„Bean Sidhe — die ganze Geschichte“
Kapitel 1: Der kleine See
Die Sonne verschwand blutrot zwischen den sanften grünen Hügeln. Müde von der langen Wanderung, war ich offensichtlich unter der alten Weide, bei der ich es mir gemütlich gemacht hatte, eingeschlafen.
Mein Blick fiel auf den kleinen See. Ein sehr friedliches Bild. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit Langem wieder völlig entspannt und voll inneren Friedens.
Die Hitze des Sommertags war verschwunden und das Farbenspiel der untergehenden Sonne bezog auch diese kleine, halbverwitterte Ruine eines uralten Bauernhauses mit ein.
Es war mein erster Urlaub in Irland. Eigentlich war es auch mein erster Urlaub ohne Eltern überhaupt. Als frisch gebackener Abiturient stand ich ja auch erst am Anfang meines Lebens.
Irland… Diese Insel hatte irgendwie mein Herz berührt.
Von meiner Großmutter wusste ich aus ihren vielen Erzählungen, dass sie kurz vor Kriegsende einen Iren kennen und lieben gelernt hatte. Etwas, dass in ihrem kleinen Dorf alles andere als wohlgelitten war. Schließlich war zu diesem Zeitpunkt noch Krieg und Darragh war ein „Besatzer“.
Aber meine Großmutter konnte fließend Englisch sowie Französisch, war nicht auf den Kopf gefallen, zuverlässig und deswegen als Dolmetscherin sehr erfolgreich.
Oma erzählte mir oft mit Wehmut von diesen längst vergangen Tagen. Es war für sie eine glückliche und befreiende Zeit. Eine Zeit des Aufbruchs. Eine Zeit mit Darragh.
Ich wuchs überwiegend bei meiner Oma auf. Meine Eltern arbeiteten beide für Nestle im Bereich des mittleren Managements und waren ziemlich oft in der Welt unterwegs. Der Nachteil eines Weltkonzerns.
Der Vorteil — ich kam mit meinen Eltern in der Welt gut rum… konnte Englisch und das kam mir jetzt hier in Irland gut zupass.
Darragh, mein Großvater, stammte genau aus dieser Region, wo ich gerade war. Oma wusste kaum etwas über ihn und seine Vergangenheit. Er schickte damals immer mal wieder Briefe in seine Heimat, die aber jedes Mal ungeöffnet wieder zurückkamen.
Da war ein Konflikt mit seiner Familie und seinem Vater, die nicht wollten, dass er an dem großen Krieg mit teilnahm. Darragh hatte sich durchgesetzt.
Nur hatte das Schicksal meinen Großeltern nur sechs kurze, gemeinsame und glückliche Jahre vergönnt, bevor Darragh bei einem Unfall starb.
Auch deswegen wandelte ich jetzt auf seinen Spuren. Ich wollte mehr über ihn, seine und damit meine Wurzeln erfahren und vielleicht sogar einige entferntere Verwandte treffen.
Oma Trude zog ihre drei Kinder mehr oder weniger alleine groß. Mein Vater Liam war der Älteste. Von ihm hatte auch ich meinen feuerroten Schopf, meine helle Haut mit den Sommersprossen und die grünen Augen geerbt.
Von meinem Opa stammte der Familienname — O´Bryan.
Und ganz sicher waren es eben genau diese Wurzeln, die jetzt in mir all diese unbestimmten Gefühle weckten.
Ich ergriff ein kleines Grasbüschel und zog daran. Eine fette, leicht feuchte Erde und da war ein Geruch, den ich einfach nicht beschreiben konnte. Etwas, das mir direkt ins Herz fuhr.
So saß ich mehr oder weniger gedankenverloren unterhalb der Weide an dem kleinen See, während langsam die Nacht heraufzog.
Ich stand auf. Bis zum Dorf, wo ich für ein paar Tage untergekommen war, brauchte es noch einen Fußmarsch von gut drei Stunden.
