Wenn die Ex um Rat fragt, unterstützt Leon sie doch gerne…

Dingo666

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„Noch ein bisschen Eis, Leon?“

Kathi lächelte mich an wie in einem Werbespot und hielt mir die Schüssel hin.

„Nein, danke. Ich bin pappsatt. Mehr schaffe ich beim besten Willen nicht.“

Ich ließ mich mit einem Seufzer in den Stuhl zurücksinken. Sie stellte die Schüssel wieder auf den Tisch. Der Rest an selbstgemachtem Eis würde in wenigen Minuten einen cremefarbenen Mini-See darin bilden. In ihrer Wohnung herrschte eine angenehme Temperatur. Für Menschen, nicht für Speiseeis.

Das eigentümliche Gefühl im Magen, dass mich schon den ganzen Abend begleitet hatte, verstärkte sich. Kathi verhielt sich ungewöhnlich. Nicht wie sonst. Die Kathi, mit der ich ein halbes Jahr zusammen gewesen war, hätte den Rest sofort wieder in das Eisfach gestellt. Oder mich gefragt, ob ich etwa das gute Essen verschwenden wollte. Woraufhin ich aufgestanden wäre, um es wegzustauen.

Ich betrachtete sie nachdenklich über den Tisch und die Überreste des dreigängigen Menüs hinweg. Was war los? Was führte sie im Schilde? Warum hatte sie mich aus heiterem Himmel zu diesem Abend eingeladen, zu einem gemütlichen Essen zu zweit? Nur um mal wieder ihre kulinarische Ader auszuleben? Unwahrscheinlich — sie konnte toll kochen, hatte aber selten Spaß dazu.

Kathi trug eine Jeans und eine dunkelblaue Bluse mit U-Boot-Ausschnitt. Sie mochte das, und ich auch. Ihr Dekolleté mit Brustansatz schimmerte sanft im gedämpften Licht, und die angedeuteten Kurven unter dem Stoff wirkten unglaublich jung und verlockend. Sie hatte nicht viel Busen, aber das war die perfekte Präsentationsform dafür.

Sie fing meinen Blick auf und lächelte wieder. Noch breiter. Noch süßer. Ich spürte das vertraute Schmelzgefühl in meiner Brust. Sie konnte einen richtig fertigmachen mit ihrem Lächeln.

Ich lächelte zurück. Was zum Geier wollte sie von mir? Wir hatten uns vor fünf Monaten getrennt. Im Guten, mehr oder weniger. Wir wollten Freunde bleiben, mehr oder weniger. Kontakt halten und so, das Übliche halt. Uns blieb auch nichts anderes übrig: Nachdem wir gemeinsam einen MBA-Kurs an der Uni belegten, sahen wir uns ohnehin fast jeden Tag. Das hieß: jetzt gerade nicht mehr. Wir schrieben an der Master Thesis, und in ein Wochen würden wir den Kurs abschließen und unserer Wege gehen.

„Das war supernett“, meinte sie. „Lass uns zusammen aufräumen und spülen. Dann können wir ja noch ein bisschen quatschen, okay?“

Warum also diese plötzliche Einladung? Warum dieses Essen? Ich sollte ihr dringend mal auf den Zahn fühlen, beschloss ich.

„Ach, ich bin so voll.“ Ich gähnte demonstrativ. „Kannst du das nicht kurz alleine machen? Oder wir lassen es erst mal stehen.“

Ich hielt den Atem an. Falls ich während unserer Beziehung so etwas gewagt hätte, wäre meine Frisur danach deutlich nach hinten geföhnt gewesen. Der Vorschlag hätte gleich zwei Knöpfe bei ihr gedrückt: Sie war allergisch gegen die Idee einer vorwiegend von Frauen erledigten Hausarbeit, und sie würde niemals etwas einfach stehen lassen.

Das konnte sie schlicht nicht! In unserer Zeit hatte ich das ein- zwei Mal versucht und sie überredet. Aber sie war dann jedes Mal auf der Couch schnell unruhig geworden, hatte herumgezappelt, und dann darauf bestanden, vor dem Film doch alles abzuräumen und sauber zu machen.

