„Frau Geringer, kommen Sie bitte!“

Na endlich! Ich werde aufgerufen. Ich warte schon ewig auf das Vorstellungsgespräch. Ich hasse es zu warten. Da ich aber das Zuspätkommen noch viel mehr hasse und deshalb stets bemüht bin, ja pünktlich zu sein, war ich wie fast immer zu früh dran. Wie üblich hatte ich einen zeitlichen Puffer eingeplant, der aber nicht nötig gewesen wäre. Ich hatte aber auch nicht erwartet, dass sich die Gespräche vor mir so lange hinzieht. Ich bin die siebte Bewerberin, die aufgerufen wird. Drei weitere kommen offenbar noch nach mir dran. Dabei sind wir nur jene Auserwählten, die zu diesem Vorstellungsgespräch überhaupt eingeladen wurden. Der Andrang auf diese Stelle soll unglaublich groß gewesen sein, behauptet zumindest eine der Bewerberinnen, die offenbar jemand kennt, der hier arbeitet.

Ich verstehe sehr gut, warum die Liste lang war. Das Unternehmen zählt zu den Top-Arbeitgebern und genießt einen hervorragenden Ruf. Der ganz große soll noch verhältnismäßig jung, innovativ und sehr dynamisch, gleichzeitig, aber auch sehr fleißig und hoch intelligent sein. Was den Job natürlich besonders interessant macht ist der Umstand, dass er die Mitarbeiter am Gewinn beteiligt und sie damit selbst einen Einfluss auf ihren Bonus am Ende des Jahres haben. Das soll sich in der Vergangenheit echt ausgezahlt haben.

Nun also bin ich dran. Meine Nervosität kann ich nicht leugnen. Ich klopfe schüchtern an die Tür und betrete den Raum. Er ist groß aber recht spärlich eingerichtet. An einem größeren Schreibtisch sitzen zwei Männer und eine Frau. Sie scheint die Sekretärin zu sei. Das sehe ich sofort daran, dass sie versucht, sich klein zu machen. Ihre Körpersprache spricht Bände.

„Frau Geringer, schön, dass sie sich bei uns beworben haben. Bitte setzen Sie sich“, sagt der Mann in der Mitte. Dabei deutet er sichtlich gelangweilt auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch steht. Für ihn scheinen solche Gespräche Routine zu sein. „Mein Name ist Meintner, ich bin der Personalchef des Unternehmens.“

„Guten Tag“, grüße ich höflich.

Ich gehe auf den Schreibtisch zu, schüttle Meintner, der Frau und dann dem zweiten Mann nacheinander die Hand. Anschließend setze ich mich artig auf den Stuhl, den er mir angeboten hat. Dieser ist nicht sonderlich bequem. Da ich jedoch nicht sehr lange darauf verweilen muss, macht mir das nicht viel aus. Mich würde vielmehr interessieren, ob der unbequeme Stuhl bewusst gewählt wurde, damit die Kandidaten sich kurzfassen oder ob es einfach nur Zufall war, dass ausgerechnet dieser hierhergestellt wurde. Aber, das ist reine Neugier, die sowieso nicht befriedigt wird. Ich lehne mich nicht zurück und versuche einen guten Eindruck zu hinterlassen, indem ich gerade sitze. So wie sich das eben gehört.

Der Mann neben Meintner ist ausgesprochen jung. Ich würde ihn auf Mitte Zwanzig schätzen. Er reicht Meintner, der ihm ein wenig herablassend die Hand hinhält, meine Bewerbungsmappe. Somit ist klar, wer hier das Sagen hat. Aber das war mir schon klar, als sich Meintner als Personalchef vorgestellt hat. Er studiert meine Unterlagen. Ob er wirklich darin liest oder nur versucht, den Anschein zu erwecken, kann ich nicht sagen.

„Frau Geringer, warum haben Sie sich bei uns beworben?“, erkundigt er sich beiläufig. Er blickt dabei nicht einmal von den Papieren auf und liest weiter in den Unterlagen. Diese Frage ist wohl der übliche Einstieg in das Gespräch und vermutlich nur dazu da, um Zeit zu gewinnen.

