Kap. XI – Zauber
Beyond the trees
Beauty’s lost in boundary
Insanity surrounds me
Here
Doro – Beyond the trees
Samstag, 10:10:12, in Inspektor Markus Behrends Schlafzimmer.
Kurz wachte Melanie von Speicher auf, als die Strahlen der Vormittagssonne ihre Nase küßten. Ihr verschlafener Blick wanderte vom Fenster zu der schlafenden, leise schnarchenden Gestalt neben ihr.
Ein amüsiertes Lächeln huschte über ihr Antlitz, ihre Arme legten sich besitzergreifend um den männlichen Körper, ihr Gesicht vergrub sich in seinem Nacken. Dann schlief sie wieder ein.
13:38:26, das gleiche Schlafzimmer. Von Speicher war wieder aufgewacht, duschte und bediente sich in Behrends Küche um ihren Hunger, und vor allem Durst, zu stillen. Ihr Liebhaber und verhexter Diener schlief immer noch tief und fest. Nach dem sie gesättigt war und den Durst gestillt hatte schrieb sie ihm eine kleine Notiz zum Abschied und fuhr heim. Das hieß, sie wollte heimfahren.
Doch an der Haltestelle Unibibliothek stieg sie, einer inneren Eingebung folgend, aus der U-Bahn.
14:55:58, Unibibliothek.
Es war nicht schwer gewesen, in die geschlossene Abteilung der Bibliothek zu gelangen. Sie hatte dem diensttuenden Aufsichtsmann ihre Marke gezeigt, und einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt gewährt. Sie trug natürlich immer noch, oder vielmehr wieder, die selbe Kleidung wie am Abend zuvor. Das der junge Mann nicht zu sabbern anfing war alles. Dazu noch ein paar Worte über einen merkwürdigen Fall der mit Ritualmorden in Verbindung stand, et voilà, hier war sie.
In der geschlossenen Abteilung der Bibliothek.
Lauter alte Bücher in hohen Regalen umgaben sie. Echte Bücher. Echte, uralte Bücher. Von Erstlingsausgaben berühmter Schriftsteller, über verschiedene Erstauflagen hin zu handschriftlichen Folianten und sogar Schriftrollen und Pergamenten. Alles in allem ein Vermögen wert. Gelagert in einem Safe, groß wie ein Penthouse. Und unter Schutzatmosphäre, wie Kartoffelchips, nur andere Gase.
Fast schon ehrfürchtig berührt schlich sie durch die Zwischenräume der Regale, hin und wieder berührte sie federleicht eines der Schriftstücke. Schließlich spürte sie, daß sie das richtige Werk gefunden hatte.
Vorsichtig zog sie den Folianten aus dem Regal. Entgegen ihrer Erwartungen fand sich auf dem ledernen Schutzumschlag kein Totenkopf, keine merkwürdigen, mystischen Zeichen oder Siegel. Nur eine Reihe goldener, arabischer, fast verblaßter Schriftzeichen. Trotz dem, daß sie eigentlich nur Deutsch und Japanisch lesen konnte, war es ihr möglich diese Schriftzeichen zu lesen.
Necronomicon stand dort.
Vorsichtig schlug sie die Seiten auf.
Unverständliche arabische Schriften huschten an ihr vorbei. Schließlich fand sie die Stelle die sie suchte und vertiefte sich in das Studium des Zauberspruchs. Worte gruben sich in ihr Gedächtnis, uralte Zeichen und Worte in längst vergessenen Sprachen wurden ihr zu eigen. Wissend und unwissend lernte sie Beschwörung und die Kontrolle einer ihr unbekannten Wesenheit. Sie wußte nur, daß sie es lernen mußte.
Und so geschah es.
Um 16:00:00 verließ sie die Bibliothek wieder.
Montag, 09:33:26, Polizeihauptquartier.
Vor dem Kaffeeautomaten traf sie Markus Behrend.
