Dies ist eine fiktive Geschichte, die im Deutschland der Nachkriegszeit spielt, wo Flugzeugreisen noch selten waren und PKWs in Deutschland noch Mangelware waren.
Geheimnis: Junger Untermieter der Lehrerin – 1
1. Kolja: Der erste Tag
An diesem Montag kam der achtzehnjährige Kolja Grella in einem Ziegelbau für den ersten Tag in seiner neuen Klasse in dem alten Hamburger Viertel an. Es war nicht gerade schön, dass sie ihn ausgerechnet jetzt aus der Klosterschule in Polen geworfen hatten, gerade in seinem letzten halben Jahr vor dem Abschluss der Schule. Damit wurde er zum Spätaussiedler, da sein Großonkel in Hamburg war. Es war sein letzter lebender Verwandter mit deutschem Pass, bei dem er jetzt lebte. Er hoffte, dass er das Abitur bestehen würde, aber seine Noten würden leiden. Auf jeden Fall war es schwer, in einer neuen Klasse in der Mitte des Jahres zu starten.
Er sah eine Frau mit goldblonden Haaren in der Eingangshalle, die eben gerade durch die Tür kam. Die Haarfarbe hatte einen deutlichen Stich in Rötliche. Ihre Augen trafen sich. Ihre Augen waren flaschengrün, was einen netten Kontrast zum Farbton ihrer streng in einem Dutt gebundenen Frisur ergab. Die Frau war in ihren eigenen Gedanken versunken. Sie sah ihn nur kurz an. Er fragte sich, was sie wohl hierherführte. Er wusste nicht, dass das Schicksal sie in einer knappen halben Stunde wieder zusammenbringen würde.
Als sie zur breiten Treppe schritt, konnte Kolja nicht umhin, ihr mit seinen Augen zu folgen. Sie trug einen dunkelgrauen, knielangen Bleistiftrock und einen Blazer in derselben Farbe. Im Ausschnitt des Blazers konnte er eine weiße Bluse erkennen. Die Absätze ihrer Stiefeletten erklangen auf der Treppe mit klackenden Geräuschen. Es war wie ein Reflex, wenn er ein weibliches Wesen mit Rock auf einer Treppe sah. Er hatte bisher nur sonntags jeweils die Gelegenheit etwas anderes zu sehen als alte Mönche. Er versuchte immer unter jeden Rock zu spähen, der auf der Eingangstreppe zur Kirche zu sehen war. So unauffällig wie möglich änderte er seinen Weg zum Schulsekretariate im Erdgeschoss genug, um etwas näher zur Treppe zu kommen. Die sittsame Rocklänge bei dieser Frau machte ihm nicht viel Hoffnung, viel erspähen zu können. Ihre Knie waren durch ihren Rock bedeckt gewesen, als sie ihn angeblickt hatte. Es war ein Reiz, einen Blick unter den Rocksaum zu erhaschen.
Und in seinen Augen waren die strammen, nylonbedeckten Beine dieser Frau mehr als einen Blick wert. Ihre Waden zeigten nun die dunkleren Nähte der Nylons auf der Rückseite. Beim Treppensteigen zeigten sich nun auch die Innenseiten ihrer Knie und der Ansatz ihrer fleischigen Oberschenkel. Über den Knien konnte er sehen, wie ihre üppigen Pohälften unter dem engen Rock beim Ersteigen der Treppe ‚arbeiteten‘. Sein Herz schlug schneller, als er glaubte die Umrisse ihres Schlüpfers wahrnehmen zu können.
Ihre runden, breiten Hüften bestätigten seinen ersten Eindruck von einer reiferen Frau. Sie war mit Sicherheit kein junges Mädchen. Sie war eine stattliche Frau mit Kurven, aber keine Rubensfrau. Sie war wohl Mitte 30, hatte einige, wenige Fältchen und Polster. Sie war nicht hässlich, aber auch keine strahlende Schönheit. Er nahm an, dass sie vermutlich eine Lehrerin war, die sicherlich schon einige Berufserfahrung hatte. Die kurvenreiche Dame setzte ihren Weg zum ausgeschilderten Lehrerzimmer fort, als sie im ersten Stockwerk angekommen war.