„Ich brauche Arbeit.“

Was soll ich anderes sagen? Das ist die Wahrheit. Mir ist durchaus klar, dass die anderen Bewerberinnen sich einen schönen Text zurechtgelegt und ihn auswendig gelernt haben. Den werden sie auf diese Frage mit Freude herunterspulen, um sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Aber im Grunde suchen doch alle nur einen Job, der ihnen möglichst Freude macht und wo sie möglichst gut bezahlt werden. Warum sonst sollte man sich für eine Arbeitsstelle bewerben. Aus dieser Offensichtlichkeit heraus halte ich das lange Herumgerede für reine Zeitverschwendung.

Meine Vermutungen waren richtig. Meintner hört mir nicht einmal richtig zu. Erst nach einiger Zeit bemerkt er, dass ich keinen langen Monolog halte und mit meiner Antwort schon lange am Ende bin. Er blickt überrascht auf und weiß im ersten Augenblick gar nicht, was er sagen soll.

„Das ist alles?“

„Wenn das nicht genug ist! Zumindest ist es die Wahrheit. Ich könnte ihnen viel erzählen. Ich bin jung und motiviert, komme frisch von der Uni und habe meinen Abschluss mit sehr guten Noten gemacht. Ich könnte weiters betonen, dass ich während des Studiums auch mehrere Praktika absolviert habe, um einen möglichst guten Einblick in die praktische Arbeit zu bekommen. Das ist auch alles wahr. Aber das können Sie doch meiner Bewerbung entnehmen, das muss ich nicht eigens nochmal aufzählen.“

„Sie wissen schon, dass Sie sich als Projektmanagerin bewerben und, dass für diese Stelle kein Uniabschluss erforderlich ist.“

„Das mag schon sein. Aber der Abschluss schadet hoffentlich auch nicht. Er zeigt wohl eher, dass ich keine halben Sachen mache und, dass ich auch bereit bin, Arbeiten anzunehmen, die nicht unbedingt meiner Qualifikation entsprechen. Wenn ich etwas in Angriff nehme, das kann ich Ihnen versichern, dann gebe ich immer mehr als 100 Prozent.“

„Das klingt ja alles schön und gut, aber haben Sie auch Erfahrung m Berufsleben?“

„Dies hier wäre mein erster richtiger Job. Doch wie schon gesagt, ich habe viele Praktika absolviert und in den Ferien immer Sommerjobs angenommen. Dabei habe ich sehr viel praktische Erfahrung sammeln können.“

„Das ist alles gut und recht, aber … „, meint Meintner.

Er kann den Satz nicht zu Ende sprechen, er wird völlig überraschend unterbrochen. Die Tür wird mit Schwung geöffnet. Kein Anklopfen, kein schüchternes Öffnen, nichts dergleichen. Ein etwa 40 Jahre alter Mann kommt in den Raum gestürmt, als wäre das ganz normal und steht mit drei Schritten mitten im Büro.

Meintner will schon loslegen und schimpfen, als er sich für mich völlig überraschend einbremst. Vielmehr springen er und die beiden anderen am Tisch auf wie Soldaten, wenn der General plötzlich vor ihnen auftaucht. Sie schauen sehr irritiert drein. Diese Situation haben sie eindeutig nicht erwartet und wissen nun nicht, wie sie damit umgehen sollen. Irgendwie finde ich die Szene recht lustig.

„Machen Sie ruhig weiter, ich muss nur etwas holen“, meint der Eindringling salopp.

Er lächelt dabei entschuldigend und wendet sich einem Schrank zu. Er hat kein bisschen schlechtes Gewissen, wirkt aber auch nicht präpotent. Auf mich wirkt er ganz natürlich und ist mir auf Anhieb sympathisch.

