Der Brief
Thomas sah dem Wagen hinterher. Er war nach Hause gekommen und hatte zusehen müssen, wie sie mehrere Koffer in ihren Wagen wuchtete. Als er neben der Tür zum Auto stand, die sie grade zugeworfen hatte, nachdem sie sich hineingesetzt hatte, sah er ihr wütendes Gesicht.
„Babs, was ist?“
„Das fragst du mich? Du liebst mich nicht.“
„Doch, Babs, ich liebe dich.“
„Ach, und warum zeigst du es dann nicht?
Warum muss ich darum betteln, dass du es zu mir sagst, so wie jetzt?
Warum gehen wir nie fein aus?
Warum lädst du mich nicht in ein Theater, in die Oper oder ein Konzert, zu einem Rock-Konzert oder einem Box-Kampf ein?
Warum bin ich nur deine ‚Freundin‘, nie deine Frau?
Du liebst mich nicht.
Ich verschwinde.“
Thomas saß auf seinem Sofa und ließ sich das, was Babs gesagt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen.
Hatte sie Recht?
War das der Grund, dass die Frauen der letzten Jahre sich schlussendlich von ihm abgewendet hatten?
Liebte er sie nicht? Nicht gut genug?
Er wusste es nicht.
Es war ein paar Tage später, als er nach Hause kam, und auf seinem AB eine Nachricht hatte.
‚Tommy? Hier ist Sly. Ach, die Maschine. Ich rufe dich später noch einmal an.‘
er sah auf den AB, nachdem die Aufnahme zu Ende war. Sly, die gab es noch?
Wann hatte er das letzte Mal von ihr gehört?
Wann hatte er das letzte Mal an sie gedacht?
Sly, die freche, süße, anstrengende, weiche, harte Sly.
An den folgenden tagen war Thomas nie zu Hause, wenn sie anrief. ‚Tommy? Mist‘ hörte er für eine Woche fast jeden Tag, wenn er nach Hause kam.
In dieser Woche war die Arbeit besonders stressig und auch noch unregelmäßig.
Er saß entspannt in seinem Lieblingssessel, die Arbeit war getan, die nächsten Tage hatte er frei, und so konnte er träumen.
Doch dann klingelte das Telefon. Thomas griff nach dem Mobilteil.
„Thomas Safer.“
‚Hallo Tommy, erreiche ich dich endlich.‘
„Hallo Sly.
Wie geht es dir? Ich habe lange nichts mehr von dir gehört.“
‚Mir geht es im Prinzip gut. nach unserer Trennung bin ich ans andere Ende des Landes gezogen, denn du weißt ja sicher noch, dass da mein neuer Job auf mich wartete.‘
Ja, das wusste er, sie hatte dort einen Job bekommen, doch seiner war hier. Er wollte ihr nicht folgen, sie wollte nicht hierbleiben, und so trennten sie sich.
„Ja, der Job. Und, hast du den noch?“
‚Ja, nein, nicht ganz.‘
„Und, was bedeutet das?“
‚Dass ich aufgestiegen bin. Was hast du denn gedacht?‘
Thomas lachte, das hatte er sich fast gedacht. Sly war zielstrebig.
„Was gibt es, Sly?“
Zuerst druckste sie etwas herum, doch dann kam sie mit der Sprache heraus.
‚Tommy, ich habe einen Mann.‘
„Oh, schön für dich, ihr seid verheiratet?“
‚Ja, seit drei Jahren.‘
„Was ist dein Problem, Sly?“
‚Ich glaube, dass er …‘, er hörte, dass sie das nicht gerne sagen wollte, und so blieb er still. ‚… dass er fremdgeht.‘
Thomas blieb erst still. Doch dann stellte er eine Frage „Und was willst du von mir?“
‚Kannst du mir einen Liebesbrief schreiben?‘
„Einen Liebesbrief?“
‚Ja, einen Brief, in dem du vorgibst, mich noch zu lieben.‘
„Du willst einen Liebesbrief von mir? Weshalb?“
‚Ich will ihn liegenlassen, so dass er ihn findet.‘
„Und er kommt her, um mir eine reinzuhauen?“
Sly lachte ‚Das wäre schön.‘
„Für dich, und für mich?“
‚Ach Tommy, bitte.‘ Sie sprach das ‚Bitte‘ mit einer Stimme, der er nicht widerstehen konnte, so fragte er nur „Wohin?“
‚Silvestra Miller, 19875 Lexington Street, Mariston, North Satch, A9X5H9‘
Thomas schrieb mit, doch seine Gedanken drifteten ab. Ihre Frage ‚Hast du alles?‘ musste sie wiederholen. Er sagte „Ja, ich habe es“, und wiederholte ihre Adresse.
‚Danke, Tommy, du bist der Beste.‘ Als wenn er sich dafür etwas kaufen könnte.
Thomas saß an seinem Schreibtisch und hatte ein leeres Blatt vor sich. Er saß den dritten, oder war es schon der vierte Tag mit diesem Blatt und wusste nicht, was er schreiben sollte.
—-
Geliebte Sly,
immer wenn ich deinen Namen höre,
immer, wenn ich an dich denke,
immer wenn ich einen Geruch rieche, den du damals als Parfüm genutzt hast,
denke ich an unsere Zeit.
An unsere Liebe.
Sly,
Ich denke seit deinem Anruf in jeder freien Minute nur noch an dich.
Warum hatten wir uns getrennt?
Weil ich zu dumm war?
Weil du zu eigensinnig warst?
Warum nur habe ich dich nicht in meine Arme genommen und die Frage gestellt, die wohl jede Frau von dem Mann hören will, der sie liebt?
Warum nur?
Ach Sly, in den letzten Tagen habe ich mitbekommen, wie sehr du mir fehlst.
Wenn ich an die Frauen zurückdenke, die seit dir mein Bett geteilt haben, muss ich feststellen, dass das Aussehen der Frau mich an dich erinnert hat.
Und dass der Grund war, dass diese Frauen mich immer wieder verlassen haben, nur einer war:
Ich habe dich nicht vergessen.
Und eine Frau spürt das wohl, wenn der Mann, der vorgibt, sie zu lieben, eine andere liebt.
Sly, ich liebe dich.
Und ich befürchte, dass ich dich immer lieben werde.
Tommy
—-
Er las den Brief immer wieder, doch er wollte nichts mehr ändern.
Thomas steckte den Brief in einen Umschlag, beschriftete ihn mit der Adresse, und traute sich nicht, diesen Brief einzuwerfen.
Er hatte Angst.
Angst, dass sie ihn auslachen würde.
So sah er jeden Tag auf den verschlossenen Umschlag.
Der Brief stand verschlossen auf dem kleinen Tisch in seinem Flur.
Thomas sah ihn jeden Tag und wollte ihn jeden Tag einwerfen, doch er fürchtet sich, dass sie ihn nicht mehr liebte, dass sie diesen Brief nicht würdigen würde.
Der Brief stand verschlossen auf dem kleinen Tisch in seinem Flur.
=====================
Inspiriert durch
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Letter_(Conway_Twitty_and_Loretta_Lynn_song)