Kapitel 1
Ich bin so was von neugierig! Ich komme mir schon fast wie ein kleiner Junge vor. Aber, ich muss auch zugeben, so etwas habe ich schließlich noch nie gemacht. Deshalb bin ich nicht nur neugierig, sondern auch etwas unsicher. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr frage ich mich, ob das überhaupt etwas bringt und da am Ende auf mich zukommt. Mir ist diese Idee gekommen und ich habe es für eine tolle Möglichkeit gehalten, mein Problem zu lösen. Aber inzwischen frage ich mich, ob die Idee schlussendlich wirklich so eine gute ist. Aber was soll´s? Jetzt ist es sowieso zu spät für einen Rückzieher.
Und weil ich so neugierig bin, greife ich heute, kaum dass ich im Büro bin, als erstes zur Zeitung. Meine Sekretärin schaut mich ganz verwundert an. Sonst lese ich im Büro kaum Zeitung und wenn, dann nur kurz vor dem Heimgehen. Meistens nehme ich sie sogar mit und lese sie dann Zuhause. Aber heute schlage ich sie ganz gezielt bei den Annoncen auf. Fast hastig blättere ich in dem Papier, bis ich endlich die richtige Stelle gefunden habe. Und da steht es: „Seriöser Enddreißiger sucht nette und unterhaltsame Reisebegleitung. Termin und Reiseziel können vereinbart werden. Die anfallenden Kosten werden übernommen.“.
Das ist der Text, so wie ich ihn mit dem Redakteur besprochen habe. Ich bin zufrieden und schaue Susi meine Sekretärin an.
„Herr Rauscher, was haben Sie denn gesehen? Sie strahlen ja richtiggehend.“, ist Susi immer noch über meinem Verhalten verwundert.
„Ach nichts.“, wiegle ich etwas verlegen ab.
Mein Gott, ich komme mir ja regelrecht ertappt vor. Und im selben Moment, wenn ich ehrlich bin, auch etwas kindisch. Was hatte ich denn erwartet? Natürlich steht die Annonce so in der Zeitung, wie ich sie aufgegeben habe! Was denn sonst? Ich habe dafür schließlich bezahlt. Warum sollten die auch den Text groß ändern? Das würde ja keinen Sinn machen. Also Conny, reiß Dich am Riemen und benimm Dich wie ein erwachsener Mann!
Ich will endlich wieder in Urlaub fahren. Dafür habe ich mir in den letzten Jahren dafür einfach nicht die Zeit genommen. Und außerdem hatte ich keine passende Begleitung. Und allein finde ich Urlaub echt ätzend. Das ist einerseits langweilig und andererseits hat man niemanden, mit dem man die Erlebnisse teilen kann. Soll ich alleine durch Landschaften, Museen oder sonst etwas latschen? Reisegruppen mag ich auch nicht und die üblichen Gruppenveranstaltungen mit Golfturnieren oder ähnlichem, finde ich weder erholsam noch spannend.
Also habe ich überlegt und vor zwei Tagen ist mir dann diese Idee gekommen. Auch wenn ich sonst meine Sekretärin mit allem beauftrage, was sie auch nur ansatzweise an meiner Stelle erledigen kann, in diesem Fall bin ich doch lieber persönlich zur Zeitung gegangen. Dort habe ich dann mit einem Redakteur die längste Zeit am Text gefeilt. Ich glaube, der hält mich für paranoid. Aber mir war eben wichtig, dass das, was ich sagen will, auch richtig rüberkommt.