Meine drei Gesprächspartner setzen sich zögerlich wieder hin und ich stelle mich bereits darauf ein, dass es wieder weitergeht. Stattdessen wendet sich Meintner erneut zu dem Mann um, als dieser hinter ihm eine Schranktür öffnet. An ein Weitermachen mit meinem Bewerbungsgespräch ist vorerst wohl nicht zu denken.

„Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigt sich Meintner.

„Nein, nein, bemühen Sie sich nicht. Ich komme schon klar. Kümmern Sie sich lieber um die junge Dame, die vor ihnen sitzt. Ich glaube, sie möchte eine Antwort haben und hat schließlich auch ein Recht darauf.“

Meintner scheint noch nicht wirklich überzeugt zu sein. Dem Mann zu widersprechen traut er sich jedoch auch nicht. Deshalb dreht er sich wieder zu mir um.

„Gut, Frau Geringer, kommen wir wieder zu Ihnen. Wo waren wir stehen geblieben?“

„Bei meiner Berufserfahrung.“

„Ach ja! Wie gesagt, Sie sind einerseits überqualifiziert und andererseits haben Sie noch nie gearbeitet. Zumindest nicht in einer festen Anstellung. Was soll ich sagen? Als Projektmanagerin haben sie eine verantwortungsvolle Aufgabe.“

„Wenn mir niemand eine Chance gibt, kann ich auch keine Erfahrung sammeln oder zeigen, was ich draufhabe“, werfe ich ein.

In diesem Moment dreht sich der Mann, der zur Tür hereingestürmt war, zu mir um. Er schaut mich zum ersten Mal genauer an und scheint dabei interessiert drein. Ich habe den Eindruck, als würde er kurz in seiner Bewegung erstarren und sein Blick an mir haften bleiben. Keine Ahnung, warum. Er ist aus einem mir unbekannten Grund sehr überrascht. Er schaut mich nachdenklich an. Seine Stirn zumindest hat er in deutlich sichtbare Falten gelegt.

„Es tut mir leid, wir brauchen erfahrene Leute für diesen Job“, meint Meintner. „Ich fürchte, das ist für Sie der falsche Einstieg ins Berufsleben.“

„Das nenne ich eine klare Abfuhr. Schade! Auf Wiedersehen“, antworte ich. Ich will nicht trotzig klingen, aber meine Enttäuschung kann ich leider nicht ganz hinterm Berg halten.

Ich bin schon doch sauer, will mir das aber trotz allem nicht anmerken lassen. Ich brauche dringend einen Job und dieser hätte mich echt gereizt. Auch wenn er nicht ganz meiner Qualifikation entspricht, wäre es ein guter Einstieg ins Berufsleben gewesen. Ein Job in diesem Unternehmen würde sich in der Vita mit Sicherheit hervorragend machen und damit gut als Sprungbrett auf der Karriereleiter fungieren. Aber daraus wird jetzt wohl nichts, zumindest nicht für mich.

Ich stehe auf und schaue den drei Personen hinter dem Schreibtisch geradewegs in die Augen. Ich räume das Feld mit erhobenem Haupt. An diesem Punkt bleibt mir aber auch nichts anderes mehr übrig, als zu gehen. Ich nicke zum Abschied mit dem Kopf, drehe mich um und mache bereits einen Schritt auf die Tür zu.

„Halt, dageblieben!“

Was war das denn? Meint der mich? Ganz überrascht blicke ich mich um. Der Mann, der eigentlich nichts mit dem Gespräch zu tun hat, fuchtelt mit der Hand durch die Luft. Er meint eindeutig mich. Wie kommt er überhaupt dazu? Sein Vorpreschen überrascht allerdings nicht nur mich. Auch Meintner und seine Beisitzer drehen sich sichtlich irritiert zu ihm um.

„Äh, entschuldigen Sie, ich dachte, ich kann gehen“, sage ich. Etwas Klügeres bringe ich nicht auf Anhieb hervor. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll.

„Nein, nein, es ist genau umgekehrt. Sie müssen mich entschuldigen, weil ich mich einfach so einmische“, meint der Mann.

