Verwirrte Seelen
Traumwelten
Eigentlich träumte er nicht wirklich. Er döste mehr vor sich hin und viele kleine, kurze Bilder liefen vor seinem inneren Auge ab.
Einige aus seiner Vergangenheit — er sah sich wieder auf der Bühne. Er sang, spielte Gitarre und die Menschen jubelten ihm zu.
Dann der Alptraum mit Hamid im Aldi.
Er sah das Gesicht des Alten.
Er spürte, wie sein Ring sich erwärmte. Unwillkürlich spielte er mit ihm.
Sabina.
Tonja.
Maunzi.
Die Zukunft.
Er würde wieder jemand sein.
Eine Zukunft haben.
Viele Bilder.
Langsam öffnete er die Augen.
Er lag in seinem Bett im Zimmer.
Der Hals tat ihm weh.
Er griff nach der Schnabeltasse auf seinem Nachtschränkchen.
Der Alarm lag direkt daneben.
„Warum?“
Eine Infusion tropfte.
Er bewegte seine Hand zum Bauch.
Verbände!
Ihm war warm.
Das Bett sah schmutzig aus.
Überall rotbraune Flecken. Wahrscheinlich das Desinfektionsmittel.
Also war er schon operiert. Und er lag in seinem alten Zimmer. Schien alles gut gegangen zu sein, sonst wäre er ja nicht hier in seinem Zimmer.
Marius lächelte erleichtert.
Der Ring.
Der Wunsch …
Der Wunsch???
Hatte er sich den überhaupt gewünscht?
Wie war das noch einmal?
Er versuchte sich an den genauen Wortlaut zu erinnern.
„Hallo. Schon wieder am Aufwachen?“
Mühsam drehte Marius den Kopf.
Ein junger Pfleger.
Aber wieso trug der Jeans? Und Sweat Shirt?
„Wer?“
„Nur ein wenig Ketamin. Dann hast Du keine Schmerzen mehr. Schlaf noch ein wenig.“
Der Mann hatte eine Spritze in der Hand und injizierte den Inhalt in die Infusion. Dann öffnete er das Stellrädchen. Aus den Tropfen wurde ein Strahl, der direkt in seine Venen floss.
Der Typ sah irgendwie so aus, wie einer von den Jungs aus dieser Gang. Warum dutzte er ihn?
Dann sah er das Lächeln.
Er konnte seine Augen nicht mehr offen halten.
Der Wunsch …
Der Ring …
Ihm wurde warm und die Traumbilder kamen wieder zurück. Sein Körper erschlaffte.
Allein mit Maunzi
„Wieder zu Hause!“
Sabina kam zur Wohnungstür hinein, schloss sie mit ihrem Schlüssel hinter sich wieder ab und legte die Kette vor. Maunzi kam und begrüßte sie schnurrend.
Die Katze schien regelrecht ausgehungert zu sein. Sabina konnte kaum einen Schritt machen. So waren sie, die Katzen, wenn sie was wollten.
Maunzi sprang zwischen ihren Füßen hin und her.
„Tonja?“
Offensichtlich war ihre Tochter nicht zu Hause. Ihre Jacke hing nicht an der Garderobe und ihre Sneakers standen nicht im Schuhregal.
Na, dann war sie wohl kurz das Katzenfutter kaufen.
Wahrscheinlich hatte sie heute mal wieder den ganzen Tag gefaulenzt. Tat ihr auch gut. Die nächsten Wochen würden definitiv eine Veränderung mit sich bringen – in welche Richtung auch immer. Und da musste ihre Tochter fit sein!
Sabina zog sich im Flur die Schuhe aus, schlüpfte in ihre Schlappen und ging in die Küche zum Kühlschrank.
„Ist ja schon gut Maunzi. Bekommst ja gleich was von mir.
Du bist wohl sehr hungrig?
Hmmm?“
Die Katze war vor ihrem neuen Fressplatz bei den Merzigs sitzen geblieben, himmelte Sabina an und schnurrte sehr laut.
