Selige Seelen
Offenbartes Geheimnis
Sabina saß am Krankenbett. Sie hatte ihm zwei Erdbeer — Puddingplunder vom Bäcker und aus der Cafeteria einen großen Pappbecher Kaffee mitgebracht, der jetzt auf dem Nachtschränkchen vor sich hin dampfte.
„Maunzi geht es wie gesagt sehr gut. Sie schläft bei meiner Tochter Tonja im Bett. Sie frisst gut und Tonja ist Feuer und Flamme. Sie verwöhnt sie regelrecht. Die Schule startet ja erst nächste Woche wieder und auch sonst kommt Tonja nicht wirklich raus. So bekommt sie gerade ganz viele Streicheleinheiten.
Aber man merkt, Marius, sie vermisst ihr Herrchen.“
Marius freute sich über den Kaffee. Der war viel besser als die Pulverplörre, die es hier auf der Station gab. Erdbeerstückchen — wie lange hatte er die nicht mehr gegessen. Und die sahen sehr lecker aus.
Aber noch mehr freute er sich darüber, dass ihn Sabina plötzlich duzte. Unmerklich war sie vom „Sie“ auf das „Du“ gewechselt. Er fühlte sich zunehmend wohl in ihrer Gegenwart.
Vielleicht hatte sie sich an sein Aussehen gewöhnt?
Jedenfalls war sie der erste Mensch seit langem, der ihn halbwegs normal behandelte und obendrein war sie auch noch ganz sympathisch.
„Das freut mich wirklich! Sabina?“
„Genau. Entschuldigung. Aber ich war einfach auf das „Du“ gewechselt.“
„Absolut in Ordnung.“
„Wir haben gestern vor Deinem Haus die Familie Bilgin getroffen. Sie kamen gerade vom Einkauf. Sie wollten nach Dir sehen und sich bei Dir entschuldigen. Eine ganze Menge Einkäufe und die waren alle für Dich.“
„Ich glaube sie können nicht viel für ihren Sohn. Die anderen drei Kinder sind ganz nett. Hamids jüngerer Bruder hilft mir manchmal mit dem Müll und die Mädchen grüßen immer.“
„Sie wirkten ganz nett. Aber glaube ich war eher wie eine Furie. Die haben gar nicht realisiert, was ihr Sohn getan hat.
Oder sie wollten es nicht.
Ich denke schon, dass sein Vater das Ganze sehr gerne verharmlosen oder am Liebsten unter den Teppich kehren würde.“
„Glaube ich sehr gern. Hamid ist kein Sohn, auf den man stolz sein kann.“
„Nicht wirklich!
Aber es scheint, als ob er jetzt seine Strafe bekommen hätte.“
„Ja?“
„Herr Bilgin sagte, dass Hamid jetzt auch hier im Krankenhaus wäre. Er hätte entsetzliche Schmerzen. Als ich anmerkte, dass er wohl jemanden gefunden hätte, der stärker wäre als er, drucksten die beide etwas rum. Man hätte wohl noch keine Ursache gefunden. Sie glauben, dass Gott ihren Sohn gestraft habe…“
„Vielleicht… Vielleicht auch nicht.“
„Aber sie denken das und deswegen auch die Einkäufe. Sie wollen, dass Du ihm „vergibst“ damit ihm Allah vergeben kann.“
„Da können sie noch ein wenig warten. Und er muss sich entschuldigen. Er muss das wirklich bereuen.“
„Wird er nicht tun — zumindest nicht so schnell. Ich glaube wirklich, dass er Probleme hat. Sonst würden sie ihn wohl nicht hier im Krankenhaus behalten.“
„Die hat er Sabina. Da bin ich mir sicher. Ohne Medikamente wird er sich wohl kaum bewegen können.“
Ein kurzes, wissendes Lächeln umspielte Marius Lippen.
Sabina stutzte kurz.
„Weißt Du mehr?“
Marius zögerte.
Er hatte sich selbst eine Falle gestellt.