2. Frauke: Der erste Tag
An diesem Montagmorgen war sie besorgt, als sie das alte Backsteingebäude betrat, das von nun an ihr neuer Arbeitsplatz sein würde. Sie hatte keine andere Wahl, da die Situation in ihrer bisherigen Schule für sie sehr schwierig geworden war. Schließlich hatte sie selbst gefordert in eine andere Schule innerhalb des öffentlichen Schulsystems in Hamburg wechseln zu können. Es gab nicht viel Auswahl bei einem kurzfristigen Transfer.
Der Schulleiter Herr Johannes Maier hatte sie ganz nett begrüßt. Er sah sie neugierig an – es geschah nicht so oft, dass sich eine Lehrerin im laufenden Jahr versetzen ließ und das auch noch genehmigt bekam.
„Fräulein Mahler, es tut mir leid, aber ich muss Sie so bald als möglich in den Biologiekurs der 13. Klasse bringen. Für diese erste Unterhaltung haben wir daher nur wenig Zeit. Wir haben an der Schule zurzeit einen hohen Lehrstundenausfall.“
„Herr Maier, das ist kein Problem für mich. Ich habe ja einige Jahre Erfahrung als Lehrerin.“
Er wusste, es war besser, sich ihre Gründe für den Wechsel nicht erläutern zu lassen. Sie erkannte diesen Blick auf seinem Gesicht. Sicherlich hatte er sich über ihren Verlobten gewundert. Ihr Verlobter – ja, formal war Michael immer noch ihr Verlobter – war inzwischen der Direktor ihrer ehemaligen Schule. Außerdem hatte er den Nerv, eine Liebesbeziehung mit einer neuen jungen, blonden Pädagogikstudentin direkt unter ihren Augen zu beginnen. Sie waren jetzt seit bald dreizehn Jahren getrennt gewesen und er näherte sich seinem 50. Geburtstag, während sie sich ihrem 36. Geburtstag näherte. Die Dreizehn musste wohl tatsächlich eine Unglückszahl sein.
Sie hatte sich bis vor kurzer Zeit aber immer noch für anziehend gehalten. Ihre dunklen blonden Haare, die eine leicht slawische Gesichtsform mit prominenten Augenbrauen und grünen Augen umrahmten, hatten einen Reiz, so dachte sie es immer. Zumindest hatte sie sich für attraktiv gehalten, bis diese Geliebte ihres Verlobten ihr Selbstbewusstsein erschüttert hatte. Ihre Freundinnen bestätigten zwar, dass sie noch begehrenswert war. Sie wurde von ihnen beneidet für ihre zarte Haut sowie ihre festen Oberschenkel und Brüste, aber sie gebrauchten das Adjektiv ‚schlank‘ seit geraumer Zeit nicht mehr — und das gab ihr zu denken. Sie sah natürlich nicht mehr so schlank wie bei ihrer Verlobung aus und auch nicht mehr so fit wie noch vor zwei Jahren. Der Kummer der letzten 12 Monate hatte seine Spuren hinterlassen. So benutzte sie inzwischen häufiger Hüfthalter, um ihre Kurven im Zaum zu halten.
Der Blick auf Herrn Maiers Gesicht schien zu bestätigen, dass sie noch attraktiv war … allerdings in den Augen eines rund sechzigjährigen Mannes. Der fand wohl jede toll, die weiblich war und unter vierzig.
Ihre Gedanken kehrten zu ihrem ehemaligen Verlobten zurück, während der Direktor über seine Schule berichtete. Dies war nicht das erste Mal, dass Michael mit einer anderen Frau geflirtet hatte, aber es war damals in 1939 nicht ernst genug, um ihre Beziehung zu gefährden. Er entschuldigte sich damals sofort für seine „Anfälle von Hormonfieber“, wie er es nannte und er hatte ihr bisher immer versichert, dass er sie niemals verlassen würde. Er würde sie heiraten, sobald der kurze Krieg vorbei sei. Das hatte er im Oktober 1940 gesagt, als er als Reserveoffizier eingezogen wurde.