Zum Glück hatte ich mir den Weg eingeprägt.
Nebel zog auf und waberte über den Boden. Es wurde überraschend schnell dunkler. Eine leichte Brise brachte eine deutliche Kühle mit sich.
Mir war jetzt beinahe kalt. Verblüffend, hatte mir doch kurz zuvor die wärmende Mittagssonne noch etliche Schweißtropfen auf die Stirn gezaubert…
Mit dem Einsetzen der Dämmerung, wich gleichermaßen auch das letzte Gefühl von Wärme.
Die Welt um mich herum, tauchte nach und nach in ein beinahe unwirklich wirkendes Zwielicht.
Ein paar Raben suchten krächzend einige der wenigen Bäume als ihren Schlafplatz auf.
Schlafen…
Essen und Schlafen!
Ich war irgendwie müde von den letzten Tagen und Wochen. Der „Abistress“ hallte noch etwas nach und mein Irlandtrip sollte auch etwas dem „Abschalten“ und der Selbstfindung dienen. Ich wollte mir endlich klar darüber werden, was ich wirklich wollte…
Medizin? Oder sollte ich Chemie studieren, wie es auch meine Eltern wollten… Mich interessierte eher die Gastronomie. Mein Herz lag am Kochen.
Wollen — was wollte ich???
Zumindest für heute Abend konnte ich das einfach beantworten:
Essen und Schlafen!
Dann noch eine heiße Dusche…
Ein warmes weiches Bett.
Vorher noch ein, zwei Gläser von diesem roten Ale.
Dazu etwas von diesem genialen Irisch Stew.
Noch einen Moment von dieser tollen Pub — Atmosphäre in mir aufnehmen…
Das klang nach einem Plan.
Meinen Gedanken hinterherhinkend, ging ich raschen Schrittes durch diese verwunschene Landschaft.
Nach gut zwei Stunden, konnte ich den Pfad zum Dorf kaum noch sehen. Der Mond schimmerte durch eine dünne Wolkendecke und der Bodennebel wurde dichter…
Plötzlich war er beinahe hüfthoch. Ich konnte den Pfad nur noch erraten.
Bei einer kleinen Steingruppe, die um ein altes Holzkreuz gruppiert war, legte ich einen Halt ein. Ein umgestürzter alter Baum lud mich einen Moment zum Verweilen ein. Ich musste einfach auch mal kurz durchschnaufen. Das forcierte Gehen forderte seinen Tribut.
Ich atmete tief durch, inhalierte die kalte, feuchte Luft und setzte mich.
Regelrecht genießerisch, ließ ich meinen Blick über das atemberaubende Naturschauspiel der tanzenden und im Mondlicht leuchtenden Nebelschwaden wandern.
Ein Kauz rief mehrfach.
John Carpenter, der ungekrönte König der Horrorfilme, hätte diese Situation nicht besser entwerfen können.
Eine auf morbide Art und Weise fast schon unheimliche Stimmung…
Neben mir verdichten sich einige der Schwaden und formten beinahe so etwas, wie eine Gestalt.
Ich schüttelte den Kopf. Nebel der sich entgegen der Windrichtung bewegt… Physikalisch eigentlich unmöglich — aber was versteht ein Nebelschweif schon von Physik?
Die Gestalt hatte die Kontur einer wunderschönen jungen Frau mit langem, wallendem und schlohweißem Haar. Und diese „Frau“ sah mich an.
Ihre Augen waren rot wie Feuer.
„Ich kenne deine Familie, Conor. Ich kenne sie schon sehr lange. Deinen Großvater Darragh, dessen Großvater und all die anderen Altvorderen.“
Die Stimme war hell, melodisch und voller Wärme und Zuneigung.
Ein Alptraum!
War ich etwa eingeschlafen?
„Ich bin glücklich, Samuel. Glücklich, dass du nun endlich hier bist.“
Ja, ich träumte einen Alptraum!