„Hallo Melanie. Hast du ein paar Minuten Zeit? Dann gebe ich dir mehr Informationen.“
„Ja, klar. Sollen wir uns dort hin setzen?“ Sie zeigte auf eine kleine Sitzgruppe.
„Gerne.“ Sie gingen die paar Schritte und setzten sich. Von Speicher nippte vorsichtig an dem heißen Kaffee.
„Also, folgendes. Wir haben im Gefrierschrank von Venia zwei kleine Beutel mit blaß-gelblichen Kristallen gefunden. Laut den Chemikern ist es eine Droge mit dem Straßennamen Enjoy. Den chemischen kann ich mir nicht merken, aber wenn du willst maile ich ihn dir. Das Zeug bewirkt ein schwache allgemeine, aber vor allem eine starke sexuelle Enthemmung. Das gleiche Zeug fand sich in Spuren, die ein Walroß zu einem angenehmen Orgienpartner machen würde, in einem der Sektgläser. An dem Glas wiederum fanden sich Fingerabdrücke, Lippenstift- und DNA-Spuren unserer Verdächtigen. Ich schätze, selbst wenn sie es war, kommen wir vor Gericht höchstens mit Totschlag durch.
Die Video-Aufnahmen zeigen ziemlich scharfen Sex zwischen den beiden, und auch wie sie die Wohnung verläßt. Die Zeitangaben decken sich mit denen der Sicherheitskameras in Flur und Aufzug. Der Wachmann kann sich ebenfalls gut erinnern, sowohl an das Betreten, als auch das Verlassen der Wohnung. Bei ersterem konnte er gut sehen das Stendall keinen Slip trug, weil Venia beim Fummeln vor der Wohnungstür den Rock hoch genug schob. An letzteres aus zwei Gründen. Erstens bat sie ihn, ein Taxi zu rufen. Und zweitens sah er bei dieser Gelegenheit das Sperma ihre Schenkel herunterrinnen.
Unsere Experten gehen davon aus das die Aufnahmen alle authentisch sind. Auch wenn sie betonen, daß es in ihrem Geschäft nichts hundertprozentiges gibt. Irgendwer fälscht immer besser als das eingesetzte Analysegerät.
Wenn du mich fragst, sie war es nicht. Der Mord war viel zu professionell für so ein offensichtliches Auftreten. Wär‘ sie die Killerin wüßten wir nicht mal, das sie dort war.
Hier, auf dem Zettel ist ihre Adresse, und die Adresse von Venias Wohnung nebst Code für das Maglock. Wir haben seinen Zugang löschen lassen und ein Polizeicode gesetzt. Natürlich ist die Wohnung versiegelt, und alle Zugriffe, auch die Berechtigten werden protokolliert. Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen, ich bin kein Decker.
Ich hoffe das hilft dir weiter. Und wenn es da eine Blumentopf zu gewinnen gibt, ich hoffe du beteiligst mich.
Ach ja, der Chef will sie trotzdem nicht vom Haken lassen. Er hat zwar auf eine Überwachung verzichtet, aber aus zwei Gründen. Erstens glaubt er nicht, daß sie in nächster Zeit irgendwelche Fehler macht, solange wir nicht irgendwelche weitergehenden Erkenntnisse gefunden und veröffentlicht haben. Und zweitens geht er davon aus, daß wir aufgrund der Beweislage eh keine Genehmigung kriegen.
Und zu guter Letzt haben wir unter Venias Computer-Kram Hinweise auf einen Kontakt zum Bundesamt für Innere Sicherheit gefunden. Die dementieren natürlich, aber eine Anfrage auf Diensthilfe läuft.
Ich informiere dich, sobald ich mehr weiß.“
„Was war Venia für ein Typ?“
„Besitzer einer kleinen Computerfirma. In erster Linie Matrix-Lösungen, autonome und semi-autonome Know-bots, als Notdienst auch Vor-Ort Service und Software-Wartung. Zehn Angestellte. Eltern durch natürliche Ursachen verstorben, ein Bruder, ledig, keine bekannten Nachkommen. Wohnte allein, keine bekannte Freundin. Zweimal polizeilich im Rotlichtbezirk aufgefallen, beide Male haggedicht. Riesige Pornosammlung, darunter auch illegales Zeug bis hin zu Kinderpornos. Alles fein säuberlich archiviert, inklusive Datum, Matrixadresse und persönlicher Bewertung. Darüber auch die Spuren zum Bundesamt für Innere Sicherheit. Schaut nach einer Art V-Mann-Beziehung aus.