Sie war damals achtzehn Jahre alt war und wollte das Pädagogikstudium beginnen, bis er zurückkam. Sie hatte ihm geglaubt — und ihm bis zu seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft im Januar 1956 vor sechs Monaten die Treue gehalten. Alle paar Monate kam ein Brief von ihm und jedes Jahr erhielt er ein bis zwei Wochen Urlaub von der Front. Für seine Eltern war sie praktisch die Ehefrau, obwohl er nur mit ihr verlobt gewesen war. Das ging so, bis er Mitte 1943 von Partisanen gefangen wurde und anschließend in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Auch dann hielt sie ihm noch die Treue, obwohl jetzt bestenfalls ein Brief pro Jahr kam und in manchen gar keine. Seine Eltern hatten es ihr gedankt durch die Aufnahme in deren Haus in 1944.
Die Rückkehr von ihm war für Michael – und auch für sie – in gewisser Weise ein Schock gewesen. Sie war erschrocken gewesen über seinen Anblick. Neujahr 1943 hatte sie ihn zuletzt gesehen. Da war er ein schneidiger Major mit fittem Körper in einer schicken Uniform mit dunkelbraunem Haar und einem feschen Schnurrbart gewesen. Im Januar 1956 kam er zurück und er sah wie ein Greis aus – mit seiner ausgemergelten Gestalt, seinem weißen Haar und der faltigen Haut. Inzwischen sah er besser aus, aber er hatte sich noch mehr psychisch als physisch verändert. Jedenfalls hatte sie diesen Eindruck.
Er war einerseits zynisch geworden und wollte nicht mehr der idealistische Lehrer sein. Andererseits lebte er in der Vergangenheit. Er hatte ihr doch allen Ernstes vorgeworfen, dass sie nicht mehr so schlank und jung wie in 1943 aussah, wo sie 21 Jahre alt gewesen war. Das hatte sie sprachlos gemacht.
Er hatte durch Beziehungen zu seinem ehemaligen Bataillonskommandeur die Stelle als Leiter des Gymnasiums erhalten, an dem sie als Lehrerin arbeitete. Dort hatte er mit einer zwanzigjährigen Pädagogikstudentin geflirtet. Anfangs war sie davon ausgegangen, dass dies nur ein Strohfeuer war, das bald erlöschen würde. Aber es erlosch nicht. Zuerst begann es mit Kosenamen für diese Linda – Namen wie ‚Liebling Linda‘, ’süße Apfelschnute‘ und ‚meine kleine Honigbiene‘. Zu ihrer Scham hatte er dann begonnen, diese geile Hure offen in der Schule zu küssen. Die war doch nur hinter seinem Gehalt als Direktor her!
Danach wusste jeder Kollege in der Schule, dass sie durch ihren Verlobten betrogen wurde. Das war einfach so tief verletzend. Und als ob das noch nicht genug war, hatte er vor knapp zwei Monaten schließlich verkündet, dass er sich entloben lassen wollte. Er beabsichtigte diese freizügige Schlampe mit ihren provokativen Dirndl-Blusen zu heiraten. Am selben Tag hatte sie die Schulbehörde gebeten, in eine andere Schule verlegt zu werden. Es dauerte zwar etwas, aber es gab auch Verständnis für ihre Situation. Aus der gemeinsamen Wohnung in der geerbten Doppelhaushälfte seiner Eltern auszuziehen, würde viel länger dauern. Er wollte sie inzwischen so bald wie möglich heraussetzen, aber das ging nicht so einfach. Oben lebten immer noch seine Eltern aus Pommern. Diese waren beinahe ebenso entsetzt über seine neue Liebelei, wie sie selber. Nach deren Worten war ein bald fünfzig Jahre alter Mann, der eine knapp zwanzigjährige Studentin heiraten wollte, einfach eine Schande für die Familie. Michael scherte sich aber nicht um die Meinung seiner Eltern.
