Anja und Faith – Sommernacht

Vorwort von Mondstern:

„Basteln wir uns eine Geschichte?“ So fragte mich Faith eines Tages und ich sagte spontan: „Ja, wieso nicht!“ Einen Plan hatten wir keinen, außer eben dem Hintergedanken, es am Ende zu veröffentlichen. Das Besondere ist, dass alle (!) Dialoge per Chat entstanden. Sie sind also unverfälscht. Lediglich Vertipper wurden korrigiert und die Gestiken in den Text integriert. Ist cool, macht Spaß, ist schwieriger als gedacht und mal sehen, wo wir landen werden.

*** Kapitel 01 — Faith

Es ist so ein Freitagabend, an dem mich die Couch sehnsüchtig anschaut und ich mich frage, warum muss ich jetzt raus in diese böse Welt?

Eigentlich könne ich es mir vor dem Fernseher gemütlich machen, würde irgendwann mit Nackenschmerzen aufwachen, die Glotze ausschalten und ins Bett gehen.

Aber spätestens am Samstagmorgen kommen dann die Schuldgefühle, diese Stimmen, die flüstern: „Du hast was verpasst, alle hatten Spaß, nur du bist einsam und alleine eingeschlafen und hast nichts erlebt.“

Gedankenverloren beginne ich mich zu rasieren.

Geduscht habe ich ja schon. Der beschlagene Badspiegel zieht die herumfliegenden Bartstoppeln geradezu magisch an — egal, mache ich morgen sauber.

Langsam lichtet sich der kleine Wald in meinem Gesicht und hinter dem beschlagenen Spiegel erkenne ich einen jungen Mann, Ende zwanzig.

Ich lächele ihm aufmunternd zu und er grinst zurück, bereit für einen Freitagabend in der großen, bösen Welt.

Ich steige in die Jeans, von der eine sagt, ich hätte darin einen „geilen Arsch“. Ist mein Arsch nur geil, wenn er in dieser Hose steckt? Muss ein Mann einen „geilen Arsch“ haben?

Egal! Das modische Hemd verdeckt meinen Hintern eh zur Hälfte — bevor ich mir ein Hemd in die Hose stecke, habe ich lieber nur einen halb-geilen Arsch.

Die Autofahrt in die nächste, größere Stadt läuft automatisch ab, eigentlich fährt das Auto schon alleine.

Eine ankommende SMS reißt mich aus meiner Unaufmerksamkeit:

WIR KOMMEN ERST UM 9; FAHREN DANN GLEICH AUF DIE PARTY. MECKI KOMMT AUCH MIT.

Aha, wer ist Mecki?

Egal, ich bin zu früh am Treffpunkt. Ein kleines Café in der Nähe des Bahnhofs, eine Perle zwischen den grauen Betonruinen des letzten Jahrhunderts.

Hier treffen sich alle, von jung bis alt, vom Punker bis zum Banker. Als Deutschland bei der WM ins Viertelfinale kam, hat hier ein Skinhead vor Freude eine Afrikanerin umarmt und geküsst. Er streitet das natürlich ab, aber manchmal sieht man die beiden noch verlegen an einem Tisch in der Ecke sitzen — zumindest hier dürfen sie das.

Routiniert greife ich mir den STERN von letzter Woche, er ist etwas zerfleddert, aber ich will ja auch nur die Artikel lesen.

Erst jetzt wird mir klar, dass alle Tische besetzt sind. An meinem Lieblingstisch sitzt eine junge Frau mit blond gelockten Haaren. Ohne zu zögern, stelle ich mich neben sie und frage:

„Ist hier noch frei?“

*** Kapitel 02 — Mondstern

Eigentlich sollte ich aufstehen und nach Hause fahren. Jedes Mal der gleiche Mist! Weil Lena vor Jahren Sindy den ausspannte, führten meine beiden Freundinnen seitdem einen unerbittlichen Zickenkrieg, der wirklich jeden aus der Clique nervte. Aber ich habe selbst Schuld. Eine Schnapsidee, ausgerechnet mit den beiden in die City zu fahren.