„Samuel, du wirst diese Insel nur noch einmal und dann nie wieder verlassen. Es ist deine Insel und die deiner Familie. Du bist jetzt zu Hause und ich, Cliodhna, werde über dich und dein Mädchen wachen.“
Was für ein Mädchen?
Der Nebelschweif dehnte sich kurz aus und es war, als würde sich eine Hand über meine legen. Ein Schauer durchrieselte meinen Körper. Es war wie eine körperliche Berührung…
Dann löste sich die Nebelgestalt mit einem Mal auf.
In meiner offenen Hand spürte ich ein leichtes Gewicht und im Mondlicht glänzten zwei kleine goldene Münzen…
Das war definitiv zu viel für mich.
Kapitel 2: Eine wichtige Begegnung
Ich blinzelte ins… Sonnenlicht?!?
Da waren ein Geräusch und eine Bewegung!
Es befand sich jemand in meinem… Zimmer!
Ich schreckte aus dem Tiefschlaf kommend schweißgebadet hoch.
„Bitte entschuldigen. Nicht erschrecken – Roomservice“
Das Deutsch war eher schwer verständlich und langsam gesprochen
Ich war verwirrt.
Mein Hotelzimmer — Wie um alles in der Welt, kam ich hierher???
Oder war ich gar nicht weg?
Ich hatte alles nur geträumt. Erleichterung breitete sich in mir aus.
Ich blickte in zwei wunderschöne grüne Augen, die von einer langen roten Mähne umkränzt waren.
„Good morning. You look at me, as I am a real ghost… Believe in me, I am not a ghost.“
Nein, das Mädchen war tatsächlich kein Geist und sie hatte ein Tablett mit dampfendem Kaffee und einem opulenten Frühstück auf dem kleinen Tisch im Hotelzimmer abgestellt.
„Wir haben uns Sorgen um sie gemacht, Herr O´Bryan. Sie sind gestern am späten Abend regelrecht auf ihr Zimmer gerannt, haben nichts zu Abend gegessen und waren auch heute Morgen nicht zum Frühstück in der Gaststube.“
In meinem Kopf rasten die Gedanken — etwa doch kein Traum?
„Bitte entschuldigen sie, ich bin noch etwas verwirrt. Ich hatte einen schweren Traum.“
Ich öffnete meine bis dahin halb geschlossene rechte Hand, um die Bettdecke zurückzuschlagen. Zwei kleine alte Goldmünzen lagen darin.
Ich hatte plötzlich eine Gänsehaut.
Abrupt stand ich auf. Das widerwillige Knarzen von dem alten Bett und dem Lattenrost bekam ich kaum mit.
Obwohl mir der Schrecken ins Gesicht geschrieben gewesen sein musste, fing das Mädchen mit einem Male an zu lachen… Ganz herzlich zu lachen…
Irgendwie holte mich das wieder in die Wirklichkeit zurück.
Ich stand vor ihr, nackt wie Gott mich erschuf. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und ich knallrot wurde. Schnell setzte ich mich wieder aufs Bett und bedeckte meine Blöße.
Sie hatte sich nicht etwa abgewandt. Nein, sie schaute mich belustigt und zugleich interessiert an.
„Bitte entschuldigen sie mein Verhalten. Ich bin wirklich noch vollkommen verwirrt. Ich weiß nicht mehr genau, was gestern Abend und in der Nacht passiert ist.
Ich bin im Nebel hierher gelaufen — daran kann ich mich noch erinnern. Dann hat mir wohl meine Einbildung einen Streich gespielt. Oder ich habe davon geträumt — keine Ahnung… Da war eine wunderschöne weiße Frau aus Nebel… Mit roten, leuchtenden Augen, Cliodhna, … und sie erzählte mir von meinem Großvater… und sie sprach über mich.
Dann gab sie mir zwei Münzen und verschwand im Nebel. Sie löste sich einfach auf.
Als sie mich eben geweckt hatten, dachte ich noch, ich hätte das einfach alles nur erträumt. Aber als ich eben meine Hand öffnete… die beiden Münzen!“
Meine Stimme überschlug sich förmlich und ich wusste nicht, warum ich ihr das eben erzählte…
Sie hörte mir gebannt zu.
