Kathrin, Alex. Beide in festen Händen. Doch wie es knistert!
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Kathrin und Alex lernen sich bei einem Seminar kennen, und rasch entsteht eine magnetische Anziehungskraft. Doch beide sind in Beziehungen und wollen treu bleiben, ein regelrechter Seitensprung kommt also nicht in Frage. Andererseits können sie die Finger nicht voneinander lassen. Sie sprechen eine Grenze ab, bis zu der sie maximal gehen werden. Das macht alles hübsch sicher und ungefährlich. Oder?!
Eine etwas längere Geschichte, speziell für Freunde einer allmählichen Steigerung mit viel Raum für Details und Gefühle.
Dingo666
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„…kommen wir nun zum zweiten „P“ des Marketing-Mixes. Das „Product“, also die Produktpolitik.“
Kathrin atmete hörbar aus und stützte sich auf die Ellenbogen. Den Kopf hängend, den Rücken gerundet wie ein schlaffes Kabel, so bildete sie eine Skulptur aus Ergebung und Resignation. Die Frau neben ihr, sie hieß Dinah oder Diana, kicherte bei diesem Anblick.
Der Referent drehte sich um und fixierte Kathrin. „Sie möchten etwas beitragen?“, fragte er in einem neutralen Ton, die Augen verengt.
„Eh — ich habe mich nur gefreut, dass mein Buch stimmt. Es sagt dasselbe wie Sie, Herr Dr. Bohnert.“ Kathrin richtete sich auf, strahlte ihn an und hielt ihr Marketing-Lehrbuch hoch. Das hatte sie sich vor mehr als zehn Jahren gekauft, im ersten Semester. Anscheinend hatte der Mann mit dem Backenbart und dem scheußlich grün gemusterten Jackett nicht viel mehr zu bieten.
Dr. Bohnert starrte sie einen Augenblick lang an und wandte sich kommentarlos wieder der Produktpolitik zu. Kathrin wechselte einen schnellen Blick mit Diana, oder wie sie hieß, und verdrehte die Augen nach oben. Die kicherte erneut, und auch ein paar der anderen Teilnehmer grinsten.
Genau so etwas hatte sie befürchtet. Dieses Marketing-Seminar, zu dem ihr neuer Arbeitgeber sie verdonnert hatte, stellte sich als komplette Zeitverschwendung heraus. Es wärmte nur ein paar Standards auf, die sie schon vor langer Zeit verinnerlicht hatte. Für einen Moment strömte Lust auf offene Rebellion durch Kathrins Adern. Dieser Dr. Bohnert hing hier den Experten raus. Sie war sich sicher, dass sie ihn mit ein paar gezielten Fragen ganz schön zum Stottern bringen konnte.
Sie unterdrückte den Impuls. Es war schwierig genug gewesen, nach vier Jahren gesundheitsbedingter Unterbrechung wieder eine Stelle zu ergattern. Die wollte sie nicht aufs Spiel setzen. Wenn ihr neuer Chef dachte, sie müsse ihre Marketing-Kenntnisse auffrischen, bevor er sie auf seine Kunden losließ, dann würde sie eben die drei Tage in diesem Seminarhaus absitzen. Nicken, lächeln, und ganz die dankbare, strebsame, unschuldige Assistentin geben. Mit dieser Masche war sie früher schon gut gefahren, in ihren ersten zwei Jobs. Vor der Krankheit.
Dr. Bohnert bekritzelte das Flipchart, ohne seinen Monolog zu stoppen. Der Mann schräg vor ihr drehte sich um und zwinkerte ihr kurz zu. Sie musste ihn einfach verschwörerisch angrinsen, es ging nicht anders. Seine Augen glommen in einem ungewöhnlichen Eisgrau. Das Bild eines Huskys ging ihr durch den Kopf. Nein, das passte nicht ganz. Er strahlte ganz und gar nicht die Unterwürfigkeit eines Hundes aus.