Das kleine Cafe ist gut gefüllt und das Publikum lässt sich keiner Szene zuordnen. Als gebürtige Badnerin und Nachkomme der „Alemannen“ liebe ich die Vielfalt der Menschen und ethnischen Gruppen.

Ich schaue in die halb vollen Gläser zu meinen beiden Seiten und auf die leeren Stühle, wo vor wenigen Minuten noch meine Freundinnen saßen. Einem zuckersüßen Wort folgte das nächste, und dass sie sich nicht gegenseitig an die Gurgel gingen, grenzte an ein Wunder.

Ich krame meinen klappbaren Minispiegel aus der Tasche und überprüfe mein Make-up. Eine Laune der Natur, mich blond und mit blauen Augen zu erschaffen. In Gedanken sehe ich meine Schwester Claudia, die mit ihren schwarzen Augen und Haaren meine Lieblingsfarben repräsentiert. Wenn ich mir schwarze Farbe ins Gesicht schmiere, habe ich dagegen nur Ähnlichkeit mit einer Vogelscheuche.

Andererseits, ich bin ich! Mein Spiegelbild grinst mich an. Man muss schon genau hinsehen, um zu erkennen, dass ich Lippenstift trage. Auch der violette Teint des Rouges ist dezent über den Wangen verteilt und durch die blauen Farbtöne meiner Augenpartie wirkt meine Iris so, wie ich es will. Distanziert und kühl.

Ob ich noch eine Weile warten soll? Kommen sie noch zurück? Eigentlich wollten wir tanzen gehen — ein empfahl eine Diskothek, wo sie Freitagabend Lieder der 80er spielten. Bisschen tanzen, was trinken, mit Jungs flirten und Spaß haben.

Flirten? Ja, wieso denn nicht? Zu testen, ob man noch Chancen hat. Wenn ich an unseren letzten Auftritt im „Powers“ denke … die knallenge Lederhose, die ich schon als Teeny trug … ein bauchfreies Top und mein „Frau Unnahbar“-Spiel …

Schmunzelnd packe ich den Spiegel wieder in mein Täschchen. Meine Jeans ist zwar nicht so eng wie die Lederjeans, sitzt aber trotzdem gut. Der Used-Look entspricht eher dem Schönheitsideal von jüngeren Mädchen, aber alt komme ich mir mit meinen 30 Lenzen auch nicht gerade vor. Der Bootcut verdeckt den Schaft der schwarzen Stiefel mit den Fünfzentimeterabsätzen. Dadurch komme ich immerhin auf ein Meter siebzig.

Gelangweilt stochere ich mit der Zigarette im Aschenbecher herum, als ich ihn wahrnahm.

„Was?“

Er lächelt.

„Ich fragte — ob hier noch frei ist!“

Für einen Moment blickte ich auf die drei halb vollen Gläser auf dem Tisch. Hm, vielleicht hält er mich ja auch nur für eine Alkoholikerin?

„Wenn dich meine imaginären Begleiterinnen nicht stören.“

Seinem Blick nach zu urteilen war er wohl in Gedanken, als er gefragt hatte. Nach Worten suchend, wechselt er seine Zeitschrift von der einen Hand in die andere. Sein Blick schweift über die anwesenden Gäste. Soweit ich wahrnehme, sind alle Sitzmöglichkeiten erschöpft. Meine Mundwinkel gehen ein wenig nach oben und ich ziehe das Glas, das zu meiner Linken steht, zur Seite.

*** Kapitel 03 – Faith

„… imaginäre Begleiterinnen, nicht stören …“, geistert es durch meinen Kopf, als ich mich auf einen Stuhl sinken lasse. Schöne Augen denke ich mir noch und suche nach meinen Kippen.

Die Flamme leckt am Ende der Zigarette und bringt den Tabak zum Glimmen. Vielleicht ein bisschen kühl, aber immer noch besser, als zu aufdringliches Make-up.

Mein Milchkaffee wird gebracht, die Kellnerin hat meine Bestellung bereits aufgenommen, als ich zur Tür hereinkam.

