Zum Trocknen an der Pferdekoppel aufgehängt
Anja lief mit bloßen Füßen über das weiche Gras im Tal von Alsingen. Sie trug ihr blauweißes Callicokleid. Das rote Haar hatte sie zu Zöpfen geflochten und sie trug Indianerschmuck. Die Westernreiter von Alsingen hatten zum Westernfest eingeladen und alle, die Zeit hatten, waren der Einladung gefolgt. Auf der Wiese bei der Pferdekoppel standen Indianertipis. Beim Saloon tummelten sich Indianer, Trapper, Cowboys und Südstaatensoldaten. Anja war mit ihrem Bruder Daniel gekommen, der wie ein Trapper gekleidet war. Daniel war mit seinen zweiundzwanzig Jahren drei Jahre älter als Anja. Sie betrachtete ihn, wie er mit einigen Freunden an der Außen-Bar des Saloons stand. Daniel war groß und schlank. Er hatte Muskeln, aber er sah nicht aus wie Rambo. Daniel sah gut aus, fand Anja. Im Gegensatz zu ihr hatte er das rabenschwarze Haar ihrer Mutter geerbt, während Anjas Rot aus der Familie des Vaters stammte. Viele in Vaters Familie waren backsteinblond.
Als sie an der Bar vorbeikam, winkte Daniel: „Na? Wieder ohne Mokassins unterwegs? Pass auf, dass du nicht auf einen Pferdeapfel trittst, Schwesterherz.“ Sein Lächeln ließ ihr Herz schneller schlagen.
„Ich pass auf“, gab sie zur Antwort. Sie ging zum hohen Koppelzaun.
Anja lief für ihr Leben gerne barfuß. Sie liebte es, den natürlichen Untergrund unter den nackten Sohlen zu spüren. Wann immer sie beim Westernverein war, nutzte sie die Gelegenheit, bei schönem Wetter die Mokassins auszuziehen und barfuß zu gehen. Auch zuhause trug sie so gut wie nie Schuhe.
Sie hatte nichts am Leib außer dem luftigen Callicokleid. Untendrunter war sie blank; das war ihr kleines Geheimnis. Sie ging gerne mal unten ohne und hier beim Westerverein würde niemand merken, dass sie das luftige Gefühl im Schritt genoss. Das Kleid war lang genug, um ihr pikantes Geheimnis zu wahren. Anja stellte sich in Gedanken vor, sich einem Mann mit leicht gegrätschten Beinen aufs Bein zu setzen, wenn der auf einer Bank am Saloon saß. Dabei hatte sie einen ganz bestimmten jungen Mann im Sinn. Die Vorstellung trieb ihr das Blut in die Wangen.
Beim hohen Koppelzaun blieb sie stehen. Dieser „Zaun“ war genauso gebaut wie alle Koppeleinfriedungen im Tal: In regelmäßigen Abständen waren fünfzehn Zentimeter dicke Rundhölzer in den Boden gerammt und oben und auf halber Höhe gab es Rundhölzer von gleicher Dicke, die waagrecht angebracht waren. Die „hohe Koppel“ unterschied sich jedoch von den anderen Pferdekoppeln. Die anderen waren nicht so hoch gebaut. Man konnte sich davor stellen und die Arme darauf legen, wenn man den Pferden zusehen wollte. Bei der hohen Koppel ging das nicht. Hier war der Holzbalkenzaun so hoch, dass die oberen Rundhölzer nur mit ausgestreckten Armen zu greifen waren. Wenn man sich darauf lehnen wollte, musste man auf die unteren Querhölzer steigen. Der Grund für diese außergewöhnlich hohe Koppeleinfriedung war Brutus, das Pferd des Vereinsvorsitzenden der Alsinger Westernreiter. Es war ein ehemaliges Springpferd und setzte mühelos über normale Koppeleinfriedungen hinweg. Wo Brutus konnte, ging er stiften. Es schien dem Rappen einen Mordsspaß zu bereiten, übern Zaun zu springen und abzuhauen. Weil es seinem Besitzer mit der Zeit auf den Wecker ging, war die hohe Koppel gebaut worden und wenn Brutus nicht im Stall stand, verbrachte er seine Zeit auf der Koppel. Von hier konnte er nicht mit seinen unglaublichen Hubschraubersprüngen entkommen.