Sie stockte einen Moment. Dann nickte sie und sprang auf. „Kein Problem. Ich schieb nur schnell alles rüber. Der Abwasch kann warten.“

Staunend sah ich zu, wie sie in Windeseile das Geschirr abräumte und auf der Arbeitsplatte der Küchenzeile stapelte. Jetzt spürte ich deutliche Beklommenheit. Das war so, als würde der Tagesschau-Sprecher plötzlich eine Sing- und Tanz-Einlage bringen. So etwas gab es einfach nicht. Konnte es nie geben!

Hier stimmte etwas nicht. Aber was?

„Schenk dir ruhig noch was von dem Wein ein. Der ist gut, nicht?“, rief sie herüber. Ich nickte und tat es. Aber nur einen winzigen Schluck. Der Wein war perfekt, sie kannte sich da echt aus. Aber was immer da dahintersteckte, ich wollte nicht angesäuselt sein. Nichts Dummes zu tun. Nichts Falsches. Was im Prinzip auf dasselbe hinauslief.

„Ich bin gleich zurück. Muss nur noch kurz auf´s Klo!“ Ein letztes Lächeln, dann verschwand ihre schlanke Gestalt im Bad.

Ich atmete tief durch und rieb mein Kinn. Der sorgfältig auf Sieben-Tages-Ebene gehaltene Bart knisterte unter meinen Fingern.

Kathi!

Ich hatte mir lange überlegt, ob ich ihre Einladung annehmen sollte. Nach unserer Trennung sprachen wir wochenlang kaum miteinander. Nur ein schnelles Zunicken, wenn wir uns sahen, oder manchmal ein fachliches Gespräch im Seminar. Wir vermieden es beide, in dieselben Arbeits- oder Lerngruppen zu gehen. Doch sehr oft verfolgte ich aus der Ferne, was sie tat. Mit wem sie sprach. Wie sie sich bewegte. Lachte. Die Haare aus der Stirn strich, mit einer langsamen, sorgfältigen Bewegung, die Finger leicht gespreizt. Natürlich ohne jeden Effekt — ihre störrischen, kupferroten Naturlocken fielen exakt wieder an denselben Platz zurück.

Und oft verspürte ich diesen tückischen, kleinen Stich in der Herzgegend, wenn ich sie so beobachtete.

In letzter Zeit war es etwas leichter geworden. Einfacher. Ein Mal hatten wir uns schon wieder ganz normal unterhalten, sogar gelacht. Das hatte sich gut angefühlt. Ich mochte sie immer noch. Ziemlich, sogar.

Natürlich hatte ich so und so oft auch über eine Reunion nachgedacht. Wer tut das nicht in so einer Situation? Doch nie wirklich ernsthaft. Uns beiden war in dem gemeinsamen halben Jahr klar geworden, dass wir zwar einerseits total aufeinander abfuhren — unsere rosarote Phase hatte die Intensität einer Planetenkollision gehabt. Doch andererseits vertraten wir unterschiedliche Grundeinstellungen und wir verfolgten unterschiedliche Lebensziele. Und beide waren wir offenbar nicht bereit, uns dem anderen anzupassen.

Ich war also nicht hier, um sie wieder für mich zu gewinnen. Das wusste ich relativ genau. Warum also dann? Wollte ich sehen und hören, dass sie sich auch heute noch ebenso stark mit mir und unserer gemeinsamen Vergangenheit beschäftigte, wie ich das tat?

Die Toilettenspülung rauschte. Ich setzte mich auf. Vielleicht sollte ich sie einfach ganz direkt fragen. Ja, das war eine gute Idee! Kathi konnte selbst direkt sein, manchmal bis zur Grenze der Unhöflichkeit. Sie konnte damit auch bei anderen Leuten ganz gut umgehen. Besser jedenfalls, als wenn jemand nur herumeierte.