Ich widme mich meiner Zeitschrift, versuche die Zeit, bis meine Kumpels kommen, sinnvoll zu nutzen.

Innenpolitik interessiert mich zurzeit wenig, gelangweilt überfliege ich die Zusammenfassungen, als neben mir hohe Absätze über den Parkettboden klackern.

Instinktiv suche ich nach der Geräuschquelle und sehe schlanke Beine, deren nackte Füße in außergewöhnlich hohen Riemchensandalen stecken.

Langsam wandert mein Blick nach oben bis zum Anfang des Minirocks. Mit meinen Augen streife ich über den wohlgeformten Po, dann kommt eine Strickjacke — langweilig.

Ich lasse meinen Blick wieder nach unten wandern und erhasche noch ein anregendes Bild von schönen Beinen in interessanten Schuhen, die in der Menschenmenge verschwinden.

Mein Verstand erhält gnädigerweise die Kontrolle über das Gehirn zurück. Verlegen muss ich feststellen, dass mein Kopf mehr als deutlich zur Seite gedreht ist.

Ich nutze die Kopfbewegung zurück zum Magazin, um meine Tischnachbarin noch einmal zu mustern.

Sie schaut mich an, hat meinen Ausflug zu den unbekannten Frauenbeinen beobachtet. Ein wissendes, vielleicht sogar mitleidiges Lächeln umspielt ihre Mundwinkel.

Mit dem Gefühl ertappt worden zu sein, vertiefe ich mich wieder in den STERN. Innenpolitik ist momentan echt zum Kotzen! Hastig blättere ich weiter und schlage eine höchst brisante Seite auf.

In großen Lettern steht da:

-Die geheimen Sehnsüchte der Deutschen-

Das große schwarz-weiße Titelbild zeigt ein eng umschlungenes Paar auf einem riesigen Bett.

Wie man es von einem seriösen Magazin erwartet, lässt das Aktbild keine Fragen offen, ohne viel zu zeigen.

Eigentlich würde mich der Artikel sehr interessieren, aber mich beschleicht das Gefühl, beobachtet zu werden.

Egal! Ich stütze meine Ellenbogen demonstrativ auf den Tisch und beginne zu lesen.

Als ich umblättern will, schaue ich auf und sehe, dass meine Tischnachbarin konzentriert auf den Text starrt.

Aus ihrer Perspektive steht der Text auf dem Kopf, es ist verständlich, dass sie länger braucht.

Jetzt blickt auch sie auf, macht nun ihrerseits einen ertappten Eindruck.

Höflich frage ich:

„Soll ich warten, bis Sie fertig gelesen haben?“

*** Kapitel 04 – Mondstern

„Sehe ich eigentlich so alt aus?“, frage ich den Fremden provozierend. Sein Blick hält meinem stand.

„Hab ich behauptet, dass du alt aussiehst?“

„Indirekt schon!“

„O.k., ich werde dich ab sofort duzen, meine Erziehung hängt mir noch etwas nach, daher sieze ich Fremde zu Beginn.“

Ich muss schmunzeln:

„Gefällt mir! Ich mag es, wenn ein Mann mitdenkt.“

„Einer muss ja denken, aber wir sollten nicht so viel von mir reden. Du bist zum ersten Mal hier, stimmt’s?“

„Ja stimmt! Und wohl auch zum letzten Mal!“, antworte ich betrübt und blicke auf die beiden Gläser meiner verschwundenen Begleiterinnen.

„Es kommt nicht selten vor, dass so nette Mädchen zu Stammkunden werden, geb‘ dem Laden eine zweite Chance!“

„Vielleicht sollte ich das wirklich tun?“, sage ich eher zu mir selbst und sehe den Fremden wieder an:

„Ich bin übrigens Anja!“

„Ich heiße Faith und bin bekennender Atheist — an was glaubst du?“

„Ich bin keine Atheistin“, antworte ich grinsend: „Faith? Ist das ein Spitzname? Habe ich noch nie gehört?“

„Meine Eltern haben mich wirklich so genannt, sind streng religiöse Iren, die ihren ältesten Sohn mit einem besonderen Namen beehren wollten“, meint er mit ernstem Tonfall.

