Dies ist die Fortsetzung einer Geschichte, die in einer Zeit spielt, wo unverheiratete Frauen noch ‚Fräulein‘ genannt wurden und Gymnasien zum Teil noch fein säuberlich nach Jungen und Mädchen unterteilt waren. 1946 kamen in den westlichen Besatzungszonen lediglich zwei Männer auf drei Frauen — ein nie dagewesener Frauenüberschuss — und das war 1956 besser, aber nicht viel besser. Besonders fehlte es an Männern im besonders fortpflanzungsfähigen Alter zwischen 20 und 40 Jahren.
Dem achtzehnjährigen Kolja ist das zunächst nicht bewusst, da er eigene Probleme als ‚Spätaussiedler‘ hat und in seiner Altersklasse die Balance zwischen den Geschlechtern gegeben ist. Frauke als Fünfunddreißig-jährige kennt dieses Ungleichgewicht in ihrer Altersstufe schon länger — und hat die Konsequenzen daraus schon gespürt, als ihr ehemaliger Verlobter sich eine jüngere, schlankere Frau aussuchen konnte und Frauke links liegenließ.
Geheimnis: Junger Untermieter der Lehrerin – 1
9. Kolja: Der erste Tag in der gemeinsamen Wohnung
An diesem Tag ging der achtzehnjährige Kolja Grella zum ersten Mal als Untermieter aus der Wohnung von seiner Lehrerin Fräulein Frauke Mahler in Richtung Schule. Es war ein ungewöhnliches Gefühl für ihn. Das wurde noch durch das ‚Ereignis‘ am Morgen unterstrichen. Er war immer noch aufgewühlt davon.
Das mentale Bild von ihr, als er sie mit hochgeschobenem Rock und ihrem Höschen auf ihren Waden auf der Toilette überrascht hatte, ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er erinnerte sich detailliert daran, wie ihm oberhalb ihrer Strumpfhalter die Nacktheit ihrer üppigen Schenkel ins Auge gesprungen war. Die Nylonstrümpfe, die sich über ihren Knien spannten, hatte diese Enthüllung nur noch hervorgehoben. Er schämte sich dafür, wie stark er an diesem Nachgeschmack der Betrachtung hing, aber er konnte es einfach nicht verdrängen.
Er hatte sie unabsichtlich überrascht. Trotzdem hatte er einen Preis dafür bezahlen müssen, weil er so fasziniert von dem Anblick gewesen war, dass er einfach dort stehengeblieben war. Sie hatte ihn sogar barsch auffordern müssen zu gehen, was sie ihm übelgenommen hatte. Er war von ihr bestraft worden dafür. Das konnte er auch verstehen. Er würde es ihr nicht nachtragen, obwohl es ihm sehr peinlich gewesen war.
Er bewunderte Fräulein Mahler. Er hatte keinen Zweifel, dass sie ihm helfen wollte. Gut, sie war streng mit ihm gewesen, aber dazu hatte sie das Recht. Jedenfalls in seiner Sicht war sie inzwischen so etwas wie sein Vormund. Und hatte nicht die Fürsorgerin dafür gesorgt, dass er als Untermieter bei ihr einziehen durfte? Sie hatte ihm das Waisenhaus erspart — und alleine dafür war er ihr schon dankbar.
Das Helfen war schon toll an sich von ihr. Dann kam noch dazu, wie sie aussah. Er war begeistert davon, dass er sie jetzt jeden Tag zumindest morgens und ab dem späten Nachmittag garantiert sehen würde. Ihre kurvenreiche Gestalt faszinierte ihn. Das tiefblonde Haar mit dem rötlichen Stich hatte es ihm auch angetan. Er hatte in der Wohnung ein kleines Foto von ihr gesehen, in der sie ihre Haare lang getragen hatte und nicht in einem Dutt. er konnte es nicht erwarten, dass persönlich zu sehen. Früher oder später würde sie einmal ihre Haare der Wohnung waschen — und spätestens dann würde er es sehen.