Ich stand wohl auch noch zu deutlich unter dem Eindruck der Ereignisse.
Gleichermaßen wie unter einem Zwang öffnete ich abermals meine Hand mit den beiden Münzen und untersuchte sie.
Es schien sich um alte römische Münzen zu handeln. Ich hatte Latein in der Schule und der Kopf, das Profil… das war Julius Cäsar.
Fasziniert näherte sich mir die Tochter des Wirtsehepaars und betrachtete die Münzen ebenfalls. Sie lachte nicht mehr.
Ich hielt ihr die Münzen hin.
Als sie eine der Münzen aus meiner Hand nahm, berührten wir uns für einen kurzen Moment. Mich durchrieselte wieder so ein Schauer. Irgendwie war mir mit einem Mal, als würde ich das mir gegenüberstehende Mädchen schon ewig kennen.
Ich wusste wie ihr Haar riecht und diese kleine Narbe an ihrem Oberschenkel, die vom Spielen mit dem Rasiermesser ihres Vaters herrührte…
Aber woher?
Sie trug eine Jeans.
Auch sie verharrte einen kurzen Moment. Dann wendete sie sich mit einem nicht minder verwirrten Gesichtsausdruck ab und blieb in der Tür kurz kopfschüttelnd stehen.
„Das ist Feen- Gold. Du solltest jetzt erst einmal etwas essen und dann duschen. Ich werde kurz mit meinem Großvater sprechen. Wir werden dann unten im Schankraum auf dich warten, Conor.“
„Gut.“
Schon war sie verschwunden. Das eine Goldstück hatte sie mitgenommen. Ich legte das andere auf den Nachttisch.
Conor — sie war automatisch zum „Du“ übergegangen. Doch woher zum Teufel kannte sie meinen zweiten Vornamen. Den hatte ich doch hier nie verwendet — auch nicht bei dem Anmeldeformular im Hotel. Der tauchte einfach nirgendwo auf.
Mit einem Mal hatte ich wieder das Gefühl, dass es kälter wurde im Raum. Mir war beinahe, als könne ich erneut dieses leise Wispern hören:
„Du bist jetzt zu Hause und ich, Cliodhna, werde über dich und dein Mädchen wachen.“
Kapitel 3: Überraschende Neuigkeiten
Keine halbe Stunde später hatte ich gefrühstückt, geduscht und mich angezogen. Das hier war alles völlig verrückt. Es musste eine normale Erklärung für diesen ganzen Mist geben.
Ich hatte mich da in einen Wahn hineingesteigert. Und das so ganz ohne Alkohol, Drogen oder „Magic Mushrooms“.
Das Telefonat mit meiner Großmutter war zum Glück gut gelaufen. Sie fühlte sich wohl, das Haus war in Ordnung, mein Vater war in Paraguay, um mit irgendwelchen Bauern den Anbau neuer „alter“ Kakaosorten zu erörtern… Und meine Mutter tobte mal wieder bei der UNO in New York rum, wegen Wasserrechten und der Einhaltung passender Verträge.
Ich hatte Oma nichts über den gestrigen Abend und den heutigen Morgen erzählt… dagegen genauestens, wie es in der Gegend aussah, wo Darragh herstammte. Ansonsten hatte ich noch nicht wirklich viel herausgefunden.
Mein Nachname „O´Bryan“ war in Irland zwar recht gebräuchlich, aber hier in der Gegend schien es niemanden mehr mit diesem Namen zu geben.
Vielleicht war die Familie während des Krieges oder nach dem Krieg weggezogen?
Ich würde es noch herausbekommen. Wozu gab es auf den Bürgermeisterämtern Melderegister und in den Kirchen Taufregister.
Direkt nach dem Telefonat ging ich nach unten in den Schankraum — unschlüssig, aber zugleich auch neugierig, was mich erwarten würde.
