Ich nannte ihn meinen Herrn.
Ich nannte ihn Herr so zwangsläufig und selbstverständlich, wie der Weg war, der dahin führte. Ein Weg an seiner Hand, unter seinem prüfenden Blick.
Ich schwamm in einem Meer von Emotionen, getrieben, getragen und losgelöst. Er war der Felsen in diesem Meer, an dem ich mich brach, der mich hielt und mein Zufluchtsort wurde.
Mein zu Hause nannte ich es mal, auch wenn nichts daran heimisch war.
Das Verborgene, das Wahre zeigt sich, wenn man dahinter sieht. Hinter allen Fassaden liegt ein Ort, der unbetretbar scheint. Ein Schloss hinter unzähligen Toren, erreichbar über halbverfallene Brücken. Gut bewacht von allen Dämonen meiner inneren Welt.
Diesen Ort hat er erreicht. Einen jungfräulichen Ort, denn nicht mal ich hatte bisher gewagt ihn außerhalb meiner Traumwelt zu betreten.
Wen wundert es also, dass ich ihn meinen Herrn nannte.
Herbst war es und kalt. Regen spülte nicht meine Verzweiflung fort, wohl aber meine Verblendungen. Ob ich wollte oder nicht (und glaubt mir, Letzteres war eher der Fall), ich musste mein eigenes Wissen anerkennen. Eine bittere, aber klare Erkenntnis, die die Sub in mir unaufhaltbar zur Ader ließ.
Es war vorbei. Egal in welche Richtung ich mich wenden würde, der Weg wird ein Weg von ihm fort sein.
Der Mann, den ich meinen Herrn nannte, war ein Fremder. Trotz all der unglaublichen intensiven Begegnungen war es mir nicht gelungen, ihm nah zu kommen.
Seine Seele blieb mir fern.
In jenen Herbsttagen, als ich beschloss mich von dem Mann zu lösen – der mich nie binden wollte und doch zu fesseln verstand– begann ich zu schreiben. Nicht gegen das Vergessen, sondern gegen den Schmerz, in dem ich mich ihm ein letztes Mal hingab.
Schmerz, der nicht nur den Verlust betrauerte, sondern vielmehr selbst verloren ging in den Stürmen meines Inneren.
Festhalten wollte ich, was nicht nur als verloren erschien, sondern darüber hinaus nie wirklich existiert zu haben schien.
Es war ein Spiel. Eine andere Realität, völlig anders als meine täglichen Wirklichkeiten.
Er war der Spieler. Und ich? Ich liebte sein Spiel und untrennbar damit auch ihn, oder den, für den ich ihn halten wollte.
Ohne ihn — das war nicht nur unerträglich. Ich fühlte mich wie amputiert.
Nicht von ihm, der nie Teil von mir war. Nein, vielmehr abgeschnitten von meiner Sehnsucht, meinem Verlangen, meiner Gier — deren Schlüssel er längst in der Hand hielt, zielsicher in mich eingefallen war, um mich gründlich zu verwüsten, auf den Kopf zu stellen, aus der Fassung zu bringen … zu zerlegen und enttarnen.
Von all dem wusste ich nichts in diesem Frühling, als eine verhängnisvolle Kontaktanzeige mir jenen Kontakt bescherte, der all das vermochte und verstand.
Wieder einmal mehr war mein Leben in eine Art Sackgasse geraten. Alles darin trug meine Handschrift, war das Ergebnis meines Handelns, meiner Passivität. Mitten im Leben sozusagen stellte ich fest, dass egal was ich tat oder auch nicht, etwas Wesentliches zu fehlen scheint.
Ich war nie wirklich einsam und doch fühlte ich mich so.
Ich war nie wirklich im Stillstand und doch fühlte ich mich getrieben.
Ich war auch nie ängstlich und doch wusste ich, dass die Angst in mir wohnt.
Eine Angst, die mich lähmte und gleichzeitig doch meine größte Triebkraft war. Die Angst mich zu verlieren, aus den Augen zu verlieren, wer unter all diesen Funktionalitäten, Lebenslügen und Selbsterhaltungstrieben tatsächlich wohnt.
