Kapitel 1 — Die Intrige

„Annie, komm sofort hierher!“, höre ich meinen rufen.

Seine Stimme ist anders als sonst. Ich vermisse darin den sonst stets freundlichen Unterton, wenn er mich ruft. Vater ist immer sehr liebevoll und ich bin seine kleine Prinzessin. Im Gegensatz zu meinem , bereite ich ihm so gut wie nie Sorgen und bin auch weitum bekannt dafür, brav zu sein, wie es sich für eine junge Dame eben gehört. Deshalb eile ich auch gleich in sein Büro, als ich ihn rufen höre.

„Ja, Vater, was ist?“, komme ich gut gelaunt zu ihm. Von seinem strengen Unterton lasse ich mich nicht abschrecken. Er wird wohl einen schlechten Tag haben.

„Wie konntest du nur?“, bellt er mich an. Ich bin völlig überrascht.

Mein Gott, was ist denn da los? Ich verstehe die Welt nicht mehr. So hat mich mein Vater noch nie angefaucht. Für ihn bin ich sonst doch immer sein Sonnenschein. Doch heute ist er völlig verärgert. Sein Gesicht ist regelrecht versteinert und ausgesprochen ernst. So habe ich ihn noch nie erlebt. Ich bin ganz erschrocken. Hinter ihm steht mein Bruder Philipp. Auch er schaut ernst drein, aber auch ein wenig schuldbewusst.

„Was ist denn los? Was habe ich denn angestellt?“, frage ich völlig verunsichert.

„Stell´ dich nicht dumm. Wo ist der Schmuck deiner Mutter?“, fährt mich mein Vater an.

„Wie meint Ihr das? Ist er nicht dort, wo er immer ist?“, bin ich völlig verdutzt.

„Philipp hat gesagt, er habe gesehen, wie du mit dem Schmuck in dein Zimmer gegangen bist. Müssen wir erst dein Zimmer durchsuchen?“, bliebt mein Vater ernst.

Ich komme mir vor, wie zu Zeiten der Inquisition, auch wenn diese heute, im Jahre 1782 Gott lob Vergangenheit sein müsste. Vor allem aber habe ich keinen blassen Schimmer, was mein Vater von mir will. Was habe ich mit dem Schmuck meiner Mutter zu schaffen?

„Ich weiß beim besten Willen nicht, was Ihr meint, Vater“, antworte ich eingeschüchtert. Die Angelegenheit verunsichert mich sehr.

„Jetzt mach es nicht noch schlimmer, als es schon ist. Gib sofort den Schmuck zurück, dann wird die Strafe milder ausfallen“, sagt mein Vater eindringlich.

„Aber Vater, ich schwöre Euch, ich habe keine Ahnung, was mit dem Schmuck ist. Ich habe ihn nicht genommen“, beteure ich eindringlich.

„Dann müssen wir eben nachschauen gehen. Aber wehe, wenn ich etwas finde!“, meint mein Vater finster.

Er nimmt mich am Arm und zerrt mich recht rüde ins Treppenhaus, dann weiter die Treppe hinauf und schließlich in mein Zimmer. Er schaut sich kurz um. Dann zieht er mich in eine Ecke des Raumes.

„Bleib da stehen!“, weist er mich an.

Er beginnt, meinen Schrank und dann meine Kommode zu durchsuchen. Zu meiner Überraschung findet er zwischen meiner Wäsche eines der Armbänder meiner Mutter.

„Wo ist der Rest?“, bellt er.

„Ich habe keine Ahnung, Vater, ich schwöre es Euch!“, versichere ich eindringlich.

„Du schamloses Luder. Du stiehlst den Schmuck deiner Mutter und belügst mich auch noch ungeniert. Ich bin maßlos enttäuscht, dass ich mich von dir habe dermaßen blenden lassen. Ich habe dich immer für ein braves Mädchen gehalten. Ich frage dich zum letzten Mal: Wo ist der Schmuck deiner Mutter?“, fährt mich mein Vater an.

„Aber Vater, ich versichere Euch, ich habe damit nichts zu tun“, beteuere ich erneut.