Und hier saß sie jetzt und lauschte dem Direktor, der endlos über seine Schule vor sich hin dröhnte. Herr Maier beendete seine Präsentation über seine Schule. Auf dem Weg zum Klassenzimmer erklärte er, dass sie wegen einer Grippewelle einen Mangel an Lehrern hätten und so müsste sie sofort an diesem Tag beginnen. Sie war ein bisschen überrascht, so schnell zu starten, aber sie hatte nichts dagegen.
Herr Maier stellte sie dem Biologiekurs von 25 Jungen vor. Sie wusste auswendig, wie man eine neue Klasse ansprechen kann. Sie bat alle, ein handgeschriebenes Namensschild auf das Pult zu legen. Als es an der Tür klopfte und ein junger Mann erschien, erkannte sie ihn sofort als den Schüler, den sie zuvor in der Eingangshalle angetroffen hatte. Er war auch leicht wieder zu erkennen. Das nachtdunkle Haar, seine gelblich wirkende Haut und die asiatisch anmutenden Schlitzaugen fielen nun einmal unter all den europäischen Gesichtern im Klassenraum auf. Er erklärte, dass er neu in der Schule war und überreichte ihr seine Mappe aus dem Sekretariat. Sie überflog es. Sie lächelte ihn an:
„Ich bin auch in dieser Schule neu. Wir beginnen am gleichen Tag.“
Dann bat sie ihn, ein Namensschild auf den Tisch zu legen, wo er saß. Sie schrieb ihren Namen auf die Tafel und erklärte, dass sie Fräulein Mahler genannt werden wollte. Sie würde die Schüler mit ihrem Vornamen ansprechen und dabei Siezen.
Sie setzte einen sofortigen Test an, um das Wissensniveau dieser Klasse zu beurteilen. Sie war an das kollektive Stöhnen gewöhnt, das unweigerlich einer solchen Ankündigung folgte. Als sie den Fragebogen mit sorgfältig ausgewählten Fragen verteilte, sah sie das Erstaunen der Schüler über die Art der Fragen. Das wurde am nächsten Tag noch klarer. Sie lieferte die korrigierten Tests mit entsprechenden Kommentaren, die bei den Schülern mit der eigenen Einschätzung ihres Wissens übereinstimmten. Da sah sie die Verwunderung in den Augen der Schüler, dass sie anscheinend eine gute Einschätzung treffen konnte. Ihre Autorität wurde so schnell etabliert. Zu ihrer Verblüffung war dieser Kolja einer der Besten, obwohl er in der Klasse neu war.
Nach der Pause, die der Biologie-Stunde am nächsten Tag folgte, beobachtete sie einige Aufregung in der Klasse, da einige Jungen sich über Kolja Grell lustig machten. Einige abgegriffene Schwarzwiss-Fotos waren in seinem Portemonnaie, das sie ihm entwendet hatten. Sie zeigten vorwiegend eine schlanke, zartgliedrige Frau mit tiefschwarzem Haar und asiatischen Gesichtszügen um die zwanzig in verschiedenen Situationen. Eines, dass sie in einem altmodischen, hochgeschlossenen Badeanzug mit Bauch zeigte und eines in Umstandsmode. Eines aber auch, dass sie mit einem jungen Mann zeigte, der sie stolz umfasste. Die Ähnlichkeit dieses Mannes mit Kolja war nicht zu verkennen, wenn man die identische Ohrenform so im direkten Vergleich erblickte, auch wenn die Augen des Mannes eindeutig europäisch wirkten.