Da wohne ich. Und ich bin eine submissive, aus tiefster Seele devote Frau mit einer starken, undefinierbaren Sehnsucht, die mich nicht zur Ruhe kommen ließ.
Lange Zeit konnte ich dem keinen Namen geben. Ich wusste nur immer, irgendetwas ist anders an mir. Meine Art zu lieben schien eine andere Art zu sein, als jene die ich bei anderen Frauen beobachtete. Ich war irgendwie so …grenzenlos. Ich hatte mehr Männer in meinem Leben als andere Frauen Schuhe besaßen. Mit 37 Jahren hatte ich mehr Erfahrungen, als in ein Leben passen sollte.
Sicher ein Zeichen der Getriebenheit, der haltlosen Suche ohne zu wissen wonach. Und doch blieb ich unschuldig im Sinne der Unberührtheit dabei. Meine Seele hat niemand wirklich erreicht. Selbst die nicht, denen ich sie vor die Füße legte.
Ich hatte es satt umher zu irren und den Phantasien davon zu laufen, die mir so bizarr erschienen, das ich sie nur selten in einsamen, von heftigen Orgasmen geschüttelten Momenten an meine Oberfläche ließ, um sie gleich darauf wieder gut gesichert einzuschließen.
Ich dachte nicht an Emanzipation, nicht an die Moral und an die Furcht davor pervers zu sein — Nein, was mich zögern ließ, war meine Ahnung, welch explosive Kraft für mich hinter all dem stecken könnte, wenn ich es wagen würde, den Deckel anzuheben.
Ich tat den ersten Schritt.
Ich schaltete eine Anzeige.
Er tat den Zweiten.
Er antwortete.
Sehr banal, nahezu einfallslos und gewöhnlich. Kein ausgemachter Zufall stattdessen formulierte Absichtserklärung.
Aber die zumindest schienen sich ähnlich zu sein.
Und dann saß ich da, in diesem Herbst, mit diesem Halsband.
Da saß ich nun mit meinem Wissen, mit meinen Erfahrungen und mit meinem Schmerz.
Einen Schmerz, dessen Intensität ich immer erahnt habe. Mit Spuren an meiner Seele, die sich tiefer eingebrannt haben als jeder körperlicher Schmerz es vermocht hätte. Ich wollte fliehen und konnte es doch nicht. Dieses Tier in mir ließ sich nicht mehr einsperren, nicht mehr an die Leine legen. Es war nun frei, es kannte einen Ort, wo es leben konnte.
Von diesem Platz wurde es verbannt. Es wurde verbannt von dem, den ich meinen Herrn nannte.
Das hier zu schreiben, schien die einzige Möglichkeit zu sein, nicht verrückt zu werden, den freien Fall aufzuhalten.
Ich klammerte mich an die Tastatur als wären es Stricke, die mich zu halten vermochten. Einmal noch, nur einmal noch — und gleichzeitig war jedes Wort der verzweifelte Versuch, der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
Im Dreck zu kriechen scheint weniger schlimm als Dreck zu sein. Die Grenzen sind fließend.
Denn du HERR fängst mich nicht.
Du hast mich fallen lassen.
Komm her und sieh dir an, wohin die Nacht sich neigt.
Ich trage noch immer das Halsband, das du mir gegeben hast.
Komm her und sieh ihn dir an, meinen Weg, auf dem du mich begleitet hast.
Auch wenn ich immer nur wünschte, du wärest ihn mit mir gegangen.
Ein unbeschriebenes Blatt hast du mich genannt.
Nun sieh dir an, womit du es beschrieben hast.
Jedes Zeichen auf meiner Haut trug deine Handschrift. Du wolltest, dass sich das einbrennt.
Das hat es. Tiefer als du ertragen kannst.
Die erste Begegnung
Ich erinnere mich an meine ungeheure Anspannung, innerlich war ich in einem Zustand der Höchstspannung in diesen Tagen kurz vor dem Samstag, an dem ich ihm zum ersten Mal begegnen sollte.