Ein wenig lügen und so tun, als hätte es keinen Unschuldigen getroffen.
Oder die Geschichte mit dem Ring erzählen.
Würde sie ihm glauben?
Wohl eher nicht.
Und wenn doch?
So ein Ring weckt Begehrlichkeiten.
Sabina spürte, dass er mit sich rang.
„Musst Du nicht sagen, wenn Du nicht willst.“
„Doch!“
Marius holte tief Luft.
„Ich will ehrlich sein. Es klingt völlig verrückt und wahrscheinlich wirst Du mir nicht glauben. Ich glaube es selbst noch nicht ganz.
Erinnerst Du Dich an den Alten im Supermarkt?“
„Ja?!“
„Hattest Du den vorher schon mal hier gesehen?“
„Nein. Noch nie.“
„Er hat mir einen Ring geschenkt. Diesen Ring hier.“
Marius hob seine rechte Hand und zeigte demonstrativ den Ring.
„Sieht sehr schön aus. Alt. Wahrscheinlich auch wertvoll… Warum hat er das getan?“
„Es ist ein „Wunschring“ — das sagte er mir und ich wollte es nicht glauben.“
Sabina lachte kurz auf.
„Ich wollte es auch nicht glauben. Als ich im Krankenwagen lag, sprangen diese Idioten doch in der Nähe herum und machten sich lustig über mich.
Da kam all der Hass und Zorn der letzten Jahre in mir hoch. Ich wünschte mir, dass sie mal einen Tag meine Schmerzen hätten und Hamid gerne für immer — ich wünschte mir, mit ihm tauschen zu können.“
Er sah erst in ungläubige Augen.
Sabina dachte kurz nach.
Sagten die Bilgins nicht, dass alle Schmerzen gehabt hätten?
„Der Wunsch kam einfach so raus. Und der der Ring wurde heiß — richtig heiß. Und seitdem habe ich keine Schmerzen mehr, nur wenn die an meinen Wunden arbeiten zwackt es etwas. Aber kein Vergleich zu früher.
Und der Ring spricht zu mir. Ich habe seine Stimme in meinem Kopf gefühlt… gehört. Ich spüre, dass ich nicht mehr allein bin.
Er lauert.
Ich weiß selbst, dass sich das absurd anhört.“
Sabina lächelte.
„Ein Wunschring… Was hast Du Dir als nächstes gewünscht?
Willst Du Dein altes Aussehen wieder haben?
Oder 20 Millionen?“
„Ich habe versucht, mir gar nichts mehr zu wünschen. Und Du glaubst nicht, wie schwer das ist.
Der Ring ist nicht gut.
Er ist böse.
Er fordert Gegenleistungen.
Wenn ich mir 20 Millionen wünsche, bedeutet das, dass sie irgendjemandem fehlen werden.
Wenn ich mit gut fühlen soll, dann nur auf Kosten anderer — wie jetzt Hamid.“
„Mit ihm trifft es keinen Unschuldigen. Er stiehlt, bedroht und schlägt Menschen. Er und seine Gang verkaufen Drogen — nicht nur Gras, auch das harte Zeugs.
Sie bringen nur Leid und Elend.“
„Auch wenn es mir wiederstrebt… Du hast Recht Sabina.
Aber deswegen ein Leben lang Schmerzen haben müssen — an meiner statt?“
„Du hast Dir bestimmt auch nicht ausgesucht, einen Unfall gehabt zu haben. Ebenso wenig — Entschuldige — so auszusehen, wie Du nun einmal aussiehst.
Wahrscheinlich hättest Du auch lieber Dein altes Leben weiter gelebt, Musik gemacht, eine Frau mit zwei Kindern…“
„Ja. Aber das war Schicksal — bad fate, wie die Briten sagen.
Nun bin ich mit meinen Wünschen das Schicksal… Für mich selbst, aber auch immer für jemanden anderen.
Verstehst Du?
Ich fühle mich verantwortlich.
Und ich habe Angst.
Ich bin immer noch voller Hass und Wut. Das ist gefährlich!“
Marius nahm einen tiefen Schluck Kaffee.