Ich bin der Verzweiflung nahe und könnte heulen. Ich stehe als Diebin und Lügnerin da. Dabei habe ich absolut nichts getan. Trotzdem spricht alles gegen mich. Ich versuche fieberhaft nachzudenken, wie das Armband in meine Kommode gelangt sein könnte. Ich habe keinen blassen Schimmer. Es sieht wirklich schlecht für mich aus. Vor allem kann ich nicht einschätzen, wie mein Vater reagieren wird. Ich habe den Eindruck, er wird mir nie mehr glauben, egal was ich sage oder tue.

„Du bleibst in deinem Zimmer. Du verlässt es nicht, ohne meine Erlaubnis!“, weist mich mein Vater an.

„Ja, Vater, das werde ich. Aber ich versichere Euch nochmal, ich habe mit dem Schmuck meiner Mutter nichts zu schaffen“, versuche ich nochmals meine Unschuld zu beteuern.

„Halt endlich den Mund!“, fährt mich mein Vater an. „Schon genug, dass unter meinem Dach eine Diebin wohnt, aber dass du mich auch noch so schamlos anlügst, obwohl die Sache ganz offensichtlich ist, finde ich eine bodenlose Enttäuschung. Geh mir aus den Augen!“

„Entschuldige, Schwesterherz, für die Unannehmlichkeiten. Aber jetzt bin ich dich endlich los!“, flüstert mir mein Bruder zu, als er hinter meinem Vater das Zimmer verlässt.

Ich schaue ihm mit weit aufgerissenen Augen nach. Hat etwa mein missratener Bruder etwas damit zu tun und will es mir in die Schuhe schieben? Doch so viel ich auch überlege, ich kann mir seine Worte nicht anders erklären? Aber was hätte er davon. Warum soll er so etwas Hinterhältiges nur machen? Die einzige Erklärung, die ich nach langem Grübeln habe ist, dass er den Schmuck unserer Mutter gestohlen hat.

Er hat die Worte so still ausgesprochen, dass nur er und ich sie hören konnten. Sollte ich ihn und meinen Vater damit konfrontieren, würde er mit Sicherheit alles abstreiten. Und da ich sowieso schon als Lügnerin dastehe, würde das meine Lage nur noch weiter verschlimmern. Mein Vater würde mir nie glauben.

„Was ist los?“, meint Mary, die gerade ins Zimmer gestürmt kommt.

Mary war mein Kindermädchen und ist inzwischen eine gute . Mit meinen zwanzig Jahren brauche ich natürlich kein Kindermädchen mehr. Sie ist bei mir geblieben und hat mir in den letzten Monaten dabei geholfen, mich auf meine Rolle als vorzubereiten. In etwa einem Jahr soll ich hier in London einen Mann aus gutem Hause heiraten. Ich bin mir im Augenblick nicht mehr sicher, ob nicht auch diese Pläne ebenfalls den Bach runter gehen.

Ich erzähle ihr kurz, was vorgefallen ist. Viel kann ich nicht berichten, da ich von der Sache kaum eine Ahnung habe und selbst noch im Dunkeln tappe. Mary hört mir aufmerksam zu und macht ein besorgtes Gesicht. Als ich ihr von den Worten meines Bruders erzähle, verfinstert sich ihr Gesicht zusehends.

„Dieser Bastard! Das war er!“, entfährt ihr plötzlich.

„Glaubst du das auch?“, frage ich. Das würde meine Vermutung bestätigen.

„Dein Bruder ist spielsüchtig. In der Stadt kursiert das Gerücht, dass er horrende Spielschulden hat und das auch noch bei Leuten, die nicht zimperlich sind. Ich habe ihn heute Morgen gesehen, wie er aus deinem Zimmer kam. Als ich ihn gefragt habe, was er hier drinnen wollte, hat er mich angefahren, ich solle mich um meinen Dreck kümmern, sonst würde es mir schlecht ergehen“, erzählt Mary.

