„Wünsch mir Glück“, sprach ich in den Telefonhörer.
„Marie, mach dir nicht so viele Sorgen! Lass es doch einfach auf dich zukommen“, versuchte meine beste Freundin mich zu beruhigen.
„Ach, Sara. Wenn ich nur so sorgenfrei wie du sein könnte. Weißt du noch, was ich dir über mein letztes Date erzählt habe? Der Typ hat den ganzen Abend nichts anderes getan, als mir auf die Brüste zu starren. Ich saß ihm beim Essen gegenüber und hab ihm ins Gesicht geschaut, während er mich angaffte. Es hat ihn kein bisschen gejuckt! Er hat ungeniert weiter geglotzt.“
„Ich sage dir doch immer und immer wieder: Männer sind Tiere. Die können nichts dafür, sie sehen Titten und werden geil wie Böcke. So ist die Natur eben. Es ist wie ein Gesetz, das nicht gebrochen werden kann. Und – nur so nebenbei erwähnt – bei deiner Oberweite gibt es viel zu gucken, selbst ich kann ich manchmal kaum zusammenreißen.“
„Außerdem hat dich sein Gegaffe auch nicht davon abgehalten, ihn mit nach Hause zu nehmen oder?“, neckte sie mich.
„Ich werde ja wohl noch meine Bedürfnisse befriedigen dürfen!“, rief ich übertrieben pikiert.
„Ja, da hast du natürlich recht“, lachte Sara.
„Okay, Sara. Ich muss mich beeilen. Falls der Typ heute mal ein guter Fang ist, will ich ihn nicht allzu lange warten lassen“, beendete ich das Gespräch und legte auf.
Ich verließ eilig meine Wohnung und stratzte zur Bahn. Unser Treffpunkt lag auf der anderen Seite der Stadt. Ich musste ein ganzes Stück fahren und vertrieb mir die Zeit, in dem ich aus dem Fenster schaute. Während die Wohnhäuser, Kioske und kleinen Lädchen an mir vorbei rauschten, dachte ich an mein bevorstehendes Date. Er war ein interessanter Typ. Gebildet, jung, gut aussehend und offensichtlich verdiente er auch nicht schlecht. Ich habe ihn auf einer Dating-Webseite kennen gelernt. Auf allen Fotos, die ich in seinem Online-Profil gesehen habe, trug er einen teuren Anzug. An seinem Handgelenk blitzte auf beinahe jedem Foto eine andere Armbanduhr. Gerade die immer wechselnde Armbanduhr war eine Sache, über die ich lange nachdachte und die kein gutes Licht auf ihn warf! Auf jedem Foto eine andere Uhr zu präsentieren fand ich total angeberisch. Jemand, der ganz offensichtlich darauf achtet, seinen verschwenderischen Reichtum nach außen hin zu projizieren, erzeugt einen abstoßenden Eindruck.
Warum ich trotzdem zu ihm fahre? Kann ich leider auch nicht so genau sagen. Irgendwie hat er es geschafft, mich mit seiner Ausdrucksweise, seinen Ideen, Ansichten und Plänen zu beeindrucken. Sobald ich merke, dass ein Mann eine gewisse Schulbildung genossen hat, ihm die Gesprächsthemen nicht ausgehen und mich ab und zu zum Lachen bringen kann, werde ich schwach. Und mein Date ist einer von diesen Männern. Er ist selbstständiger Unternehmer und besitzt einen gut laufenden Online-Shop, auf dem er vor allem teuren Kaffee und Zubehör für die Kaffezubereitung verkauft. Ihr glaubt nicht, wie viele Kaffeesorten es gibt. Und jede Kaffeesorte scheint auch noch ihre ganz eigene Zubereitungsart mit ganz eigenen Zubereitungsutensilien zu benötigen. Dazu verkauft er noch allerlei Tees. Da er einige Mitarbeiter hat, die den Laden praktisch alleine schmeißen, bleibt ihm viel Zeit zu reisen: ein weiterer Pluspunkt für ihn.