Doch die Tür öffnete sich nicht. Stattdessen ein paar Geräusche, dann wurde die Duschbrause angestellt. Aha. Anscheinend hatte sie ihre Tage. Sie hasste Unsauberkeit und Geruch jeder Art. Während der Periode duschte sie sich am liebsten untenrum ab nach dem Toilettengang. Ich nahm das Glas und trank noch einen Schluck von dem exzellenten Weißwein, ohne viel von dem Geschmack mitzubekommen.

Vielleicht war die Zusage, das Herkommen eine blöde Idee. Vielleicht riss dieser Abend nur die Wunden neu auf. Nicht, dass sie absichtlich oder bösartig mein Herz gebrochen hätte. Doch damals, am Anfang unserer Zeit, hatte ich wirklich das Gefühl, das könnte sie jetzt sein! Die Frau! Die große, amtliche Beziehung, nach der ich auf der Suche war. Das Echte. Mal was für länger. Für sehr lange, möglicherweise…

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich die Badtüre wieder öffnete. Sie warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu. „Jetzt einen Espresso? Ich habe da diese neue Mischung, die ist richtig gut. Das musst du probieren.“

„Klar, gerne.“

Sie hatte immer richtig guten Kaffee. Und eine richtig gute Kaffeemaschine. Siebträger, mit allem Drum und Dran. So ein chromblitzendes Teil, das man sonst nur in schicken Bars und Cafés hinter dem Tresen stehen sieht. Das wahrscheinlich mehr gekostet hat als die gesamte Einrichtung meines Appartements. Kathi kam aus begütertem Hause.

Sie drückte zwei Knöpfe, und die Maschine fauchte los. Aha! Sie hatte also alles minutiös vorbereitet. Das Monstrum aus Italien brauchte mindestens zwanzig Minuten, um hochzufahren und auf Betriebstemperatur zu kommen. Ein weiterer Stein auf meiner Verdachtswaage.

Ich sah ihr zu, wie sie mit den Tassen hantierte. Das sah aus wie ein Tanz. Ein eleganter Tanz ihres Rückens, ihrer Beine. Sie trug und nutzte ihren Körper mit einer absolut selbstverständlichen Souveränität, egal was sie tat. Beim Kaffee kochen, beim Sport, beim Reden, beim Sex. Ich beobachtete sie gerne, egal wobei.

Ja, so war sie einfach. Kein Gehabe, kein Drama, nicht der affektierte, aufmerksamkeitsheischende Auftritt, den viele Mädels so draufhaben. Sie wollte etwas, also tat sie es. Einfach so. Sie ging ihren Weg, mit der Subtilität einer Panzergranate. Ihr Körper war schlicht das Vehikel dafür.

„Bitte sehr!“

Sie stellte die zwei Tassen auf den Tisch und schob mir den Zucker hin. Wir rührten einträchtig und tranken das heiße Gebräu. Ich wartete.

„Gut, nicht?“ fragte sie. „Hat mir mein aus Florenz mitgebracht. Da gibt es wohl Röstungen, die nie in Deutschland angeboten werden, sagt er.“

Ich schob die Tasse zur Seite und blickte ihr fest in die Augen. „Okay. Sagst du es mir?“

„Äh — was?“ Sie blinzelte.

„Warum ich hier bin?“

Sie zögerte nur einen winzigen Augenblick. Dann nickte sie, offenbar erleichtert. Wie ich es mir gedacht hatte: Sie mochte es am liebsten ganz direkt, ohne Umschweife. Sogar im Bett. Der Sex mit ihr war meistens heftig und kurz gewesen.

„Ich… ich brauche deine Hilfe.“ sagte sie ernst und legte ihre Hände auf meine, mitten auf dem Tisch. Ich zog sie nicht weg. „Es geht um ein Problem, bei dem ich sonst niemand wüsste, der mir helfen könnte.“

„Das hättest du mich doch auch am Telefon fragen können, oder?“ Sollte ich ihre Hände nehmen? Den Druck erwidern? Nein — sie war an der Reihe. Ich blieb passiv, doch ich genoss die Berührung insgeheim.