Oh, und seine Wohnung ist seit zwei Jahren schallisoliert. Davor gab es wohl reichlich Beschwerden der Nachbarn über die Lautstärke der Musik.“
„Und was habt ihr über Stendall?“
„21 Jahre, ledig, wohnt aber mit ihrem Freund, Marc Strobel, einem freischaffenden Photograph und Künstler mit elektronischen Medien, zusammen. Die Adresse ist Mainallee 45, Appartement 1327. Sie selbst ist körperliche Adeptin, aber das weißt du vermutlich. Sie verdient ihr Geld als Lehrerin in einem Fitneß- und Kampfsportstudio. Auf Amateurebene kämpft sie gelegentlich auf Tournieren, eine Profikarriere hatte sie nach einer Verletzung beendet. Hin und wieder posiert sie für ihren Freund, und nur für ihn. Einzige Verwandte ist eine Schwester in Hamburg, die Eltern sind tot. Alle Ermittlungsergebnisse bisher scheinen ihre Version der Geschichte zu bestätigen.
Mehr habe ich leider zur Zeit nicht, tut mir wirklich leid Melanie.“
„Kein Problem, danke.“ Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf. Wenn der Zauberspruch von Freitagnacht funktioniert haben sollte, und keine Illusion gewesen war, dann sollte es klappen.
„Warum packst du zur Belohnung nicht dein bestes Stück aus und holst dir einen runter?“
Er schaute sie ungläubig an.
„Hier? Jetzt? I . . . Ich m . . . m . . . mei . . . meine . . . Es kann d . . . doch jederz . . . eit j . . . emand hier vor . . . vor . . . vorbeikommen.“
„Ja und? Stört mich das? Oder dich, wenn ich es gerne sehen würde, wie du es dir selbst besorgst?“
„N . . . natürlich nicht. Verzeih mir.“
Folgsam öffnete er den Reißverschluß seiner Hose und holte sein halb aufgerichtetes Glied heraus. Mit einem Blick gemischt aus Lust ihr zu gefallen und Angst erwischt zu werden schaute er sie aus weit aufgerissenen Augen an.
Ohne den Blick abzuwenden rieb seine Hand den Schaft auf und ab. Augenblicke später reckte sich sein Glied zu voller Größe aufgerichtet der frischen Luft entgegen, die Vorhaut rutschte von der Eichel zurück.
Von Speicher lehnte sich gemütlich zurück und zündete eine Zigarette an. Würzig stieg der Geruch nach Tabak und Nelke in die Luft.
Auf und ab rieb er, auf und ab, die Vorhaut glitt über die Eichel und zurück.
Eine halbe Zigarettenlänge ging dies so, dann tauchten aus dem blinden Auge der Eichel das erste Sehnsuchtströpfchen aus, wurde verwischt und überzog die Eichel mit einer glänzenden Schicht. Langsam wurde er wirklich erregt, und begann seine Umgebung zu vergessen. So bekam er auch nicht mit wie Viviane Relgen, die Sekretärin Inspektor Havillands, um das Eck kam um sich einen Kaffee zu holen. Ohne den sich unterhaltenden Kollegen Beachtung zu schenken ging sie zur Kaffeemaschine, steckte ihren Kreditstab ein und wartete. Zischend und dampfend schoß das heiße Getränk in den Plastikbecher. Vorsichtig nahm sie ihn aus dem Schacht, drehte sich um und ging Richtung ihres Schreibzimmers. Ein Stöhnen ließ sie innehalten und sich umschauen. Was sie sah ließ ihr die Röte in das Gesicht steigen.