Sie gab immer noch zwei Stunden in der Woche. Es war nur schade, dass sie nicht mehr seine Klassenlehrerin war. Aber das konnte er jetzt gut verschmerzen, da er sie jeden Tag in der Wohnung sehen konnte. Er freute sich schon auf den heutigen Nachmittag und Abend in der Wohnung.
10. Frauke: Der erste Tag in der gemeinsamen Wohnung
Sie hatte ihn danach zur Schule geschickt. Schnell in den Schulalltag, das war ein gutes Rezept um die ungewöhnliche Situation dieses Morgens erst einmal zu verdrängen. Sie würde sich spätestens am Nachmittag den Fragen daraus stellen müssen, aber erst einmal Zeit zu gewinnen, war nicht schlecht. Sie würde sich im Unterricht ablenken können, wenn sie auf die Sachthemen konzentriert war.
Ihre spontanen Reaktionen auf die schockierende Überraschung, von ihm angestarrt zu werden, waren vielleicht nicht perfekt gewesen, aber er war doch guten Mutes zur Schule gegangen. So viel hatte sie also nicht verkehrt gemacht. Was sie erstaunt hatte, war der unverhohlene Ausspruch von ihm, wie viel ihm an ihrem Respekt lag. Er verehrte und bewunderte sie. Das hatte sie ganz deutlich gespürt. Es rührte sie, das zu hören.
Sie hatte sich zum Schluss über sich selbst gewundert. Sie musste sich nichts vormachen. Eigentlich war sie eher prüde, daher hatte sie auch so vehement reagiert, als er sie in der Toilette überrascht hatte. Auch war es ihr peinlich gewesen, als er so routinemäßig seine Schlafhose heruntergezogen hatte und mit nacktem Hintern über ihrem Schoß lag. Die Nacktheit an sich hätte sie schon schockiert, wenn sie vorher nicht so ausdrücklich auf seiner Bestrafung bestanden hätte. Dass sie dann zum Schluss sogar seinen Penis berührt hatte, war ihr eigentlich unbegreiflich. Sie konnte es sich nur so erklären, dass sein Weinen und sein Zusammenbruch sie so zum Trösten von ihm motiviert hatten, dass ihre eingewurzelten Hemmungen weggefallen waren. Sie war ja auch überzeugt davon, dass er ein schweres Schicksal hatte und trotz dessen so liebenswert geblieben war. In der Schule war er immer höflich und rücksichtsvoll gewesen — und er hatte sie sogar verteidigt gegenüber diesem Grobian vor der Turnhalle.
Im Lehrerzimmer hatte sie eine neugierige Nachfrage von einem Kollegen, der davon gehört hatte, dass sie einen ihrer Schüler angeblich als Untermieter hätte. Sie zog kurz die Augenbrauen hoch, weil sie sich darüber wunderte, wie es der Kollege erfahren hatte. Dann aber antwortete sie ganz wahrheitsgemäß:
„Das habe ich auf Bitte des Direktors und der Fürsorgerin gemacht. Es ist nur für die kurze Zeit bis zu den Abiturprüfungen, maximal bis zum nächsten März, wenn der Schüler sein Abitur in der Tasche hat.“
Dabei ging ihr plötzlich auf, dass es damit auch ein gemeinsames Weihnachten geben würde. Das war ein merkwürdiger Gedanke. Im Januar hatte sie noch gedacht, dass sie an Weihnachten mit ihrem Verlobten zusammen sein würde. Ja, eigentlich hatte sie sogar schon gedacht, dass sie dann verheiratet sein würde. Und nun war alles ganz anders.
Dann scheucht sie die Gedanken weg. Winter und Schnee, dass würde noch früh genug kommen. Jetzt war September. Altweibersommer mit den noch angenehmen Temperaturen und der bevorstehenden Laubfärbung sowie der Möglichkeit Pilze zu sammeln. Der letzte Gedanke machte auf einmal ‚Klick‘. Das wäre doch eine Idee für den Nachmittag. Pilze zu sammeln war definitiv billiger als Fleisch zu kaufen. Dabei gab es Pilze, die durchaus einen Vergleich mit Schnitzelfleisch erlaubten.
Am Nachmittag kehrte sie von der Schule zurück in die Wohnung. Sie war angenehm überrascht, als Kolja eine einfache, aber nahrhafte Gemüsesuppe mit Nudeln servierte.