„Vielleicht.“ Sie lachte unsicher und wich meinem Blick aus. Interessant! Es musste also wirklich etwas sein, das ihr nahe ging. „Aber ehrlich gesagt war ich mir selbst nicht hundertprozentig sicher, ob es richtig ist, dich zu fragen. Ob es passt, für mich.“

„Und?“ Ich hob eine Augenbraue. „Passt es?“

Wieder dieses leicht gequälte Lachen, das ich so gar nicht von ihr kannte. Diese Blicke irgendwohin, als suche sie einen Ausweg.

„Komm schon. Erzähl mir einfach, worum es geht, ja?“ Ich fühlte mich zu müde für so einen Eiertanz. „Dann kann ich immer noch ja oder nein sagen.“

„Also gut. Du hast recht. Ich hoffe nur, du findest das jetzt nicht zu schräg.“ Sie straffte sich durch und setzte sich aufrechter.

„Es gibt da jemand.“ begann sie und sah mich jetzt wieder direkt an. Ihre schönen, blaugrauen Augen drückten Besorgnis aus. „Jemand, der sich für mich interessiert. Den ich auch ziemlich gut finde. Er heißt Christoph.“

„Glückwunsch. Das freut mich für dich.“ meinte ich neutral. Stimmte das?, fragte ich mich selbst. Anscheinend ja. Jedenfalls empfand ich kein inneres Aufheulen, keine Eifersucht, keine Missgunst. Einen kleinen Stich vielleicht. Aber nur, weil dadurch unsere Trennung endgültig von der Gerade-noch-Gegenwart in die Vergangenheit rutschte. Vom Imperfekt ins Perfekt, sozusagen.

„Danke.“ Sie lächelte vorsichtig. „Du kennst ihn nicht, glaube ich. Er macht gerade seinen Doktor, drüben in der Bio-Fakultät.“

„Aha.“ Ich nickte. Das passte zu ihr. Leistung und Erfolg spielten eine große Rolle für sie. Auch, was ihre Männer betraf.

„Normalerweise würde ich dich ja nicht mit sowas belästigen“, seufzte sie. „Aber kürzlich habe ich zufällig eine frühere von ihm kennengelernt. Sie hat mir ein paar Sachen erzählt. Über ihn. Was er mag und so. So ein Gespräch ist ziemlich nützlich, echt! Dann kann man sich vorher überlegen, ob man sich auf jemand einlässt.“

„Du kannst mich gerne umgekehrt als Referenz einsetzen, wenn du willst“, lachte ich. War es das? Sollte ich diesem Christoph umgekehrt von ihr berichten? Nein — solche Winkelzüge waren nicht ihr Ding.

„Danke.“ Sie grinste. „Ich werde vielleicht mal darauf zurückkommen. Mein Problem ist, dass er anscheinend etwas sehr mag, das mir gar nicht gefällt. Denke ich jedenfalls.“

„Aha.“

Sie sah mir direkt in die Augen, ganz gerade.

„Ich spreche von Analsex.“

Wumm! Ja, das war die Kathi, die ich kannte! Superdirekt, voll auf die Zwölf. Ich konnte sie nur anstarren, während ein wüster Wirbel an Erinnerungen, Gefühlen, Bildern und Träumen in mir hochwallte. Das Thema hatte eine gewisse Geschichte bei uns.

„Du weißt ja, dass ich damit Probleme habe.“ Sie drückte meine Hände. „Ich verstehe bis heute nicht, warum die meisten Leute das so toll finden. Männer, meine ich. Während die meisten Frauen da eher skeptisch sind, soweit ich das mitbekomme.“

„Ja, das weiß ich“, sagte ich vorsichtig.

„Aber ich muss wohl zur Kenntnis nehmen, dass Männer das erwarten in einer Beziehung. Oder es zumindest mehr als schade finden, wenn sie es nicht bekommen“, argumentierte weiter. „Da gab es noch jemand, kürzlich. Nicht so ernsthaft, eher so aus einer Laune raus. Ich fand ihn halt süß, und hatte einfach mal wieder Bock auf Sex. Der hat auch gleich gefragt, was ich denn von analer Stimulation halte. Beim ersten Mal zusammen im Bett!“

Sie wirkte eher ratlos als empört. So hatte sie auch auf meine früheren Versuche reagiert, sie für das Thema zu interessieren.