Er zwinkerte nochmals und wandte sich wieder nach vorne. Seine lange Gestalt hing in einer betont entspannten Haltung auf dem Stuhl. Vermutlich verbarg sich dahinter eine Geisteshaltung, die ihrer eigenen ähnelte. Sie musterte sein rückseitiges Halbprofil, dankbar für die Ablenkung.
Groß und breitschultrig unter dem neutralen Hemd. Sehnige Arme, braun gebrannte Haut. Die kurz geschnittenen Haare in einem undefinierbaren Ton zwischen blond und dunkel wirkten ein wenig struppig. Aus der Linie seines Nackens las sie verhaltene Energie. Er lauerte. Bestimmt kein Hund. Wenn schon, dann eher ein Wolf.
Diana war ihrem Blick gefolgt und zog eine Augenbraue hoch. Schnell sah sie wieder zum Flipchart. Der Typ mochte interessant aussehen, aber sie war nicht wegen eines Abenteuers hier. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie einen Ehering am Finger trug.
Der Minutenzeiger an der Wanduhr bewegte sich mit sadistischer Gemächlichkeit vorwärts. Sie unterdrückte erneut ein Seufzen. Noch eine halbe Stunde bis zur ersten Kaffeepause.
„Pass auf dich auf. Und überanstreng dich nicht, hörst du? Lass es langsam angehen, nach allem.“
Das hatte Detlef zu ihr gesagt, als sie nach dem Frühstück ins Auto gestiegen war. Sie hatte gelächelt und sich von ihm umarmen und küssen lassen. Dabei fühlte sie sich wie eine Katze, die man gegen ihren Willen herzt. Sie wollte weg, wollte raus, wollte es ganz und gar nicht langsam angehen. Fast vier Jahren zu Hause gehockt! Jetzt lechzte sie nach Aktivität. Nach Freiheit.
Dieses neue Medikament hatte die Muskelkrankheit bezwungen, durch die sie ewig ans Bett gefesselt war. Die Ärzte wagten anfangs kaum zu glauben, dass sie so gut auf den Wirkstoff ansprach. Sie hatte trainiert, lange und eisern. Erst in der Reha, dann im Sportstudio. Jetzt war sie gesund, hundertprozentig fit und brannte auf Action! Zurück ins Leben, endlich!
Doch ihr Mann behandelte sie wie ein rohes Ei, immer noch. Genau wie bisher. Wie in der Zeit, die ihr fast schon wie ein böser Traum vorkam. Seine Aufmerksamkeit und seine Sorge verstand sie. Er liebte sie eben und hatte sich für sie aufgeopfert, jahrelang. Dennoch spürte sie seit Wochen eine wachsende Ungeduld. Sie wollte endlich runter vom Parkplatz, und wieder auf die Autobahn! Am besten gleich auf die Überholspur. Sie hatte genug Zeit verloren.
Sie studierte das Flipchart und las ausschließlich bekannte Stichworte. Reine Zeitverschwendung! Nichts von wegen Überholspur. Das hier ähnelte dem Kriechen hinter einem LKW, an dem man nicht vorbeikam.
Aus den Augenwinkeln sah sie wieder zu dem Mann hin. Er schrieb etwas auf seinen Block, sehr konzentriert. Was immer es war, mit hundertprozentiger Sicherheit hatte es nichts mit den Inhalten zu tun, die Dr. Bohnert vor der Gruppe ausbreitete.
Zu dem weißen Hemd trug er eine Jeans und schwarze Halbschuhe. Standard.
Eine Vision blitze in ihrem Kopf auf. In seinem Kleiderschrank lagerten große Stapel mit gleichartig weißen Hemden, identischen Jeans und neutralen Schuhen. Kein Anzeichen von individueller Ausdrucksform, von einer Neigung zu einem gewissen Geschmack, aus dem man eine Botschaft hätte lesen können. Nur Kleidung, schlicht und praktisch, preislich ebenso unbestimmbar wie stilistisch.
Aus irgendeinem Grund weckte das Kathrins Aufmerksamkeit. Sie studierte die Gestalt vor ihr mit ungleich mehr Interesse, als sie dem Lehrstoff entgegenbringen konnte. Der Mann saß aufrecht auf seinem Stuhl und schrieb, mit gleichmäßigen, sorgfältig abgezirkelten Bewegungen. Seine Schrift musste gut aussehen, nicht wie das Gekritzel auf ihrem eigenen Papier. Wie Druckschrift.