Gemütlich in einem der Sessel zurückgelehnt saß eine junge, hübsche Polizistin die sie ein paar mal gesehen hatte, deren Namen sie aber nicht kannte. Ihr gegenüber, ebenfalls zurückgelehnt in einem Sessel, saß Inspektor Behrend aus ihrer Abteilung. Im Gegensatz zu der jungen Kollegin hatte er keine brennende Zigarette in der Hand, sondern sein offensichtlich nicht minder heißes Glied, und sah so aus als würde er bald seine Ladung in die Luft spritzen. Schockiert blieb sie stehen, fast wäre ihr sogar der Kaffee aus der Hand gefallen.
Die junge Kollegin nahm sie, im Gegensatz zu dem Inspektor, offensichtlich war. Sie legte den Zeigefinger auf die Lippen, und winkte ihr, sich dazu zu setzen. Zögernd, aber neugierig kam sie der Aufforderung nach. Noch nie hatte sie gesehen wie es sich ein Mann selbst besorgte. Sicher, selbst Hand angelegt hatte sie schon, aber eben noch keine männliche Handarbeit gesehen.
„Ist er nicht süß, wie er so dasitzt, wixt und nichts von der Umgebung mitkriegt?“ flüsterte von Speicher.
Viviane Relgen wußte nicht was sie darauf entgegnen sollte. Die Handbewegungen des jungen Inspektors wurden schneller, mittlerweile glänzte sein gesamter Schaft feucht.
„An wen denkst du jetzt?“ fragte ihn von Speicher.
Kurz hielt er inne, seine Augen öffneten sich, fokussierten sich aber nicht.
„An dich“ keuchte er, „und deinen scharfen Körper.“
Leise lachte sie. Warf einen Seitenblick auf Relgen und ein unanständiges Lächeln verzerrte ihre Züge.
„Und was hältst du von der Relgen? Eurer Sekretärin?“
„’n bißchen hausbacken und alt. Aber scharfe Titten soweit ich . . . oohhh . . . das beurteilen kann. Und wir . . . oohhh . . . ahahh . . . haben uns schon alle gefragt ob sie Havi als einen bläst.“
Schockiert stieß die Sekretärin die Luft aus, öffnete den Mund um sich entrüstet zur Wehr zu setzen. Von Speicher legte ihr nur die Hand mit der fast aufgerauchten Zigarette auf den Schenkel und schüttelte den Kopf. Viviane Relgen wußte selbst nicht warum, aber sie blieb sitzen, beobachtete und lauschte weiter.
„Wenn sie dich bitten würde, könntest du dir vorstellen ihre Möse zu lecken?“
Heftig schüttelte er den Kopf.
„Und wenn ich dich bitte?“
Er zögerte kurz. Dann nickte er widerwillig. Von Speichers unanständiges Lächeln wurde regelrecht ein böses, ihr Gesicht verzog sich fast zu einer Fratze.
„Was ist Viviane, ich darf doch Viviane sagen, oder? Soll er deine Möse lecken und dich mit der Zunge ficken? Keine Sauerei, keine Gefahr geschwängert zu werden. Und glaub mir, er ist nicht schlecht. Mit Havi oder deinem Mann nimmt er es sicher auf, falls die so was überhaupt machen.“
Falls überhaupt möglich vertiefte sich Relgens rote Gesichtsfarbe sogar noch, entrüstet aber sprachlos bewegten sich ihre Lippen. Behrends Augenlider flogen auf und er sah sich panisch um.
„Nein, ich glaube sie hat kein Interesse. Und ich muß zurück an die Arbeit. Also beeilst du dich besser und spritzt endlich ab. Und stellst dir dabei vor wie sich deine Zunge zwischen ihre feuchten Falten bohrt.“
Hin- und hergerissen zwischen seiner erwachten Lust und der Scham der Erniedrigung, konzentrierte er sich wieder auf die Bewegung seiner Hand, die während des kurzen Augenblicks nicht innegehalten hatte.
Auch Relgen konnte sich nicht von dem Anblick losreißen, fast war ihr als würde irgendeine finstere Macht sie an Ort und Stelle fesseln.