Sabina nahm ein Ei aus dem Kühlschrank, ging zur Küchenanrichte und nahm ein Schälchen heraus.
„So, gleich gibt’s gekläppertes Ei. Später kriegst Du noch dein Felix. Tonja holt es gerade.“
Nachdem die Katze zufriedengestellt war, schaltete sie ihre Stereoanlage an. Heute war ihr nach Wyssozki, dem 1980 viel zu früh verstorbenen russischen Liedermacher, der wie kaum ein anderer den russischen Chanson verkörperte.
Die ersten Klänge mitsummend, drehte Sabina lauter und ging gutgelaunt geradewegs in das Badezimmer. Eine Dusche und sie wäre wieder Mensch.
Sabina duschte immer nach der Arbeit. Damit wusch sie sich all die Gerüche, den Schmutz und den Dreck runter, die sich den Tag über angesammelt hatten. Den wirklichen Dreck, aber auch den Sinnbildlichen.
Jedenfalls fühlte sie sich nach so einer Dusche wieder sauber — ganz real und im übertragenen Sinn.
Langsam zog sie sich aus, bis sie nackt war. Bevor sie in die alte Wanne stieg, betrachtete sie sich im Spiegel.
Die Zeit war nicht ohne Spuren an ihr vorbei gegangen. Trotzdem war sie noch jung — zumindest keine vierzig.
Ihre Brüste waren nicht zu groß und nicht zu klein. Sie waren fest. Und ihre Nippel waren auch sehr schön. Die kleine Narbe vom Kaiserschnitt und die andere von der Blinddarmoperation vor 20 Jahren … Sie hatte einen makellosen Körper.
filigranes, mittellanges blondes Haar, graublaue Augen und feine, aber eher etwas blasse Lippen. Ihr fiel auf, dass sie keinen Nagellack, keinen Lippenstift und kein Makeup verwendete.
Warum auch?
Seit Oliver war kein Mann mehr in ihr Leben getreten.
Unwillkürlich spielten ihre Finger mit den Löckchen ihrer Schambehaarung. Ein leichter Schauer durchfuhr sie.
Kinder — das meint auch Sex!
Wie würde das wohl sein?
Der Sex mit Marius.
Sie versuchte sich Marius nackt vorzustellen.
Eine Gänsehaut überzog ihre Haut.
Ihr fröstelte.
Für manche Dinge war es wirklich einfach zu früh!
Sie drehte die heiße Dusche auf und bald füllte sich das Badezimmer mit dichten Nebelschwaden. Passenderweise sang Wyssozki gerade von der russischen Banja.
Laut stimmte sie gutgelaunt mit ein.
Ömür
Ömür war genauso, wie man sich einen gütigen weisen Mann, einen Ulama, vorstellte. Er hatte einen langen, vollen und sehr gut gepflegten noch überwiegend schwarzen Bart in den sich aber zunehmend weißsilbern schimmernde Haare mischten. Seine dunkelbraunen, wachen Augen blickten freundlich, Lachfalten zeichneten ihn deutlich als humorvollen Menschen und er sprach mit einer weichen, tiefen Stimme.
Er war sehr groß, trug eine dunkelbraune Leinenhose, ein sandfarbenes Stehkragenhemd, einen dunkelbrauen, passenden Überwurf und ein passendes dunkelbraunes geschlungenes Kopftuch aus Seide. Kurzum er war eine imposante charismatische und sehr gepflegte Erscheinung und er wusste genau das auch für sich und seine Ziele einzusetzen.
Ömür saß an einem runden Tisch auf der Terrasse seines Hauses und trank bedächtig eine Tasse Tee. Hamid und Caplan saßen ihm direkt gegenüber.
Senol, sein engster Vertrauter, hatte noch mit Adem zu tun und würde hoffentlich bald zu ihnen stoßen. Er schätzte Senols Rat.
Adem war, wie Hamid, ein stumpfer Schläger, der für ihn das Netz in Neu Isenburg mit aufgebaut hatte. Senol hegte den Verdacht, dass Adem aber auch den Russen Informationen über ihre Händler- und Kundennetze verkaufte und damit ein doppeltes Spiel trieb.