Eine kleine Vertiefung an seinem Ohrläppchen fiel ihr auf. Ah! Er hatte also mal einen Ohrring getragen, tat dies jetzt aber nicht mehr. Warum wohl?
Die Entdeckung dieses winzigen Geheimnisses befriedigte und fesselte sie gleichermaßen. Die restlichen fünfundzwanzig Minuten bis zur Kaffeepause malte sie sich Gründe für den Verlust des Ohrrings aus, einer dramatischer und romantischer als der andere.
Die Zeit verging trotzdem kaum.
***
„Kaffee?“
Alex lächelte und hielt der dunkelhaarigen Frau eine der beiden Tassen hin, die er an der Schlange vor den Thermoskannen vorbei balanciert hatte.
„Oh — vielen Dank, sehr nett! Ja, das ist dringend nötig.“
Sie erwiderte das Lächeln, was ein Strahlen in ihre Kirschaugen zauberte, und nahm sich einen der Humpen. Dann stutzte sie, als sie die Farbe des Getränks und die leeren Zuckertütchen auf der Untertasse sah.
„Zwei Zucker, mit viel Milch. So okay?“, meinte er unschuldig.
„Woher wissen sie…“ Sie starrte ihn an.
„Reine Vermutung. Sie sehen aus, als ob Sie Ihren Kaffee am liebsten so hätten.“
Sie nickte, ohne den wachsamen Blick von ihm zu lösen, und nahm einen Schluck. Er trank selbst, zufrieden mit dem Effekt. Die Frau war so ziemlich das Erste gewesen, was ihm auffiel, als er kurz vor Beginn des Seminares in den Vorraum kam. Keine Ahnung, warum eigentlich. Er hatte sie nicht aus den Augen gelassen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Sie hatte zwei Zucker genommen und ordentlich Milch eingeschenkt. Das war vor zwei Stunden.
„Alex Weller.“ Er streckte ihr eine Hand entgegen.
„Kathrin Schützenthaler.“
Ihr Griff fühlte sich fest an. Sie warf die Haare zurück und blies über den heißen Kaffee. Die Geste drückte dieselbe natürliche Eleganz aus wie alle ihre Bewegungen.
Er setzte eine neutrale Miene auf und nahm einen weiteren Schluck. Sie mochte Ende zwanzig sein, und damit ein paar Jahre jünger als er selbst. Mittelgroß und schlank und auf eine unaufdringliche Art hübsch. Wenig Schminke, dunkler Teint und Augen, die bestimmt sprühen konnten vor Begeisterung. Oder vor Zorn. Unter der Oberfläche verbarg sich ein Kern aus Leidenschaft und Energie, das spürte er genau.
„Sie machen nicht den Eindruck, als ob die Weisheiten von Dr. Bohnert Sie besonders interessieren würden“, begann er den Smalltalk.
„Stimmt.“ Sie seufzte. „Aber wenn einem jemand ein Seminar bezahlt, dann sagt man ´Danke schön´ und macht es.“
Er lachte leise und nickte.
„Warum sind sie hier?“, wollte sie wissen und sah ihm direkt in die Augen. „Sie haben sich auch mit anderen Dingen beschäftigt, nicht?“
„Oh, sieht man das?“ Er legte die Stirn in übertriebene Runzeln. „Verdammt, dann muss ich das wieder üben. In der Schule war ich ziemlich gut darin. Die Lehrer dachten immer, man passt auf, wenn man schreibt.“
Sie lächelte nicht, nickte aber interessiert.