„Das ist eine Überraschung, Kolja. Du kannst ja kochen! Daran könnte ich mich gewöhnen.“
Der Junge strahlte über das Kompliment. Sie musste über seinen Enthusiasmus lächeln. Aber es tat ihr gut. Es war das Erlebnis, verwöhnt zu werden von einem jungen Mann. Ihr älterer Verlobter, also Ex-Verlobter, hatte weiß Gott nichts dazu getan, sie zu verwöhnen. Spontan lud sie ihn dazu ein, doch mit auf die Pilzsuche zu gehen, damit sie ein nettes Abendessen an ihrem ersten gemeinsamen Abend in der Wohnung hätten. Der Junge strahlte noch mehr. Das färbte auch auf sie selber ab. Er war plötzlich regelrecht ungeduldig und wollte am liebsten sofort losstürmen, nachdem er in eine Lederhose gewechselt war und ein kurzärmeliges Flanellhemd mit einem Schulterbesatz aus Leder angezogen hatte. Er war stolz auf sein Hemd im Westernstyle — das sah man. Gleichzeitig wertete es seine schmächtigen Schultern auf.
Spontan beschloss sie, bei dem angenehmen Wetter doch Bluse und Rock rasch gegen ein weißes, kurzärmliges Sommerkleid mit eingenähtem Unterrock zu tauschen. Weil Kolja so wild darauf war, schnell loszukommen, verzichtete sie auf ein vollständiges Umziehen. Sie streifte nur das Kleid über, nachdem sie Rock und Bluse ausgezogen hatte. Der Ausflug würde ja nicht lang sein. Nur die Schuhe mit dem Absatz wechselte sie gegen flache, bequeme Treter, auch wenn das nicht ganz zu den Nylonstrümpfen passte. Der junge Mann konnte den großen Korb tragen. Sie brauchte dann nur ein Handtäschchen für die Börse zum Umhängen.
Gesagt, getan — es ging per Bahn in den Forst bei den Walddörfern. Sie kannte Stellen im Wald, wo es Pilze gab. Man musste dazu zwar enge, kleine Pfade gehen, aber dafür konnte man eventuell sogar Riesenschirmlinge finden, die sich direkt als panierte ‚Schnitzel‘ in die Pfanne hauen ließen.
11. Kolja: der erste gemeinsame Nachmittag
Er war gut gelaunt, nachdem sich die verehrte Lehrerin über die Geste der servierten Suppe gefreut hatte. Sie war ihm also wirklich nicht böse und hatte ihm seine Dummheit vergeben.
Sie saßen in der U-Bahn zusammen und Kolja fühlte sich großartig. Es war ein Ausflug. Ein Ausflug mit Fräulein Mahler. Er bedauert es beinahe, als die Endstation Ohlstedt gekommen war und sie aussteigen mussten. Der Wald begann nur eine kurze Distanz hinter der Station in Richtung Norden. Sie führte ihn in Richtung auf einen kleineren Pfad, der nach einigen 100 Metern bereits das erste Erfolgserlebnis brachte. Sie fanden zwei Maronen.
Als sie sich bückte, um die erste der beiden Maronen sauber abzuschneiden, rutschte ihr Kleid etwas hoch und bot ihm einen kleinen Einblick auf ihre nylon-bestrumpften Schenkel. Er musste schlucken und strengte sich an, um ein Erröten zu unterdrücken. Sie reichte ihm dann die beiden Pilze, die er in den Korb legte.
Bis zum nächsten Fundort ließ er seine Augen schweifen und schweifen, aber er sah keine Pilze. Dann jauchzte sie wie ein junges Mädchen auf und zeigte stolz mit dem Zeigefinger auf einen Riesenschirmling, den sie Parasol nannte. Ihn hatte der Ehrgeiz gepackt. Er wollte unbedingt auch einen entdecken. Er ging etwas vom Weg und plötzlich sah er etwas, das so ähnlich aussah wie dieser riesige Pilz, den sie gefunden hatte. In seiner Eile ihn zu pflücken, übersah er allerdings die große Brennnessel auf dem Wege dorthin. Er schrie erschreckt auf, als seine Knie sofort brannten.