Die Durchsage sagte meine Haltestelle an. Ich stieg aus und stellte mich an der Warteschlange an, die sich nicht weit der Haltestelle befand. Quälend langsam rückte ich meinem Ziel, der Kasse, entgegen. Irgendwo hinter mir plärrte ein Baby, direkt vor mir stand ein etwa 8-Jähriger Junge, der am Rocksaum seiner Mutter zupfte und wissen wollte, wie lange es noch dauert und dass er mal müsse. Nervös schaute ich auf die Uhr. Ich hatte nicht mehr viel Zeit.
Endlich war ich vorne angekommen. Ich zahlte mein Ticket und ging hinein. Ich fand mich in einem großen offenen Forum wieder. Das Forum hatte eine Runde Form von dem Wege in alle Richtungen abführten. Ich ging zu den kreisförmig angeordneten Bänken. Meinen Begleiter fand ich schnell; er war der Einzige Wartende in Anzug und Krawatte. Und er war der Einzige, der mit seinem Bluetooth-Headset mit jemandem zu telefonieren schien. Ich guckte mich nochmal um. Er stand mit dem Rücken zu mir, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Einen fremden Typen beim Telefonieren zu stören und zu fragen, ob es sich um mein Date handelt, wäre mir peinlich gewesen. Aber ich fand niemanden, der in Frage käme. Dann erblickte ich eine seiner Armbanduhr an seinem Handgelenk.
‚Das muss er sein!‘, dachte ich.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich stellte mich neben ihn. Er bemerkte mich, guckte an mir hoch und schien mich zu erkennen.
„Philipp?“, sagte ich.
„Warte mal kurz“, sprach Philipp in sein Headset.
Dann wann wandte er sich an mich.
„Marie! Schön, dass du da bist. Kannst du mich noch einen kurzen Augenblick entschuldigen? Ich muss das Telefonat noch kurz zu Ende bringen.“
„Klar“, sagte ich freundlich und tat so, als ob mich das nicht stören würde.
Philipp wandte sich wieder dem Telefongespräch zu.
„Was soll das heißen ‚Lager leer‘? Wir hatten schon vor Monaten bestellt und jetzt kommst du mit ‚Lager leer‘? Das darf ja wohl nicht wahr sein! Du bekommst das in den Griff, ansonsten fliegst du raus, klar?“, sprach er energisch ins Telefon.
Er blieb einen Moment still und hörte der Stimme in seinem Ohr zu. Ich konnte leises aufgeregtes Gebrabbel hören. Es war aber zu leise, um es zu verstehen.
„Ach, hör doch auf“, setzte Philipp wieder an.
„Die Leute fahren gerade auf diese Sorte total ab! Mir geht ein riesen Geschäft flöten, wenn du das nicht hinkriegst. Also streng dich an, ansonsten kannst du woanders dein Glück suchen. In meiner Firma dann jedenfalls nicht mehr.“
Er drückte einen Knopf auf seinem Headset, ohne eine Antwort abzuwarten. Dann wandte er sich endlich mir zu. Endlich…
„Tut mir Leid, Marie. Das war eine wichtige Sache. Eine besonders leicht bekömmliche Kaffebohnensorte aus Äthiopien ist im Moment nicht mehr lieferbar. Unwetter haben dort Verwüstungen in den Plantagen angerichtet und einen Großteil der Pflanzen zerstört.“
„Oh, das tut mir Leid“, antwortete ich unbeholfen. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte, hatte aber das Bedürfnis irgendetwas Schlaues von mir zu geben.
„Warum verkaufst du den Leuten nicht einen anderen magenfreundlichen Kaffee?“, fragte ich ihn.
Philipp schaute mich an. Dann grinste er.
„Wenn du dir einen Kamillentee kaufen willst, willst du sicherlich keinen Pfefferminztee vom Händler verkauft bekommen. Obwohl beide Tees magenfreundlich sind. Die Leute wollen genau DIESE Sorte, keine andere“, grinste er mich an.
‚Toll gemacht, Marie‘, dachte ich.
‚Jetzt hält er dich für einen Dummkopf‘.
Wir gingen stumm ein paar Schritte.