Die russische „Bruderschaft“ drängten in der letzten Zeit immer mehr in „ihre“ Gebiete — teilweise auch unter dem nicht ganz von der Hand zu weisendem Vorwand, ihre „Landsleute“ schützen zu müssen.
Nun, die „Gespräche“ mit Adem konnten sich wohl auch noch ein Weilchen hinziehen — ein harter Hund. Deswegen hatte er ihn ja auch damals ausgesucht.
Nur dass dieser Hund jetzt unrein war und wohl auch deutlich zu gierig.
Sie brauchten Beweise — dringend.
Ömür atmete tief durch.
Immer wieder neue Probleme, doch genauer betrachtet gab es auch überall Lösungen und neue Chancen.
Chancen — ein gutes Stichwort!
Er verdrängte die letzten Gedanken an Adem und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen beiden Gästen zu, betrachtete sie genau und ließ seinen Blick lange, gütig und wohlwollend auf Hamid ruhen.
Wie viel Zeit hatte er in die beiden investiert und ebenso in viele andere, wie diese beiden. Langsam zahlte sich das alles aus.
Gelder begannen zu fließen, neue Absatzmärkte wurden erschlossen, ihr Einfluss wuchs und er hatte schon im letzten Jahr angefangen, den Grundstein zu legen, um die Strukturen weiter auszubauen.
Hamid, Caplan …
Die „Nicht Zufriedenen“ und „Verstoßenen“ waren so leicht zu formen und zu beeinflussen. Sie brauchten nur die richtige Anleitung und sie waren wie Wachs unter seinen Fingern. Alles für das Erbe des Propheten und alles für den wahren Islam — so zumindest dachten das „seine Kinder“.
Aber was Hamid und Caplan zu sagen hatten, klang selbst in seinen Ohren völlig unglaublich. Er hielt beide nicht für Spinner, aber das alles konnte so nun einmal nicht wirklich wahr sein.
„Ich fasse jetzt mal kurz zusammen, was Ihr mir die ganze Zeit zu erklären versucht …“
Ömür trank noch einen Schluck Tee.
„Ein zusammengeschlagener Krüppel im Diskounter. Polizei, die lästige Fragen stellt. Wahrscheinlich haben der Krüppel und die Verkäuferin Euch angeschwärzt …
Ihr habt die Tochter der Verkäuferin, weil Ihr Druck ausüben und ein Zeichen setzen wollt.“
Hamid und Caplan nickten.
„Ein bösartiger Fluch, der zunächst Euch alle, aber insbesondere Dich, Hamid, betroffen hat und jetzt aber gebrochen ist …“
Ömür suchte in ihren Augen ein Zeichen dafür, dass sie sich einen Scherz mit ihm erlaubten. Aber er sah in ernste Gesichter und er kannte beide über die Jahre gut genug, um zu verstehen: Sie glaubten an das, was sie da sagten.
„Ein Wunschring, der zwar nicht so einfach alle Wünsche erfüllt, aber dennoch unglaubliche Macht verspricht und sich mit Dir unterhält, Hamid?“
Hamid nickte zustimmend.
„Es klingt unglaublich, ich weiß.“
„Und nicht zu vergessen – drei Millionen, die in dem Kleiderschrank der Verkäuferin warten?
Ja!
Hamid, das klingt für mich sehr schwer nach einer ziemlich „glaubwürdigen“ Geschichte.“
Ömür lächelte.
Er musste vorsichtig sein. Er brauchte beide für seine Pläne. Er musste eine gute Balance aus gesunder Skepsis, kritischem Hinterfragen aber auch Verständnis und Rat wahren. Er durfte ihnen nicht „das Gesicht“ nehmen, auch wenn sie hier unter sich waren.
Das würde seinen künftigen Einfluss auf die beiden mit Sicherheit verringern.
Er betrachtete sie noch einmal eingehend.
Da kamen die Beiden ohne Termin zu ihm, saßen vor ihm, beinahe entspannt und schienen all das auch wirklich zu glauben.
