürchtete, der Hagel würde die Scheiben einschlagen. Ich stand auf, lief um das andere Bett herum und sah aus dem Fenster. Ein Blitz durchzuckte die Finsternis, ich fuhr zusammen und stieß an Liam, der ebenfalls aufgestanden war und mich in die Arme nahm – viel schöner, als jemals zuvor. Ein Schauder durchlief mich. „Liam, ich hab solche Angst“, flüsterte ich.
„Vor dem Sturm?“ fragte er leise und hielt mich ganz fest an sich gedrückt.
„Quatsch, Liam, du weißt schon … Du spürst es doch auch.“
„Komm mit in mein Bett“, bat er und in seinen Worten schwang Zärtlichkeit. „Ich habe ein gutes Mittel gegen deine Angst, Shawn!“ Er hob mich auf, trug mich zum Bett, zog die Decke über uns beide und seine Küsse und sein Streicheln nahm mir die Scheu.
Als sein Mund tiefer glitt, wollte ich mich ein letztes Mal wehren. „Liam, bitte nein, das …“
„Still, Shawn! Lieg einfach ganz still und fühle!“
Ich versank in riesigen Wellen dieses neuen Gefühls, und als unsere Körper schließlich miteinander verschmolzen, war ich aus jeder Faser heraus eins mit ihm.
„Liebe ist nichts, dessen du dich schämen müsstest, Shawn“, sagte er hinterher und küsste mich ganz sanft auf den Mund. Dann fragte er: „Du weinst. War es denn nicht auch für dich schön?“
„Doch“, sagte ich glücklich und schluchzend zugleich. „Es war gut!“ Ich hab nur selbst nicht gewusst, wie sehr ich mich danach gesehnt habe. Er hielt mich noch immer fest. Wir schliefen ein, ohne einander loszulassen und die Kraft seiner Arme um mich zu spüren und so still und geborgen bei ihm zu liegen, war fast ebenso schön, wie das, was wir vorher getan hatten. Ais die Sonne mich weckte, sah ich als erstes Liams Gesicht über mir.
„Ich kann mich kaum satt sehen“, gestand er. „Ich liebe dich so sehr, Shawn, und schon so lange ich denken kann. Und seit heute Nacht danke ich Gott nur noch einmal mehr dafür, dass ich nicht dein Bruder bin.“
„Warum?“ fragte ich schlaftrunken.
„Sonst könnte ich doch nicht dein Lover sein, du Schäfchen!“ sagte er und küsste mich.
Dass der Alltag rief, schien mir wie eine Beleidigung der vergangenen Nacht und ich glaubte, jeder müsse mir ansehen, wie glücklich ich war. Aber der Spiegel zeigte mir unverständlicherweisen nur die gewohnten Züge. Während der Arbeit, die ich nach der Schule mit zu verrichten hatte, trafen sich unsere Blicke und unsere Hände so oft, dass ich schon Angst hatte, es würde irgendjemandem auffallen. Ich wusste, dass das nicht sein durfte und dass wir uns nie vor aller Augen in den Arm nehmen durften – dass es verboten war, was wir taten und ich fragte mich heimlich, warum Gott, der doch die Liebe selbst war, gerade unsere Liebe verbot. Aber trotz des Versteckspiels war ich glücklich und hoffte, es möge für immer und ewig so weitergehen.
Dann kam das Ende. Vater in der Tür mit dem Licht in der Hand. Erschrecktes auseinander fahren, Flüche, Schläge!
„Du bist nicht mehr mein Sohn! Bist es nie gewesen! Liam, du Bastard, du schmutziger…“
Daddy rang nach Worten. Liam war still. Ich wollte mich zur Wehr setzen, wollte etwas so Grosses, einmaliges wie unsere Liebe nicht in den Schmutz treten lassen, aber aufsteigende Tränen machten mich stumm. Ich ließ ihnen erst freien Lauf, als die Tür hinter Liam zufiel. Ich glaubte, fast die halbe Nacht geweint zu haben, als ich ein Geräusch hörte. Liam hatte sich an den Spalieren hoch geschwungen.