„Sag mal, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, mich zum ersten Date in einen Zoo einzuladen?“
„Ich fand, es ist mal was anderes als ins Kino oder in ein Restaurant zu gehen. Um Frauen zu beeindrucken braucht man Fantasie“, grinste er mich an.
„Ah ja. Und hast du schon viele Frauen in den Zoo eingeladen?“
„Du bist zumindest nicht die erste.“
Er lächelte schmierig.
„Stört dich das jetzt?“, fragte er mich.
„Nein, überhaupt nicht.“
Und dabei log ich nicht einmal.
Mittlerweile hatten wir das Forum verlassen und befanden uns auf einem der abgehenden Wege. Hinter einer Wegbiegung befand sich die erste Attraktion: ein Streichelzoo. Kinder kuschelten dort mit kleinen Häschen und Meerschweinchen, fütterten sie mit Gras oder posierten mit den kleinen Tierchen im Arm für ein Familienfoto. Die etwas größeren, mutigeren Kinder trauten sich in das Gehege mit größeren Tieren. Vorsichtig wurde sich dort an die gehörnte Ziege herangeschlichen, um kurz die kräftigen Hörner berühren zu können oder dem Hängebauchschwein wurde eine Karotte hingehalten.
Ich wäre gerne entspannter gelaufen und hätte das fröhliche Spielen und Lachen der Kinder um mich herum genossen. Philipp hatte offensichtlich kein Interesse daran. Schweigend und mit schnellem Schritt rannte er an den brüllenden Kindern vorbei. Philipp wollte offensichtlich schnell weg. Seine Stirn lag in Falten und er stierte nur geradeaus, überhaupt nicht darauf achtend, was links und rechts neben ihm geschah.
Ich musste mich anstrengen, mit seinem Schritt mitzuhalten. Plötzlich landete ein Junge, höchstens 6 Jahre alt, vor seinen Füßen. Er wollte über den Weg rennen und war irgendwie über seine eigenen Füße gestolpert. Philipp blieb stehen und guckte den Jungen stirnrunzelnd an. Der Kleine fing an zu wimmern. Anstatt sich zu bücken und dem Kleinen aufzuhelfen verdrehte Philipp die Augen, gab einen genervten Laut von sich und ging um den Jungen herum weiter. Eine Moment war ich baff und stand schockiert da. Dann besann ich mich und wollte dem Jungen helfen, doch seine Eltern waren schon gekommen und kümmerten sich um ihn.
„Philipp!“, sagte ich, als ich ihn eingeholt hatte.
Er hatte gar nicht daran gedacht, auf mich zu warten.
„Was war das denn eben? Hättest du dem Kleinen nicht helfen können?“
„Nein“, war die patzige Antwort.
„Ich hasse Kinder.“
„Bitte?“, fragte ich fassungslos.
„Sowas erzählst du in einem Zoo? Dir muss ja wohl klar gewesen sein, dass hier Kinder sind.“
„Ja, normalerweise belästigen sie mich aber auch nicht. Ich weiß gar nicht, was du hast. Der Junge ist hingefallen, das war’s doch schon.“
„Seine Hand hat geblutet!“
„Sowas passiert halt mal. Mach da doch nicht so einen Film draus.“
Daraufhin konnte ich nur schnaufen. Wie konnte er nur so kalt sein? Der arme Junge… Wir gingen weiter, an einigen Tiergehegen vorbei. Philipp und ich redeten kaum noch. Smalltalk auf der primitivsten Ebene. ‚Wie ist das Wetter? Ja, finde ich auch. Die Erdmännchen sind aber süß. Das Eis ist hier viel zu teuer. Blablabla.‘ Ich wollte aber trotzdem nicht gehen. Keine Ahnung, wieso. Mir lag nichts an Philipp, ich brachte es aber trotzdem nicht über mich, einfach zu verschwinden. Ich bin ein sehr friedlebiger Mensch, meine Reizschwelle ist sehr hoch. Vielleicht hat Phillip ja auch nur einen schlechten Tag und ansonsten ist er ganz nett, dachte ich. Und was sollte ich die Sache mit dem Kind vorwerfen? Schließlich waren die Eltern des Jungen ja schnell bei ihm. Und ich selbst will in naher Zukunft keine Kinder haben. Es wird also sowieso nicht in Frage kommen, dass dieser Kerl meine Kinder erzieht.