All die Geschichten von Gott und den Teufeln, den Diw, den Dschinn … All die waren eher sinnbildlich für die schlichteren Gemüter geschaffen worden, um Gott größer und vollkommener wirken zu lassen und zugleich die Schwäche der Menschen zu erklären und zu entschuldigen.
Das durfte er nur so nicht sagen.
Menschen brauchten immer Beispiele und Geschichten, um an etwas zu glauben und sich für etwas einzusetzen.
Zum Beispiel für seine Ziele und die seiner Organisation in Syrien und im Irak.
„Zeig mir noch einmal den Ring, Hamid.“
Hamid streckte seine rechte Hand zu ihm aus.
„Kannst Du ihn mal kurz abziehen und mir geben?
Keine Angst. Ich nehme ihn Dir nicht weg.“
„Das geht leider nicht. Das hängt mit dem Ring selbst zusammen. Probiert es. Ihr werdet es nicht vermögen.“
Ömür fasste den Ring an. Sofort spürte er, wie sich seine Härchen aufstellten. Der Ring war sehr warm und er spürte eine Macht, die in ihm zu pulsieren schien.
Eine einladende und neugierige Macht?
Fast schien es ihm, als stelle ihm der Ring eine Frage — die Frage, was ihn störe?
Ömür störte vieles. Zum Beispiel dieser Rosenbusch zu seiner Rechten. Er hatte viele Wildtriebe und heute Morgen hatte er sich mehrfach gestochen. Er würde ihn wohl morgen abschneiden, ausgraben und ersetzen müssen. Er mochte diesen Rosenbusch nicht mehr.
Unglaublich, an welche Belanglosigkeiten man so alles dachte, gab es doch viele wichtigere Themen. Er betrachtete den Ring an Hamids rechter Hand intensiver. Er sah sehr alt, überaus gut gearbeitet und wertvoll aus.
„Du sagst also Hamid, der Ring spricht zu Dir?“
„Ja. Er dient mir, wie ein Geist. Und er spricht zu mir.“
„Was sagt er zu Dir?“
„Er gibt mir Ratschläge. Aber ich habe ihn ja erst seit etwa einer Stunde. Ich bin sofort zu Euch gekommen.“
„Und das war richtig. Wenn das so stimmt, ist dieser Ring vielleicht nicht von dieser Welt. Wir müssen jetzt herausfinden, was es mit diesem Ring auf sich hat.
Warum kannst Du Dir nicht einfach etwas wünschen — zum Beispiel, dass hier auf dem Tisch auch drei Millionen Euro erscheinen.“
„Er sagt, dass es für Wünsche immer Regeln gibt. Wenn ich zum Beispiel etwas haben möchte, wird es jemand anderem fehlen und er kann nichts materialisieren oder neu erschaffen.
Aber er kann das Schicksal von etwas so verändern, dass wir zum Beispiel diese Millionen irgendwann und auf irgendeinem Weg zu Euch kommen.“
Ömür nickte Hamid aufmunternd zu, fortzufahren.
„Seitdem ich den Krüppel zusammengefaltet habe, hatte ich fürchterliche Schmerzen. Die anderen auch, aber nur einen Tag.
Jetzt weiß ich von dem Ring, dass der Krüppel sich als Erstes gewünscht hatte, dass ich seine Schmerzen an seiner statt haben sollte.“
Ömür trank einen weiteren Schluck Tee. Er hatte diese Geschichte auch von den anderen gehört.
Sie glaubten daran, dass sie von einem Fluch getroffen worden waren. Zum Glück war ihr Glauben gefestigt genug, dass sie ausschlossen, Allah könne sie für das strafen, was sie diesem Krüppel angetan hatten.
„Also hast Du Dir gewünscht, dass er jetzt wieder seine Schmerzen zurück haben sollte?“
„Nein. Das ging nicht. Der Ring folgt bestimmten Regeln. Aber ich habe mir gewünscht, dass Oleg sie jetzt hat. Er wird nicht wissen, wie ihm passiert. Ich konnte nichts mehr machen, war im Krankenhaus.