„Was ist denn, Kolja? Ist etwas passiert? Geht es Dir gut?“
„Fräulein Mahler, nichts Schlimmes — ich Dummkopf habe nur eine Brennnessel übersehen. Dafür habe ich aber auch einen — wie haben Sie es genannt? — einen Parasol gefunden!“
Sie kam herangeeilt und begutachtete sofort sein rechtes Knie, dessen Hautoberfläche durch die Brennnessel rot angelaufen war.
„Setzt Dich dort auf den Baumstumpf, Kolja. Ich werde den Saft von Ampferblättern darüber ausdrücken. Das lindert den Schmerz!“
Sie pflückte Blätter und zerdrückte sie über seinem Knie. Sie bückte sich tief, um es zu machen. Der Schmerz wurde augenblicklich geringer. Ob das nun in den Blättern lag oder daran, dass er abgelenkt wurde, war nicht klar. Abgelenkt wurde er nämlich dadurch, wie ihre Busen beim Herunterbücken sich bewegten und er für einen Moment glauben konnte, ihren Büstenhalter zu sehen. Dann streichelte sie noch tröstend seine Waden. In diesem Moment freute er sich beinahe darüber, dass er in die Brennnesseln geraten war. Die Freude bei ihm wurde noch gesteigert, als sie den von ihm gefundenen Pilz bewunderte. weil es nach ihr ein perfektes Exemplar war, dass ein wunderschönes Pilzschnitzel abgeben würde.
Die Pilzsuche hatte sie inzwischen ganz schön weit in den Wald geführt. Dabei hatten sie gar nicht bemerkt, wie der Himmel inzwischen durch herannahende Gewitterwolken dunkler geworden war.
„Oh nein, Kolja. Das können wir jetzt gar nicht gebrauchen. Lass uns schnell zu dem Bahnhof zurückgehen!“
Sie raffte ihren Rock etwas, damit sie weiter ausschreiten konnte. Sie schaute nach oben und sah etwas besorgt drein. Sie murmelte etwas von ‚ob wir das noch schaffen?‘ Und zog ihn schnell an seiner freien Hand vorwärts, weil er immer noch etwas hinkte durch den Effekt der Brennnessel. Abrupt setzte der Regen ein. Er wurde stärker und stärker. Ein richtiger Gewitterregen.
„Mist, Mist! Das schaffen wir nicht bis zur U-Bahn. Wir müssen nach rechts in den Wald. Dort gibt es eine Hütte. Die bietet uns Schutz vor dem Regen, Kolja.“
Er wollte schon sagen, dass er nicht aus Zucker sei und etwas Regen schon abkönne. Im letzten Moment konnte er sich noch bremsen, als er begriff, warum sie das sagte. Es gab schon einige kleine Stellen, wo ihr Kleid durch den Regen nass und ziemlich transparent wurde. Widersprüchliche Gefühle tauchten in ihm auf. Ein Teufelchen flüsterte in ihm, wie schön es doch wäre, wenn ihr ganzes Kleid transparent werden würde. Ein Engelchen flüsterte, wie peinlich es ihr doch wäre und man ihr diese Peinlichkeit ersparen müsse.
Fräulein Mahler lief jetzt regelrecht vor ihm her und hatte sich schon einige Schritte von ihm entfernt. Sie hatte es eilig. Ihre Eile war berechtigt, denn der Regen wurde noch stärker. In ihrer Eile schwangen ihre breiten Hüften sehr anregend. Das Ende des Reißverschlusses ihres Kleides erschien bei diesen Bewegungen wie der sich bewegende Kopf einer Schlange, der in das Tal ihrer üppigen Pobacken beißen wollte. Abgelenkt von diesen suggestiven Bewegungen achtete er nicht so auf den Weg und lag plötzlich der Länge nach auf dem Waldweg. Reaktionsschnell hatte er den Korb gerettet, dafür hatte er sich aber seine Hand angeschlagen. Etwas missmutig stand er auf und trabte dann hinterher.