Wir schauten gerade den Schimpansen zu, wie sie sich träge und gelangweilt durch ihr kleines Gehege schleppten. Ich dachte über die Lebenssituation der Tiere nach.
‚Wie viele von denen wohl hier geboren sind? Ob einer von den armen Tieren jemals die Freiheit gesehen hat?‘
„Lass uns was essen gehen“, riss mich Philipp jäh aus meinen Gedanken.
„Die Affen sind doch sowieso relativ langweilig.“
„Komm, ich lade dich zum Essen ein.“
Ich war wie betäubt. Philipp war ständig nur am Motzen und ich wusste nicht, ob er einen schlechten Tag hatte oder ob ich daran schuld habe, dass er so schlecht drauf ist. Ich wollte gehen.
‚Wie komme ich jetzt aus dieser Sache raus? Soll ich weglaufen? Oder lieber klammheimlich verkrümeln?‘
Ich entscheid mich für letzteres. Im wollte auf den richtigen Moment warten, um abzuhauen. Ich Feigling.
Wir gingen in das Zoorestaurant (Imbiss wäre ein besserer Ausdruck gewesen). Er bestellte sich eine Pizza und einen großen Becher Kaffee. Ich hatte eigentlich nicht sonderlich großen Appetit, wollte aber nicht seinen Unmut auf mich ziehen. Also ließ ich mir von ihm ein Sandwich mitbringen. Wir aßen schweigend.
„Wieso bist du die ganze Zeit so still?“, fragte er schließlich.
Ich schaute ihn an. Er erwiderte den Blick starrend und verurteilend.
„Was denkst du wohl?“, fragte ich schnippisch.
„Du willst mir jetzt hoffentlich nicht erzählen, dass du dich immer noch wegen des dummen Kindes aufregst..“
„Nein, zumindest nicht nur deshalb. Dein Kommentar zu den Affen treibt mich auch auf die Palme. Du bist grob und hast offensichtlich nicht die Fähigkeit, Empathie zu empfinden oder zu äußern!“
„Ach, ich wusste nicht, dass mein Date Psychologie studiert hat. Hättest du mich gewarnt, hätte wir uns bei dir auf der Couch treffen können und über meine fehlende Empathie reden können“, konterte Philipp sarkastisch.
„Tut mir Leid, Philipp. Ich denke, aus uns beiden wird nichts. Mit Arschlöchern wie dir will ich nichts zu tun haben. Ich sollte besser gehen.“
„Lass uns wenigstens noch aufessen. Du kannst mich doch jetzt nicht hier alleine sitzen lassen. Ich hab meine Pizza nicht einmal zur Hälfte gegessen.“
„Das ist nicht mein Problem.“
Ich stand auf und verließ wutentbrannt das Restaurant. Ich versuchte meine Aggression zu zügeln, was mir nur einigermaßen gut gelang. Fast joggend rannte ich vor dem Restaurant weg. Ich wollte möglichst schnell raus hier, bevor Philipp auf die Idee kommt, mir hinterher zu rennen und um eine zweite Chance zu beten.
Hinter der ersten Wegbiegung verlangsamte ich meinen Schritt, um nicht weiter aufzufallen. Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Außerdem musste ich ein bisschen verschnaufen — wenn ich schnaufend und schwitzend vor Anstrengung durch den Zoo gerannt wäre, hätten mich nur noch mehr Leute angestiert. Das war peinlich und ich wollte es vermeiden. Ich schlenderte etwas den Weg entlang und war schon beinahe wieder beim Streichelzoo, als mir ein erschreckter Schrei entglitt. Jemand hatte mir ein Bein gestellt, sodass ich bäuchlings auf die Straße fiel.