Anja stieg über den unteren Balken und betrat die Koppel. Sofort kam Brutus zu ihr und wollte gekrault werden.
„Der hat einen Narren an dir gefressen.“ Anja drehte sich um. Daniel stand am Zaun. Ein paar andere Leute vom Westernverein kamen dazu.
Anja streichelte Brutus.
„Ey! Mit dem Essen spielt man nicht!“ rief Anton und erntete ein Lachen für seinen Witz.
„Wo hast du dein neues Callicokleid?“ wollte Daniel wissen. Anja wandte sich ihrem Bruder zu: „In meiner Tasche und die habe ich daheim vergessen, ich Trotteline. Ich habe Franziska angerufen. Sie hat versprochen, auf dem Weg nach Alsingen bei uns vorbei zu fahren und die Tasche abzuholen.“
„Dann mach bloß dein Kleid nicht dreckig“, feixte Daniel. „Du hast nichts zum Wechseln dabei.“ Sein Lächeln sandte einen sanften Schauder über ihre Haut.
Daniel, dachte sie. Mein geliebter Bruder Daniel.
Brutus stupste sie gegen die Brust.
„Hey, der will was von dir“, grölte Anton. „Pass lieber auf, Anja, sonst macht er dir den Hengst.“
„Schweinigel!“ gab sie zurück. Wieder schubste Brutus. Anscheinend dachte er, sie hätte irgendwo in ihrer Kleidung ein Stück Zucker versteckt.
Sie hörte noch, wie jemand eine Warnung rief, da stieß sie mit den Waden gegen eine Metallkante. Augenblicklich verlor sie das Gleichgewicht und viel mit rudernden Armen nach hinten. Sie klatschte genau in die Badewanne, die frisches Trinkwasser für die Pferde auf der Koppel enthielt.
Alles lachte. Anja kam prustend aus der Wanne: „Shit!“ Sie musste selber lachen. Sie war von Kopf bis Fuß klitschnass.
„Warum ziehst du nicht die Klamotten aus, bevor du schwimmen gehst?“ krähte Anton lachend.
„So ein Mist!“ Anja lief zum Zaun. „Brutus, du bist ein ganz Böser! Wenn du dich nicht entschuldigst, rufe ich beim Pferdemetzger an.“ Alle grölten vor Lachen und Brutus schaute schuldig aus der Wäsche.
„Ich wollte doch nur spielen“, schienen seine großen Augen zu sagen.
„So ein Scheibenkleister!“ sagte Anja und schüttelte sich. „Wie kriege ich das jetzt trocken? Franziska kommt frühestens in einer Stunde, wenn nicht sogar später.“
Auf Daniels Gesicht erschien ein breites Grinsen: „Dann müssen wir dich zum Trocknen aufhängen, Schwesterchen.“ Seine Augen leuchteten, wie immer wenn ihm der Schalk im Nacken saß. Er lief zu dem kleinen Schuppen mit Arbeitsgeräten. Als er zurückkam, trug er ein paar Seile über der Schulter.
„Häh?“ machte Anton. „Willst du Bergsteigen gehen?“ Er imitierte einen Schuhplattler: „Hollaröödulihööö!“
Daniel versetzte ihm einen Stoß: „Hör auf zu schreien wie der Esel unterm Schlachtermesser, du Hammel! Hilf mir lieber, meine Schwester zum Trocknen aufzuhängen.“
Anja glaubte, sich verhört zu haben. Hatte Daniel das wirklich gesagt? Aber er hatte Seile herbeigeschafft. Seile! Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Sie hatte zwei geheime Leidenschaften, die sie niemals jemandem anvertraut hatte: Sie liebte jemanden sehr und begehrte ihn mit jeder Faser ihres Körpers, und sie liebte Seile und Stricke. Schon als Kind hatte sie davon geträumt, gefesselt zu werden. Wenn sie in Filmen sah, wie jemand gefesselt wurde, hatte sie immer heiße Ohren bekommen. Gelegentlich hatte sie mit Selbstfesselungen experimentiert, doch noch nie hatte sie gewagt, irgendeinem Menschen ihren geheimsten Traum zu gestehen.