„Du meinst, es war mein Bruder und er hat mir nur ein Stück untergeschoben, um einen Sündenbock zu haben?“, bin ich schockiert davon, dass Mary meinen diffusen Verdacht mit ihren Worten erhärtet.

„Darauf würde ich wetten. Ich sage gleich deinem Vater, was ich gesehen habe. Dann wird alles wieder gut“, meint Mary und will schon zur Tür hinaus.

„Halt, blieb da und lass uns gut überlegen. Ich glaube nicht, dass dir mein Vater glauben wird“, versuche ich sie zu bremsen.

„Warum nicht? Ich habe ihn schließlich gesehen!“, beharrt Mary.

„Er wird sicher glauben, du willst mir nur helfen. Er weiß, dass du alles für mich tun würdest. Er ist so festgefahren, dass er seine Meinung sicher nicht ändern wird. Du aber könntest dann genauso Probleme bekommst, wie ich“, hole ich sie auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Aber ich kann dich doch nicht hängen lassen“, meint sie verzweifelt.

„Mach die Lage nicht noch schlimmer, wie sie schon ist. Lass uns in Ruhe nachdenken und einen klaren Kopf bewahren. Wir dürfen jetzt nichts überstürzen“, beruhige ich sie.

„Aber Annie, ich kann doch nicht zulassen, dass dir dieses Unrecht angetan wird“, entgegnet sie mit Tränen in den Augen.

„Ich habe dich sehr lieb und ich weiß es zu schätzen, dass du mir helfen willst. Aber es ist aussichtslos. So kommen wir nicht weiter“, tröste ich Mary.

Sie tut mir unheimlich leid. Mary steht mir näher, als meine eigene Mutter. Ich kann sie gut verstehen, denn ich würde auch für sie alles tun, was in meiner Macht steht. Aber es ist im Moment aussichtslos und deshalb muss ich klug genug sein, sie zu schützen. Sie darf sich nicht in Gefahr bringen. Ich muss das alleine durchstehen und abwarten, wie die Entscheidung meines Vaters ausfällt. Mir ist allerdings auch klar, dass meine unbeschwerte Jugend nun definitiv vorbei ist!

Kapitel 2 — Das Urteil

Zwei Tage verbringe ich in meinem Zimmer, wie in einem Gefängnis. Ich darf es nicht einmal mehr zum Essen verlassen. Niemand darf zu mir außer Mary die mir das Essen auf mein Zimmer bringt. Doch ich rühre es kaum an, ich habe nicht viel Hunger. Die Situation schlägt mir auf den Magen. Fieberhaft versuche ich einen Ausweg zu finden, aber die Lage scheint aussichtslos. Philipp hat seinen Plan dermaßen gut eingefädelt, dass ich nichts dagegen unternehmen kann. Zumindest fällt mir nichts ein, wie ich mich aus meiner Lage befreien könnte.

Es sind zwei Tage voller Sorgen und Tränen. Was wird auf mich zukommen? Diese Ungewissheit macht mir besonders schwer zu schaffen. Ich hadere nicht mehr mit meinem Schicksal. Ich kann es sowieso nicht ändern und muss nun versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich habe mich damit abgefunden und versuche nach vorne zu schauen. Aber leicht ist es nicht.

Mary ist verzweifelt. Sie weiß, wie kompromisslos mein Vater ist, wenn jemand unehrlich ist. Er mag Menschen nicht, die lügen, stehlen und betrügen. Und nun bin ich genau so ein Mensch, der stiehlt und lügt. Wie er mich behandelt hat, als er mich mit den Vorwürfen konfrontiert hat, zeigt mir schon, wie tief ich in seinen Augen gesunken bin. Er bringt mir absolut kein Vertrauen mehr entgegen. Ich durfte mich nicht einmal rechtfertigen. Er wollte von mir gar nichts mehr hören. Ich habe den Status, seine kleine Prinzessin zu sein, komplett verspielt.

Plötzlich geht die Türe auf und meine Eltern kommen mit ernster Miene herein. Ich springe sofort von meinem Stuhl hoch. Instinktiv ist mir klar, dass mein Vater sein Urteil gefällt hat. Wird er mich den Behörden übergeben und mich damit in den Kerker werfen lassen? Seine Mine verrät mir, dass er mir mit Sicherheit nicht verzeihen wird.

