Notiz der Autorin: Diese Geschichte enthält viel Handlung, NonConsent-Elemente, BDSM (mit und ohne Zustimmung), Homosexualität (ff, mm), psychische und physische Folterbeschreibungen und eine Liebesgeschichte. Sie ist lang und entwickelt mit der Zeit einen verhältnismäßig komplexen Handlungsablauf. Wer auf der Suche nach einem Quickie ist – und das sind wir alle mal – sollte sich vielleicht noch einmal umschauen. Alle Figuren und Ereignisse in dieser Geschichte – auch die, die sich auf real lebende Personen beziehen – sind gänzlich frei erfunden. Die Autorin hat keinerlei journalistische Ausbildung und nicht über alles, was sie schreibt, hat sie vorher auch wirklich nachgedacht. Zudem enthält die folgende Geschichte viele schlimme Wörter und aufgrund ihres Inhalts sollte sie von niemandem gelesen werden.
Kapitel 2
Alec Slaughter wusste, dass er eigentlich nicht durfte. Es war wichtig, dass er es nicht tat. Es war nicht unbedingt überlebenswichtig, aber sein Verstand würde zu Grunde gehen, wenn er es tun würde. Trotzdem traten seine Fänge aus seinem Oberkiefer und bohrten sich in seine Unterlippe. Blut trat hervor und gierig saugte er die wenigen, dickflüssigen Tropfen auf, um der Versuchung zu widerstehen. Der Geschmack von totem, verbrauchtem, geronnenem Blut füllte seine Sinne wie der Geschmack von Galle. Trotzdem reichte dieser Geschmack aus, um den schlimmsten Hunger zu bezwingen.
Er wandte den Blick ab und sah sich in seinem eingeschränkten Blickfeld um. Langsam und bedächtig zählte er die zweihundertvierunddreißig Betonplatten in der Decke des Bunkers. Hundertelf waren heller als der Rest. Vier waren dunkler. In zwei hatte sich in den letzten Jahren ein Riss erweitert, aus dem kontinuierlich Feuchtigkeit trat. Er konnte noch einen oberen Teil von drei Wänden sehen. Dort waren weitere Betonplatten, die er zählen konnte.
Seine Augen glitten ganz, ganz langsam von einer Platte zur nächsten, um keine zu vergessen oder doppelt zu zählen. Gleichzeitig multiplizierte er die Anzahl der gezählten Platten mit sechshundertvierzehn. Für jeden Tag, den er in diesem Loch gelebt hatte, zählte er einen Faktor dazu.
Eine Weile konnte er sich so beschäftigen, doch die Versuchung nagte hart an ihm. Er wusste, dass er noch nicht trinken musste. Er musste es überhaupt nur in maximal acht bis zehn Jahren. Er würde auch ohne sich zu nähren überleben. Doch sein Verstand würde krepieren.
Der Hunger war nicht nur ein Loch im Bauch. Sein Magen hatte sich schon vor Monaten in einen erbengroßen Knopf verwandelt und seine Bauchdecke hatte sich von den ungesunden Gasen gedehnt. Bakterien zersetzten ihn immer weiter und wurden von immer nachwachsendem Fleisch genährt. Das alles war kein Hunger, keine Gier, kein leeres Brennen mehr. Es war Qual. Schmerzhafte, allumfassende, übernatürliche Folter für jeden seiner Sinne. Und für seinen Verstand.
Und er konnte rein gar nichts tun. Er musste abwarten. Ein, zwei Monate vielleicht.
Inständig flehte er unwillkürlich zu jedem Gott, der ihn hören würde, dass es auch wirklich bis dahin so weit war. Sonst war er gezwungen der Versuchung nachzugeben.
Für einen winzigen Augenblick ließ er seine Augen so weit nach unten rollen, bis nur noch ein Bruchteil seiner Pupille etwas erkennen konnte. Um ihn herum verschwamm alles, sodass er keine Steine zählen konnte, aber dort, an seinem rechten Zeh, sah er die verführerische Bewegung.