Ihr Bruder packte sie am Oberarm: „Komm du nasse Nixe. Du wirst zum Trocknen aufgehängt.“ Er lachte. Alle lachten sie; auch Anja. Sie machte mit. Innerlich jubelte sie.
Ihr Bruder führte sie zur hohen Koppel. Er schubste Anja sachte an: „Hoch mit dir und umdrehen! Rücken zum Zaunpfahl!“ Er wandte sich an die umstehenden Leute: „Los! Mitmachen! Passt auf, dass sie nicht runterplumpst, bevor sie festgebunden ist.“
Anton lachte hellauf. Er sprang rechts von Anja auf die untere Koppelstange und turnte darauf herum: „Marterpfahl wäre aber passender für eine hübsche Indianerin.“
Andrea, die neben ihm stand, knuffte ihn gegen den Oberschenkel: „Am Marterpfahl kann sie nicht abtropfen, Blödel!“
„Und eine Wäscheleine haben wir hier nicht“, meinte Daniel gutgelaunt.
Anja stieg auf die untere Koppelstange. Vorsichtig drehte sie sich um, bis sie mit dem Rücken zum Zaunpfahl stand. Die Arme streckte sie rechts und links aus und hängte sie nach hinten über die obere Koppelstange, um sich festzuhalten.
Daniel stieg links von ihr auf den Zaun: „Keine Angst, Schwesterchen. Du brauchst dich nicht lange festzukrallen. Wir machen es dir bequem. Wir binden dich schön fest, dann kannst du in Ruhe abhängen und abtropfen.“
Alles lachte. Auch Anja. Sie tat, als hielte sie die Aktion für einen Riesenspaß. Aber innerlich zitterte sie vor Aufregung. Sie sah wie Daniel ein Seil zu Anton hinüberreichte.
„Zuerst die Handgelenke“, befahl er. „Du musst eine Schlinge um Anjas Gelenk legen, dann oben und unten um den Koppelbalken herum, unter ihrer Hand durch und rechts und links um ihr Gelenk rum und das ganze von vorne. Es muss wie eine Acht aussehen. Ihre Handgelenke dürfen nicht aufs Holz gepresst werden. Bei den Füßen machen wir es später genauso.“
„Wow! Du kennst dich aber gut aus!“ rief Andrea vom Boden aus. „Daniel der Bondagemeister.“ Sie griente zu ihm hoch: „Wo treibst du dich im Internet eigentlich so rum, mein Guter?“
Still beobachtete Anja, wie die Männer ihre Handgelenke hinter dem oberen Koppelbalken festbanden.
„Sie braucht mehr Stütze“, sagte Daniel fachmännisch. „Wir legen noch Seile um ihre Oberarme. Zieh die Ärmel des Kleides hoch, nicht dass Stoff mit eingeklemmt wird und mach die Fesselung fest genug, dass sie Halt gibt aber nicht so stramm, dass sie Anja das Blut abstellt. Sie soll schließlich gut eine Stunde zum Trocknen am Zaun hängen.“ Er grinste: „Vielleicht braucht sie sogar länger, um trocken zu werden.“
„Meine Mutti lässt nasse Wäsche immer über Nacht auf der Leine hängen“, meinte Anton trocken.
Anja ließ sie machen. Sie fühlte sich unbeschreiblich wohl. Sie sagte kein Wort. Momentan hätte sie nicht sprechen können. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie spürte, wie ihre ausgebreiteten Arme festgeschnürt wurden. Die Fesseln saßen fest aber sie schnitten nicht zu stark in ihre Arme ein.
Die ganze Nacht, hatte Anton gesagt. Die ganze Nacht. Was für eine Vorstellung!
Daniel und Anton sprangen auf den Boden. Ihr Bruder holte ein neues Seil: „Die Füße müssen wir auch festbinden, damit Anja genug Halt hat.“
„Und damit sie nicht auskeilt, wenn zufällig einer vor ihr entlang spaziert“, lästerte Anton. Er grinste. Man sah ihm an, dass ihm das Spiel ausnehmend gut gefiel.