Kann schon sein, dass das eine eher ungewöhnliche Art ist, eine Reisebegleitung zu suchen. Aber wie bitte schön sollte ich es sonst anstellen? Nun ja, wenn ich ehrlich bin, mache ich mir inzwischen auch keine großen Hoffnungen mehr, die passende Reisebegleitung zu finden. Die anfängliche Euphorie über diese etwas schräge Idee ist inzwischen doch etwas verfolgen. Aber, wie sagt man so schön, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ich habe in der Annonce eine Mailadresse angegeben, die ich eigens bei Gmail nur für diesen Zweck eingerichtet habe. Ich kann sie auch nur am Tablet abrufen. Damit ist sichergestellt, dass weder die Techniker noch meine Sekretärin die Mails zu sehen bekommen. Ich möchte wirklich nicht, dass jemand erfährt, was ich da treibe. Auch wenn es nichts Illegales ist, es wäre mir doch etwas peinlich, wenn jemand erfahren würde, dass ich über eine Annonce eine Reisebegleitung suche.
Gut, im Augenblick kann ich jetzt sowieso nichts anderes tun als warten und wende mich deshalb, wie jeden Morgen, meiner Arbeit zu. Dabei vergesse ich recht bald meine Annonce und der Tag verfliegt überraschend schnell.
„Schönen Abend, bis morgen, Herr Rauscher.“, meint plötzlich Susi, die den Kopf zur Tür herein gesteckt hat. Ist es wirklich schon 17 Uhr?
Damit wird es auch für mich langsam Zeit, nach Hause zu gehen. Ich beende also noch schnell die Mail, die ich gerade dabei bin zu schreiben, dann lehne ich mich in meinem Schreibtischsessel zurück. Erst jetzt, wo ich mich entspanne, fällt mir die Annonce wieder ein und ich greife zu meinem Tablet. Jetzt bin ich aber wirklich neugierig, ob sich überhaupt jemand gemeldet hat. Würde ich auf so eine Annonce antworten? Wenn ich ehrlich bin, wohl eher nicht.
Ich tippe auf die App mit dem großen, roten M und das Mailprogramm geht auf. Zu meiner Überraschung sind gleich elf Mails eingegangen. Ich öffne die erste:
Hey Unbekannter,
wäre doch etwas, wenn wir zusammen auf die Fitschi-Inseln fahren. Du hast ja geschrieben, Du übernimmst die Kosten. Finde ich echt cool von Dir. Melde Dich!
Heinrich
Hä? Was soll das denn? Das ist wohl ein Witzbold? Da kann ich nur hoffen, dass mindestens ein oder zwei ernstgemeinte Mails dabei sind und nicht alles nur Schrott ist. Sonst war die ganze Aktion echt für die Tonne. Ich werde wohl notgedrungen jede einzelne Mail genau anschauen müssen. Das mache ich aber nicht hier im Büro, dazu setze ich mich gemütlich mit einem guten Glas Wein in meinen Garten, nehme ich mir vor und mache mich auch schon wenig später auf den Weg nach Hause.
„Guten Abend, Herr Rauscher, das Essen ist fertig.“, begrüßt mich meine Haushälterin.
„Hallo Renate, ich gehe mich nur rasch umziehen. Kann ich auf der Terrasse essen?“
Uffa, schon wieder nichts. Na gut, zuerst essen. Auch wenn ich jetzt viel lieber die Mails durchschauen würde. Ich bin inzwischen echt neugierig, ob zumindest eine brauchbare Antwort dabei ist. Na gut, wegen der halben Stunde, die ich für das Essen brauche, wird auch nicht der Himmel herunterfallen.
Als ich satt bin und mir noch ein Glas Rotwein einschenke, freue ich mich nun wirklich darauf, endlich die Antworten auf meine Annonce lesen zu können. Ich nehme das Tablet zur Hand, das ich schon vorsorglich bereitgelegt hatte, öffne die App erneut und sehe, dass in der Zwischenzeit sogar zwei weitere Mails dazugekommen sind. Ich beginne jede Antwort zu lesen.
Es ist unglaublich, welchen Blödsinn manche Leute schreiben. Ich verstehe einfach nicht, ob sie verzweifelt versuchen witzig zu sein oder ob sie einfach nur dumm sind. Auf jeden Fall ist sehr viel Mist dabei.