„Ich bin Ingenieur“, erläuterte er und spürte die bekannte Unsicherheit. Wie weit sollte er seinen Lebenslauf hier ausbreiten, vor einer Unbekannten? Er entschied sich für die Kurzform. „In letzter Zeit habe ich aber immer weniger Spaß am Konstruieren und Entwerfen. Ich will mich neu orientieren. Dazu besuche ich gerade ein paar Seminare, um Ideen zu kriegen. Ganz unterschiedliche. Heute Marketing, übernächste Woche eines über die Arbeit der Entwicklungshilfe. Kürzlich war ich sogar bei einer Info-Veranstaltung für angehende Heilpraktiker. Aber das ist sicher nichts für mich.“
„Verstehe“, sagte sie. „Und was halten sie von den Geheimnissen des Marketings?“
„Weiß ich noch nicht.“ Er deutete ein Grinsen an. „Das hängt wohl auch vom Dozenten ab, nicht wahr?“
Sie lachten. Gemeinsam. Das hörte und fühlte sich gut an.
„Und? Was haben Sie vorher geschrieben?“, fragte sie weiter. Alex zögerte, erwog eine Ausrede, eine Flachserei. Doch an dem Mädchen war irgendetwas, das ihn zur Wahrheit bewog.
„Den Entwurf einer Rede, die ich demnächst halten muss. Die Rede des Bräutigams.“
„Oh, sie heiraten bald? Na, dann schon mal im Voraus herzlichen Glückwunsch.“
Er las Aufrichtigkeit in den dunklen Pupillen, als sie ihm gratulierte. Doch sie lächelte nicht dabei. Stattdessen schien sich ihr Blick nach innen zu drehen.
„Danke sehr. So bald ist es nicht, erst im Oktober. Ein großes Fest, über hundert Leute. Da sollte mir schon was Vernünftiges einfallen.“
„Ja, das ist wichtig.“ Sie umfasste den Ring an ihrem eigenen Fingern. „Ich bin auch verheiratet“ fügte sie an.
Alex nickte, leicht erschrocken. Was sollte dieser unvermittelte Kommentar? Erweckte er etwa den Eindruck, als würde er sie am liebsten sofort vernaschen? Wollte sie ihm damit ihre Grenzen signalisieren? War ihm sein Interesse so überdeutlich anzumerken?
Er trank. Langsam, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Dabei ließ er seine Augen heimlich über die Gestalt vor ihm wandern. Kathrins ebenholzfarbene Haarmähne fiel ihr bis auf die Schultern und bildete einen hübschen Kontrast mit ihrer Hautfarbe. Ob sie wohl spanische oder italienische Gene mitbrachte? Mit den vollen Lippen und dem breiten Mund wirkte sie unbestimmbar südländisch.
Und sehr attraktiv! Gute Figur, kein Zweifel. Die dunkelblaue Bluse fiel locker, doch die Wölbung ihrer Brüste zeichnete sich deutlich darunter ab. Apfelgröße, schätzte er mit dem Auge des Kenners. Schlank, aber eindeutig feminin. Ihre Hüften und Schenkel bildeten elegante Kurven in der weißen Hose.
Unwillkürlich tauchte das Bild von Jette in seinem Kopf auf. Seine Verlobte war kleiner, sie maß kaum 1,55. Mit ihren ausgeprägt weiblichen Formen ähnelte sie prähistorischen Muttergott-Figuren. Er mochte das! Er stand auf volle, runde Brüste und einen richtigen Hintern. Auf Rundungen und auf üppiges Fleisch in seinen Händen.
Er liebte es, Jette zu umfassen, zu streicheln, zu greifen, sich in ihrer weichen Fülle zu versenken. Doch nun starrte er verstohlen auf die Gestalt vor ihm und es juckte ihm förmlich in den Fingern. Einmal diese rassige junge Frau berühren, diese straffen Brüste zu umfassen …
Verdammt! In vier Monaten würde er Jette zum Altar führen. Warum reizte ihn plötzlich eine andere so sehr? Das kam überraschend.
Er dachte weiter zurück. An Jaqueline. Die dünne Blondine, mit der er eine unglaublich heiße Nacht verbrachte. Das geschah ebenfalls unvermutet, vor etwa vier Jahren, als er einige Monate mit Jette zusammen war. Der reine Wahnsinn! Er hatte es Jette gebeichtet, und wie erwartet war sie völlig ausgerastet. Gut, damals hatte sie sich wieder beruhigt, und er gewann sogar den Eindruck, dass die Krise sie letztendlich enger verband. Aber heute, mit bereits anberaumtem Hochzeitstermin, da sah das anders aus.