Sie fraßen an ihm. Er fühlte es nicht; er fühlte vom Kinn abwärts gar nichts mehr. Aber er hörte ihre kleinen, rasiermesserscharfen Zähne an dem Knochen seines kleinen Zehs knabbern. Schaben. Fressen.
Zwei rötliche Augen reflektierten kein Licht und glänzten trotzdem in der vollkommenen Dunkelheit des Bunkers. Ein verkrüppeltes, inzestbedingtes Händchen hielt zusammen mit einer kleinen, gesunden Kralle ein Stückchen seines Fleisches an den Mund.
Die Ratte fiepte und in der Dunkelheit antwortete ihr Bruder.
Ein Männchen und ein Weibchen. Nur noch diese beiden lebten. Generationen hatte er in den letzten zwei Jahren in diesem Loch aufwachsen sehen und sich von ihnen genährt. Ihre Kadaver, Knochen und Leichenteile lagen auf seinem Hals, neben seinen Ohren, in seinem Gesicht.
Er musste warten, bis es endlich Nachwuchs gab, damit er sich von diesen letzten Ratten nähren konnte. Doch die Hoffnung auf ihrer beider Fruchtbarkeit schwand mit jedem Tag. Sie würden keine Kinder mehr bekommen und er würde in diesem Loch nicht nur verrecken, sondern vorher bei vollem Bewusstsein den Verstand vor Hunger verlieren.
Doch noch hatte er ein kleines bisschen Hoffnung. Deshalb durfte er dem Verlangen nicht nachgeben.
Er war am Anfang zu unbedacht gewesen, fluchte er leise und wandte den Blick wieder Richtung Decke, um erneut zu zählen. Er hatte am Anfang seine Kräfte vollkommen überschätzt und viele Tiere bei seiner mentalen Manipulation umgebracht, indem er die Frequenz ihrer Hirne einfach zu hoch einstufte und sie so tötete. Damals hatte er das alles noch für eine Art Spaß gehalten, mit den Tieren zu spielen. Er hatte sie gegeneinander auf seinem Bauch zur Unterhaltung kämpfen und kopulieren lassen. Ein paar andere hatte er bei seinen Übergriffen auf ihren instinktgeprägten Verstand getötet, als ihre Hirne bei der Gewalt seiner Fähigkeiten implodierten. Er war unvorsichtig gewesen. Gelangweilt und von dem ewigen Quieken genervt. Bis ihm klar wurde, dass diese Ratten die Klarheit seines Verstandes garantierten. Ihr Blut war seine einzige Nahrungsquelle. Erbärmlich, aber wahr. Es war ihm fast zu spät klar geworden.
Danach hatte er sie unbehelligt an seinem Körper fressen lassen. Die Tiere konnten auf ihn keine Krankheiten übertragen und die kleinen Wunden schlossen sich innerhalb von Sekunden. Sie ernährten sich von ihm, den algenartigen Ablagerungen an den Wänden, dem Moos in den Ecken und tranken aus den kleinen Pfützen. Und er ernährte sich von ihnen.
Seine Lippen bewegten sich, während er langsam zählte und weiterrechnete. Zuerst tat er es auf Französisch, dann auf Englisch, schließlich auf Deutsch, bis ihm seine innere Uhr sagte, dass die Mitternachtsstunde angebrochen war. Er veränderte den Faktor: Sechshundertfünfzehn Tage mal Anzahl der Steine.
Sein Geplapper wurde zu seinem stetigen Murmeln, dann zu einem Summen, nur unterbrochen von den beiden Ratten, die sich mittlerweile zwischen seinen warmen Beinen eingenistet hatten und sich hoffentlich fortpflanzten bei ihrem Fickspielchen.
Dann geschah es.
Die Luke direkt über seinem Kopf wurde aufgerissen und Alec kniff seine Augen zusammen, als das dumpfe Mondlicht seine übersensiblen Pupillen malträtierte und ihn blendete. Er hatte nicht einmal die Zeit über die Möglichkeit nachzudenken, einfach einen mentalen Befehl zu schicken, als es auch schon vorbei war.