Am Ende sind es ganze drei Antworten, die ich in die engere Auswahl ziehe. Dabei muss ich ehrlicherweise zugeben, dass auch diese drei nicht wirklich meinen Vorstellungen entsprechen. Aber was genau hatte ich denn erwartet? Das weiß ich wohl selbst nicht genau. Die große Frage ist auch, gibt es denn überhaupt die perfekte Reisebegleitung? Wie sieht die aus?
Die erste Mail ist von einem Mann etwa in meinem Alter. Seine Antwort ist recht ordentlich und er hat auch klare Vorstellungen. Seine Vorliebe wäre ein naturverbundener Urlaub. Das ist nicht ganz Meins, aber eventuell könnte er ja mit sich reden lassen. Es käme vermutlich auf einen Versuch an. Aber Zelten oder so etwas kommt für mich definitiv nicht in Frage. Ich will mich ja erholen und nicht abmühen.
Das zweite ist eine 54 Jahre alte Frau, die einen ruhigen Urlaub verbringen möchte. Vor allem in der Sonne liegen, an irgendeinem Strand. Naja, auch nicht ganz mein Ding. Entspannen ist gut und recht, aber so gar nichts tun und nur faul in der Gegend herumliegen, das kann und will ich definitiv nicht.
Die dritte Mail kommt von einer 21-jährigen. Was soll ich bitte mit so einem jungen Gemüse anfangen? Das ist zumindest meine erste Reaktion. Aber irgendwie fesselt, was sie schreibt. Der Text hat echt Kopf und Fuß. Ich bin auf jeden Fall neugierig geworden, wie die Person ist, die dieses Zeilen geschrieben hat.
Hi seriöser Enddreißiger,
im ersten Moment habe ich mir bei der Annonce gedacht: So ein Bullshit! Ein seriöser Enddreißiger wird es wohl kaum nötig haben, seine Reisebegleitung über die Zeitung zu suchen. Zumindest wenn er halbwegs wie ein Mensch aussieht und kein komplettes Arschloch ist. Entschuldige, das ist natürlich nicht persönlich gemeint. Aber dann, im Laufe des Tages, habe ich immer wieder darüber nachgedacht und mich gefragt, was könnte einen seriösen Enddreißiger dazu bewogen haben, die Annonce aufzugeben? Man soll ja nicht zu früh über andere Menschen urteilen.
Und man soll ja auch vor der eigenen Haustür kehren. Was ist denn mit mir? Es in Betracht zu ziehen, auf die Annonce antworten zu wollen, ist ja auch nicht ganz alltäglich. Ich bin halt eine Studentin, die ganz gerne Urlaub machen würde, wie andere Leute auch. Ich kann mir das halt schlichtweg nicht leisten. Und da kommt mir dieses Angebot dann schon doch sehr verlockend vor. Allerdings – was könnte ein oberflächlich denkender Mensch jetzt von mir denken? Ich könnte zum Beispiel den Eindruck vermitteln, dass ich unvorsichtig oder leicht zu haben bin. In Wirklichkeit jedoch stimmt beides nicht. Ich träume ganz einfach von Urlaub.
Ich habe echt lange überlegt, ob ich mich melden soll. Das kannst Du mir glauben. Aber dann habe ich überlegt, Du kannst Dir den Typen ja einmal anschauen. Und genauso, wie ich Dir eine Chance gebe, hoffe ich, dass Du auch mir eine Chance gibst. Ich würde mich echt freuen, wenn wir uns treffen könnten, ganz unverbindlich – wie man so schön sagt. Ich stelle aber von vorneherein klar, dass Sex für mich nicht in Frage kommt. Wenn Du es darauf abgesehen hast, mich einfach nur ins Bett zu zerren, dann brauchst Du Dich gar nicht erst zu melden.
Ich hoffe, ich habe jetzt nicht den Eindruck erweckt, dass ich nur Probleme wälze oder gar langweilig bin. Ich bin echt keine Spaßbremse, ich kann sogar recht umgänglich und unterhaltsam sein. Aber in dieser Mail wollte ich einfach klarmachen, dass es für mich nicht so einfach ist, nur einfach so auf Deine Annonce zu schreiben.