Ich wollte schon Caplan oder Tiger zu Euch schicken, weil ich wissen wollte, wie man den Fluch brechen kann.“
Ömür lächelte amüsiert. Nicht das er das jetzt glauben würde, aber sich Oleg im Krankenhaus vorzustellen … Die Bratwa wäre ziemlich sicher auf Wochen eine ziemlich kopf- und zahnlose russische „Bruderschaft“.
„Ich will ehrlich mit Dir sein Hamid. Ich bin noch etwas skeptisch, was all das anbelangt, was Du mir da gerade erzählt hast. Und das wärst Du an meiner Stelle wahrscheinlich auch.“
„Wie kann ich Euch beweisen, dass ich die Wahrheit sage?“
„Vielleicht indem ich mir etwas wünsche?
Oder indem ich Dir eine Frage stelle, deren Antwort weder ich noch Du weißt …“
Hamid schien einen Moment nachzudenken.
„Das geht.“
„Gut. Hamid, Senol arbeitet schon die ganze Zeit daran, um an eine für uns wichtige Information zu kommen. Vielleicht kannst Du mir mit Deinem Ring helfen?“
„Der PIN um das Samsung von Adem zu starten lautet 9331 und der PIN für die Bildschirmsperre 547698. Ihr müsst bei Viber unter „Dilani“ – LIebling – nachsehen, dann findet Ihr seine „Liebesbotschaften.“
Ömür ließ es sich nicht anmerken, aber er war verblüfft. Er nahm schnell sein Handy, klingelte bei Senol durch und informierte ihn von den Codes und wo er nachzusehen hätte.
Das Feedback kam prompt.
Adem hatte tatsächlich ein doppeltes Spiel gespielt.
Nun, man konnte den Kanal auch nutzen, jetzt ein paar gezielte Fehlinformationen zu streuen und Fallen zu stellen.
Aber das war nur Geplänkel am Rande.
Er blickte auf den Rosenstock auf seiner rechten Seite. Eben noch hatte sich heute über ihn geärgert, weil er sich wiederholt an ihm gestochen hatte.
Und jetzt war der Strauch völlig verdorrt. Und das war er vor einigen Minuten definitiv noch nicht.
Ömür stand auf, ging zu dem Strauch und brach einen der größeren Äste ab. Es ging sehr leicht. Der Zweig war völlig mürbe und brüchig.
Das waren zwei wirkliche Zeichen!
Und es unterstrich die wahre Bedeutung: Sie lag in diesem Ring. Wenn er wirklich all das machte, was sein Träger von ihm wollte, war der Ring die Antwort auf all seine Gebete und das Ende all seiner Probleme. Reichtum, Einfluss, Macht — wirkliche Macht … Alles war in Reichweite.
Wenn der Ring das alles wirklich konnte, dann durfte er aber auch nicht länger in Hamids Händen oder vielmehr an seiner Hand bleiben.
So wie Hamid dem Krüppel den Ring genommen hatte, so würde er ihn Hamid nehmen.
Es musste überraschend erfolgen. Er sollte keine Gelegenheit haben, sich beispielsweise mit Wünschen zu wehren oder ihm etwas anzutun.
Oleg hatte Schmerzen. Davon war er jetzt wirklich überzeugt.
Und die Schmerzen wollte er, Ömür, definitiv nicht auch haben.
Er musste jetzt so vorsichtig, wie klug agieren.
Er ließ Hamids Hand los und sah ihm direkt in die Augen.
„Hamid, ich schlage vor, Ihr entledigt Euch dieses Mädchens. Sie frei zu lassen ist zu gefährlich. Sie kennt Euch alle und kann Ärger machen.
Den Plan mit dem Bordell als Umschlagplatz für Drogen und um verfängliche Bilder als Druckmittel für wichtige Kunden zu bekommen, stellen wir für Euch erst einmal zurück. Damit wird Senol erst einmal anfangen. Mit Euch habe ich jetzt etwas Größeres vor!“
Ömür fixierte jetzt auch Caplan und sprach so sanft, wie eindringlich.