Sie hatte wohl seine Gitarre gesehen und auch die Bilder. Eine Frau mit zwei Kindern — nun, die hatte Nadine.
Und sie war glücklich mit ihrem Mann und ihren Kindern.
Das wusste er.
Beinahe wünschte er sich, es wäre anders…
„Vorsicht. Das Eis wird dünn!“
Das Whispern meldete sich zurück.
„Ja die Zeit spielt für mich. Irgendwann wirst Du Dir was wünschen. Und kaum jemand braucht die Erfüllung einiger weniger Wünsche dringender als Du.“
Der Kopf war wieder frei.
„Vielleicht liegst Du nicht ganz falsch Sabina. Ich habe Angst.“
„Dann zieh den Ring doch aus und wirf ihn weg.“
„Das geht nicht so einfach. Ich muss ihn weggeben wollen…
Und umgekehrt muss ihn jemand nehmen wollen!
Ich kann ihn auch nicht selbst abziehen.“
„Und wenn ich den Ring möchte?“
„Willst Du das wirklich?
Der Ring ist bösartig. Ich fühle das. Ich weiß das. Und der alte Mann sagte, der tränke die Seele auf, wenn man ihn falsch einsetzt.
Und wenn man stirbt, während man den Ring trägt, geht die Seele in den Ring über.“
Sabina glaubte ein wenig an Gott und die Kirche. Sie war orthodox und in Russland aufgewachsen. Ihr fröstelte.
„Ich glaube Marius, ich will den Ring doch nicht.“
Er war erleichtert.
Hätte er ihn ihr gegeben?
Wahrscheinlich ja.
Ein Leben ohne Schmerzen — das war mehr als er erhoffen durfte.
Aber andererseits konnte dieser Ring falsch eingesetzt auch wirklich Übles bewirkten. Er mochte Sabina und das wollte er ihr nicht antun.
„Aber Du solltest ihn nutzen. Zumindest sehen wir dann ob er wirklich funktioniert… oder ob das alles nur Einbildung oder ein Zufall war…“
„Keine Einbildung.
Kein Zufall.
Und ich habe Angst. Angst vor dem Preis, den ich zahlen muss… oder eben andere.“
„Du musst keine Angst vor mir haben Marius. Ich sagte Dir schon, dass ich Dich mag und Du mich verdient hast. Ich kann Dir wirklich helfen. Du musst Dich nur an die Regeln halten und eben vorsichtig sein, mit dem was Du willst.“
Die Stimme schaltete sich wieder ein und Marius zuckte unwillkürlich zusammen.
„Gerade im Moment hat er wieder zu mir gesprochen und mich ermuntert, ihn zu nutzen. Sabina, das ist echt unheimlich. Das Gefühl zu haben, dass Du nicht mehr allein in Deinen eigenen Gedanken bist… Ständig jemand mithört…
Und all Deine Stärken und Schwächen kennt.“
„Kann er Dir auch Fragen beantworten?“
„Weiß ich nicht. Kommt wahrscheinlich auf die Frage an.“
„Genau. Und Du musst Dir die richtige Antwort auf diese Frage wünschen.“
Der Ring erwärmte sich wieder etwas und er hörte die Stimme in seinem Kopf jetzt deutlich.
„Ich würde gerne wissen, was mein EX – Mann gerade macht?“
Marius brauchte den Wunsch gar nicht zu formulieren. Er sprach und er sprach doch nicht selbst. Der Ring hatte ein Eigenleben entwickelt und Marius hatte mit einem Mal keine Kontrolle mehr über sich selbst. Es war, als ob er sich selbst von außen betrachten würde.
„Dein Mann war Oliver Merzig. Er ist seit einem Jahr tot.
Hast Du Dir das nicht immer gewünscht?
Darum gebetet
Manche Gebete werden erfüllt kleine Sabina.
Auch ganz ohne Wunschring.
Von oben oder von unten…“
„Er ist tot?“
Sabina war geschockt.