„So gehe ich nicht!“ sagte er feierlich. „Ich liebe dich viel zu sehr, um mich wie ein Dieb in der Nacht davonzustehlen.“ Er zog mich aufs Bett, zum letzten Mal für lange Zeit. „Wohin willst du denn gehen?“ fragte ich ein wenig später verzweifelt.
„Erst mal nach Cork“, erklärte er mir. „Und von da aus nach Australien oder den USA. Bitte weine jetzt nicht so sehr. Ich werde wiederkommen. Dann werde ich es Vater beweisen. Ich wäre nicht der erste, der als reicher Mann nach Hause zurückkommt. Und dann wird uns nichts mehr trennen. Dann werde ich dich wegholen aus diesem Drecksnest!“
Er ging voller Verzweiflung und doch voller Zuversicht. Er war damals 19 und glaubte daran, eines Tages wirklich wiederzukommen. Lange Zeit blieben mir nur Briefe.
Ich hasste meinen Vater im selben Maß, wie ich seine Verachtung zu spüren bekam. Liams Name auszusprechen, war verboten und von diesem Tag an ging es mir nicht besser, als einem der Knechte. Mutter weinte oft, sprach aber nie darüber und ich fragte mich, was Vater ihr wohl erzählt haben mochte. Ich war damals noch nicht ganz vierzehn Jahre alt und der einsamste Mensch auf Gottes weiter Erde. Dann kam Connor auf den Hof, ein stattlicher, hübscher, blonder Mann, nicht älter als Liam. Eine Weile schien er meiner Schwester aus dem Weg zu gehen, aber dann schien ihm entweder Sineads Schönheit oder die Größe des Hofes aufzufallen, jedenfalls begann er sich um sie zu bemühen. Als ich beide bei einem heimlichen Rendezvous überraschte, weinte ich die halbe Nacht. Sie beide hatten sich und ich war so alleine.
Eines Tages war ich mit Connor allein im Stall. Ich ging zu Devil in die Box. Der große schwarze Hengst war wie immer nervös. Er schnaubte und bäumte sich auf. In diesem Augenblick ritt mich der Teufel. Mit einem lauten Aufschrei ließ ich mich fallen.
Im Nu war Connor bei mir, beruhigte das Pferd und trug mich hinaus. Er legte mich auf das frische Stroh und fragte: „Hast du was abgekriegt? Ich wollte dich gleich nicht zu ihm hineinlassen. Der Gaul ist bösartig!“
Ich stöhnte und deutete auf meinen Oberschenkel. Connor sagte: „Lass mal sehen“ und öffnete meine Hose. Ich griff hinauf, umschlang ihn mit den Armen und zog ihn zu mir herunter. Er war so viel stärker als ich, aber die Überraschung machte ihn für einen Moment wehrlos. Schwer lag er auf mir, Erstaunen im Blick. Mein Mund suchte seine Lippen und ich hielt ihn fest.
„Was soll das, Kleiner?“ fragt er. Ich drängte mich so fest an ihn, dass er es spüren konnte.
„Du bist von Sinnen, Shawn! sagte er rau. Schweratmend rollte er zur Seite. Er war genauso erregt, wie ich. Ich nahm seine Hand und führte sie dorthin, wo ich sie so gerne haben wollte. Er zog sie zurück als habe er sich verbrannt. „So etwas darf man nicht wollen, Junge“ keuchte er. Zu sehen, wie er um Beherrschung rang, war schon Genugtuung. Vater hielt sehr viel von Connor. Ich wünschte, er
könnte ihn so sehen.
Connor war von seiner eigenen Reaktion genauso überrascht wie ich. Er warf sich herum, vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte.
Das war genug. Ich wusste, dass ich ihn haben konnte, wann immer ich wollte – und wollte auf einmal gar nichts mehr von ihm. Meine Sehnsucht galt immer noch Liam. Er war so sehr ein Teil von mir
gewesen.
Der Winter ging dahin, und das Bett neben mir war so leer. Fast hätte ich mich damit abgefunden. Da starb Großvater Finn. Mit zusammengebundenen großen Zehen lag er aufgebahrt, die neuen
Stiefel vor dem Totenbett und Ma und Sinead und die Nachbarsfrauen jammerten wie die Klageweiber aus längst vergangener Zeit, um die Feen abzuhalten, sich die Seele des alten Finn zu stibitzen.