Er registrierte den fragenden Blick der jungen Frau vor ihm. Das Schweigen hatte sich einige Sekunden zu lange gezogen.
„Äh — sie hatten sicher auch eine große Hochzeitsfeier“, sagte er rasch und hoffentlich mit richtigem Anschluss an ihre letzten Worte.
„Nein, eigentlich nicht.“ Ein Schatten zog über ihre Miene. „Wir haben… im engsten Kreis geheiratet. Ich war krank.“
„Oh.“
Alex drehte seine Tasse in den Händen. Was konnte man darauf antworten? Nach der Krankheit wollte er sich nicht erkundigen, schließlich kannte er Kathrin nicht. „Ich glaube, es geht gleich weiter.“
Sie trank aus und stellte die Tasse weg. Nach einem letzten flüchtigen Lächeln wandte sie sich ab und schlenderte in den Seminarraum zurück. Als Einzige. Der Rest der Gruppe stand noch herum und betrieb Pausenkonversation.
Seine Augen folgten ihr wie magnetisch angeheftet. Er bewunderte das Spiel ihrer Hinterbacken in der eng geschnittenen Hose, ihre ganze grazile Gestalt. Dabei fluchte er innerlich vor sich hin. Vermutlich hielt sie ihn für einen Langweiler, bei dem Mist, den er da plapperte.
Nun ja. Sie war verheiratet. Er war verlobt. Was machte es also für einen Unterschied, was sie von ihm dachte?
***
Kathrin trat aus der Seitentür des Seminarhauses und blinzelte in die tief stehende Sonne. Endlich war der Tag vorüber, oder zumindest die Schulung. Dr. Bohnert konnte sich nur unwesentlich steigern. Der Nachmittag hatte sich gedehnt wie weicher Teig.
Sie atmete ein und genoss die frische Luft. Wenigstens lag das Seminarzentrum vor den Toren des Dorfes, direkt am Waldrand. Gleich gegenüber begann ein Waldweg und führte in einer Runde um den Hügel, sagte die Karte im Rezeptionsraum. Mit einem Ruck schloss sie den Reißverschluss ihres Trainingsanzuges. Jetzt ein wenig Joggen, das würde ihrer Laune ebenso guttun wie ihrer Gesundheit. Früher stellte Sport ein notwendiges Übel für sie dar, unumgänglich für einen attraktiven Körper. Aber nach der ewigen Bettlägerigkeit genoss sie jede Art von Bewegung als ein Geschenk.
Sie bog um die Hausecke. Da stand Alex, ein Fuß auf den Lattenzaun gestellt, und band sich die Laufschuhe zu. Auch er hatte sich in Sportkluft gestürzt. Die Shorts enthüllten die Muskeln seiner Beine, und unter dem Funktionsshirt zeichnete sich ein wohl definierter Brustkorb ab.
„Oh — hallo.“ Er sah auf, und ein spontanes Lächeln durchbrach die Zurückhaltung, die er üblicherweise an den Tag legte. Das ließ sein Gesicht förmlich aufleuchten. Er wirkte plötzlich jünger, verspielter. Ein juveniler Wolf, der die Tobereien der Welpenzeit noch nicht vergessen hatte.
„Hallo.“ Sie lächelte automatisch zurück und blieb vor ihm stehen. In der Mittagspause hatte Diana sie in Beschlag genommen, sie hatte kaum ein weiteres Wort mit dem Mann gewechselt. Doch im Schulungsraum, da waren ihre Blicke immer wieder zu der gelassenen Gestalt vor ihr gewandert.
„Eh — sie wollen auch laufen? Hätten Sie Lust auf eine gemeinsame Tour?“
„Gerne“, hörte sie sich sagen, bevor sie überhaupt über die Frage nachgedacht hatte. He, was war denn das? Woher kam diese Antwort, und warum spürte sie plötzlich ihren Puls viel deutlicher?