„Er starb bei einem Autounfall. Zusammen mit einer Svetlana Orloff in Smolensk.“
„Svetlana Orloff?
Er war doch mit Maria zusammen?“
„Sogar verheiratet. Sie hat drei Kinder… zwei von ihm und das mittlere von ihrem Fitness Trainer, der sie aber auch schon wieder vergessen hat. Sie vermisst beide nicht. Sie hat Zugriff auf Olivers Geld.
Svetlana war eine junge Prostituierte und hätte Dein Oliver sich die nur die Mühe gemacht näher hinzusehen, hätte er wohl herausgefunden, dass Svetlana auch ein Oleg war.“
Marius fing kalt lachend an „Lola“ von den Kinks zu intonieren… Verstummte dann kurz und redete weiter.
„Wie auch immer – sie machte ihm gerade einen Blow Job… Diese Ablenkung und der Wodka — schon lag sein BMW im Dnjepr… wo er heute noch liegt. Unentdeckt! Ein kaltes, nasses Grab — Lecker Futter für die Fische!
Er hat es verdient. Unangenehmer Zeitgenosse. Oliver!
Das Luder auch. Hatte AIDS und kümmerte sich nicht groß drum, an wen sie das alles weitergab.“
Sabina heulte hemmungslos.
„Ja, die Welt ist Scheiße und die Menschen sind nicht besser.
War schon immer so.
Ich weiß das.
Wissen ist Macht und nicht jeder kann damit umgehen. Ich wollte damit nur zeigen, dass man auch hier immer sehr vorsichtig mit dem sein sollte, was man fragt.“
„Lottozahlen?“
Marius hatte wieder die Gewalt über sich zurückgewonnen.
Und die Stimme war wieder in seinen Kopf zurückgekehrt.
„Wird Dich Unmengen an Kraft vielleicht sogar ein paar Lebensjahre kosten. Ich weiß nicht, ob Du das wirklich willst. Es gibt einfachere Wege an Geld zu kommen.“
Marius war einen Blick auf Sabina, die komplett in sich zusammengebrochen war.
Ich wünsche, dass Du Dich vorerst aus meinem Kopf zurückziehst, bis ich Dich wieder rufe.“
„Kein Problem!“
Marius spürte einen kurzen Anflug von Schwäche. Ihm war einen Moment schwarz vor Augen.
„Sabina… ich bin jetzt wieder ich selbst. Das war eben nicht ich. Das war der Ring.“
Sie sah ihn an. Die Augen rot und das Makeup verwischt vom Weinen.
„Es tut mir leid, um Deinen Mann.“
„Ich weiß, dass das nicht Du warst. Aber das war verdammt hart und unerwartet.“
„Ich weiß…“
Marius versuchte sie etwas zu trösten. Er konnte sich vorstellen, was sie fühlte. Er hatte seiner Freundin auch mehrfach die Pest auf den Hals gewünscht. Und doch war ein Teil von ihm sehr froh, dass sie glücklich war und eine Familie hatte. Die Kinder sah er mit lachendem und mit weinendem Auge. Es hätten seine sein können…
Hätte…
Wäre…
Würde…
„Scheiß drauf!“
Sabina sah überrascht auf.
„Entschuldige. Ich hatte gerade einen Flash Back. Ich glaube ich weiß mehr, wie Du Dich jetzt fühlst, als Du ahnst.“
„Ich habe es mir gewünscht.
Verstehst Du?
Gewünscht, das er irgendwo verreckt.
Vergessen von der Welt und von allen.“
Sie griff nach seinem Kaffeebecher und nahm einen großen Schluck.
„Jetzt ist er tot und genau so gestorben, wie ich es mir gewünscht habe.
Verstehst Du?
Ich bin schuld an seinem Tod!“
„Nein, das denke ich nicht Sabina.
Wir wünschen uns sehr oft Dinge und meinen sie nicht so.
Deswegen wird nicht gleich ein Fluch draus.
Ich denke, der Ring spielt mit uns.