Er wirkt einerseits ein wenig schüchtern, andererseits kommt er mit einigen entschlossenen Schritten auf mich zu, die ausgesprochen selbstsicher wirken. Er umrundet mit geschmeidigen Bewegungen den Schreibtisch und bleibt direkt vor mir stehen. Nur noch ein kleiner Schritt trennt uns voneinander. Sein Verhalten ist mehr als merkwürdig. Seine Augen sind noch immer auf mich gerichtet, so als wolle er mich hypnotisieren. Er streckt mir eher mechanisch die Hand entgegen.

„Hallo, ich bin Gerry Weigler und Sie?“

„Ich heiße Amy Geringer.“

„Hätten Sie einen Moment Zeit für mich?“

„Ja, äh, natürlich!“

Ich komme unweigerlich ins Stottern. Gerry Weigler? Das ist doch der oberste des Unternehmens. Der Laden gehört ihm ganz allein. Er hat ihn von seinen Eltern übernommen und zu einem sehr florierenden Unternehmen gemacht. Das habe ich irgendwo gelesen, als ich mich über den Betrieb schlau gemacht habe. Schließlich sollte man immer gut vorbereitet sein, wenn man zu einem Vorstellungsgespräch geht. Aber was will er ausgerechnet von mir?

Weigler geht zum völlig verdutzten Meintner. Dieser schaut seinen mit großen Augen an. Er ist mit der Situation überfordert, das sieht man ihm deutlich an. Allerdings traut er sich nicht, etwas zu sagen. Er würde gerne, will aber seinem gegenüber nichts sagen. Ihm ist deutlich anzusehen, dass er sich nur mit Mühe zurückhalten kann.

„Keine Sorge, ich pfusche Ihnen schon nicht ins Handwerk“, beschwichtigt Weigler. Offenbar hat auch er trotz allem bemerkt, dass Meintner nicht sonderlich begeistert ist, dass er sich einmischt. „Geben Sie mir nur die Unterlagen der jungen Dame. Dann verschwinden wir und Sie können mit Ihren Gesprächen fortfahren.“

Jetzt schaut Meintner erstrecht verdutzt drein. Dennoch gibt er Weigler die Unterlagen. Ich glaube er ist froh, wenn wir verschwinden. Weigler dagegen scheint aufzublühen. Er nimmt die Unterlagen und bedankt sich freundlich.

„Kommen Sie!“, meinte er zu mir.

Bei diesen Worten geht er auf die Tür zu und öffnet sie. Ganz Gentleman hält er sie mir auf und schließt sie hinter uns auch wieder. Erst als wir draußen sind, atme ich aus. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich die Luft angehalten habe. Wird wohl die Anspannung gewesen sein.

„Bitte, hier entlang“, meint er. Dabei macht er eine einladende Handbewegung in Richtung der Aufzüge. „Ich darf voraus gehen?“

„Ja, bitte.“

Während ich so neben ihm hergehe, betrachte ich den Mann ein wenig genauer. Er ist sportlich und für sein Alter echt gut in Schuss. Ich würde ihn deutlich jünger schätzen, als er in Wirklichkeit ist. Soweit ich aus dem Netz weiß, soll er Single sein. Von einer oder Frau war weit und breit nirgends eine Spur zu finden. Laut meiner Recherche ist er 40 Jahre alt und lebt eigentlich nur für die Arbeit. Er ist kaum auf gesellschaftlichen Events zu sehen und wenn, hatte ich von den Fotos her immer den Eindruck, als würde er sich langweilen. Er scheint ein absoluter Einzelgänger zu sein. Trotzdem ist er mir nicht unsympathisch, auch wenn ich die soeben erlebte Situation doch als ein wenig spooky bezeichnen würde.