„Annie, du hast deine Mutter bestohlen und uns auf das schändlichste belogen. Du bist es nicht mehr wert unsere zu sein und du kannst auch nicht mehr in diesem Hause wohnen bleiben. Ich habe davon abgesehen, dich öffentlich als Diebin anzuklagen und in den Kerker werfen zu lassen. Das würde nur noch mehr Schande über die bringen.

Ich habe vor Jahren eine kleine Insel im Indischen Ozean gekauft. Ich werde dir dieses Land schenken und Philipp hat sich bereit erklärt, dir eine Überfahrt auf einem Schiff zu organisieren. Er hat recht gute Kontakte zum Hafen und wird schon etwas finden“, erklärte meine Vater trocken.

„Vater, ich werde Euer Urteil annehmen. Ich kann Euch aber nur noch einmal versichern, dass ich den Schmuck nicht genommen habe. Wozu auch?“, versuche ich ein letztes Mal zu beteuern. Es ist eine Verzweiflungstat, da ich mir sehr wohl im Klaren darüber bin, dass es nichts helfen wird.

Wie erwartet, nehmen meine Eltern nehmen diese Worte nicht einmal zur Kenntnis. Noch während ich spreche, drehen sie sich einfach um und verlassen den Raum. Sie könnten ihre Verachtung mir gegenüber nicht deutlicher zum Ausdruck bringen, als durch diese Nichtbeachtung.

„Mutter!“, rufe ich ihr verzweifelt hinterher.

Ich kann nicht verstehen, dass meine eigene Mutter mir nicht glauben will. Sie war bleich und hatte eine große Traurigkeit in den Augen. Sie muss in letzter Zeit viel geweint haben. Ich kann aber nicht einschätzen, ob es ist, weil sie von mir enttäuscht ist oder ob ihr klar ist, dass sie ihr kleines Mädchen verlieren wird. Mutter hat kein einziges Wort gesprochen. Ob sie nicht mehr mit mir sprechen will oder ob es an meinem Vater liegt, der ihr verboten hat, mit mir zu sprechen? Ich kann es nicht sagen. In der englischen Gesellschaft von heute zählt die Frau nicht viel. Bei meinem Vater hat meine Mutter zu parieren. Er ist das unumstrittene Familienoberhaupt. Was er sagt, ist Gesetz!

Ich sollte einen jungen Mann heiraten. Mein und sein Vater hatten schon die entsprechenden Absprachen getroffen. Als mich der Vater meines Zukünftigen begutachtet hat, bin ich mir vorgekommen, wie ein Stück Vieh. Es war entwürdigend und ich habe bereits damals mit dem Schicksal gehadert, dass ich ein Mädchen bin und kein wirklich selbstbestimmtes Leben führen kann.

Nun wäre ich sogar froh, wenn ich dieses nicht selbstbestimmte Leben führen könnte. Es wäre zumindest ein nahezu sorgloses Leben, auch wenn es an der Seite eines Mannes wäre, der mir vorschreibt, was ich zu tun habe. Aber zumindest wäre ich in Sicherheit, brauchte nicht viel arbeiten und bräuchte mit Sicherheit auch nicht Hunger leiden. Jetzt werde ich auf irgendeinem Schiff zu einer möglicherweise unbewohnten Insel irgendwo im Indischen Ozean fahren und habe keinen blassen Schimmer, was mich auf der Fahrt und dann auf der Insel erwartet. Dabei bin ich auch noch ganz allein und nur auf mich gestellt.

Ich nehme das Stück Papier zur Hand, das mein Vater auf der Kommode hat liegen lassen. Als ich es ausbreite, ist es ein Besitzanspruch auf die Insel Silhouette in der Inselgruppe der Seychellen im indischen Ozean. Einmal dort werden zwei Kontinente zwischen mir und meinen Eltern liegen. Ich soll beinahe ans andere Ende der Welt abgeschoben werden.