„Fresschen“, lachte eine Frau leise und sofort knallte die Luke wieder zu. Für seine geschwächten Sinne ging es zu schnell, um reagieren zu können, deshalb fühlte er vollkommen zusammenhangslos ein schweres Gewicht auf seine Brust platschen. Ein paar seiner Rippen brachen, doch er hörte es vielmehr, als das er es fühlte. Dieses Geräusch, wenn Teile von Knochensplittern sich in übermenschliches Fleisch malmten war mehr als unangenehm. Zumindest fühlte er keinen Schmerz. Das wäre wirklich unangenehm gewesen.
Die Gase, die sich in seinem aufgeblähten Bauch angesammelt hatten, traten durch Bauchdecke aus, als eine Rippe die Haut durchstieß. Der stinkende Geruch füllte augenblicklich seine Nase, während Blut seinen Mund füllte.
Nahezu panisch begann er zu schlucken und fühlte im selben Moment bereits, wie seine Kräfte arbeiteten und alle Wunden und verschobenen Knochen mit neuem Fleisch, Haut und Gewebe füllten und bedeckten.
Innerlich seufzte er bei dem Gedanken, dass er vor seiner Flucht nun gezwungen war, all seine Knochen wieder zu brechen und in die richtige Form zu schieben, damit er sich frei bewegen konnte. Wenn er denn irgendwann fliehen konnte.
Erst dann wurde ihm bewusst, was die Frauenstimme gesagt hatte. Fresschen?
Sein Körper brüllte vor Verlangen auf, zu fressen. Er riss die Augen auf und sah an sich herunter. Tatsächlich lag auf ihm ein menschlicher Körper auf seinem. Ein weiblicher, menschlicher Körper. Unwillkürlich und vollkommen instinktiv streckte er seine mentalen Fühler aus, um sie zu erreichen. Als nichts passierte, lächelte er über sich selbst. Die Isolation mit der einzigen Gesellschaft von Ratten, hatte in gewisser Weise seine Kräfte geschärft und fokussiert, allerdings ging er nun natürlich viel zu vorsichtig an die Sache heran. Menschenhirne waren komplexer als die von Ratten.
Er schickte einen neuen Befehl. Verstärkt. Er wollte das Mädchen dazu bringen, sich über ihn zu beugen, damit er aus ihr trinken konnte. Nicht zu viel, natürlich, wurde ihm plötzlich klar. Wenn er es richtig anstellte, konnte er ein, zwei gute Wochen von ihr trinken, bevor sie verhungerte. Allein die Vorstellung wieder richtiges, menschliches, lebendiges Blut zu trinken, ließ ihm schlecht vor Hunger werden. Seine Kräfte gingen ins Leere. Nur die Ratten quiekten und bewiesen, dass er überhaupt eine Wirkung auf sein Umfeld hatte. War er immer noch zu eingerostet und vorsichtig?
Er wollte selbstverständlich dieses Wesen nicht töten, deshalb musste er vorsichtig sein. Wenn ihr Hirn implodierte, würde sie einfach tot zusammensinken und er hätte nicht einmal die Möglichkeit ihren Leichnam auszusaugen. Er hatte keine Kontrolle über seine Hände, um nach ihr zu greifen. Alles, was ihm blieb, waren seine mentalen Fähigkeiten. Der Hunger riss in seinen Gedärmen und zerrte an seinem Verstand, während er seine Kräfte Stückchen für Stückchen freien Lauf ließ.
Er fühlte langsam, wie sich die Wellen seiner Macht ausbreiteten und um ihn herum die Luft zum Schwingen brachte. Elektrische Energie füllte die Luft, erreichte die Betonwände und flimmerte über alte Folterinstrumente, die vor seiner Ankunft nicht entfernt worden waren. Immer schneller Schossen die unsichtbaren Machtblitze durch den Raum. Er fühlte das Herzschlagen der jungen Frau und das schnelle Pochen bei den Ratten. Ansonsten konnte er nichts wahrnehmen. Es war, als würde seine Macht einfach durch sie hindurchsausen und auf die Wände hinter ihr treffen. Er versuchte es erneut, ließ seine Kräfte wie Wellen, dann wie Strahlen durch den Raum huschen und fluchte innerlich, als er nur spürte, wie die Ratten tot umfielen.