Wie ein unruhiges Tier im Käfig warfen sich Gedanken, Gefühle hin und her.
Unzählige Mails waren in den letzten drei Wochen hin und her gegangen.
Nächtelange Telefonate ließen mein reales Schlafpensum auf drei Stunden am Tag schrumpfen.
Mein Adrenalinspiegel ließ mich die Müdigkeit vergessen.
Ich war wach.
Es war, als bräuchte ich nie wieder zu schlafen.
Ich brannte, war fasziniert von diesem Spiel, das er begonnen hatte in jenem Moment, als ich anfing sein Interesse zu erregen. Also nach ungefähr fünf Minuten. Ich brauchte noch weniger lang.
Hunger, Hunger, schrecklicher Hunger und die Ahnung, dass eine bitter — süße Mahlzeit auf mich warten könnte. Mehr brauchte es nicht.
Samstagmorgen — ich wusste, er ist bereits in meiner Stadt. Als ich die Augen aufschlug, fühlte ich einen süßen Krampf in meinem Magen. Wie von einer inneren Faust zusammengedrückt, erwachte er mit mir zusammen in meinem Bauch.
Es ist so weit. Der Tag beginnt.
Der Anfang eines neuen Tages, der gleichzeitig der Beginn einer neuen Zeitordnung meines Lebens werden sollte. Von da an ordnete ich alles in ein System davor oder danach ein.
Zunächst war alles wie immer. Ich kümmerte mich um die Kinder, deren Unterbringung ich bereits geregelt hatte. Gegen Mittag verabschiedete ich mich von ihnen, vielleicht ein wenig intensiver als sonst. Fröhlich verließen sie die Wohnung, ihre lauten Stimmen mit ihnen, ihr Lachen und damit ein Teil meiner Welt, aus der ich ausstieg, als hinter ihnen die Tür zufiel.
Allein.
Oh, ich hatte noch so viel zu tun. In hektischer Geschäftigkeit sprang ich unter die Dusche, laut Musik hörend.
Ebenso laut sang ich mit, von einer seltsamen Erregung gepackt, eine spürbare Energie, die in meine Poren fuhr und die Augen zum Leuchten brachte, während ich diese schminkte.
Mit akribischer Sorgfältigkeit bereitete ich mich vor, als hinge mein Leben von ab, wie ich aussehen würde. Leise belächelte ich mich, während ich die Strümpfe zurechtrückte, die Stiefel schnürte, denn mehr als dieses und meine Haut würde ich nicht tragen, wenn er mich das erste Mal zu Gesicht bekommen würde.
Hochspannung.
Ich riss die Kleiderschranktür auf und suchte nach einem passenden Mantel, unter dem vielleicht meine Nacktheit nicht gleich erkennbar wäre, der mir aber trotzdem einen Hauch von Erotik lassen würde. Ich entschied mich für den Dekadentesten unter meinen Besitztümern, einen Plüschmantel im Leopardendruck. Erschrocken und gleichzeitig amüsiert sah ich mich im Spiegel an. Hilfe! Lieber Gott, lass bitte niemanden des Weges kommen, der mich kennt.
Jetzt gab es nichts mehr zu tun.
Ich hatte angezogen, was er mir aufgetragen hatte. Meine Tasche war gepackt. Ich war fertig. Viel zu früh.
Ich ließ mich auf die Couch fallen, rauchte. Drückte die Zigarette aus, bevor die Glut sie zur Hälfte heruntergebrannt hatte. Ich war jetzt in einem fast meditativen Zustand. Zum ersten Mal erlebte ich bewusst den Zustand der aktiven inneren Überwindung. Der Moment der Entscheidung. Diese Reise ins Ich, die ich bejahte mit dem Mut des Wahnsinns oder dem Wahnsinn der Mutigen.
Ich griff zum Telefon.
„Ich bin fertig.“ Meine Stimme klang gepresst.
Ich zitterte.