„Das bedeutet … was?“

„Faith, steht für Glaube, Religion, Vertrauen, Loyalität und so, aber die meisten finden den Namen einfach nur cool. Mir soll’s recht sein, ich bin deswegen ja als Kind oft genug verhauen worden“, erzählt er mir und der Ton wird wieder ironischer.

„Oh! Das finde ich fies! Aber so wie du aussiehst, hast du deine Kindheit gut weggesteckt“

Ich muss wirklich grinsen. Der Bursche hat was, keine Frage! Humorvoll, höflich und sieht obendrein gar nicht schlecht aus.

„Na ja, als Frühgeburt hatte ich sechs Wochen mehr Vorbereitungszeit“, setzt er nach und ich muss lachen.

„Und was macht ein Faith freitagabends so alleine in einem Lokal. Außer jetzt hübschen Füßen nachzuschauen?“, frage ich und schmiege mich frech an die Lehne meines Stuhls.

„Lesen!“, antwortet er spontan. „Ich versuche politisch und wirtschaftlich auf dem Laufenden zu bleiben, bis meine Kumpels kommen und mich auf irgendwelche Partys schleppen, auf die ich meine Kinder nie gehen ließe, wenn ich welche hätte.“

Er lächelt, nippt an seinem Milchkaffee und fügt hinzu:

„Und natürlich halte ich Ausschau nach der einzig Wahren.“

Die letzte Äußerung überhöre ich erst mal. Dass er aber Single ist, habe ich registriert.

„Ich wollte mit meinen Freundinnen in die Disco XXL, kennst du die? Soll heute dort gute Musik laufen.“

„Äh, XXL? Hab ich noch nichts von gehört, was spielen die denn für Musik?“

„Alles Mögliche, aber heute so 80er-Jahre-Hits. Du magst Musik?“

„Ich liebe Musik, aber die 80er Jahre sind ein weites Feld. Depeche Mode, Metalica oder Neue-Deutsche-Welle?“

„NDW – das dachte ich zumindest! Aber jetzt, wo du es sagst? Im Grunde mag ich aber alles, was etwas rockig ist.“

„NDW?“, lächelt er mitleidig und seine Augen beginnen zu glänzen:

„Ich würde meinen rechten Arm für einen Liveauftritt der Originalbesetzung von Guns´n Roses geben, aber NDW – sorry, nicht unter zwei Promille zu ertragen.“

Wieder muss ich lachen.

„Ich finde NDW geil. Tanze gern zu der Musik. Aber Axel ist auch cool!“

Faith lässt den Blick kurz in die Ferne schweifen und beginnt ebenso zu lächeln:

„Zu NDW tanzen und einem Fremden die Zeitung weglesen ist aber ein riesengroßer Unterschied, oder?“

Er lehnt sich etwas vor und schaut frech in meine Augen. Für einen Moment bin ich sprachlos. Sonst ist das gar nicht meine Art und beim Small Talk bin ich normalerweise recht schlagfertig. Also werden wir das „Blickkontaktspiel“ aufnehmen.

Schaut er weg, hat er verloren. Dann bin ich der und das reizt mich wenig. Fängt er an, mir Komplimente über mein Aussehen zu machen, hat er verloren. Ich weiß, dass ich gut aussehe! Das muss mir kein Mann bestätigen. Erzählt er mir jetzt, was für ein toller Kerl er ist, steh ich auf und fahre nach Hause.

„Erzähl mir doch mal was über diese böse Party, Faith!“, bitte ich lächelnd und schaue in seine blauen Augen.

*** Kapitel 05 – Faith

Oh, sie will das „Wir schauen uns in die Augen“–Spiel spielen. Also wie immer: Unteren Lidrand fixieren, Optik auf Autopilot stellen und warten, bis sie aufgibt. Wenn sie die eiserne spielt, hat sie verloren. Wenn sie glaubt, ich bettele, hat sie verloren. Wenn sie glaubt, ich übernehme ihre Rechnung, bin ich weg.