Ich sagte Dir, er ist böse.“
„Dann ist Oliver vielleicht gar nicht tot?“
„Ich will ehrlich sein. Ich denke schon. Der Ring hat die Wahrheit gesagt. Und die ist wirklich nicht immer schön.
Ich will garantiert nicht alles wissen.
Das würde mir wahrscheinlich Angst machen.“
Marius kramte in seinem Nachtschrank und reichte ihr eine Packung Taschentücher.
„Er ist tot, aber ich glaube nicht, dass Du daran irgendeine Schuld hast.
Er hat Dich verlassen.
Oder?
Nicht Du ihn.
Es war seine Entscheidung und sein Weg, der ihn dahin gebracht hat, wo er sich jetzt befindet.
Dass er Dir damit sehr wehgetan und Dich tief verletzt hast — das versteht jeder. Und dass Du ihm „Was weiß ich nicht Was“ an den Hals gewünscht hast… Du Wut und Hass gespürt hast… Das ist menschlich.
Das war bei mir genauso.
Und das ist manchmal auch heute noch so.
Aber auf meiner Kommode stehen ein paar Fotos. Die zeigen meine „Altlasten“.
Nach dem Unfall hat sie mich verlassen. Du siehst ja, was für ein Monster ich bin. Aber damals sah ich nicht nur noch schlimmer aus.
Ich war genauso ein Monster, das alles und jeden hasste.
Vor allem hasste ich mich selbst.
Ich war unerträglich und habe alles und jeden attackiert.
Auch sie.
Sie ist jetzt verheiratet.
Wirklich glücklich und hat zwei Kinder.
Manchmal denke ich wie es wäre, wenn es meine eigenen Kinder wären und ich an der Stelle dieses anderen Mannes stehen würde…
Ihn mein Schicksal ereilt hätte.
Ich spüre diese Eifersucht, die in mir wie Säure ätzend alles zerfrisst.
Aber dann…
Dann sehe ich die Fotos und alle vier. Ich freue mich dann für sie.“
Sabina stand auf und umarmte ihn.
„Ich habe sogar ein Lied für sie geschrieben. Ich habe lange nachgedacht und es ihr nicht gegeben. Sie wäre vielleicht zu mir zurückgekommen.
Aber wäre sie mit mir glücklich geworden?“
Marius schluchzte.
Lange verharrten sie stumme Tränen vergießend in dieser Umarmung.
Stilles Verständnis zweier wunder Seelen.
Der zweite große Wunsch
Das Wochenende war fast vorbei. Er hatte es gerade erfahren – Dienstagmorgen stand voraussichtlich seine erste Operation an.
Sehr gut.
Marius lag auf seinem Krankenhausbett und las auf seinem Smartphone gerade die gemischten Nachrichten online auf seinem Lieblingsnachrichtensender.
Im Krankenhaus gab es kostenloses WLAN für Patienten. Es war sogar schnell genug für Videos. Eine der älteren Nachrichten ließ ihn nachdenklich werden.
„20 Kilo Kokain in 4 Bananenkisten in einem Penny Markt in Nordhausen gefunden.“
Ahnungslose Kunden hatten zwischen den Bananen kleine Päckchen mit Kokain entdeckt. Offensichtlich hatten Drogenkartelle die Bananen als Tarnung für ihren Drogenhandel genutzt. Wahrscheinlich ist dann irgendwo in den Transportcontainern und bei den Zentrallagern während des Verteilens etwas schief gelaufen.
Die Ware erreichte jedenfalls nicht den Adressaten.
Er dachte nach.
Vermutlich, würden auch Waffen oder Geld auf ähnliche Art transportiert werden.
Ein erster Gedanke blitzte kurz auf.
„Das ist in der Tat eine ziemlich gute Idee.“
Der Ring meldete sich zurück.