Ich wusste, wie sehr Liam die uralten Bräuche belächelt hatte. Hier schien die Zeit tatsächlich seit Jahrhunderten stillzustehen. Wieder einmal dachte ich ganz besonders intensiv an ihn. Er würde es
schaffen, würde eines Tages zurückkommen und mich von hier fortholen … Bald …
Wie ein schwarzer Geist schlurfte Pater Dallaghan durchs Haus, mir furchterregende Blicke zuwerfend. Ich war schon lange nicht mehr zur Beichte gewesen, hatte mich sogar gegen Vater gestellt. „Von mir aus erschlag mich, oder jag mich fort, wie du Liam fortgejagt hast,
aber dieser schwarzen Krähe werde ich nicht auf die Nase binden, was ich getan habe.“
Vater hatte den Knüppel in der Hand, holte aus. Ich überlegte: „Oder nein, Daddy, ich gehe. Und ich werde ihm alles ganz genau auf die Nase binden, was Liam und ich so miteinander getan haben. Du
kannst es auch hören, wenn du willst. Euch beiden würden die Ohren abfallen!“
Es bereitete mir außerordentliches Vergnügen zu sehen, wie Vaters Gesicht vor meinen Augen verfiel. „Das ist doch der Sinn der Beichte, nicht wahr, Daddy?“ fragte ich voller gespielter Unschuld und beeilte mich, aus der Reichweite des Knüppels zu kommen. Zur Totenwache kam ein Mann aus einem Nachbarort, den sie den Shanachie nannten.
Tatsächlich war die alte Tradition des Geschichtenerzählens mit ihm lebendig geblieben. Er war der einzige, der dem Whisky nicht in dem Maß zusprach, wie alle anderen. Wir Kinder saßen um ihn, wie die Küken um die Glucke und lauschten gespannt. Fernseher oder Radio anzuschalten, war nun sowieso für eine Zeitlang nicht sehr gern gesehen. Er war ein stattlicher, breitschultriger Mann mit dichtem, dunklem Haar und Augen, fast so blau wie – Liams! Ich konnte meinen Blick nicht von diesen Augen wenden, so stark war die Erinnerung. Als er mich ansah, fühlte ich, dass ich rot wurde.
Bevor ich mich aus dem Kreis zurückziehen konnte, hatte er mich am Ärmel, hielt mich fest und zog mich an seine Seite. Er legte mir den Arm um die Schultern und sagte leise, nur für mich hörbar: „Ich glaube, dir muss ich eine ganz besondere Geschichte erzählen, Shawn Dorringwood!“ Wir Kinder, und als solches galt ich, wenn es nicht gerade um Arbeit ging, wurden schließlich zu Bett geschickt. Ich war enttäuscht, hütete mich aber, Vaters Zorn erneut zu wecken. Lange Zeit fand ich keine Ruhe. Das Haus wurde stiller und stiller. Es ging schon auf den Morgen. Ich lag auf meinem Bett, hörte den Wind ums Haus heulen, den Regen aufs Dach klatschen – und die Treppe knarren. Ich hatte Angst! All die uralten Märchen waren auf einmal zu greifbarer Furcht geworden. Banshees? Todesfeen? Geister? Die Tür ging auf und schwere Schritte kamen auf mich zu. Ein Geräusch als ob ein Mantel oder Umhang zu Boden fiel und das Gepolter weggeworfener Stiefel. Ich lag erstarrt, stellte mich schlafend. Der Jemand setzte sich auf meine Bettkante, griff sachte unter die Decke und streichelte meinen Arm. Als bewege ich mich im Schlaf, rollte ich zur Seite und spürte, wie sich ein stattlicher Körper zu mir schob, fühlte mich umfasst von kräftigen Händen, die kein Ausweichen zuließen.
Er schob meinen Pyjama aus dem Weg und erforschte meinen Körper kundig, wissend und wohltuend – der Shanachie! Ich drehte mich zu ihm herum und unsere Lippen trafen sich heiß und hungrig und ich erfuhr, was er mir und nur mir zu erzählen hatte.