Als er bei der Grillhütte ankam, stand sie schon schnaufend von dem schnellen Lauf unter dem runden Dach des Holzbaus. Als er sie nun von Nahem sah, vielen ihm bald die Augen aus dem Kopf. Das dünnere Oberteil ihres Kleides war total durchnässt, während das Unterteil unterhalb des Gürtels nicht so betroffen war. Damit war oben alles mehr oder weniger transparent. Er fühlte, wie er rot wurde. Durch den nun durchsichtigen Stoff des Oberteiles konnte er ihren Büstenhalter klar erkennen. Sie sah seinen Blick. Sie blickte an sich herunter und wurde nun auch rot. Ihre Stimme klang entsetzt und schwach:
„Das ist ja soo peinlich. Was, was mache ich nur? So kann ich doch nicht… Dreh‘ Dich um, Kolja!!“
Schnell drehte er sich um, auch wenn er sie am liebsten weiter angeschaut hätte. Ihr weißer BH war anscheinend mit Spitzen versehen und hatte breite Träger. Er wusste sofort, an was sie dachte.
„Fräulein Mahler, Sie haben Recht. So können Sie nicht in der U-Bahn zurückfahren. Ihr Kleid muss vorher trocknen. Und zwar schnell, sonst holen Sie sich noch eine Erkältung!“
„Kolja, hier gibt es keinen Trockenboden. Ich habe auch wieder Streichhölzer noch ein Feuerzeug dabei, sonst könnte ich ein Feuer machen und daran trocknen. Und es regnet immer noch genug, um jedes Trocknen auf dem Weg durch Bewegung zu verhindern. Dabei ist das Oberteil tropfnass und – darunter auch.“
Sie klang zum ersten Mal, seit er sie kannte, etwas ratlos. Ihre Stimme klang auch leicht merkwürdig, so als ob sie bereits vor Kälte mit den Zähnen schnattern würde. Im nächsten Moment begriff er nicht, was ihre Andeutung mit dem darunter heißen sollte. Dann fiel endlich der Groschen bei ihm. Auch ihr Büstenhalter war durchnässt. Das mit der Bewegung würde also auf keinen Fall klappen. Sein Gehirn suchte krampfhaft nach Lösungen. Abrupt fiel ihm eine Möglichkeit ein, auch wenn sie nicht einfach auszusprechen war. Aber er durfte nicht zulassen, dass sie eine Erkältung bekam:
„Fräulein Mahler, ich habe eine Idee. Aber Sie dürfen mich bitte nicht ausschimpfen, wenn ich das so vorschlage. Ich habe bei den Pfadfindern gelernt, wie man Feuer ohne Feuerzeug oder Streichhölzer machen kann. Also, also, wenn Sie Ihr Kleid ausziehen, dann können wir es am Feuer trocknen — und mit dem, also ‚dem darunter‘ können wir es auch versuchen.“
„Kolja, das geht doch nicht. Sonst siehst Du mich ja, ich meine, Du weißt schon. Kannst nicht von zu Hause ein Ersatzkleid aus meinem Schrank holen — und Ersatzsachen?“
„Fräulein Mahler, nein, das werde ich nicht machen. Das dauert zu lange und dann bekommen Sie eine Erkältung. Außerdem wären Sie hier allein – in dem Zustand, wie sie jetzt sind. Beides kann ich nicht zulassen.“
12. Frauke: der erste gemeinsame Nachmittag
Sie hatte Freude an dem Ausflug, jedenfalls bis zu dem Moment, an dem es zu regnen drohte. An Regen hatte sie überhaupt nicht gedacht. Gewitter im September waren selten und bei ihrer Abfahrt war der Himmel noch blau gewesen. Wieso hätte sie daran denken sollen?