Ich würde mich ehrlich über eine Antwort freuen
Toni (Antonia)
Die Kleine ist 21 Jahre alt! Die will sicher Party machen und Spaß haben! Dafür bin ich dann doch zu alt. Aber andererseits, ist das, was sie schreibt, auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Im Gegenteil, sie hat das Ganze sehr wohl durchdacht. Wenn Partymaus, dann eine mit Köpfchen. Und das könnte durchaus wieder für sie sprechen.
Nein, Sex will ich auch keinen, oder besser gesagt, darauf bin ich wirklich nicht aus. Was mich auch positiv überrascht ist, dass sie wohl nicht ihren Eltern zu viel auf der Tasche liegen will und deshalb auf einen Urlaub verzichtet. Oder muss sie sich das Studium sogar selbst finanzieren? Und noch während ich so überlege, schreibe ich ihr ganz spontan eine Antwort.
Hi Toni,
Deine Antwort hat mir gefallen. Ich bin ganz Deiner Meinung: Geben wir uns gegenseitig eine Chance und treffen wir uns ganz unverbindlich. Ich würde Dich dazu gerne zu einem Abendessen einladen. Dabei können wir und gegenseitig etwas kennenlernen und überlegen, ob ein gemeinsamer Urlaub für uns in Frage kommen könnte.
Conny
So, damit habe ich mich entschieden. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich nehme mein Rotweinglas in die Hand und lehne mich entspannt zurück. So schlecht war das Ergebnis dann auch wieder nicht, denke ich so bei mir. Und je länger ich darüber nachdenke, umso zufriedener bin ich mit meiner Entscheidung, zuerst einmal diese Toni anzuschauen. Ist sicher lustiger, die Welt mit ihr zu bereisen, als mit der 54-jährigen.
An diesem Abend warte ich dann aber vergebens auf eine Antwort. Offenbar checkt Toni ihre Mails heute nicht mehr. Sie ist Studentin und hat möglicherweise morgen eine Prüfung oder eine wichtige Vorlesung. Mein Gott, morgen ist ja schließlich auch noch ein Tag! Es ist inzwischen auch schon kurz vor 23 Uhr. Könnte gut sein, dass sie morgen früh raus muss und deshalb schon schläft. Aber neugierig auf sie bin ich inzwischen schon, das muss ich mir eingestehen.
Auf jeden Fall, meine Entscheidung ist gefallen, ich schaue mir zunächst diese Toni an. Sie scheint aufgeschlossen zu sein und weiß doch recht genau, was sie will und was sie nicht will. Da sie zum Reiseziel nichts geschrieben hat, dürfte sie diesbezüglich offen und flexibel sein. Und wenn ich bedenke, dass sie Studentin ist und sich sonst keinen Urlaub leisten kann, dann hat sie es sich von denen, die geantwortet haben, vermutlich am meisten verdient. Könnte auch gut sein, dass sie genau aus diesem Grund nicht große Ansprüche stellt und nicht auf einen extravaganten Luxusurlaub hofft, wie so mancher anderer.
Nun ja, da bleibt aber immer noch ihr Alter. Sie ist schon echt jung. Aber je länger ich überlege, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob das tatsächlich ein Nachteil ist? Junge Menschen sind in der Regel entspannter und flexibler. Da habe ich sicher keine großen Diskussionen, wenn es gilt, etwas zu entscheiden. Es ist ja nicht so, dass ich immer das durchsetzen will, was ich mir einbilde. Aber mich mit meiner Urlaubsbegleitung immerzu nur zu streiten, wäre dann auch nicht das, wovon ich träume.
Ich bleibe noch ein wenig auf der Terrasse sitzen, trinke meinen Rotwein und schwelge schon ein wenig in Urlaubsträumen. Mich hat endgültig die Vorfreude gepackt. Ich überlege sogar schon wohin wir fahren könnten. Und je mehr ich mich mit möglichen Reisezielen befasse und mich darauf freue, umso neugieriger werde ich, wie Toni aussieht und wie sie sich den Urlaub vorstellt. Als ich schlafen gehe, bin ich voller Erwartungen. Ich habe mich schon lange nicht mehr so auf den nächsten Tag gefreut.