„Sie haben sich bei uns beworben – äh – als Projektmanagerin — so steht es zumindest in diesen Unterlagen“, meint er, als wir auf den Aufzug warten. Er blättert die ganze Zeit in den Papiern. „Warum bei uns?“

„Ich habe von einer gehört, dass Sie eine Projektmanagerin suchen und habe mich gemeldet. Ich brauche relativ dringend einen Job.“

„Eine Freundin haben Sie gesagt?“

„Ja, eine Freundin.“

Er wirkt etwas abwesend und ich verstehe nicht, warum er noch einmal nachfragen muss. Warum darf mir eine Freundin nicht sagen, dass sein Unternehmen eine Projektmanagerin sucht? Einen Moment lang bin ich fast geneigt, mich aus dem Staub zu machen. Die Sache wird mir allmählich zu sonderbar. Allerdings bin ich auch ein wenig neugierig, warum er sich so verhält. Oder verhält er sich immer so? Das kann ich mir aber auch nicht vorstellen, sonst wäre er vermutlich nicht so erfolgreich.

Schlussendlich bleibe ich doch und wir stehen eine Zeitlang einfach nur da, warten auf den Aufzug und sagen beide kein Wort. Er liest immer noch in den Unterlagen. Erst das Pling, das ankündigt, dass sich die Aufzugtüren gleich öffnen werden, reißt uns beide aus unseren Gedanken.

„Nach ihnen“, meint er. Dabei deutet er mit einer Hand galant in den Aufzug.

„Danke.“

Ich weiß immer noch nicht, was ich von der Sache halten soll. Dieser Mann soll sehr erfolgreich ein Multimilliardenunternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien und der Telekommunikation leiten? Er soll zahlreiche Patente selbst entwickelt haben? Dieser Mann? Ich kann das kaum glauben. Er wirkt unkonzentriert und so, als wäre er nicht ganz bei der Sache.

Er gibt eine Nummer in ein Zahlenpanel ein und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Vermutlich ist die Chefetage nicht für alle zugänglich, überlege ich, um mich ein wenig abzulenken. Das Grübeln, was er von mir wollen könnte, bringt mich auch nicht weiter. Er wird es mir wohl hoffentlich bald sagen.

„Sie suchen also relativ dringend einen Job. Mit ihren Qualifikationen könnte das echt etwas werden.“

„Aber Herr Meintner hat mir doch eine Absage erteilt.“

„Der schon.“

„Aha und wer nicht?“

„Sie suchen einen Job, ich eine fähige Assistentin. Wenn Sie keine Vorbehalte gegen diese Stelle haben und nicht auf die Arbeit als Projektmanagerin fixiert sind, dann könnten wir beide unsere Suche beenden.“

Er grinst ein wenig schelmisch. Er kommt sich wohl besonders witzig vor. Ich dagegen weiß nicht mehr, was ich denken soll. Einerseits kommt mir der Vorschlag so vor, als wäre das alles nicht real, andererseits wäre dieser Job eine unglaubliche Chance für mich. Die Assistentin vom obersten Boss des vermutlich größten Unternehmens im Lande zu sein, ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Job als Projektmanagerin. Das ist ohne Übertreibung ein Traumangebot!

„Warum wusste Ihr Personalchef nichts davon, dass Sie eine Assistentin suchen?“

„Personalchefs müssen nicht immer alles wissen“, kontert er.

Er grinst immer noch und kommt mir dabei vor, wie ein kleiner Lausbub, der sich darüber freut, dass der beste Streich seines Lebens voll geglückt ist. Er wirkt absolut ehrlich. Mein Bauch sagt mir, so ein Mann kann keine schlechten Absichten verfolgen. Aber noch bevor ich etwas sagen kann, öffnen sich die Fahrstuhltüren.

Vor uns liegt ein relativ großes aber sehr ansprechend gestaltetes Foyer. Links und rechts gehen lange Gänge ab. In der Mitte des Raumes steht ein beinahe runder Tresen hinter dem zwei Frauen sitzen und arbeiten.