„Wichtig ist, dass Ihr die drei Millionen sichert. Der Krüppel und die Verkäuferin sollten auch möglichst für immer verschwinden.
Kommt mit dem Geld wieder zu mir.
Eine Million werde ich als Reserve für Euch deponieren. Eine Million, um in neue Ware zu investieren und Oleg hier weiter rauszudrängen. 500.000 für die Armen und Bedürftigen und 500.000 für Euch zur freien Verwendung.
Wäre das so in Ordnung für Euch?
Mit dem Geld werden wir uns hier sofort die Vormacht sichern.“
Hamid nickte begeistert.
Um das Mädchen wäre es schade. Aber wer sagte, dass sie nicht alle vorher ihren Spaß mit ihr haben dürften.
Tod durch Ficken …
Wollte er schon immer mal ausprobieren, wie das wäre.
Niemand konnte ihm jetzt noch gefährlich werden.
Er hatte ja den Ring!
„So, jetzt geht erst mal ins „Al Pasha“, grüßt Mehmet von mir — ihr seid von mir selbstverständlich eingeladen. Hamid, Du hast wahrscheinlich seit Tagen nichts Vernünftiges gegessen!“
Hamid winkte ab. Er wollte direkt mit der „Arbeit“ anfangen.
„Keine Widerrede, Ihr Zwei.
Danach macht alles so, wie wir das gerade besprochen haben.
Und wenn alles erledigt ist, kommt heute Abend zu mir!
Dann feiern wir!“
Ömür erhob sich und geleitete seine Gäste zum Hoftor.
Erwachen
Marius kam langsam wieder zu sich. Er fühlte sich wie ein Betrunkener. Aber in seiner Erinnerung hämmerte immer wieder eine Aufgabe auf ihn ein: Er musste diesen Wunsch aussprechen!
Verzweifelt versuchte er wach zu werden und einen klarere Kopf zu bekommen.
Doch er dämmerte wieder und wieder weg.
Er hatte Angst, den Wunsch falsch zu formulieren.
Er musste sich in Geduld üben.
Er versuchte, mit dem Ring Kontakt aufzunehmen. Doch kein Wispern in seinem Kopf… der Ring antwortete einfach nicht.
Marius führte das auf die Medikamente zurück.
Langsam wurden seine Gedanken wieder klarer.
Er hatte Alpträume gehabt:
Der Unfall.
Die ersten Operationen.
Das böse Erwachen mit den Versicherungen.
Der soziale Abstieg.
Die Prügel, die er von Hamid einstecken musste.
Der Alte mit dem Ring.
Das hämische Lachen von Hamids Clique.
Ja, sogar Traum und Wirklichkeit hatten sich vermengt. Keiner der Jungs von Hamid würde hier als Krankenpfleger arbeiten und ihn versorgen.
Medikamente!
Wahrscheinlich hatten sie alles etwas höher dosiert, weil er an Schmerzen gewohnt war.
„Ich möchte mir wünschen, dass ich, Sabina, Tonja, Deine Katze und unsere direkten Nachkommen durch Dich geschützt und vor wirklich Schlimmem bewahren sollen — auch dann noch, wenn ich Dich nicht mehr tragen sollte.“
Keine Reaktion. Immer noch kein Wispern. Der Ring wurde auch nicht warm. Und er merkte, dass auch seine Kraft nicht weniger wurde.
Ungläubig hob Marius seine Hand an.
Der Ringfinger fehlte.
Er war ihm abgeschnitten worden.
Das ganze Bett war blutgetränkt. Deswegen wurde er also nicht richtig wach!
Er sah, dass er eine Unmenge von Blut verloren hatte. Die Matratze war völlig durchnässt. Seine Hand tat nicht weh — noch nicht.
Ganz klar.
Der Traum, war kein Traum.
Das war Hamid.
Er drückte den Schwesternruf und versuchte an sein Telefon zu kommen. Er musste Sabina warnen. Mit beinahe letzter Kraft erreichte er sein Mobiltelefon.
Sie ging nicht ran.