Zuerst hatte sie noch angenommen, dass sie es bis zur U-Bahn-Station schaffen würden. Sie war zunächst mehr darüber besorgt gewesen, dass die Pilze nass werden könnten. Erst als der Regen heftiger fiel, begriff sie, dass sie selber richtig nass werden könnten. Ein Unterstand war also angebracht. Ihr fiel die sogenannte Grillhütte ein. Eigentlich war es erst der Blick von Kolja, der sie an die anderen Nebeneffekte von durchnässter Kleidung erinnerte. Hätte sie doch nur ein farbiges Kleid angezogen, das bei Regen nicht transparent wurde! Kolja starrte sie fasziniert an. Sie schämte sich und wies ihn an, sich umzudrehen. Danach fühlte sich nicht mehr ganz so peinlich berührt, aber dafür merkte sie, wie ihr langsam aber sicher kalt wurde. Nach dem Regen waren die Temperaturen leicht gefallen.
Sie war richtig erstaunt, als sie hörte das Kolja auf Pfadfinderart Feuer machen könnte und schöpfte Hoffnung. Seine Idee, dass sie dafür ihr Kleid ausziehen sollte, erschreckte sie jedoch. Das, das konnte doch nicht machen! Er lehnte allerdings vehement ihre Lösung ab, dass er ihr von der Wohnung Ersatzsachen holen sollte. Es gefiel ihr zwar, wie fürsorglich er in Richtung auf Erkältung dachte, aber sich vor ihm auszuziehen, wenn auch nur teilweise, überschritt ihre Hemmschwelle. Sie waren in einer Sackgasse.
„Fräulein Mahler, was sollen wir denn jetzt machen? Können Sie eine andere Lösung vorschlagen? Ich mache alles, was Sie wollen, Fräulein Mahler!“
Der letzte Satz brachte sie zur Entscheidung. Mit diesem hatte er nochmal bestätigt, dass sie für ihn die letzte Autorität war. Sie konnte keine Alternativen bieten. Natürlich könnte sie als Respektsperson ihn nach Hause schicken, auch wenn er gesagt hatte, dass er es nicht zulassen wollte. Sie würde ihn damit aber unglücklich und besorgt machen — das war ihr auch klar. Bei der Alternative würde sie ihn glücklich machen, aber sie müsste ihre Hemmungen überwinden. Sie straffte sich und traf ihre Entscheidung:
„Gut, Kolja. Wenn Du ein Feuer innerhalb von fünf Minuten angezündet hast, dann wählen wir Deine Lösung. Natürlich musst Du Dich dazu dann umdrehen. Das ist in Ordnung.“
Es fiel ihr nicht leicht, das zu sagen. Sie kreuzt auch ihre Arme vor der Brust. Als er sich umdrehte, strahlten seine Augen aber so, dass sie sich mit der später folgenden Peinlichkeit halb versöhnte. Wie ein Wiesel schnappte er sich trockenes Gestrüpp und Gras, das unter dem Schutz des weiten Daches nicht nass geworden war. Er legte es in die Feuerschale in der Mitte der Hütte Seine Augen suchten am Boden entlang, bis er einen Feuerstein fand. In noch nicht einmal einer Minute schaffte er es, einen hellen Funken aus dem Feuerstein zu schlagen, der das trockene Gras in Brand setzte. Vorsichtig nährte er das Feuer mit kleinen Zweigen, dann mit dickeren und schließlich mit Ästen. Es qualmte natürlich am Anfang, aber bald loderte ein richtiges Feuer. Er blickte stolz auf. Sie wusste, dass es jetzt so weit war. Sie straffte sich erneut. Sie drehte sich um:
„Also, Kolja. Kannst Du mir bitte hinten den Reißverschluss ganz herunterziehen, damit ich das Kleid ausziehen kann?“
Es kostete sie Kraft, dies auszusprechen, ohne ihre Stimme nervös klingen zu lassen. Sie wusste, dass nach diesem Moment ihre Beziehung eine andere sein würde. Sie hatte ihn damit eingeladen, sie zu berühren und ihr beim Ausziehen zu helfen. Sie wusste nicht ganz genau, warum sie das machte. Es erschien ihr aber richtig zu sein. Er hatte gezeigt, dass er alles machen würde, was sie verlangte. Dann konnte sie ihm auch dieses Vertrauen schenken. Er zögerte einen kleinen Moment und lief tiefrot an, aber er kam zu ihr. Ihr lief ein leiser Schauer über den Rücken, als er den Reißverschluss langsam von oben bis ganz nach unten herabzog.
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