„Schon? Gut, dann gehst du jetzt zum Heineplatz. Vor dem Kaufhaus gibt es einen Chinaimbiss. Da kaufst du eine Chinapfanne. Und wenn du fertig bist, rufst du mich an. Hast du das verstanden?“
Ja, hatte ich. Auch wenn meine Nervosität gerade ein Stadium erreichte, dass es mir schwer machte, die Informationen zu verarbeiten.
Er bemerkte mein Zögern, meine Unsicherheit.
„Ab Marsch. Du weißt, was zu tun ist.“
Diese Stimme duldete keinen Widerspruch. Also lief ich los.
Im Fahrstuhl sah ich mich im Spiegel an. Du kannst immer noch umdrehen. Ein deutliches „Vergiss es“ grinste mir entgegen.
Ich lief zur U-Bahn, jetzt völlig konzentriert auf mein Handeln.
Blicke, die mich trafen, registrierte ich mit leichtem Unbehagen, aber ich lief meinen Weg völlig unbeirrt, in mich versunken, angetrieben von seinem Befehl und meinem Verlangen zu folgen.
Ich sah ihn überall. In jedem Mann, der auch nur annähernd auf die Beschreibung passte. Die Welt bestand plötzlich nur noch aus seinen Augen und jeder Schritt, jedes Lächeln von mir war bereits ein Schauspiel für ihn.
Den Chinaimbiss fand ich sehr schnell. Hier wurde es wirklich aufregend, denn natürlich vermutete ich ihn in der Nähe. Meine Augen flirteten heftig mit einem Kerl um die fünfzig, der mich verwundert ansah, während er in eine Bratwurst biss. Dann lächelte er breit, die fehlenden Schneidezähne präsentierend. Nein, nein das nun doch nicht, dachte ich.
Ich hatte nie in Erwägung gezogen, er könnte hässlich sein, fiel mir plötzlich ein. Egal, ich muss ihn nicht heiraten.
Ich kaufte die Chinapfanne, stopfte sie in meine Tasche und stellte mich etwas abseits. Noch einmal die Umstehenden musternd, aber niemand beachtete mich. Da müsste ich den Mantel schon ausziehen, dachte ich und wählte lachend seine Nummer.
„Was ist so lustig? Hm?“ fragte er gedehnt „Du bist ja bester Stimmung. Na, wenn das mal kein Fehler ist.“
Ich musste trotzdem lachen. Diese ganze Situation war so verrückt, dass ich ihr ins Gesicht lachen musste um nicht durchzudrehen.
„Du fährst jetzt zum Reichstag. Da holst du mir ein Prospekt für Touristen. Das bringst du mit. Danach fährst du zum U- Bahnhof Kaiserdamm.
Um 17:00h stehst du am Kaiserdamm, Ecke Rochlitzstraße. Dann sehen wir weiter.“
Ich schluckte, mein Kopf war irgendwie völlig leer. Ich hatte Mühe, die Informationen zu behalten. Katz und Maus, dachte ich. Der spielt mit mir tatsächlich Katz und Maus. Und ich spielte mit.
Die Sonne schien an diesem Tag im März. Ein kalter Wind wehte von Osten und kämpfte immer wieder mit dem Mantel, der unten aufzuspringen drohte. Die Gefahr mir dabei die Blase zu verkühlen war noch das geringere Risiko. Bitte, Gott lass die Verschlüsse halten!
Der Bus war voll. Im dichten Gedränge stand ich in der Nähe der Tür. In jeder Kurve, bei jedem Bremsen wurden Menschen an mich gedrückt. Mir war heiß. Mir war so heiß vor Aufregung und Scham, vor Vorfreude und Angst.
Ich war so aufgeregt, dass ich in den falschen Bus gestiegen war. Das stellte ich erst kurz vor dem Bahnhof Zoo fest. Hilfe, die Zeit würde knapp werden. Ich musste zum Reichstag, egal wie.
Am Zoo fand ich schnell den richtigen Bus, setzte mich hin und versuchte mich diesmal auf die Stationen zu konzentrieren. Als ich aufstand, hinterließ ich ein deutliches feuchtes Zeichen auf dem Sitz. Ich war entsetzt und entfloh im Ausstieg der Peinlichkeit.