„Hallo Herr Weigler“, grüßt eine davon. „Schon zurück?“

„Hallo Sabine, das ist Amy meine neue Assistentin.“

„Ihre was?“

„Meine neue Assistentin.“

„Wo haben Sie denn die so schnell gefunden?“

„Was ein Glückstreffer.“

„Ein Glückstreffer?“

„Ja, ehrlich! Sie ist mir einfach so über den Weg gelaufen.“

„Aha, einfach so. Sie fahren hinunter, um ein Formular zu holen, damit die Personalabteilung eine neue Assistentin für Sie sucht und statt mit dem Formular kommen Sie gleich mit der neuen Assistentin zurück. Wie geht denn so etwas?“

„Glück muss der Mensch haben.“

Er zuckt mit den Schultern und kommt mir erneut vor, wie ein kleiner Junge. Auch Sabine schaut ihn etwas verwundert an. Ich nehme stark an, dass sie ihn noch nie so erlebt hat und sich Gedanken macht, ob er noch alle Sinne beisammenhat. Sie schüttelt den Kopf und lacht dabei. Ihr Blick sagt mir, dass sie sich für ihn freut.

„Kommen Sie“, weist er mich an. „Achten Sie nicht auf Sabine.“

Er lächelt zufrieden, umrundet den Tresen und geht auf eine der beiden Türen dahinter zu. Notgedrungen folge ich ihm. Er öffnet die Tür und lässt mir erneut den Vortritt. Diesmal jedoch bleibe ich staunend an der Türschwelle stehen. Das Büro ist riesig. Auf der einen Seite steht ein großer weißer Schreibtisch, in der Mitte ein Konferenztisch und auf der anderen Seite eine weiße Couchgarnitur. Die Wand gegenüber der Tür ist eine einzige, riesengroße Glasfront. Diese reicht vom Boden bis zur Decke und von der einen Wand bis zur anderen. Wir sind im 25 Stock und man hat einen gigantischen Ausblick über München. Staunend bleibe ich stehen und bewundere das Panorama.

„Kommen Sie“, drängt er.

Er weist leicht ungeduldig zur Couch und ich komme seiner Einladung nach einer kurzen Verzögerung nach. Er folgt in gebührendem Abstand. Offenbar hat er tatsächlich eine Assistentin gesucht und es war wohl reiner Zufall, dass wir uns genau in dem Moment über den Weg gelaufen sind. Aber warum ausgerechnet ich? Das nenne ich eine Fügung des Schicksals.

„Nehmen Sie bitte Platz. Möchten Sie etwas trinken? Ein Glas Sekt vielleicht, um auf die Zusammenarbeit anzustoßen?“

„Sekt um diese Zeit?“

„Schauen Sie nicht so tadelnd drein. Ich dachte doch nur.“

„Lieber ein Glas Wasser.“

Er schaut schuldbewusst drein und nimmt den Hörer des Telefons, das auf einem kleinen Tischchen steht. Er wählt eine Kurzwahl und bestellt einmal Wasser und einen Espresso.

„Sie auch Kaffee?“

„Nein Danke.“

„Dann nur einmal Wasser und einmal Espresso, Sabine. Danke!“

Er legt den Hörer wieder zurück und setzt sich bequem hin. Während seiner Bestellung hatte ich erneut Gelegenheit, ihn zu betrachten. Der Mann schaut verdammt gut aus. Wenn er wirklich keine Frau oder Freundin hat, dann ist das die pure Verschwendung. Oder ist er so eigenartig, dass es keine bei ihm aushält? Als er mir wieder seinen Blick zuwendet merke ich, wie mir die Wärme in die Wangen steigt. Scheiße, ich werde rot wie eine Tomate!

„Haben Sie Vorbehalte oder kann ich mit Ihnen rechnen?“

„Was wären denn meine Aufgaben?“

„Am Anfang werden Sie mir Unterlagen vorbereiten, meine Termine verwalten und darauf achten, dass ich immer alles habe, was ich brauche. In einem zweiten Moment kann es dann durchaus auch sein, dass sie auch eigenständig Aufgaben übernehmen müssen.“

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