Jetzt dauerte es nicht mehr lange, und zuckend entlud sich sein Samen in hohem Bogen in die Luft. Keuchend lehnte er sich zurück und genoß den Moment der Erleichterung. Und daß die Erniedrigung für den Augenblick hoffentlich vorüber war.
„Schönen Arbeitstag noch ihr zwei Täubchen“ wünschte von Speicher, warf ihre Kippe in den Ascher und ging. Gruppentaktik stand für heute auf dem Trainingsplan.
Kaum war sie verschwunden als etwas wie ein Zauber von den beiden Zurückgebliebenen abfiel. Behrends Gesichtsfarbe glich sich der von Relgen an, beide waren knallrot während er sein jetzt schlaffes und unansehnliches Glied zurück in die Hose stopfte und mit einem Taschentuch die Spermaflecken wegwischte. Relgen nahm verlegen einen Schluck Kaffee, verbrannte sich fast die Zunge, und in einer unausgesprochenen Übereinkunft beschlossen beide, Stillschweigen zu halten.
Dienstag, 00:00:00, nördliche Industriebrache.
In einem kleinen Bereich stand tatsächlich ein Hain Bäume, vorwiegend Bastardplatanen, aber sogar ein paar krüppelige Eichen, und im Zentrum eine Blutbuche. Dazwischen dichtes Unterholz aus Brombeeren und Brennesseln. Um die Blutbuche hielten alle anderen Pflanzen wie ehrfurchtsvoll Abstand, wie um einen gefürchteten Herrscher.
Auf dieser freien Fläche loderte ein helles Feuer, daneben war eine schwarze Ziege angebunden, die ängstlich in die für eine Stadt verhältnismäßig stille Nacht blökte.
Nackt stand Melanie von Speicher vor dem Feuer und begann zu einer unsichtbaren Melodie zu tanzen. Langsam setzte sie sich in Bewegung, zuerst wiegte sich nur der Kopf hin und her, die Finger klopften den Takt auf ihren Schenkeln. Dann griff die Bewegung auf den Hals über, von dort auf ihren Oberkörper, ihre Schenkel und schließlich auf die Füße. Einige Minuten wiegte sie sich so auf der Stelle, die einzigen Geräusche daß Knacken des Feuers und das Stampfen ihrer Füße auf dem Boden.
Dann fing sie an um das Feuer herum zu wandern, wie die Hexen am Sabbat. Anfangs noch langsam wurden ihre Bewegungen schneller, als würden unsichtbare Musiker ihr Tempo steigern, bis sie schließlich um das Feuer und um die eigene Achse wirbelte, wie bei einem unhörbaren Stakkato. In das Stampfen ihrer Füße mischte sich das ängstliche Blöcken der Ziege.
Fast unhörbar, fast nur zu erahnen, kamen Laute aus ihrer Kehle. Wimmernde, heulende Geräusche, fast schon unmenschlich, entrannen sich ihr im gleichen unwirklichen Takt wie ihr Tanz.
Während ihr kreischender Gesang lauter wurde, kam Wind auf. Wolken zogen über den Himmel und begannen die Sterne zu verschlucken. In der Ferne grummelte Donner. Lauter und lauter wurde das Wimmern und Heulen, schneller der Tanz, bis ihre Bewegungen vor den Augen eines normalen Zuschauers zu haschenden Bewegungen verschwommen wären. Längst war das Blöken der Ziege in den anderen Geräuschen untergegangen.
Der Wind heulte mit Sturmesgewalt durch die Stadt, Ziegel wurden von Dächern gerissen, Äste und kleine Bäume gebrochen. Donner und Blitz zauberten finstere, bedrohliche Schatten in das Reich aus Glas, Beton, Stahl und Neonlicht. Rührten an den tief verwurzelten Ängsten der Menschheit. Die Blutbuche stand still als gäbe es keinen Wind.