Sofort zog er sich zurück. Was zur Hölle war hier denn los? Wieso konnte er sie nicht erreichen? Hatten seine Kräfte nachgelassen? Nein. Nein, das würde er wahrnehmen.
Er starrte ihren hellen Schopf an, der halb auf ihm lag. Sie atmete schnell und abgehakt und wimmerte plötzlich. Vorsichtig, als wolle sie gar nicht wissen, auf was sie eigentlich gelandet war, streckte sie die Hände aus und ließ sie über seine heilende Brust wandern.
„Oh, mein Gott“, wisperte sie heiser und richtete sich abrupt auf. „Oh Gott!“ Ihre Hände glitten vorsichtig über die zahlreichen Wunden in seiner Brust und dann hinauf in sein Gesicht. Langsam tatstete sie danach, fuhr hauchzart und zärtlich an den Konturen entlang, bis sie ihre Zeigefinger warm und sicher auf seine Halsschlagader legten.
Er rührte sich nicht. Erstens, weil er es natürlich nicht konnte. Zweitens, weil er erstaunt von dieser Wärme und Zärtlichkeit war. Und Drittens, weil er gar nicht wusste, was er tun sollte. Reden? Seine Lungen waren noch nicht vollständig repariert und seine Stimmbänder würden nicht genug in Schwingung geraten, wenn er nun versuchte zu reden. Ein Krächzen, das sie nur erschrecken würde, würde das Maximum sein, das er seiner Kehle entringen könnte.
Deshalb beobachtete er nur, wie sie in vollkommener Dunkelheit immer wieder über seinen Hals strich, als suche sie einen Puls. Dabei stieß sie unbewusst ein paar Rattenkadaver von seinem Hals und seinem Nacken.
Sie wimmerte wieder und tastete hinunter nach seiner Brust. Eine Rippe stand noch deutlich heraus und sie keuchte erschreckt, als sie sie fühlte. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott!“ Sie konnte wahrscheinlich nichts in der Dunkelheit sehen, er dafür umso genauer, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie. „Ich wollte… nicht…“
Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und fühlte seine Stirn. „Ich hab dich umgebracht. Ich hab… Oh Gott!“
Sie schluchzte leise.
Sie war also bei Verstand. Auch wenn sie glaubte, dass er tot war. In gewisser Weise war er das schließlich auch. Wahrscheinlich glaubte sie, sie habe ihn erst durch den Fall umgebracht, weil seine Haut weiterhin warm war. Trotzdem hatte er keinen Puls. Deshalb dachte sie wohl, er habe vor ihrem Aufprall noch gelebt. Sie konnte also logische Schlüsse ziehen und hatte ein funktionierendes Hirn. Weshalb zum Teufel konnte er sie dann nicht hören? Ihre Gedanken waren für ihn vollkommen verschlossen und seine Kräfte schienen einfach durch sie hindurch zu sausen. Das war… merkwürdig. War sie ein Mensch? Sie roch wie einer. Ihr Blut duftete nach lebendigen Menschen; verführerisch, sättigend, heiß und feucht. Aber sonst stimmte nichts mit ihr.
Sie fühlte wieder nach seinem Gesicht. „Ich kann dich nicht einmal wiederbeleben“, murmelte sie wie zu sich selbst. „Ich würde die Rippe nur in deine Lunge stoßen.“ Sie atmete tief durch und tastete nach seinen Augenbrauen. Dann schloss sie seine offenen Lider mit einer überraschend sanften Berührung. „Es tut mir leid.“ Sie wimmerte heiser und biss sich auf die Unterlippe, als ringe sie nach Fassung.