„Schön!“ Wieder dieses jugendliche Lächeln. „Kommen sie, wir haben ein paar Kilometer vor uns.“
Sie trabten los. Über die Straße, und direkt in den Wald. Die laue Luft des Juniabends strich an ihren Wangen entlang, und der Waldgeruch füllte ihre Nase wie ein schweres Parfum. Sie sah nach rechts und in eisgraue Augen. Alex grinste, nickte und zog das Tempo um eine Winzigkeit an. Sie passte sich seinem Bewegungsmuster ohne Probleme an.
Zuerst sprachen sie nicht. Nicht mit Worten zumindest. Doch die Art, wie sich ihre Bewegungen automatisch anglichen, der gemeinsame Atemrhythmus, und die Gesten, die sie an Wegverzweigungen tauschten, stellte eine eigene Art der Kommunikation dar.
Kathrin fühlte sich pudelwohl. Das Training zahlte sich aus, sie hielt auch nach einer halben Stunde noch mit. Das Laufen, der Weg, der Wald, all das schabte die Kaugummispuren des Tages von ihrer Seele und hob ihre Stimmung.
Auch die heimlichen Seitenblicke, die sie immer wieder auf ihrem Körper spürte, störten sie nicht. Im Gegenteil, sie genoss Alex´ Aufmerksamkeit. Der Trainingsanzug lag etwas zu eng an ihrem Leib, das Teil war einige Jahre alt. Sie wollte schon länger neue Laufkleidung kaufen, doch nun war sie froh, dass sie nicht dazu gekommen war. Das brachte Po und Beine hübsch knackig zur Geltung, und ihr Busen hüpfte unübersehbar im Rhythmus ihrer Bewegungen.
Herrlich, sich endlich wieder so richtig attraktiv vorzukommen! Als sie den Kamm des Hügelzuges erreichten und das Tal sich vor ihnen ausbreitete, da stieß sie einen spontanen Freudenschrei aus.
Alex zuckte zusammen, fiel aus dem Tritt, und lachte. Sie ließen den Trab auslaufen und schlenderten tief atmend weiter. Kathrin sog die Idylle der sacht gewellten Landschaft in sich auf wie Medizin. Dann bemerkte sie, dass der Mann nicht zum Horizont sah, sondern sie betrachtete.
„Ist was?“, fragte sie.
„Sie sehen toll aus, wenn sie so erfüllt sind.“ Er lächelte, dann riss er die Augen auf, als ihm der Doppelsinn seiner Worte auffiel. „Ich meine… das heißt… so lebendig, meinte ich.“
„Ja, das stimmt. So fühle ich mich auch.“ Sie lachte erneut, diesmal über seine Verwirrung. „Lebendig ist gut. Endlich wieder! Ich lag zwei Jahre praktisch nur im Bett. Es ist immer noch ein halbes Wunder für mich.“
„Sie erwähnten es“, nickte er. „Eine Krankheit.“
„Mitochondriale Myopathie“, seufzte sie. „Genetisch bedingt, und nicht heilbar. Aber für meine spezielle Variante wurden kürzlich neue Wirkstoffe entwickelt. Ich verdanke also der Bioforschung mindestens meine Gesundheit, vielleicht sogar mein Leben.“
„Ein Hoch auf den Fortschritt.“ Er betrachtete sie ernsthaft. „Man merkt Ihnen das nicht an.“
„Wirklich? Sehr schön!“ Kathrin feixte. „Na los, dann weiter. Warum stehen wir hier eigentlich herum?“
Sie trabten wieder los.
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Eine halbe Stunde später bogen sie um eine Kurve, immer noch nebeneinander. Vor ihnen lag das letzte Stück des Waldweges. Noch zwei- oder dreihundert Meter, dann kam die Straße und der Zaun des Seminarzentrums. Wie abgestimmt wechselten sie in ein geruhsames Gehen. Anscheinend hatte ihr Laufpartner es genauso wenig eilig wie sie selbst, diese schöne Tour zu beenden, überlegte Kathrin.