Ist es Liebe?
1
Da stand er nun. In einer fremden Wohnung die er gestern Abend zum ersten mal betreten hatte und in der er die Nacht verbracht hatte. Trotzdem erschien ihm immer noch alles fremd. Immer wieder las er ihre SMS auf seinem Handy: „Bin in 10 Min. bei dir!“ Gleich würde sie also da sein. Er wusste nicht wie sie aussah. Nur ihre Stimme kannte er vom Telefon. Nervös steckte er sich die nächste Zigarette an. Unbeteiligt, als ginge es ihn nichts an, registrierte er, dass im Aschenbecher noch ein halb angerauchte Zigarette vor sich hin qualmte. Er drückte sie aus. Seine Gedanken kreisten nur um sie. Er spürte wie sein Herz bis zum Hals schlug. Unruhe machte sich in seinem Körper breit und er stand auf und ging ans Wohnzimmerfenster.
Sein Blick wanderte die Straße hinunter die unmittelbar zum Haus hinaufführte. Diese Straße muss sie heraufgefahren kommen und dann würde sie bei ihm sein. Fünf ruhelose Nächte hatte er darauf gewartet. Er wusste auf was für ein Auto er achten musste. Sie hatte es ihm in einem der stundenlangen Telefonate der letzten Tage verraten. Er hoffte, er würde sie im Auto bereits erkennen können. Nichts wollte er so sehr wie sie jetzt endlich sehen. Ein Blick zur Uhr, doch die Minuten verstrichen nur zäh. Nein, es konnte nicht sein das erst zwei Minuten vergangen waren, seit sie die SMS geschickt hatte. „Bin in 10 Min. bei dir!“ Wie konnte es nur soweit kommen, wo es doch keiner von beiden eigentlich wollte. Er wusste es nicht. Seinen Gedanken ließen die letzten Tage nochmals Revue passieren.
2
Er kannte sie aus dem Internet, aus dem Chat. Man hatte zusammen geschrieben, sich ausgetauscht und gescherzt. Damals war sie noch im Ausland. Es machte beiden Spaß ihre Witze zu reißen und den anderen auch mal zu reizen. Dann war sie zurückgekehrt nach Deutschland. Da sie keinen eigenen PC besaß wurden die Unterhaltungen im Chat weniger bis sie ganz aufhörten. Doch der Kontakt riss nie wirklich ab. Mal schrieb er eine E-Mail, mal sie. Mal schickte er eine SMS, mal sie. Eigentlich nur, um die Verbindung weiter aufrechtzuerhalten. denn sie verstanden sich gut und mochten einander, mehr nicht. Dann war diese SMS von ihr gekommen, in der sie ihm mitteilte das sie das nächste Wochenende frei von allen Verpflichtungen sei und sie ihn nun endlich mal persönlich treffen möchte.
Er hatte sich inzwischen von seiner Frau getrennt und lebte allein in einer kleinen Wohnung und hier wollte sie ihn besuchen kommen. Was dann folgte war das erste entscheidende Telefonat, dass das Leben von beiden völlig durcheinander brachte. Sie hatte so eine lieb, sympathische und weiche Stimme und als er sie das erste mal hörte überkam ihn bereits ein seltsames Gefühl. Er wollte es nicht wahrhaben. Es war ein gutes Gespräch. Länger als geplant. Ja klar, sich treffen. Sich kennen lernen. Spaß haben zusammen. ABER KEINE BEZIEHUNG! Das war für beide klar. Und doch kam es anders.
Am nächsten Tag das nächste Telefonat – schon länger als das erste. Man kam sich näher, stellte viele Gemeinsamkeiten fest. Als das Telefonat beendet war, wusste er, es war passiert. Alles leugnen half nicht mehr. Hoffnungslos verloren. Gefangen in den eigenen Stricken. Weitere Telefonate folgten. Stundenlang, mehrmals am Tag und bis tief in die Nacht. Absprachen für das Treffen wurden gemacht. Nicht sie würde zu ihm kommen sondern er zu ihr. Man würde sich in der leerstehende Wohnung einer Freundin treffen und dort das Wochenende miteinander verbringen. Er gestand ihr seine Zuneigung und sie ihm die ihre. Und dann hatte er sich auf den Weg gemacht. Bereits am Abend vorher war er in der Wohnung eingetroffen. Sie würde erst am nächsten Morgen dazukommen. Der Abend und die Nacht waren schon schlimm. Seine Gedanken kreisten immer nur um sie. Ein letztes Telefonat vor dem Treffen. Schließlich schlief er übermüdet ein. Doch nach wenigen Stunden bereits war er wieder wach. An Schlaf nicht mehr zu denken. Der große Tag war gekommen.
3
Ihr war es sicher ähnlich ergangen und nun gab es kein zurück mehr. Doch, vielleicht doch. Einfach die Sachen nehmen und gehen. Sie nicht treffen. Das war die einzigste Chance die blieb. Nein, eine weitere blieb. Vielleicht war sie abstoßend und überhaupt nicht der Typ Frau die er bevorzugte. Nein, diese Chance war eigentlich zu gering. Sie hatte sich beschrieben. Und außerdem, zu so einer Stimme passte keine Frau die hässlich war. Gedanke verworfen. Als doch die Sachen nehmen? Wieder ein Blick aufs Handy „Bin in 10 Min. bei dir!“. Wie lange war es her das sie die SMS geschickt hatte? Er blickte auf die Uhr. Zu spät, die Zeit war um und bereits um einige Minuten überschritten. Inzwischen hatte er sich zum Kettenraucher entwickelt. Eine Zigarette nach der anderen rauchte er. Entweder jetzt oder nie. Er blickte wieder aus dem Fenster. Und dann war es tatsächlich zu spät.
Er sah das Auto die Straße heraufkommen. Die Fahrerin konnte er nicht erkennen. Durch das geöffnete Fenster hörte er wie das Fahrzeug eingeparkt wurde. Eine Tür klappte. Sein Herz raste. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Nervös lief er auf und ab. Dann zerriss ein lautes Klingeln die Stille. Er ging in den Flur und betätigte den Summer. Anschließend öffnete er die Tür. Er hörte ihre Schritte im Treppenhaus. Ganz bis nach oben musste sie. Und dann sah er sie. Langsam kam sie um die Ecke und ging die letzten Stufen hinauf. Ihre Schritte wurden langsamer. Fast blieb sie stehen. Dann stand sie vor ihm. Er nahm sie in den Arm und drückte sie. Auch sie umarmte ihn. Er wollte sie nicht mehr loslassen. Das war es. Amor hatte zugeschlagen. JAAAAAAA – ES IST LIEBE UND ES IST WUNDERBAR.
Ende