„Ich denke, das siehst du richtig.“ Ich deutete ein Schulterzucken an. „Es gibt halt unterschiedliche Interessen zwischen den Geschlechtern. Ist ja wohl nichts Neues.“

„Schon.“ Sie runzelte die Stirn. „Aber die Vorstellung, dass ich bei jedem künftigen Typen auf die gleiche Erwartung oder Hoffnung treffe, das macht mich echt fertig.“

„Aber warum? Du kannst jedem einfach sagen, du stehst nicht drauf“, versuchte ich die Sache zu verstehen. Ich spürte leisen Groll in meiner Brust wachsen. Wollte sie sich nur ausheulen, über mein sexsüchtiges Geschlecht? Wollte sie einen Rat von mir? Das finale Eingeständnis meiner maskulinen Verwerflichkeit? Mein voller Bauch und mein vom Wein umflirrtes Gehirn hatten kein Interesse an einer weiteren Raterei.

„Ja, das kann ich. Habe ich bisher ja auch so gemacht.“ Wieder dieser Blick, wie in die Mündung eines Doppellaufes. Graublaues Metall, herrlich anzusehen und potenziell tödlich. „Aber das hilft nur begrenzt. Du hast mich ja auch deshalb verlassen.“

„Was?!“ Ich setzte mich aufrecht hin und entzog ihr die Hände. „Jetzt Moment mal! Das stimmt so nicht.“

„Ehrlich?“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Hast du mir nicht genau das vorgeworfen, an dem berühmten Abend? Dass du keine Lust hast, für immer auf diese tolle Praktik zu verzichten? Dass es für dich einfach zu einem erfüllten Liebesleben dazu gehört?“

Mein Groll hatte sich bei ihren Worten in richtigen Ärger verwandelt. Gelbrot. Warnstufe drei. Ich atmete tief durch und kämpfte mit meinen Emotionen wie mit einem durchgehenden Pferdegespann.

„Das stimmt. Das habe ich gesagt. Und auch so gemeint.“ Ich zwang mich zu einer ruhigen Stimme, rang mit der epochalen Größenordnung dieses Missverständnisses zwischen uns. „Aber das war doch nur ein kleiner Teil. Es ging doch um viel mehr. Ich hatte das als Beispiel gemeint.“

„Ja, das ist mir schon klar.“ Offenbar kämpfte sie wie ich darum, trotz des brisanten Themas sachlich zu bleiben. Die Muskeln in ihren Wangen spannten sich immer wieder an, und sie suchte nach den richtigen Worten. „Das sollte auch kein Vorwurf sein. Es ist völlig okay, wenn du das als Vorliebe hast. Ehrlich!“

Ich nickte unwirsch, nur halb besänftigt. Auf eine Neuinszenierung des besagten Abends und der damals ausgetauschten Argumente hatte ich nicht die geringste Lust. Wozu auch?

Vielleicht sollte ich besser bald gehen.

„Ist ja auch egal.“ Sie wedelte mit einer Hand. „Es geht nicht um uns. Aber ich habe verstanden, dass ich dem Thema Analsex nicht so einfach ausweichen kann, wie ich dachte. Es kommt anscheinend immer wieder. Also muss ich mich wohl oder übel damit beschäftigen. Und wenn es nur ist, um das für mich klar zu kriegen. Falls ich endgültig zu dem Schluss komme, dass das nichts für mich ist, dann sage ich es den Typen künftig gleich zu Anfang. Ganz direkt.“

„Klingt sinnvoll“, nickte ich und unterdrückte den Zusatz: Vor einem Jahr hätte es sogar noch sinnvoller geklungen.

Spontan erschien eine Szene vor meinem inneren Auge, irgendwo an einer Bar.

„Hi. Ich bin Christoph.“

„Hi. Ich heiße Kathi. Schön dich zu treffen. Übrigens: Bei mir läuft anal nicht, ich mag das nicht.“

„Alles klar. Danke für die Info. Dann geh ich jetzt mal weiter. Ich versuch´s mal bei der Blonden da drüben.“

„Ok. Ciao.“

Zwei graublaue Augen vor mir wurden zusammengekniffen. Hastig konzentrierte ich mich wieder auf das Hier und Jetzt.