„Ist Ihnen etwas passiert?“
Ich reagierte zuerst nicht auf die Stimme, sondern drehte mich hektisch um. Schließlich wollte ich den Übeltäter erwischen, der es wagte, mir ein Bein zu stellen und mich so dermaßen zu blamieren. Doch ich sah niemanden, der in Frage kam. Stattdessen sah ich ein Spielzeugauto direkt neben meinen Füßen liegen. Ich habe es wohl übersehen und bin darüber gestolpert.
„Nein, es ist alles okay“, erklärte ich dem Typen, der mir nun eine Hand reichte, um mir aufzuhelfen.
„Ich bin nur über das Spielzeug hier gestolpert.“
„Oh man, diese Kinder“, lachte der Mann auf.
„Ich heiße übrigens Andreas.“
Ich stellte mich vor und wir reichten uns die Hand. Andreas trug eine beigefarbene Arbeitshose und ein grünes Poloshirt mit dem Logo des Zoos auf der Brust.
„Du bist hier als Tierpfleger angestellt?“, fragte ich ihn.
„Ja, woran hast du das erkannt“, grinste er. „An der Arbeitsbekleidung und dem Logo oder an der Schubkarre, die ich mit mir rumschiebe?“
„Die Schubkarre habe ich gar nicht bemerkt. Außerdem war es nur eine höfliche Frage, um ein Gespräch zu beginnen“, zwinkerte ich ihn an.
Mir gefiel Andreas. Er scheint viel körperlich zu arbeiten, denn seine Arme zeugten von einiger Kraft und der durchtrainierte Oberkörper zeichnete sich unter seinem Polohemd ab.
Plötzlich kam mir Philipp wieder in den Sinn.
„Entschuldige bitte, ich muss jetzt los“, entschuldigte ich mich.
„Oh. Das war aber ein kurzes Gespräch. Darf ich fragen wieso?“, erwiderte Andreas enttäuscht.
„Ach, eigentlich nichts Schlimmes. Ein Blind Date ist schiefgelaufen und ich will weg von ihm.“
„Äh, okay.“
Andreas schaute alarmiert drein.
„Soll ich die Polizei rufen?“, fragte er unsicher.
Ich verneinte. „Philipp ist nicht gefährlich, zumindest schätze ich ihn nicht so ein. Nur sehr stolz und mein Abgang könnte sein Ego nicht vertragen haben. Ich befürchte, dass er mir nachkommt, um seinen Standpunkt noch einmal eindrücklich vorzubringen und mich vor allen Anwesenden bloßzustellen. Deshalb will ich hier möglichst schnell weg. Die Tiere muss ich mir wohl ein andermal ansehen.“
Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern und schaute betreten zu Boden. Ich hatte mich wirklich auf den Zoo gefreut. Mein letzter Besuch lag Jahre zurück. Eine Zeit lang schaute Andreas mich an und schien über etwas nachzudenken. Dann packte er mich am Arm und zog mich in die entgegengesetzte Richtung, in die ich eigentlich wollte, um zum Ausgang zu kommen.
„Was soll das? Wohin bringst du mich?“
Ich war etwas erschrocken, aber irgendwie fühlte ich mich bei Andreas sicher vor Philipp. Mein Beschützer grummelte nur etwas von einer Überraschung und das ich schon sehen werde. Wir bogen in einen Weg ein, der entgegen des Restaurants verlief, in dem Philipp und ich gegessen hatten. Das Betreten-Verboten-Schild übersah Andreas geflissentlich. Ich besah mir die Umgebung etwas genauer. Der Weg war eine Allee, gesäumt mit Akazienbäumen, die den Weg beinahe komplett überwucherten und nur einen begrenzten Blick auf den darüberliegenden Himmel ließen. Ich merkte, dass es mittlerweile relativ dunkel geworden ist. Die ersten Sterne waren am wolkenlosen Himmel zu sehen. Der Zoo würde wahrscheinlich nicht mehr lange geöffnet haben. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als wir an eine Absperrung kamen.
Andreas erklärte mir, dass dieser Bereich im Moment für Besucher gesperrt sei.