Aber vorerst beantworte ich ihre Frage, als wäre sie eine selbstbewusste Frau, die weiß was sie will:

„Wir kennen da so einen Typ, der ist von Beruf Sohn — du weißt schon. Der gibt manchmal ne Party. Man weiß aber nie wer kommt. Es kann also supergeil werden oder die Polizei macht den Laden dicht …“

Anja nickt lachend:

„Solche Partys kenne ich auch. Kann manchmal aber auch sehr lustig sein.“

„Sag ich doch!“

Gerade will ich sie für die Party einplanen, als Anja ihre Stirn in Falten legt:

„Ich werde wahrscheinlich wieder nach Hause fahren und mich durchs langweilige Fernsehprogramm zappen.“

Ich stütze mich auf dem Tisch ab und präsentiere meine Schultern in voller Breite:

„Oder du kommst mit und schaust mal, ob´s lustig wird. Wenn nicht, kannst du immer noch heimfahren …“

Bettele ich jetzt schon? Nein, das geht noch als souveräner Vorschlag zur Abendgestaltung durch, ich hab ja nix versprochen.

Andererseits kann man in Anbetracht einer solchen Frau ruhig mal seine Prinzipien lockern.

Anja beugt sich ebenfalls vor und bietet mir grinsend die Stirn — jedoch wieder faltenfrei:

„Meine Mami sagt, ich darf nicht mit fremden Männern mitgehen.“

Mein Grinsen wird noch breiter:

„Das trifft sich prima — dann nimmst du mich eben mit. Ein Auto reicht ja auch.“

„Was sind das für Typen die da hinkommen? Wenn es nur Jungs sind, gehe ich nicht mit!“

Och nö! Das sieht so ein bisschen nach „eiserner “ aus. Mit dem festen Vorsatz nicht zu betteln, lache ich laut und frage:

„Du stehst wohl auf Konkurrenz — keine Angst, da kommen auch Mädels.“

„Und ist das weit von hier? Und da kann ich einfach mitkommen?“

Ich lege meinen Kopf verträumt zur Seite und denke kurz nach. Wenn ich jetzt nicht alles auf eine Karte setze, diskutieren wir bis zum Morgengrauen alle Eventualitäten durch:

„Du hast die Wahl. Entweder Sofa und Fernsehen oder die Chance auf eine Party mit Fremden. Bitte entscheiden Sie sich jetzt.“

Die Antwort kommt überraschend schnell:

„Wann gehen wir?“

Uff, ein kleiner Schubs und schon schießt sie wie ein Pfeil vorneweg. Erleichtert antworte ich:

„Wenn meine Freunde hier sind, sie bringen noch einen Mecki mit, den ich nicht kenne.“

„Einen Igel?“, fragt sie mich lachend und ich schaue verwirrt. Mir wird erst jetzt bewusst, dass Mecki ein Synonym für Igel ist:

„Vielleicht wollen sie dem Partygott ein Tieropfer darbieten?“

„Ich denke, das wird ein lustiger Abend werden, Faihty“

Das Faithy lasse ich nicht auf mir sitzen und kontere:

„Glaube ich auch, Anja-y.“

Meine interessante Tischnachbarin will gerade zu einem verbalen Gegenschlag ausholen, als sie erschrocken aufblickt.

Gleichzeitig schlägt eine flache Hand auf meinen Rücken und ich höre die quäkende Stimme von Mike:

„Hey Faith, lass es, die ist ne Nummer zu groß für dich.“

Mike — einer meiner Freunde — stellt sich zwischen Anja und mich an den Tisch. Er ist gut und gerne zwei Meter groß, aber seine Schultern sind kaum breiter als der Kopf.