In ihm wuchs ein Grollen, als er ihren Puls so nah an seinem Mund summen hörte. Ihr köstliches Blut rauschte durch ihre Adern und sang wie eine Sirene. Er brauchte ihren Geschmack. Unwillkürlich leckte er sich über die Lippen und öffnete die Augen, nachdem sie sich von ihm zurückgezogen hatte. Unbewusst tastete er wieder nach ihr und stieß auf eine Art Vakuum. Merkwürdig, seltsam und verrückt. Wie war das möglich?
Er nahm ansonsten nichts Übermenschliches an ihr war. Sein Geruchssinn war durch die letzten Monate in diesem Gefängnis geschärft wie noch nie in seinem Leben, aber er konnte nichts fühlen. Nichts riechen. Nichts, aber auch gar nichts Seltsames an ihr wahrnehmen.
Sie blieb eine Weile neben ihm sitzen und strich mit ihrem warmen Fingern über seine Seite. Eigentlich dürfte er die Berührung nicht fühlen, schließlich fühlte er nicht einmal Schmerz, und doch meinte er irgendwo in ihm selbst einen Nachhall dieser zarten Berührungen zu fühlen. Diese Wärme ihrer Finger, die so viel heißer war, als seine Haut. Als Mensch hatte sie eine natürliche Temperatur von um die siebenunddreißig Grad. Er war ebenfalls warm mit nur zwei Grad weniger. Dennoch fühlte sich ihre Wärme wie ein lebendiges Feuer an.
An Stellen, die sonst taub waren. Unglaublich.
Unter halb geschlossenen Augenlidern beobachtete er, wie sie seine Hand umfasste, die Augen schloss und den Kopf senkte. Fasziniert betrachtete er ihren wilden Scheitel und die zitternde, volle Unterlippe, während sie lautlos irgendetwas zu sagen schien. Seine Augenbrauen hoben sich langsam. Betete sie etwa? Er beobachtete ihre Lippen genauer, aus denen sonst kein Laut drang. Nein, sie hielt einfach nur seine Hand und sagte immer und immer wieder, dass alles gut werden würde. Dass es ihr leid tue.
Schuldgefühle. Sie hatte unglaubliche Schuldgefühle, weil sie ihn scheinbar umgebracht hatte. Dort draußen, außerhalb dieses Bunkers, lechzten hunderte Dämonen danach, ihn umzubringen und würde mit Freuden zu diesem Ort pilgern, um sein vermeidliches Grab zu entweihen und ihr tat es leid. Ein seltsames Gefühl setzte sich in seiner zerquetschen Brust fest, während er sie ansah. Jeder andere wäre froh und stolz darauf, ihn, den großen Schwarzen Arkaios, umgebracht zu haben und sie weinte stumme Tränen.
Der Gedanke, sie auszusaugen und zu töten, verlor ein kleines Bisschen an Reiz.
Er betrachtete sie genauer. Sie hatte einen sehr hellen Schopf. Wahrscheinlich war sie demnach blond oder zumindest ziemlich hell brünett. Selbst er konnte in der vollkommenen Dunkelheit nur zwischen Grautönen unterscheiden und Rot. Die rote Farbe sah er immer in vollem Umfang. Es war wie bei den alten Schwarzweißfilmen, in denen nachträglich alle Bilder eingefärbt wurden. Nur, dass alle Farben außer rot vergessen wurden. Sie war von roten Schlieren, Sprenkeln und Flecken nahezu übersäht.
Doch er konnte riechen, dass dieses Blut nicht von ihr kam. Zumindest nur zu einem kleinen Teil. Sie hatte mehrere Schürfwunden an ihren Armen und irgendetwas an ihrem Unterleib schien nicht in Ordnung zu sein, denn sie blutete dort. Nur leicht, ein hauchzarter Film, der immer weniger wurde, doch sie schien aus dieser ganzen Sache nicht vollkommen unbeschadet hervorgetreten zu sein.
Offensichtlich hatte sie einem Massaker beigewohnt. Zehn verschiedene Menschen hatten ihr Blut auf dem fadenscheinigen Hemd hinterlassen, das sie trug. Es war ein Männerhemd, das getragen und verschwitzt roch.