„Das trifft garantiert keine Unschuldigen. Und ja, diese Verteilerrouten existieren auch für Geld oder Diamanten.“
„Wenn also Sabina in ihren Bananenkisten eine gute Summe Geld finden würde und ich mir wünschte, dass niemand dieses Geld zu ihr oder uns nachverfolgen kann und niemand uns fragen oder deswegen belästigen würde…“
„Dann wäre das ein in sich geschlossener Wunsch, der auch aus meiner Perspektive so formuliert ist, dass da nichts mit Haken oder doppeltem Boden zu finden wäre.“
„So ganz traue ich Dir nicht. Wenn da ein Haken wäre, würdest Du mich wahrscheinlich nicht gleich mit der Nase draufstoßen.“
„An Anfang bin ich noch etwas großzügiger. Aber Du hast Recht. Nur richte ich ja mit dem Wunsch etwas „Schlechtes“ an.
Nur nicht für Dich.
Und Du kannst Dir sicher sein… diejenigen die leiden werden sind solche, die andere haben leiden lassen. Mehr als genug.“
„Das Geld ist dann aber „schmutziges“ Geld …“
„Nein, es ist „sauber“ — das ist Geld immer. Entscheidend ist, was man mit dem Geld anstellen wird. Das entscheidet darüber …
Ich kann Dir Dein altes Aussehen nicht zurückgeben.
Niemand wird das können.
Zumindest im Moment.
Aber sehr gute Chirurgen und Therapeuten können eine ganze Menge Sinnvolles mit Deinem Körper anstellen und Dir ein gutes Leben ermöglichen.
Du wirst wieder ohne Hilfe und ohne Rollator Spazierengehen können.
Wanderungen …
Fahrradfahren …
Und nicht zu vergessen Sex …
Das kann alles Geld und ich kann es Dir versprechen — wenn Du hier etwas von dem Geld hineinstecken wirst, kommt es genauso, wie ich Dir es eben ausgemalt habe.“
Marius schloss die Augen.
Er betrachtete sich in einem Spiegel.
Sein Gesicht wirkte zerfurcht und vernarbt aber irgendwie interessant. Er hatte wieder volles Haar. Er lächelte.
Schöne weiße Zähne – vollständig und ein sympathisches Lächeln.
Ihm war, als müsste er Weinen vor lauter Glück.
Eine schlanke Frauenhand legte sich auf seine Schulter. Er drehte sich langsam um und nahm Sabina in seinen Arm.
Sie strahlte ihn an. Sie sah sehr gut aus. Und sie war schwanger.
„Na Ihr beiden. Ich bin kurz mit Wolf und Silke draußen im Garten.“
Er kannte Tonja nicht. Er hatte sie noch nie gesehen. Aber das war unverkennbar Sabinas Tochter. Und sie hatte ein kleines etwa dreijähriges Mädchen an ihrer Hand. Ein großer Schäferhund flankierte die zwei aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd.
Ein großes Haus. Er blickte auf eine große überdachte Terrasse. Die Sonne schien und ließ einen großen umzäunten Garten in den schönsten Farben erstrahlen — Blumen, Bäume, Sträucher.
Das kleine Mädchen rannte auf ihn zu.
„Papi! Will fliegen!“
Sabina ließ ihn los. Er griff das kleine Mädchen, hob sie locker hoch und drehte sich schnell im Kreis.
Dann gingen sie alle auf die Terrasse.
Flieder- und Rosenduft!
Wie in einem wunderschönen Traum.
Er öffnete wieder die Augen.
Das Leben hatte ihn wieder.
Der Geruch von Desinfektionsmitteln hatte die Blütendüfte unsanft verdrängt.
„War das ein kurzer Ausblick in die Zukunft?“
„Nur ein Blick in eine mögliche Zukunft.
Du hast es in der Hand und auch Sabina, ebenso wie Tonja. Die Welt steht Euch offen — Euch Dreien. Was Ihr mit Euren Chancen machen werdet, das hängt von Euch allein ab.
Aber ich zeige Dir ehrlich und ohne Hintergedanken, was ganz realistisch möglich und erreichbar ist.“
30 Minuten später nahm Marius sein Mobiltelefon in die Hand und wählte Sabinas Nummer.
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