Nicht nur Anton. Eigentlich schienen alle großen Spaß an der Sache zu haben. Anja beobachtete Andrea. Sie war Mitte Zwanzig, gertenschlank und blond wie Weizen. In Andreas Augen brannte ein Licht, das Anja noch nie zuvor dort gesehen hatte. Andreas Blick war irgendwie hungrig und flehend zugleich.
Sie wäre gerne an meiner Stelle, schoss es Anja durch den Kopf. Sie ist wie ich. Sie möchte auch gefesselt werden. Tja Andrea. Spring doch in die Badewanne.
Sie musste lächeln. Andrea lächelte zurück.
Daniel kümmerte sich um Anjas Füße. Er zog sie von der unteren Koppelstange und ließ sie frei hängen. Dann drückte er sie sanft rechts und links gegen den Zaunpfahl. Wieder praktizierte er den Trick mit der Acht. Er schlang das Seil um Anjas linkes Fußgelenk, überkreuzte die Seilenden und führte sie um den Pfahl herum. Auf der anderen Seite überkreuzte er sie wieder, drückte ihr rechtes Fußgelenk gegen den Pfosten, der vom Seil gepolstert war und schlang es um ihren Knöchel herum. So legte er Seilwindung um Seilwindung um Anjas Fußgelenke und den Zaunpfahl. Von oben betrachtet sah das so aus, als habe er zwei Achter aus Seil so übereinander gelegt, dass die innere Schlinge der linken Acht sich mit der inneren Schlinge der rechten Acht deckte. Anjas Knöchel steckten in mehreren festen Seilwindungen, ohne gegen das Holz des Zaunpfahls gedrückt zu werden.
Daniel machte einen festen Abschlussknoten: „Fertig.“ Er trat ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk: „Sieht richtig gut aus. Jetzt kannst du in Ruhe abhängen, Schwesterchen. Tropf dich mal so richtig aus.“
Wieder lachten sie alle. Anja lachte mit. Sie fühlte sich unbeschreiblich wohl. Ihr Traum war zur Wahrheit geworden. Sie war an Händen und Füßen gefesselt. Probeweise zog sie an den Stricken, die sie an der Koppel festhielten. Es gab kein Entkommen. Unmöglich. Von allein würde sie sich nicht befreien können. Welch ein Gefühl!
Ich bin ihnen ausgeliefert, dachte sie. Bei dem Gedanken begann es zwischen ihren Beinen zu kribbeln. Sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Sie hing wie eine Gekreuzigte am Koppelzaun und tropfte und sie lachte mit den anderen. Sie sah wie Andrea sie immer wieder mit brennenden Augen anschaute.
Ich gefalle ihr, überlegte Anja. Mein Anblick gefällt ihr. Es macht sie an, mich gefesselt zu sehen.
Schon immer hatte Anja eine Ahnung gehabt, dass Andrea nicht nur auf Männer stand. Da waren flüchtige Umarmungen, eine streichelnde Hand, ein schneller Kuss auf die Wange im Vorbeigehen. Und Andreas Blicke, viel sagende Blicke.
Sie steht ein bisschen auf mich. Und jetzt macht es sie verrückt, mich gefesselt zu sehen. Ich bin hilflos. Wenn sie mich küssen will, kann sie es tun. Oder mich anfassen. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich bin an Händen und Füßen gefesselt. Ich könnte gar nichts machen, wenn sie anfängt an mir rumzufummeln.
Diese Gedanken brachten Anjas Herzschlag auf Touren. Sie hatte keinerlei Ambitionen in Sachen Frauensex. Sie stand auf Männer, auf einen besonders. Aber hilflos gefesselt einer Frau ausgeliefert zu sein, konnte ganz interessant werden. Was würde Andrea mit ihr anstellen, wenn sie die Möglichkeit dazu bekam? Das Kribbeln in Anjas Schoß wurde stärker. Sie unterdrückte ein Stöhnen. Es war so schön, gefesselt zu sein. Die Stricke schnitten ein bisschen ein, aber das gefiel ihr. Es sollte ruhig ein wenig unangenehm sein.