—
Die „Kleine“ saß mit ihrem Großvater Ryan an einem der hinteren Tische. Ich kannte den Mann von dem Abend meiner Ankunft. Da stand der hinter dem Tresen und schenkte aus. Ein knorriger Typ, wie man sich einen alten Iren eben klischeehaft so vorstellte.
Wir waren hier alleine.
Ich nickte beiden begrüßend zu und der Alte forderte mich mit freundlichem Winken auf, mich zu ihnen zu setzen.
Eine Kanne mit kräftig dampfendem, dem Geruch nach selbst gekochtem Kakao, stand auf dem Tisch. Die beiden hatten sich wohl schon bedient und der alte Mann trank bedächtig. Bei meinem Platz stand auch schon eine Tasse bereit.
Ebenso drei kleine Teller mit offensichtlich selbst gebackenen Plätzchen.
„Ich hoffe, sie haben nichts dagegen, Herr O´Bryan. Ich habe meinem Großvater von ihren Erlebnissen erzählt und ihm auch die Münze gezeigt.
Möchten sie auch eine Tasse Kakao oder darf ich ihnen etwas Anderes alternativ anbieten — ein Guinness vielleicht?“
„Gerne auch einen Kakao.“
Sie schenkte mir ein und ich machte es mir neben ihr auf der Eckbank bequem. Diesen Platz hatte sie mir mit der Positionierung der Tasse und dem kleinen Gebäckteller quasi zugewiesen.
„Eben hattest du mich noch geduzt und mich auch mit meinem zweiten Vornamen „Conor“ angesprochen. Woher wusstest du den Namen eigentlich? Den hatte ich nämlich nirgendwo angegeben…“
Sie errötete leicht und blickte unsicher erst zu mir, dann zu ihrem Großvater, der aufmunternd seine Hand auf ihre legte, um ihr Mut zu machen.
„Schon als ich zur Tür hereingekommen bin, hatte ich irgendwie das Gefühl, dich zu kennen. Als du dann aufgesprungen bist, habe ich die Brandnarbe auf deiner Brust gesehen und dann schoss es mir einfach so durch den Kopf… ´Typisch Conor´- ich weiß nicht woher, ich das jetzt wusste, aber du hast als kleines Kind in der Küche versucht, einen Topf vom Herd zu ziehen, um an die Marmelade zu kommen und dabei hast du dich verbrannt!?“
Ich war wirklich geschockt!
„Beinahe. Es war beim Marmeladekochen, aber vor etwa sechs Jahren im Chemieunterricht. Wir hatten gerade die Marmelade in Einmachgläser gefüllt und ich stapelte die Gläser in das Regal, als eines der Gläser kaputt ging und die fast noch kochend heiße Marmelade sich über meine Brust ergoss. Das war ganz schön schmerzhaft.“
Ich trank auf den Schreck erst mal einen tiefen Schluck.
„Apropos kochend heiß — der Kakao ist heiß, aber sehr, sehr lecker.“
„Danke, den hab ich gekocht. Er ist mit etwas Ingwer, Zimt und einem Hauch Fenchel verfeinert.“
Sie mochte schon immer Kräuter und Gewürze… Wieder so ein kurzer Gedankenblitz. Ich schloss ganz kurz meine Augen. Das Bild aber blieb.
Also kämpfte nicht nur ich mit den Déjà-vus. Und wie um all diese Gedanken damit vertreiben zu können, schüttelte auch sie gerade heftig den Kopf.
„Jetzt bin ich dran.“
Wie um mir selbst Mut zu machen, holte ich tief Luft, straffte mich schaute erst sie an, dann ihren Großvater, der schon die ganze Zeit amüsiert wissend lächelte und so wirkte, als ob er unentwegt Probleme damit hatte, sein Lachen zu unterdrücken.