Am Nachmittag kommt mein Bruder in mein Zimmer. Er wirft Mary regelrecht aus dem Raum und betont, er wolle mit mir alleine sprechen. Ich bin überzeugt davon, dass er das nur macht, um keine Zeugen zu haben. Doch mir ist es durchaus willkommen, mit meinem Bruder alleine sprechen zu können. Auch wenn ich nichts mehr an meinem Schicksal ändern kann, so kann ich zumindest offen mit ihm sprechen. Ich hoffe zumindest zu erfahren, warum er mir das antut. Denn genau das kann ich einfach nicht begreifen.

„Du wirst in zwei Tagen mit der „Daisy“ in See stechen. Ich habe bei Vater durchsetzen können, dass du alleine das Land verlassen musst und Mary nicht mitnehmen darfst. Und mach dir keine Hoffnungen, die blöde Insel im Indischen Ozean ist unbewohnt und du wirst dort ein echt trauriges Leben fristen. Wenn du es überhaupt bis zur Insel schaffst“, erklärt er.

„Philipp, warum tust du mir das an?“, frage ich. Zu meiner Überraschung bin ich dabei sehr gefasst.

„Du willst das wirklich wissen? Du willst wissen, warum ich dir das antue? Ich kann damit zwei Probleme auf einmal lösen. Ich habe aus dem Verkauf des Schmuckes meine Spielschulden bezahlt und bin wieder ein freier Mann. Außerdem bin ich dich los, dich lästige Göre“, fährt er mich an.

„Was habe ich dir denn getan, dass du mich loswerden willst?“, bin ich ganz schockiert über so viel Hass, der in seiner Stimme mitschwingt.

„Was du getan hast? Das fragst du noch? Seit Jahren heißt es immer, ich solle mir ein Beispiel an meiner Schwester nehmen, ´warum kannst du nicht sein wie Deine Schwester´ und ähnliche blöde Sprüche musste ich mir unzählige Male anhören. Immer war ich nur der Böse und du die Gute, die immer alles richtig macht. Heute ist es endlich genau umgekehrt und ich kann dir sagen, das tut verdammt gut.“

Ich bin von seiner Innbrunst überrascht. Er war schon von klein auf der Lauser, der Bub, der immer etwas anstellt. Mit zunehmendem Alter hat sich das nicht geändert, nur die Streiche und die Vergehen wurden schlimmer. Natürlich haben meine Eltern mich da immer als löbliches Beispiel hingestellt. Dass das aber bei Philipp einen so großen Hass auf mich schürt, hätte ich nie gedacht.

„Und nur deshalb tust du mir das an? Was bist du nur für ein Mensch?“, sage ich traurig zu ihm.

„Es ist nicht zu glauben! Du kannst es einfach nicht lassen. Sogar jetzt versuchst du mir eine Moralpredigt zu halten“, fährt er mich verärgert an und spottet mir auch noch. „Was bist du für ein Mensch?“.

„Ich vergebe dir. Ich hoffe, du kannst dir auch eines Tages vergeben“, sage ich nur. „Denn ich bin mir sicher, dass du dir eines Tages Vorwürfe machen wirst.“

„Du vergibst mir? Du? Was bildest du dir denn ein? Ich werde dir das Leben noch zur Hölle machen. Hörst du! Ich werde dafür sorgen, dass du nie mehr glücklich sein wirst in deinem jämmerlichen Leben. Du wirst beten, dass du tot wärst. Das schwöre ich dir! Ich hoffe, du lebst noch lange, damit du genügend Zeit hast zu bereuen, dass du mir vorschnell vergeben hast“, meint er aufgebracht und empört. Er verlässt verärgert das Zimmer und schlägt die Tür hinter sich ins Schloss.