Daniel stellte sich vor sie: „Du tropfst wie ein kaputter Wasserhahn Schwesterherz. Allzu schnell kannst du nicht runter. Du musst komplett trocknen.“ Er lachte.
„Ich will ja hängen bleiben, bis ich trocken bin“, entgegnete sie. Sie bewegte sich langsam in ihren Fesseln. Sie konnte nicht still halten. Das Kribbeln zwischen ihren Beinen wurde immer wilder.
Berühr mich, Daniel, dachte sie voller Inbrunst. Fass mich an. Ich bin bereit. Ich war es immer.
Doch sie schwieg. Sie musste schweigen. Sie war die schweigende Prinzessin. Das war sie immer gewesen. Ich will nicht befreit werden. Ich will gefesselt bleiben. Noch lange!
In den Augen ihres Bruders las sie etwas wie Übereinstimmung. Daniel schien zu fühlen, wie es ihr ging. Er lächelte ihr warmherzig zu: „Du wirst wohl vorm Abendessen nicht abgehängt werden, so nass wie du bist, Anja. Tut mir leid.“ Sein Lächeln verbreiterte sich, als er ihr Lächeln sah.
Sein Blick fiel auf ihre gefesselten Füße und verweilte dort. Dann schaute er in die Augen. Lange. Schweigend.
Daniel!, dachte Anja. Sie bekam Herzklopfen. Daniel, lieber Daniel!
Dann war der Bann gebrochen. Er lächelte sie an: „Dann häng mal schön rum, Schwesterherz. Ich habe Durst. Ich muss an die Bar.“ Er wandte sich ab.
Anja schaute ihm hinterher. Daniel war ausgesprochen gut aussehend. Ihr Bruder war ein Frauenheld, ein Herzensbrecher der nichts anbrennen ließ. Im Moment war er solo und es kam einem Wunder gleich, dass dieser Umstand seit mehr als sechs Wochen anhielt. Lange würde er nicht mehr allein bleiben. Alle Mädchen schauten ihm nach. Das war immer schon so gewesen. Daniel kam bei den Mädels an, und wie.
Kein Wunder, dachte Anja. Man muss sich einfach in ihn verknallen.
Sie liebte ihren Bruder, liebte ihn mit jeder Faser ihres Herzens. Schon als Kind war sie in ihn verknallt gewesen. Mit sieben Jahren war es über sie gekommen, ein scheues kleines Gefühl, das mit den Jahren anwuchs und erstarkte und immer größer wurde. In der Pubertät kamen neue Gefühle dazu, bis dato unbekannte Gefühle. Sie fühlte ein Verlangen das sie verzehrte. Sie wollte seine Hände auf ihrem Körper spüren, seine Lippen kosten, ihn willkommen heißen, sich ihrem Bruder hingeben. Kein anderer Junge hatte es je geschafft derart heftige Gefühle in ihr aufkommen zu lassen. Sie hatte sich oft verliebt, aber tiefere Gefühle waren nicht im Spiel gewesen. Für Anja gab es nur Daniel.
Es war verwirrend. Daniel war ihr Bruder. Anja wusste, dass sie ihn nicht lieben sollte, aber sie kam nicht dagegen an. Wenn Daniel sie anfassen würde, wenn er nur die Hand nach ihr ausstreckte, würde sie sich ihm auf der Stelle hingeben. Sie würde alles mitmachen ohne zu zögern. Aber von sich aus konnte sie nichts tun. Sie war außerstande, die Initiative zu ergreifen. Zu tief saß ihre Schüchternheit. Sie fühlte eine starke Scheu vor dem ersten Schritt.
Wir sind doch Geschwister, dachte sie oft. Wir sind Bruder und Schwester. Es darf nicht sein.
Doch da waren diese unglaublichen Fantasien in ihrem Kopf, Vorstellungen und Wünsche, die ihr heiße Ohren bescherten, wenn sie nur daran dachte.