Mehrere blendend helle Blitzstrahlen fuhren vom Himmel herab und zurück, direkt gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Die Lichter der Stadt flackerten kurz auf, um dann komplett zu verlöschen. Für einen Moment schien der Sturm den Atem anzuhalten, und mit ihm die Stadt und ihre Bewohner.
Einige Sekundenbruchteile lang glaubten die magisch begabten Einwohner der Stadt, sie würden wimmernde Flötentöne vernehmen.
Die Ziege schwieg.
Melanie von Speicher stand still. Den Kopf in den Nacken geworfen starrte sie mit offenem Mund in den bewölkten Himmel. Die Arme weit gespreizt und erhoben, die Brust herausgedrückt, die Beine leicht gespreizt, die Füße fest auf dem Boden.
Nur der abnehmende Mond warf sein Licht auf die Erde, gespiegeltes Sonnenlicht bar jeder Wärme.
Heulende, wimmernde Flötentöne erfüllten die Industriebrache. Gleich ihrem Gesang, den sie jetzt wieder einstimmte, und doch völlig anders, wahnsinnig, von jenseits dieser Welt und Wirklichkeit.
Mit voller Gewalt brach der Sturm wieder über die Stadt und die Industriebrache. Flöten und Gesang gingen in seinem Toben unter, ebenso das erneute Blöken der Ziege.
Nur die Buche blieb verschont.
00:06:24, nördliche Industriebrache.
Von Speichers Cybersporne fuhren lautlos aus. Mit einer fast unsichtbaren Bewegung fuhren sie durch die Kehle der Ziege. Das Blöken endete abgeschnitten, das Tier starrte die Frau vor sich einen kurzen Moment wie ungläubig an.
Dann brach es in sich zusammen, während das Blut in heißem Strahl aus seinen durchtrennten Arterien schoß.
Mit den Händen fing Melanie von Speicher es auf, und zeichnete fremde Symbole und magische Zeichen damit auf ihre nackte Haut. Dann trank sie gierig davon.
Als ihr Durst gestillt war, hob sie den schlaffen, noch warmen Körper auf und warf ihn zusammen mit Strick und Pflock in das Feuer. Hoch stoben die Funken auf, dann legte sich der Gestank von verbranntem Haar und verbranntem Fleisch über die Lichtung.
Ihre Kehle stimmte einen weiteren Gesang in unirdischer Sprache an, der sich disharmonisch mit dem Sturm und den Flötentönen mischte.
Der stinkende Rauch des Feuers und des verbrennenden Kadavers stieg langsam und unbeeindruckt des Sturmes auf. Langsam, zögerlich, wie gegen einen fremden Willen begannen sich Formen darin zu entwickeln.
Zuerst nahm er die Gestalt einer Ziege an, nicht unähnlich der geopferten, doch mit einer unbestimmbaren Anzahl Beine. Das einzig Sichere war, daß es mehr als vier waren, und nicht alle an der Unterseite des imaginären Körpers.
Dann verwirbelte der Rauch, als hätten die Böen des Sturmes plötzlich Einfluß auf ihn. Nur um sich zu einer neuen Gestalt zu formen. Vage menschenähnlich, aber mit einem langen, gezackten Kopf und langem Schwanz. Wieder verwirbelte der Rauch. Wieder nahm er eine neue, monströse Form an. Und wieder und wieder, dutzende verschiedener Formen in ebenso vielen Sekunden. Menschenhoch türmte er sich auf, darüber gehorchte er plötzlich wieder den Gesetzen der Natur und wurde vom Wind zerfetzt.
Wieder nahm er humanoide Form an. Ein antennenbewehrter Kopf, zerfranste Flügel aus einem buckelig wirkenden Rücken, ein paar Arme und Beine zwischen denen das Gesäß viel zu tief hinabreichte.
Diese Form verwirbelte nicht, nahm feste Gestalt und eine blaugrau Farbe an. Dann flog das Wesen kreischend aus dem Rauch und ließ sich, immer noch leise kreischend und krächzend, neben von Speicher nieder. Kauerte abwartend auf zwei klauenbewehrten Füßen.
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