Kapitel 2
„Guten Abend, Herr Rauscher, schön, dass Sie uns wieder einmal beehren.“, begrüßt mich Gianni.
Toni hat heute schon in aller Herrgottsfrüh geantwortet und wir haben uns auch gleich für den Abend bei meinem Lieblingsitaliener verabredet. Warum denn lange Zeit verlieren?
„Hallo Gianni, ich erwarte eine junge Dame. Sie wird nach mir fragen.“, erkläre ich dem Inhaber des Lokals.
Ich bin öfter hier und habe mich noch immer wohl gefühlt. Genau deshalb habe ich dieses Lokal für den heutigen Abend ausgewählt. Unser Kennenlernen sollte in möglichst entspannter und ungezwungener Atmosphäre erfolgen. Je lockerer wir uns unterhalten können, umso mehr Urlaubsfeeling kommt auf. Wie immer bekomme ich einen etwas abgelegenen Tisch, an dem man sich ungestört unterhalten kann. Es ist genau das Richtige!
„Herr Rauscher?“, meint eine junge Dame plötzlich.
„Toni?“, frage ich, während ich aufstehe.
„Ja, freut mich.“, antwortet sie etwas schüchtern.
„Sollten wir nicht Du zueinander sagen? Ich bin Conny, eigentlich Konrad, aber Freunde nennen mich Conny.“, sage ich und reiche ihr die Hand.
Sie nimmt sie, schüttelt sie ein wenig, zögert kurz und zieht mich dann zu sich heran. Sie gibt mir, zu meiner Überraschung, Küsschen auf die Wangen.
„Und ich heiße Antonia, aber alle nennen mich nur Toni. Auch wenn das eher ein Männername ist.“
„Wenn man Dich sieht, besteht echt kein Zweifel mehr, dass Du ein Mädchen bist. Und ich finde Toni eigentlich ganz süß.“, versuche ich freundlich zu sein.
„Schickes Lokal. Willst Du mich beeindrucken?“, grinst sie verschmitzt und wechselt geschickt das Thema, während wir uns setzen.
„Nein, eigentlich nicht. Ich bin nur gerne hier und dachte, es ist der richtige Rahmen, für unser Zusammentreffen. Kennst Du das Lokal?“
„Nur vom Namen her. Als arme Studentin kann ich es mir nicht leisten, in so teuren Lokalen zu verkehren.“, lächelt sie etwas verlegen.
„Dann ist das heute ja eine willkommene Gelegenheit.“, antworte ich.
Da Gianni an unseren Tisch herantritt, bestelle ich zwei Gläser Sekt als Aperitif und wir studieren die Speisekarte, die uns Gianni gebracht hat.
„Du willst mich wohl abfüllen und willenlos machen.“, grinst mich Toni verschmitzt an, als ein Kellner den Sekt bringt.
Oh, Scheiße! Das wollte ich nun wirklich nicht. Ich habe ganz automatisch bestellt. Erst jetzt, wo sie es sagt, wird mir bewusst, dass ich sie wohl hätte fragen sollen, ob sie ein Glas Sekt haben möchte, oder doch etwas anderes. Aber ihre Antwort ist süß. Sie nimmt es locker. Die Formulierung, ob ich sie abfüllen oder willenlos machen will, finde ich ganz lustig. Und so wie sie es sagt ist sofort klar, ganz so ernst gemeint ist die Frage nicht.
„Eigentlich nicht, aber das wäre gar keine so schlechte Idee.“, antworte ich deshalb ebenfalls flapsig, „Nein, im Ernst, wenn Du lieber etwas anderes trinken möchtest, können wir das natürlich sofort bestellen.“
„Ach nein, lassen wir es heute einmal krachen.“, lächelt sie amüsiert und hält das Glas zum Anstoßen in die Höhe.
„Hast Du schon gewählt?“, frage ich nachdem wir einen Schluck vom Sekt genommen haben.