„Und frag mich bitte auch nicht, woher ich das alles weiß…
Du wirst hier zwar Maria gerufen, aber du hast zwei andere Namen — Máire Rhua. Ich hab dich an den Abenden und heute am Morgen nur in Jeans gesehen, aber hast am rechten Oberschenkel eine Narbe vom Rasiermesser deines Vaters?
Hast du auf der rechten Schulter ein größeres Muttermal?
Und auch…“
Ich sprach gerade so, wie es mir in diesem Moment in den Sinn kam, aber das hier wollte partout nicht über meine Lippen kommen. Ich wurde knallrot.
„… An meiner rechten Schamlippe? Das wolltest du doch gerade sagen? Das ist wie eine Eingebung. Es ist plötzlich einfach da, das Wissen? Bei mir ist es jedenfalls so. Mir ist irgendwie, als ob ich dich schon ewig kennen würde. Die Narbe stammt aber von einem scharfen Messer, das mir vor Jahren beim Zwiebelschneiden runtergefallen ist.“
Sie legte ihre Hand auf das Goldstück und schob es mir rüber.
„Nimm es wieder an dich. Ich will das Feen- Gold nicht.“
Mir wurde das Ganze zunehmend unheimlich.
Was passierte hier?!
Ich war kurz davor, auf mein Zimmer zu rennen, meine Koffer zu packen und ein Taxi zum nächsten Bahnhof zu nehmen, als der Alte in seine Hosentasche griff, umständlich herumkramte und ein verkrumpeltes Stofftaschentuch zum Vorschein brachte.
Leise, in ruhigem Tonfall und langsam, darauf bedacht, dass ich ihm gut folgen konnte, fing er an zu erzählen…
„Wir leben hier in einer kleinen Welt, die neben der modernen und aufgeklärten Welt existiert. Das hier ist eine Welt voller Wunder und Märchen, voller Mythen… eine Welt, wo die Grenzen zwischen der Realität und der Phantasie fließend sind.
Hier in diesen Landen passieren immer wieder Dinge, die man nicht hinterfragen sollte. Man muss sie einfach annehmen und akzeptieren. Manchmal sind diese Dinge böse und schlecht. Manchmal eher neutral… da ist eben halt mal etwas passiert. Manchmal dagegen sind diese Dinge verdammt gut und richtig.“
Mit diesen Worten faltete er sein Taschentuch auseinander und zum Vorschein kam eine weitere, eine dritte Goldmünze.
„Cliodhna?“
Der Name war mir direkt herausgerutscht.
„Nein, Samuel, unsere Banshee heißt anders: Bwca. Ich bekam diese Münze von Máires Großmutter und in diesem Moment wusste ich, sie wird meine Frau werden und ich würde hier dieses alte Gasthaus übernehmen.
Máire, deine Großmutter nahm ihre Münze mit ins Grab und wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich neben ihr liegen und beide Münzen werden wieder vereint sein.
Auch wenn ihr es jetzt vielleicht noch nicht ganz wahr haben wollt… Ich denke, ihr seid füreinander bestimmt und wenn du heiratest, Samuel Conor O´Bryan, werde ich mit Freuden meine Maria zum Altar führen. Ich glaube fest daran, dass das, was hier gerade alles passiert, vorherbestimmt ist.“
Der alte Mann beugte sich vor und ergriff meine auf dem Tisch liegende Hand. Seine rauen, knorrigen Finger kneteten sie etwas durch und ich spürte, wie sich mit einem Mal seine Ruhe auf mich zu übertragen begann. Dann ergriff er mit der anderen, die Hand seiner Enkelin und führte unsere beiden Hände zusammen.
Ich spürte einen warmen wohligen Schauer, als wir beide uns zum ersten Male, etwas länger berührten. Und ich spürte ihre anfängliche Angst und Anspannung, die plötzlich nachließ und weg war.
„Bleibt einen Moment sitzen. Ich muss mal kurz telefonieren und komme gleich wieder. Dann werden wir einen kleinen Ausflug mit dem Traktor unternehmen. Querfeldein geht es schneller nach Leamanegh Castle, als über normale Straßen“
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