„Jedenfalls habe ich entschieden, das mit dem Analsex jetzt rauszukriegen“, fuhr sie fort. „Damit es dann vom Tisch ist. So oder so.“

„Okay. Gut. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit mir zu tun hat“, warf ich ein. „Du kannst doch diesen Christoph problemlos in dein Bett holen und es einfach mal ausprobieren, oder?“

„Vielleicht.“ Sie sackte ein wenig zusammen und sah elend aus. „Ja, wahrscheinlich schon. Ich fände es aber besser, das vorher zu klären. Ich möchte nicht noch jemand, der mir viel bedeutet, deshalb verlieren.“

Meinte sie damit mich?! Etwas in meiner Brust fühlte sich plötzlich warm an. Das traf mich jetzt ein wenig unerwartet. Mein Groll flaute ab, stellte ich fest. Dieser Abend entwickelte sich schon wieder zu einer Achterbahnfahrt für meinen Gefühlshaushalt. Nun ja, das kannte ich. Das war einer der Gründe, warum es mit Kathi zwar manchmal anstrengend, aber nie langweilig gewesen war.

„Jedenfalls habe ich lange darüber nachgedacht, was du mir erzählt hast“, fuhr sie fort. „Wie du es gelernt hast, von dieser Amerikanerin. Deborah hieß sie, richtig?“

Ich nickte, abgelenkt von weiteren Erinnerungen. Deborah! Meine Lehrerin, in vielem.

„Vielleicht muss man es lernen. Von jemandem, der es kann. Ich habe keine Ahnung, ob Christoph es kann, oder sich nur wünscht. Bei dir weiß ich es. Deshalb ist meine Frage an dich: Kannst du dir vorstellen, nochmal mit mir ins Bett zu gehen und…“ Sie schluckte. „… mich hinten rein zu ficken? Mir zu zeigen, wie das geht?“

Ich glotzte sie an wie ein Guppy.

„Ich dachte… wenn du darauf stehst, dann bist du vielleicht immer noch interessiert.“ Ihr Blick irrte ab. „Einfach mal so. Auch wenn wir nicht mehr zusammen sind. Oder — ah, Mist, ich habe gar nicht gefragt: Vielleicht gibt es ja auch bei dir jemand, den du kennengelernt hast? Ich will natürlich nicht…“

„Nein“, murmelte ich. „Das heißt — es gab schon welche. Drei, wenn du es genau wissen willst. Aber nur One-Night-Stands, nichts Ernsthaftes.“

„Ah.“ Sie blinzelte verunsichert, nahm sich jedoch in der nächsten Sekunde schon wieder zusammen. Das konnte sie gut. „Also — denkst du, du könnest mir da helfen?“

Konnte ich das? Einfach mal eben mit ihr ins Bett steigen und sie von hinten nageln?

„Die Frage ist doch eher, ob du das kannst“, spielte ich den Ball in Ermangelung einer Antwort zurück. „Ich hatte dir das ja ein paar Mal vorgeschlagen. Aber du warst da immer strikt dagegen. Denkst du, das kannst du einfach so ändern? Nur durch den Entschluss?“

„Warum denn nicht?“ Sie legte den Kopf schräg. „Wenn man etwas will, dann kann man das auch.“

„Ich will auch gerne Klavier spielen können“, gab ich zu bedenken. „Das heißt aber noch lange nicht, dass ich es kann.“

„Das Beispiel hinkt total“, schoss sie zurück. „Du weißt, was ich meine. Wenn andere Frauen das hinkriegen, dann muss das auch für mich möglich sein. Ich brauche nur jemand, der mir dabei hilft. Einen Lehrer, wenn du so willst. Wie Deborah für dich war.“

„Einen Lehrer. Soso.“ Ich musste grinsen. „Wenn ich geahnt hätte, dass ich mal als Lehrer ende.“

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