Ich war sehr traurig, als er ging. Aber er hatte etwas zurückgelassen, ein Wissen, dass mir Macht gab, mich gegen Vater zu stellen und notfalls auch gegen diese schwarze Priesterkrähe. Ich hatte angenommen, zu einer verlorenen, verdammten, schmutzigen Minderheit zu gehören. Aber nun gab es viele, von denen ich wusste, dass sie genauso empfunden hatten, wie ich. Philosophen, Feldherren, Könige selbst aus der Bibel und ganze Völker der Antike, in denen Menschen meiner Art ihre Daseins¬berechtigung gefunden hatten. Das gab mir Kraft, ich selber zu sein.
Sinead und Connor hatten oft Streit. Genauso oft suchte Connor das Alleinsein mit mir. Ich ging ihm geflissentlich aus dem Weg, wollte meiner Schwester das nicht antun. Es gab Situationen bei der Arbeit, in denen es gar nicht leicht war, Connors fragendem, verlangendem Blick oder seinen wie zufälligen Berührungen zu entgehen. Ich hatte ein Feuer entfacht, dass ich nicht zu löschen wusste – ein Feuer, dass ich gar nicht wollte. Ich schloss nachts die Tür ab und hoffte, es würde vorüber gehen.
Eines Tages war die Familie zum Markt nach Killarny gefahren. Zu spät erkannte ich, dass Connor zuhause geblieben war. Wäre er nicht der Verlobte meiner Schwester gewesen, ich wusste nicht, wie ich gehandelt hätte. Aber die Tatsache, dass er und Sinead ein Paar waren, machte die Sache unmöglich. Ich erschrak vor mir selbst, als mir bewusst wurde, was ich mit meiner übergroßen Sehnsucht nach ein bisschen Liebe provoziert hatte und beschloss, nicht mehr länger aus¬zuweichen, sondern die Sache zu klären.
„Connor“, begann ich, „das neulich war nur ein dummer Scherz, gar nicht so gemeint. Du bist ja Gott sei Dank auch gar nicht so.“
„Auf den Augenblick festzustellen wie ich bin, habe ich fast schon zu lange warten müssen, meinst du nicht, du kleines Luder?“ fragte er grinsend und kam auf mich zu. Vom Wandbord nahm er sich das Döschen mit der Creme, die Ma und Sinead auf ihre aufgesprungenen Hände geben und ließ es in seine Westentasche gleiten.
Ich begriff! Es war ihm ernst und ich hatte auf einmal Angst, wie nie vorher. „Connor“, flehte ich, „Connor, lass mich in Ruhe und ich werde niemandem etwas sagen.“
„Wer, denkst du, würde dir schon glauben? Vater? Sinead?“ Mit diesen Worten fasste er mich um die Taille. „Hör zu, du kleines Miststück. Ich will es wissen, hier und jetzt!“
Er trug mich nach oben, warf mich aufs Bett, schälte mich Stück für Stück aus der Kleidung und lag dann selbst nackt und groß neben mir. Ich verfluchte meine plötzliche Erregung, die sich nicht verbergen ließ, und als er mich schließlich nahm, hätte ich vor Scham am liebsten sterben wollen. Der zukünftige Mann meiner Schwester teilte mein Bett und trotzdem brachte es mir Lust – ungewollte Lust, an der sich Connor nur noch mehr berauschte. Als es geschehen war, lag ich still, weinte ins Kissen und wollte nicht mehr aufhören. Connor war auf einmal sehr lieb, nahm mich in die Arme und tröstete mich. „Shawn, hör auf zu weinen, bitte! Ich dachte, du willst das genauso wie ich. Junge, sei ruhig!“ jetzt wurde er fast wütend. „Du hast doch auch dein Teil davon gehabt!“ sagte er. Aber dann sah ich ihm ins Gesicht und ich bemerkte, dass auch er weinte.
„Was wird Sinead dazu sagen?“ rätselte er, als er den letzten Knopf seiner Hose schloss.