„Irgendein Schädling hat die Akazien hier befallen. Deshalb gelten die Bäume als einsturzgefährdet und der Weg musste vor Besuchern abgesperrt werden. Wir können die Bäume natürlich nicht einfach absägen, um das Problem zu lösen. Es würde entweder Jahrzehnte dauern oder tausende von Euros kosten, damit wir hier wieder so eine schöne Alle haben. Wir überprüfen gerade, ob es eine andere Möglichkeit gibt, den Schädling zu vertreiben.“
„Es wäre wirklich schade, wenn die ganzen Bäume hier weg müssten. Ich finde es hier wunderschön. So romantisch“, sagte ich träumerisch. „Was wollen wir hier eigentlich genau? Wir dürften hier gar nicht sein oder?“
„Darüber brauchst du dir keine Sorgen machen“, erwiderte Andreas selbstsicher.
„Niemand wird hier vorbeikommen. Der ganze Bereich gehört nur uns.“
Er zwinkerte mir zu und winkelte seinen Arm an. Ich hakte mich bei ihm unter. Wir schlenderten wortlos ein paar Meter. Es war eine andere Stille, als die zwischen Philipp und mir. Diese hier war angenehm. Jeder von uns wusste, dass der andere seine Anwesenheit genoss.
© Hanna Schütze
In einiger Entfernung hörte ich das Zwitschern exotischer Vögel. Dann kamen wir auch schon an den geräuschverursachenden Vögeln vorbei. In einem großen Käfig sangen verschiedene Vögel ihr Lied. Es wimmelte in dem Käfig in allen erdenklichen Farben. Grüne, rote, blaue und bunt gefiederte Farbkleckse flogen durch die Luft oder saßen auf einem Baum, die in dem Käfig wuchsen. Der süße Duft der im Käfig und rundherum angebauten blühenden Pflanzen umspielte meine Nase. Erstaunt und belustigt folgte ich dem bunten Treiben. Ich kam mir vor wie im Märchen.
„Das hier ist mein Lieblingsort“, sagte Andreas leise. „Ich finde es beruhigend, den Vögeln zuzusehen.“
Ich beobachtete die Vögel weiter bei ihrem Spiel. Meinen Kopf lehnte ich seitlich an die Brust von Andreas. Ich spürte, wie sein Brustkorb sich bei jedem Atemzug hob und senkte. Seine Hand lag auf meinem Oberarm. Ich spürte die Wärme, die sie ausstrahlte auf meiner Haut. Nach all den misslungenen Dates in der letzten Zeit, war dieser Moment wie Balsam für meine Seele.
„Ob die Tiere den Blick auf uns Menschen wohl genauso interessant finden? Das wäre wohl das einzig Spannende, was sie aus ihrem Käfig heraus sehen können“, fragte ich mich laut. Ich hob meinen Kopf und guckte Andreas in seine blauen Augen. „Was denkst du?“
„Ich denke, dass sie sich nicht so besonders für uns interessieren. Was soll an Menschen denn schon interessant sein? Eigentlich verschrecken wir die Tiere nur durch unsere Blitze vom Fotoapparat, durch laute Geräusche und was die Zoobesucher eben noch so veranstalten.“ Nach einem Augenblick fuhr er fort. „Willst du wissen, wie sich die eingesperrten Tiere fühlen? Ich kann es dir zeigen.“
Ich grinste. Was hatte er wohl vor?
„Willst du mich einsperren oder was?“, fragte ich amüsiert.
„Komm mit.“ Er ging gar nicht weiter auf meine Frage ein. Arm in Arm gingen wir am Vogelkäfig vorbei. Wir gelangten an ein riesiges Gehege. Der Boden war fast ausschließlich von grünem saftigen Gras bedeckt. In unregelmäßigen Abständen befanden sich überall im Gehege große Felsen und trockene Bäume. Zum Schutz der Besucher lag das Gehege etwa 10 Meter tiefer, als der Fußweg. Die Wände des Geheges waren komplett betoniert. Damit auch unvorsichtige Menschen nicht in den Käfig fallen konnten, waren oben zusätzlich noch hohe Glasfronten befestigt.