Was passiert hier mit mir? Mein Körper reagierte bereits hemmungslos auf ihn, den ich nun wieder in der langen Schlange der vor dem Reichstag Wartenden vermutete.
Ich lief über den freien Platz, versuchte die Situation abzuschätzen.
Wo kriege ich dieses verdammte Prospekt her? Wenn ich mich anstellen würde, würde ich nie pünktlich am Kaiserdamm sein. So viel stand fest. Also musste die Frechheit siegen.
Nur mit Strümpfen, Stiefeln und diesem scheußlich nuttigen Mantel bekleidet, stieg ich die ehrwürdige Treppe nach oben. Mit erhobenen Kopf und dem Lächeln der Verzweifelten kam ich oben an. Ein älterer Herr hielt das begehrte Prospekt in den Händen. Ich fragte ihn, wo er es her hätte. Er zeigte nach unten. Am Fuße der Treppe gab es einen Informationsstand, den ich in meiner Aufregung völlig übersehen hatte. Auf stolzen Absätzen schritt ich nach unten und hielt in weniger als einer Minute das Objekt der Begierde in meinen Händen.
Ab in die Tasche damit zur Chinapfanne.
Ich hatte noch Zeit.
Ich setzte mich auf einen Mauervorsprung und beobachtete die Menschen. Überall suchte ich ihn. Ich saß da, lächelte und plötzlich wich alle Angst und Scheu von mir. Ein heftiges Kribbeln überkam mich, heftige Vorfreude, heftiges Verlangen … Ich fühlte mich ihm nah in dieser Minute. Ich gab meiner Sehnsucht endgültig nach und folgte ihr wie einer Bestimmung. Ich wollte ihn sehen, jetzt, hier, sofort. Was konnte so schlimm sein an etwas, das mir so heftige Lust verschaffte? Was sollte mich jetzt noch aufhalten können? Ich machte mich auf den Weg und fand mich kurz vor der verabredeten Zeit an vereinbarter Stelle wieder. Mein Herz klopfte bis in den Hals.
Nein, verdammt ich sah ihn nicht. Eine Weile trat ich unruhig von einem Bein auf´s andere. Was hätte ich jetzt für eine Zigarette gegeben.
Natürlich rauchte ich nicht. Das musste er mir nie sagen. Das war so selbstverständlich wie vieles das feststand von Anfang an.
Wo ist er? Ich griff nach meinem Handy, verkündete ich wäre da. Er fragte wo und behauptete plötzlich ich wäre falsch. Ein anderer Ausgang wäre der richtige. Katz und Maus klapperten die Absätze auf ihrem Weg die Treppe runter und wieder rauf. Ich stand am Straßenrand und wusste plötzlich ganz sicher, dass er in der Nähe ist. Ich fühlte seine Augen.
Wieder rief ich ihn an.
Er erklärte mir, ich solle Richtung Funkturm laufen. Links über den Parkplatz und dann einfach immer gerade aus. Bis zur AVUS — Raststätte, dort würde sein Mobil stehen. Dann solle ich mich auf die Toilette begeben und mich melden, wenn ich bereit wäre.
Mit einem breiten Grinsen in der Stimme murmelte er „Leopardenfrau“
Da war es geschehen um meine Beherrschung. Ich flog. Ich konnte nun endgültig keinen klaren Gedanken mehr fassen. In völliger Aufruhr machte ich mich auf den Weg.
Ich überquerte den benannten Parkplatz, bog dann aber nach rechts statt nach links. Mein Handy klingelte. Jetzt gar nicht mehr sanft, fragte er mich, ob ich ihn verarschen wolle. Ich würde in die falsche Richtung laufen.
Ich wusste jetzt, was ich wissen wollte. Er beobachtet mich und machte mich schleunigst daran, die Richtung zu ändern.
Die Straße war lang. Die Sonne ging unter und tauchte die Stadt in ein merkwürdiges Licht.