„Wer sollte es ihr denn sagen, wenn nicht du selbst, Connor. Ich werde schweigen.“
Er ging neben meinem Bett in die Knie und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. „Geh jetzt, Connor“, bat ich. „Geh jetzt, bevor ich es mir anders überlege!“
Aber es ging weiter. Connor kämpfte eine Zeit lang gegen sich selbst, dann siegte die Begierde. Angst und Scham machten mich stumm. Ich gab mir ganz allein die Schuld an allem und hoffte nur, Sinead möge nie davon erfahren. Manchmal ließ ich es einfach über mich ergehen, wenn er zu mir kam.
Manchmal wehrte ich mich vergeblich gegen seine rohe Kraft. Ich drohte, alles zu erzählen und wusste doch, ich würde schweigen, um Sinead diesen Schmerz zu ersparen. Manchmal redete ich mir auch ein, Connor habe mich ein kleines bisschen lieb und wusste doch im gleichen Augenblick um die Lüge, um die Illusion.
Alles in mir war Wut, Hass und Sehnsucht nach jemand, der mich wirklich liebte. Jemand, in dessen Arme gekuschelt ich einschlafen konnte, eingelullt in Geborgenheit wie bei Liam. Jemand, der mich verstand, der gut zu mir war und dem es nicht nur um die Befriedigung seiner Gelüste ging. Diesem jemand würde ich so gern und ganz freiwillig all das geben, was Connor sich erzwang. Von Liam kam keine Nachricht mehr. Ich lief nun schon drei Wochen vergebens fast täglich zum Postamt und nervte den Schalterbeamten mit Fragen nach postlagernden Briefen. Der letzte war aus Perth gekommen und war etwas merkwürdig gewesen. Liam schien eine gutbezahlte Stelle in Aussicht zu haben, denn er schrieb von einer großen Sache. Endlich hatte es auch eine feste Adresse gegeben, an die ich antworten konnte. Nur kam jetzt plötzlich nichts mehr. Meine Enttäuschung wuchs mit jedem: „Nein, leider nichts, mein Junge“, am Postschalter. Hatte er mich wirklich vergessen? Er, der in jedem Brief von unserer Liebe als dem Wichtigsten in seinem Leben sprach? Wenn ich es las, dann schämte ich mich maßlos dafür, ihn betrogen zu haben. Mit dem Shanachie. Connor rechnete ich nicht dazu. Das war ganz etwas anderes.
Am Tag vor St. Patrick kam ein Vagabund vorbei. Da Liams geschickte Hände wirklich überall fehlten, bot ihm Vater Essen und gute Bezahlung für seine Hilfe.
Er hieß Frank Carney, war etwas älter als Daddy, hatte noch röteres Haar als wir Dorringwoods, einen wirren Vollbart und die kräftige Statur, die mir schon immer gefiel.
Es stürmte und regnete in Strömen und Daddy bot ihm für die Nacht einen Schlafplatz im Heu, oben in der Tenne. Am nächsten Morgen wollte er wieder gehen. Ich versorgte mit Connor, Niall und Jack gerade die Pferde, als er seine Decke ausbreitete. Dann kam er herunter und half mir bei der Arbeit. Wie zufällig begegneten sich unsere Augen immer wieder. „Magst du mir dann ein wenig Gesellschaft leisten, Junge, oder wartet jemand auf dich?“ fragte er. Ich sagte, dass auf mich niemand warte, außer der Stute Pearl, die ich besonders verwöhnte, seit sie ein Fohlen trug und wir schon bald mit der Geburt rechneten. Diesmal ging es mir kaum schnell genug, Pearl zu versorgen. Etwas an der Art, wie Frank Carney seine Bitte geäußert hatte, weckte meine Neugier.
Schließlich saßen wir beisammen. Er zauberte eine Flasche Whisky aus der spärlichen Habe, die er bei sich trug und reichte sie mir. Es war der allererste Alkohol in meinem Leben und ich war ziemlich rasch benebelt. Es war ein schönes Gefühl, leicht und schwerelos zu sein. Ich vergaß sogar meine Wut auf Connor, genoss das Glücksgefühl des ersten Rausches und jeder noch so gute Vorsatz schmolz wie Schnee in der Frühlingssonne. Ich streckte mich auf der Decke aus und hörte den Fragen Frank Carneys zu. Ich sei doch noch recht jung, ob ich schon ein Mädchen hätte – so hübsch wie ich sei könne ich doch sicher jede haben.