Sie schaute nach unten auf ihre gefesselten Füße. Daniel hatte ihre nackten Füße angeschaut. Anja wusste längst, dass ihr Bruder auf nackte Füße stand. Er mochte es, wenn Mädchen barfuß liefen, vor allem wenn sie sich nicht die Nägel lackierten. Kriegsbemalung nannte er alles was mit Make up zu tun hatte. Daniel liebte natürliche Mädchen.
Ich bin natürlich, dachte Anja. Ich schminke mich nie und trage keinen Nagellack auf. Ich gehe bei jeder sich bietenden Gelegenheit barfuß.
Schon als Kind war sie gerne barfuß gelaufen. Es war einfach ein schönes Gefühl, den Boden unter den nackten Sohlen zu spüren, vor allem draußen in der Natur. Auf Familienspaziergängen hatte sie oft ihre Schuhe ausgezogen, wenn sie durch Wald und Flur wanderten. Als sie in die Pubertät kam, fiel ihr auf, dass ihr Bruder auf ihre nackten Füße schaute. Er tat es heimlich und sehr vorsichtig. Den Eltern war nie etwas aufgefallen. Aber sobald Anja einmal darauf aufmerksam geworden war, bemerkte sie es stets, wenn Daniel schaute. Von da an ging sie mit Absicht noch öfter barfuß. Sie gewöhnte sich an, zuhause keine Socken und Hausschuhe mehr zu tragen, auch draußen im Garten oder Park nicht. Sie genoss die begehrlichen Blicke ihres Bruders. Es machte Spaß, ihn anzumachen.
Im Sommer ging sie regelmäßig in dem Becken hinterm Haus schwimmen. Es lag ein wenig abseits, so dass man vom Haus aus nicht hinsah. Das nutzte Anja aus, um nackt zu schwimmen. Auch wenn Daniel dabei war, trug sie grundsätzlich keine Badebekleidung. Er machte Witze über sie, nannte sie eine nackige Nixe oder die Loreley die nur von ihrem langen Haar bekleidet wurde, aber sie sah das begehrliche Brennen in seinen Augen. Sie wusste, dass ihr nackter Körper ihn erregte. Wenn er sie nur berührt hätte. Sie hätte sich ihm auf der Stelle hingegeben. Sie hätte alles mitgemacht, wirklich alles. Da waren die wilden Fantasien in ihrem Kopf. Anja wünschte sich, beherrscht zu werden, sich ihrem Geliebten hinzugeben, sich zu unterwerfen. Voll und ganz wollte sie ihrem Bruder gehören. Sie war bereit, jeden Beweis dafür zu erbringen, sollte er auch noch so schmerzlich sein. Sie wollte es. Sie liebte den Gedanken an Schmerzen. Aber nur von ihm. Nur er durfte es tun. Nur Daniel allein. Sonst niemand.
Oh, warum fing Daniel nicht an? Warum packte er sie nicht einfach an den Oberarmen und sagte: „Komm mit, Anja!“ Sie würde mitkommen. Auf der Stelle.
Doch sie musste schweigen. Sie konnte nicht die Initiative ergreifen. Zu stark waren die Hemmungen in ihr. Sie war blockiert. Aus eigener Kraft konnte sie nicht auf ihn zugehen. Sie hätte weinen mögen. Sie konnte es nicht laut sagen, ebenso wenig wie sie in der Lage gewesen war, laut zuzugeben, dass sie sich nach Stricken und Seilen sehnte. Dabei wünschte sie sich seit Jahren, gefesselt zu werden.
„Allmählich trocknest du.“
Anja schrak zusammen. Sie war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass sie Andrea erst bemerkte, als sie sie ansprach.
Die junge Frau lächelte zu ihr auf: „Kannst du es noch aushalten?“
Anja nickte stumm. Nicht sprechen. Ich bin die schweigende Prinzessin. Ich bin dazu verdammt, auf ewig still zu sein. Meine Zunge ist gelähmt. Ich rede nie. Ich kann es nicht.
Andrea trat zur ihr und streichelte an ihren nackten Beinen hoch: „Du siehst irgendwie niedlich aus, Anja, weißt du das? So süß und hilflos gefesselt. Du bist richtig goldig.“ Andrea streichelte weiter nach oben.