Eines der Jungen hatte es geschafft, zwei dieser Bilder in die Hand zu bekommen. Er lachte provokativ und neckte ihn, dass dies wohl seine Geliebte war. Kolja erklärte ernsthaft, dass dies ältere Bilder seiner verstorbenen Mutter waren:
„Meine Mama hat mich in sehr jungen Jahren bekommen. Es war schwer im Krieg in Weißrussland. Mein deutschstämmiger Papa hat beschlossen, dass wir nach Deutschland auswandern, als ich sechs war.“
Das mit den jungen Jahren hatte die Jungen noch mehr lachen lassen. Sie entschied sich zunächst nicht zu intervenieren, da der junge Schüler es peinlich finden konnte, wenn sie ihm helfen würde.
Doch als die Jungen die Bilder in der ganzen Klasse zeigten, wurde Kolja ernsthaft verlegen. Denn einer der Jungs mit dem Namensschild ‚Thomas‘ kommentierte die Bilder lachend. Das war wohl einer dieser Jungen, die gerne schmutzige Witze zum Besten gab. Er sagte grinsend, dass Kolja wohl seine Mutter gerne schwanger gemacht hätte, wenn er diese Fotos so gerne bei sich trug, man wisse ja, wie die Hunnen seien. Einige der Jungen in der Ecke von Thomas lachten laut auf.
Sie beschloss prompt in diesem Moment, zu intervenieren, indem sie alle ermahnte, dass sich alle sofort wieder setzen sollten. Dann forderte sie die Jungen auf, die Bilder flink wieder zurück an Kolja zu geben, da diese sein Privatbesitz waren. Sie erklärte, dass die Jungen es wahrscheinlich auch nicht mögen würden, wenn Bilder von ihrer Familie ohne ihre Zustimmung in der Klasse herumgereicht werden würden. Besonders wenn es solche wären, die ihre Mütter in Badekleidung und anderen Umständen zeigten. Das wirkte! Kolja war so von der Reaktion der Klassenkameraden betroffen, dass er eine Information nachschob:
„Leider sind meine Eltern im letzten Kriegsjahr im damaligen Schlesien umgekommen. Man hat mich dort im Kloster aufgenommen. Der Prior hat sich die ganze Zeit um mich so gut gekümmert, was es mir möglich machte, die Klosterschule zu besuchen. Ich bin meinen Eltern so dankbar… Meine Cousins in Weißrussland sind alle gestorben…“
Sie unterstrich die Tatsache der schwierigen sozialen Situation der Waisen in der Gesellschaft. Für diese war es nicht leicht, gute Bildung zu erhalten. Während es für den jungen Thomas selbstverständlich war, dass er das Privileg hatte, die Schule bis zum Abitur besuchen zu können, galt es für die Waisen nicht. Thomas hatte seine Hausaufgaben nicht einmal gemacht und kümmerte sich anscheinend nicht um seine Ausbildung. Der junge Kolja war hingegen dankbar, dass er dieses Privileg hatte. Sie schimpfte mit ihnen:
„Einige von euch haben Eltern, die in der Kirche tätig, – ja, Thomas, Sie sind einer von denen – und doch machen Sie sich in einer hässlichen Weise lustig über Ihren Mitschüler…! Vielleicht sollte ich einmal mit Ihrem Vater, dem Pfarrer reden, was Sie so über Mütter denken — und wie Sie asiatisch aussehende Mitschüler titulieren!“
Das sorgte bei dem Angesprochenen für Verlegenheit. Alle wurden still und einige in der Ecke von Thomas schämten sich wohl tatsächlich. Sie war sehr überrascht, als Kolja ihr dankte. Irgendwie hatte dieser junge Mann sie durch seine Liebe zu seinen Eltern beeindruckt. Das offen zuzugeben, war für einen achtzehnjährigen Jungen sicherlich ein ungewöhnliches Merkmal.
Doch seine Dankbarkeit, das Abitur machen zu dürfen, bewegte sie wirklich. Alle anderen deutschen Schüler, die sie kannte, nahmen dies und sicherlich auch ihre Lehrer für gegeben, während der junge Kolja anders war.