Kapitel 3 — Ein Traum

Ich bin auf der Insel angekommen und es ist brütend heiß. Die Kleider, die ich aus England mitgenommen habe, sind hier eine wahre Folter. Ich komme vor Hitze fast um. Ich bin schließlich angezogen, wie im Winter. Mein Gott, was für eine Insel hat mir mein Vater nur geschenkt? Sie ist eine Strafe und keine Abfindung. Ich befürchte, hier kommt nie wieder ein Schiff vorbei, mit dem ich diesem Eiland den Rücken kehren kann. Ich werde auf dieser Insel vergammeln.

Der Kapitän hat recht mitleidig gelacht, als er sich von mir verabschiedet hat und mich anschließend seine Männer mit dem Beiboot zur Insel gebracht haben.

„Das ist eine gottverlassene Gegend. Ich hoffe Miss, sie wissen, was sie da tun“, hat er nur gesagt.

Und nun stehe ich am Strand und komme fast um vor Hitze und Luftfeuchtigkeit. Es ist verdammt schwül hier. Wer kennt schon die Seychellen? Und dann ist das nicht einmal die Hauptinsel, sondern nur so eine Nebeninsel der Gruppe. Das hat mir der Kapitän schon auf der Reise erzählt. Er kennt sich offenbar im Indischen Ozean recht gut aus.

Aber es ist andererseits auch recht schön hier. Palmen soweit das Auge reicht, Bananensträucher mit Früchten drauf und viele andere exotische Pflanzen und Früchte wachsen hier offenbar wild. Wenn es nicht so heiß wäre und ich nicht diese dicken Kleider an hätte, könnte es durchaus schön sein.

Hatte mein Bruder nicht davon gesprochen, dass die Insel unbewohnt ist? Genau! Ich kann auch echt kein Lebenszeichen von Menschen ausmachen. Normalerweise rennt alles zusammen, wenn ein Schiff vor einer einsamen Insel vor Anker geht. Hier dagegen ist alles völlig ruhig geblieben. Daraus schließe ich, dass ich tatsächlich der einzige Mensch auf der Insel bin.

Ich beginne damit, mich nackt auszuziehen. Meine gute Erziehung würde es mir zwar verbieten, auch nur leicht bekleidet hier herumzulaufen. Nacktheit in aller Öffentlichkeit wäre sowieso eine Todsünde. Doch hier würde mich andernfalls die Hitze umbringen. Wenn ich eh allein auf der Insel bin, brauche ich kein unnützes Schamgefühl haben und kann mich ohne Bedenken so zeigen, wie Gott mich erschaffen hat. Ich bin schließlich so eine Art Eva in diesem Paradies, denke ich bei mir. Nur fehlt hier leider der passende Adam. In den nächsten Tagen kann ich mir in aller Ruhe aus meinen alten Kleidern oder aus dem was ich auf der Insel finde, Kleider basteln, die für diese Gegend geeigneter sind, als meine bodenlangen Kleider mit sieben Unterröcken.

Wie würden die jungen Männer der feinen Gesellschaft in London wohl schauen, wenn sie mich jetzt so nackt hier am Strand sehen könnten. Ein belustigtes Schmunzeln kommt mir unwillkürlich ins Gesicht. Mir wird aber im selben Moment bewusst, ich muss schleunigst in den Schatten. Meine weiße Haut würde sonst von der Sonne recht bald verbrannt werden. Ich nehme mir vor, mich langsam an diese neue Umgebung zu gewöhnen. Noch blende ich mit meiner bleichen Haut, aber in wenigen Tagen bin ich sicher braungebrannt und noch begehrenswerter, als im Augenblick.

Ich bin ein recht hübsches Mädchen, sagen alle. Mary hat immer meine schönen Haare und die großen Augen gelobt, aber auch die langen Beine. Nur schade, dass man die in London unter den Kleidern verstecken muss. Wie heiß müssen die Beine erst wirken, wenn ich hier nackt am Strand spazieren gehe. Bei diesem Gedanken werde ich rot im Gesicht. Auch mein Po, meine Brüste und mein ganzer restlicher Körper können sich sehen lassen. Ich hätte meinem Zukünftigen schon etwas zu bieten, hat Mary immer betont. Und nun? Nun habe ich das alles ganz offen zu bieten und blöder Weise ist kein Interessent da, nicht einer.

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