Ich selbst erreichte einen Zustand der merkwürdigen Ruhe. Ich lief einfach weiter, überließ mich dem Weg, meinen klackenden Schritten, meiner Gedankenmelodie und fühlte mich frei und groß und bereit. Ich musste mich nicht ins Schicksal ergeben. Das Schicksal ergab sich mir.
Auf dem Parkplatz angekommen, entdeckte ich sofort sein Reisemobil.
Wie beschrieben stand hinten auf dem Anhänger sein SMART. Natürlich blickte ich auf die Nummer. Aber allein die Tatsache, dass ich sie offen sehen konnte, war mir Sicherheit genug.
In der Raststätte ging ich sofort auf die Toilette, zog den Mantel aus, registrierte meine eigene Feuchtigkeit und dachte: Himmel, was machst du hier? In diesem weißgekachelten Raum mit sanfter Hintergrundmusik fühlte ich mich wie eine Außerirdische. Ich erkannte die mich umgebene Welt und konnte schon keinen Bezug mehr zu ihr herstellen. Ich war bereits in einer anderen. In unserer Welt, auch wenn mir das Unser nicht mal im Ansatz klar war.
Ich rief ihn an.
„Gut. Dann geh jetzt bitte auf die Herrentoilette. Da liegt was im Mülleimer, das dir bekannt sein wird. Damit gehst du zurück zum Mobil, öffnest die Tür, zwei Schritte nach rechts, einer nach links. Da darfst du es dir dann in bekannter Position zwei bequem machen und auf mich warten, mein kleiner Lustengel.“
Eine Liste mit den erwünschten Positionen hatte ich bereits Tage vorm Treffen per Mail erhalten und wunschgemäß auswendig gelernt.
Ich zog den Mantel wieder an. Jetzt wirklich nicht mehr denkend, lief ich wie fremd gesteuert die Treppen zum Männerklo hinunter. Todesmutig öffnete ich die Tür, stürzte zum Mülleimer unter dem Waschbecken und zog ein zerknittertes Reichstagsprospekt heraus. Da musste ich doch grinsen und dachte: Schöner Kater. Dein Spiel gefällt mir.
Wieder lief ich zurück über den Parkplatz, versuchte die Tür vom Mobil zu öffnen.
Mist, warum geht das nicht? Trotz Rütteln, sie blieb zu.
Wieder rief ich ihn an. Die Tür geht nicht auf.
„Du hast die Schlüssel vergessen auf dem Männerklo. Noch mal zurück, du kleine Schlampe. Und lass die Tasche stehen.“
Ein leichter Anflug von Widerspruchsgeist überkam mich. Aber das war wohl nicht die richtige Zeit dafür. Also tat ich, was er verlangte, obwohl ich vorher schon ahnte, dass ich wohl keine Schlüssel dort finden würde. Richtig. Stattdessen stand ich einem verwirrten Mann gegenüber, dem wohl nicht alle Tage eine merkwürdig bekleidete Dame auf dem Klo begegnet, die den Mülleimer durchsucht.
Ich machte, dass ich raus kam und lächelte entschuldigend.
Die Tür stand offen.
Als ich sie hinter mir zuzog, im Dunkeln stand und zum ersten Mal den Geruch seiner Welt atmete, war es vorbei mit meiner Ruhe. Ich tastete mich vor und fand an beschriebener Stelle eine weich gepolsterte Fläche auf Kniehöhe. Ich wagte nicht, den Mantel auszuziehen, obwohl es so warm war hier drin. Ich habe es einfach nicht fertig gebracht. Ich ging auf die Knie, legte den Kopf auf die Matratze und die Arme neben meinen Körper.
Mehr gab es für mich nicht zu tun.
Ich hörte mein Blut rauschen im Kopf. Ich atmete laut und schnell.
Erfüllt von diesen Geräuschen schaltete ich ab, sämtliche Kontrollzentren einfach ab. Obwohl meine Sinne geschärfter waren als jemals zuvor, war ich nicht mehr in der Lage irgendetwas anderes als meinen eigenen Herzschlag wahrzunehmen. Auf vegetative Funktionen beschränkt verlor ich jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Ich fühlte nur mich.
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