Er reicht Anja kurz die Hand zum Gruß, fuchtelt aber schon wieder wild damit in der Luft herum, bevor sie den Gruß erwidern kann. Ohne Luft zu holen, spricht er weiter:

„Hey, ist nicht so gemeint Faith, du weißt doch, wie ich es meine.“

Dann dreht er sich zu Anja:

„Noch mal hallo, ich bin Mike und wir, also Faith und ich, wir kennen uns schon so lange und was ich eigentlich sagen will …“

Ich ducke mich, als wäre der Redeschwall knapp über der Tischplatte nicht ganz so dicht und erkläre Anja:

„Mike wollte mal Rapper werden, aber er kann keine Reime bilden. Er ist im Moment total aufgeregt. Wenn er dich etwas besser kennt, ist er ein richtig netter Kerl.“

Mike bemerkt unser „heimliches“ Gespräch und mischt sich ein:

„Hey, hört ihr mir eigentlich zu?“

Ich blaffe ihn an:

„Nein Mike, keine Sau hört dir zu, erzähle es der Parkuhr oder halte die Klappe!“

„Ist ja schon gut, ich wollte dich nur schnell abholen. Tom und Mecki warten im Auto, können wir los?“

„Ja, aber ich fahre mit Anja, sie kommt auch mit auf die Party.“

Mike springt wieder vom Stuhl auf und winkt kurz in die Runde:

„Cool, dann bis gleich.“

*** Kapitel 06 — Mondstern

Und schon ist dieses übernervöse Schlacksel namens Mike wieder auf dem Weg nach draußen. Er dreht sich noch einmal um, winkt uns und schafft es, dabei das Kunststück fertig zu bringen, zwei anderen Gästen auf die Füße zu treten. Schulterzuckend macht er sich schnell aus dem Staub. Dieser Mike redet nicht nur wie ein Wasserfall, er ist auch ein kleiner Tollpatsch. Gut zu wissen, falls er auf die Idee kommt, mich später zum Tanzen aufzufordern.

Faith gibt ein Handzeichen in Richtung der Theke und als er mein Lächeln bemerkt, zuckt er nur leicht mit der Schulter — dieses „Meine Freunde sind halt so“-Zucken.

„Zusammen oder getrennt?“, fragt die Bedienung.

„Getrennt!“, platzt es gleichzeitig aus uns heraus. Wieder lächeln wir uns an.

Seine Freunde sind schon weg, als wir vor dem Cafè stehen und kurz darauf sind wir auch schon bei meinem Wagen.

„Verdammter Mist! Diese Karre zieht wohl Politessen magisch an!“, schimpfe ich und ziehe den Strafzettel unter dem Scheibenwischer hervor. Faith macht eine kurze Kopfbewegung und als ich nicht reagiere, zeigt er mit dem Finger nach vorne. Das runde Schild mit blauem Hintergrund, roter Umrandung und den gekreuzten Strichen hüpft mir förmlich ins Gesicht.

„Mist! Habe ich total übersehen!“

„Papi wird’s bezahlen!“, höre ich noch und schon sitzen wir im schwarzen Mercedes SLK 230. Ich konzentriere mich darauf auszuparken und folge einfach Faiths Anweisungen. An der Ampel links und dann gleich wieder rechts, Spurwechsel und auf die Hauptstraße. Immer geradeaus, raus aus der City, meint er.

„Papi?“, fällt mir seine Bemerkung wieder ein. Wieso Papi? Plötzlich muss ich lachen.

„Lass mich raten, du hast dir gerade einen Witz erzählt, den du noch nicht kanntest?“

„Nein, es ist wegen deiner Bemerkung von vorhin, wegen des Strafzettels. Du meinst, das Auto gehört meinem Vater?“

„Ach was! Ich dachte du suchst dir einfach im Umkreis von 50 Metern einen aus, der dir gefällt.“

„Machen das nicht alle hier? Der Benz gefällt mir wirklich, aber leider gehört er einer Freundin. Sie ist in der Dom Rep und leiht ihn mir so lange! Cool, oder?“

„Du passt wunderbar zu dem Wagen.“

Insgeheim freue ich mich über sein Kompliment. Ich schaue kurz rüber und antworte lächelnd:

„Leider nicht meine Preisklasse, ich muss für mein Geld arbeiten.“

„Aber trotzdem kommst du in den Genuss dieses Autos, ist doch prima.“

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