Sie war nicht sicher, ob ihr Eingreifen ihm wirklich helfen würde. Vielleicht würde der junge Mann nur noch mehr gehänselt werden, aber es schien ihr trotzdem das Richtige zu sein. Sie würde diese Art von gehässigen Kommentaren während ihrer Unterrichtsstunden sicher nicht dulden.
Was er ihr später gestand, machte sie stolz. Er war dankbar für ihre Intervention als Lehrerin gewesen. Er hatte befürchtet, dass diese intimen Bilder von seiner Mutter durch die ganze Schule zirkulieren würden. Das würde sein Leben noch schwerer machen. Er sah in ihr eine mutige Lehrerin, die moralische Werte nicht nur predigte, sondern auch verteidigte. Das hatte er nur bisher selten erfahren.
3. Kolja: Nach der ersten Schulstunde
Fräulein Mahler hatte eine höfliche Stimme – und damit sowie mit der aufrechten Persönlichkeit erinnerte sie ihn an seine verstorbene Mutter. Er erinnerte sich nur schwach an seine Mama, aber diese beiden Sachen waren ihm deutlich im Gedächtnis geblieben. Es gab sonst weder in der Körpergröße noch in der Figur noch im Alter eine Ähnlichkeit mit seiner zierlichen Mutter. Sein Onkel hatte ihm damals erzählt, dass sie wie sein Onkel aus der Mongolei stammte und seinen Vater in Sibirien kennengelernt hatte.
Er schätzte die Lehrerin auf rund 1,75 m. Sie war in seinen Augen ziemlich stattlich. Trotz ihrer für gewöhnlich leisen Stimme strahlte sie für ihn die Autorität einer kompetenten Pädagogin aus.
Er hatte die Verwaltungsformalitäten für den Eintritt in diese Schule absolviert. Die Schulsekretärin war ein zunächst ein wenig verwirrt. Die meisten Schüler versuchten nicht mitten im Schuljahr zu wechseln — und dies schon gar nicht von einer Klosterschule aus dem Ausland. Dies wegen der Anpassungszeit, die in einer neuen Klasse und Schule erforderlich war, selbst wenn es ein anderes Gymnasium in Hamburg gewesen wäre. Er erkannte diesen Blick des Mitleids auf dem Gesicht der älteren Frau, aber er versuchte es zu ignorieren.
Jedenfalls kümmerte sich die polnische Bezirksregierung in Schlesien nicht um seinen Abschluss in der Klosterschule. Er war achtzehn und hatte keinen polnischen Pass und wollte den auch nicht. Das reichte, um ihn der Schule zu verweisen. Sein alleinstehender Großonkel half in einem Schrottwarengeschäft eines Freundes. Das war auch der Grund, weshalb sie von dem ehemaligen Schlesien nach Hamburg gezogen waren. Er wurde dabei nicht reich, aber er kam besser zurecht, als weiterhin als Ungelernter beim Bau in dem heutigen Rumänien zu arbeiten. Jedenfalls für jemanden, der in der Schule nicht über die sechste Klasse hinausgekommen war. Umso mehr schätzte Kolja es, dass er selber in Polen bis dato die Klosterschule besuchen durfte — und es in Hamburg fortsetzen konnte.
4. Frauke: Die ersten Wochen
An einem Freitagabend in der nächsten Woche musste sie wieder zur Schule zurückkehren, da sie dem Hausmeister der Schule versprochen hatte, die Turnhalle zu schließen. Die Volleyball-Mannschaft des örtlichen Sportvereins hatte gerade gegen ein anderes Team aus der Stadt gespielt. Sie sah, wie der junge Schüler Kolja mit seinen Klassenkameraden das Spiel beobachtete. Er sah inmitten seiner männlichen, schon breitschultrigen Altersgenossen ausgesprochen zierlich und verletzlich aus.
Sie wartete, bis das Spiel fertig war, und kontrollierte dann die Halle, um sicherzustellen, dass alle gegangen waren. Sie fühlte sich ein wenig unruhig, weil ein männlicher Zuschauer mit durchdringenden Augen sie länger als nötig angeschaut hatte.