Unwillkürlich zog sich etwas in ihm zusammen. Es war etwas Intimes, die Kleidung eines anderen Menschen zu tragen. Und das auch noch von einem Mann. War ihre Beziehung ebenfalls intim gewesen?
Er runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass ihm der Gedanke auf ganz instinktive Weise nicht gefiel. Unter dem Saum des Hemdes konnte er ihre kleinen, hübschen Knie sehen und einen Teil ihrer Beine. Sie waren wahrscheinlich lang und definitiv wohlgeformt. Selbst im Knien sahen sie atemberaubend und grazil aus.
Sein Blick glitt langsam weiter nach oben, doch obwohl ihr Hemd schief geknöpft war, konnte er nur entdecken, dass sie keinen BH trug und ihre Brüste dennoch voll, rund und fest auf ihren Oberkörper standen. Unwillkürlich leckte er wieder über seine Unterlippe, als mache er sich bereit diese Formen zu liebkosen. Dann runzelte er über sich selbst die Stirn. Die Brüste einer Frau waren nicht unbedingt ein geläufiger Punkt, um sich zu nähren. Weshalb verschwendete er überhaupt einen Gedanken an diese Rundungen?
Trotzdem glitt sein Blick nicht sofort zu ihrem schlanken Hals, sondern zu ihrem Gesicht. Sie hatte ein hübsches, herzförmiges Gesicht mit zarten Wangenknochen und einer kleinen, schmalen Nase. Ihre volle Oberlippe wurde nur von der Fülle ihrer Unterlippe überboten. Es war nicht im klassischem Sinne ein Schmollmund, dazu waren die Mundwinkel zu natürlich hochgezogen, als lächele sie immer ein kleines Lächeln. Obwohl sie gerade weinte.
Es gab ihr ein ätherisches, überirdisches Aussehen, als sei sie durch nichts aus der Ruhe zu bringen, sondern freute sich in jedem Augenblick ihres Lebens über kleine Momente des Glückes. Faszinierend.
Ein Kranz aus dunklen Wimpern umgab ihre unglaublich hellen Augen. Für ihn sah es in der Dunkelheit fast so aus, als sei das leichte Grau kaum von dem Weiß zu unterscheiden, dass sie umgab. Hübsche, zarte, geschwungene Augenbrauen über diesen irritierenden Augen gaben dem Gesicht die Natürlichkeit zurück. Auch wenn die Augen immer noch unglaublich stark hervortraten. Er würde nur zu gerne erfahren, welche Farbe sie hatten und lächelte dann selbst über den absurden Gedanken. Wen interessierte das schon?
Er atmete tief ein, um ihren Duft in sich aufzunehmen. Den Geruch ihres Lebens.
Sie hob überrascht den Kopf, ihre irisierenden Augen suchten in der Dunkelheit blind nach dem Ursprung des lauten, zischenden Atemzugs, bevor sie ihre Hände ausstreckte und sie auf seine Brust legte. Vorsichtig beugte sie sich vor und lauschte an seiner Brust.
Er musste nicht atmen, trotzdem nahm er einen tiefen Atemzug, um zu sehen, wie sie reagieren würde.
Sie schrie auf und zuckte zurück.
Er lächelte unwillkürlich und bezwang den Drang Buh zu brüllen. Sie war schon durcheinander und fertig genug.
Sie beugte sich wieder vor und tastete nach seinem Puls, während er sich zwang, gleichmäßig zu atmen. Sie fand natürlich keinen und beugte sich verwirrt über sein Gesicht, als versuche sie seinen Atemzügen zu lauschen. Dabei fiel ihr Haar über ihre Schultern und streichelte sein Gesicht. Ihr Duft, zusammen mit dem nahen, rauschenden Pulsschlag in ihrem Hals, ließ ihn unwillkürlich knurren. Sie schien sich diesmal nicht zu erschrecken, sondern quiekte erfreut.
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