„Eigentlich nicht. Das klingt alles sehr verlockend.“
„Ich würde sagen, wir lassen uns von Gianni beraten. Damit bin ich immer am besten gefahren.“, schlage ich vor und Toni nimmt meinen Vorschlag nur zu gerne an.
„Ich würde vorschlagen gebackene Zucchiniblühten, dann Linguine al cinghiale und als Hauptspeise faraona mit Safranreis und gedünsteten Artischockenherzen“, schlägt Gianni vor.
„Keine Ahnung, was das ist, aber es klingt köstlich. Ich nehme das.“, meint Toni wagemutig.
„Bella signorina, die Zucchiniblüten sind paniert und in Öl gebacken, eine Delikatesse. Als warme Vorspeise gibt es ganz dünne Bandnudeln mit Wildschweinsoße, ein Gedicht. Und die Hauptspeise ist Perlhuhn, sehr erlesen.“, erklärt Gianni und kommt dabei ganz ins Schwärmen.
„Auf Italienisch klingt das noch um Welten besser.“, lächelt sie ihn freundlich an und Gianni schmilzt, wie Eis in der Sonne und hat nur noch Augen für meine hübsche Begleitung.
Wir nehmen schließlich beide die von Gianni vorgeschlagenen Gerichte. Ich bestelle noch einen leichten Rotwein dazu und eine Flasche Wasser.
„Ich werde den Abend schon allein wegen des köstlichen Essens nicht vergessen.“, meint Toni.
„Noch hast Du das Essen nicht probiert.“, necke ich sie.
„Nun, ich glaube nicht, dass Du öfter hierher kommen würdest, wenn Dir das Essen nicht zusagt. Aber ich empfinde darüber hinaus auch das Lokal an sich und Deine Gesellschaft als recht angenehm. Echt, ich bereue nicht, auf die Annonce geantwortet zu haben.“, antwortet sie recht ernst.
„Das heißt, Du läufst nicht gleich schreiend davon.“, lache ich.
„Du Blödel, natürlich nicht. Was mich aber interessieren würde ist, warum Du über eine Zeitungsannonce eine Reisebegleitung suchst? Du bist Single?“, antwortet sie zuerst belustigt, wird dann bei der Frage aber eher ernst.
„Ich hatte zehn Jahre lang eine Freundin. Wir haben zwar nie geheiratet, haben aber zusammengelebt, wie in einer Ehe. Und ich dachte auch, dass es für immer sei. Und genau darin habe ich mich wohl am meisten getäuscht. Denn plötzlich, vor etwa drei Jahren, hat sie mich dann aus heiterem Himmel wegen eines anderen verlassen. Ich muss zugeben, das hat mich sehr getroffen.“, erzähle ich.
„Und seitdem? Drei Jahre sind eine lange Zeit.“
„Ich habe mich in die Arbeit gestürzt. Diese Zeit habe ich auch gebraucht, um wieder zu mir selbst zu finden und ich bin, wenn ich ehrlich bin, auch noch nicht sicher, ob ich wirklich durch bin. Zumindest aber bin ich inzwischen soweit, dass ich wieder in Urlaub fahren möchte.“
„Und Du hast niemanden, mit dem Du fahren könnest?“
„Nein, ich habe mich in diesen drei Jahren auch privat sehr zurückgezogen.“, erkläre ich.
„Irgendwie kann ich das verstehen. Mich hat auch mein Freund stehen lassen. Na gut, bei mir ist das erst ein halbes Jahr her und wir waren nur knapp ein Jahr zusammen. Aber auch ich habe mich danach nur noch auf mein Studium konzentriert.“, erklärt sie nach einer kurzen Nachdenkpause.
„Was mich betrifft, glaube ich, dass die Zeit des Einsiedlerlebens vorbei sein sollte. Ich möchte echt wieder zurück ins Leben, etwas aus meinem Leben machen. Und ein Urlaub wär da doch ein guter Anfang. Und den habe ich auch nötig.“
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