Den Tag an dem ich Julian begegnet bin, werde ich wohl in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen. Es war der Beginn einer wundervollen Beziehung.
Das Ganze begann vor drei Jahren. Mit meinen damals 20 Jahren gehörte ich wohl zu den Spätzündern was das Schwulsein anbelangte. In meinen Träumen hatte ich zwar schon die erotischsten Phantasien ausgelebt, aber einen Jungen im wirklichen Leben zu berühren, ja sogar zu küssen, das sollte an diesem Tag endlich wahr werden.
Auf Schnupperkurs
Es war der letzte Samstag im März. Eine Woche vor Ostern. Und es war das erste schöne Wochenende des Jahres. Wie immer wenn das Wetter gut ist, können mich zu Hause keine zehn Pferde halten. Ich beschloß an den Bodensee, nach Lindau zu fahren. Ich liebe den Bodensee und ich liebe Lindau. Neben Konstanz ist es für mich die romantischste Stadt am Schwäbischen Meer.
Ich fuhr also los. Der Sonne entgegen bis nach Ulm, dann auf die A7 Richtung Süden. Es war kurz vor Mittag, als ich auf einem Rastplatz für eine kurze Zigarettenpause Halt machte. Wie schnell doch das Leben hier abläuft. Das ist ein Kommen und ein Gehen. Gerade fährt zwei Autos vor mir ein kleiner Sportflitzer in eine Parklücke rein. Netter Wagen, denke ich so, und genieße den letzten Zug meiner Zigarette. Das Autokennzeichen verrät mir, daß der Wagen aus meiner Gegend kommt. Bin doch mal gespannt, wem der gehört.
Als sich die Tür des Wagens öffnet, scheint sich alles nur noch in Zeitlupe abzuspielen. Einen so hübschen Jungen hatte ich noch nie zuvor gesehen. Er hatte glatte, blonde Haare und dürfte wohl schätzungsweise ein Jahr älter als ich gewesen sein. Etwa eins achtzig groß und einen knackigen Hintern, der seinesgleichen sucht. Er mußte wohl mal für große Königstiger, weshalb er den Gang zu den Toiletten einschlug. Zerrissene Jeans fand ich ja schon immer sexy, seine jedoch waren so frech, daß sie sogar einen kurzen Blick auf seine weiße Unterhose zuließen. Ein Anblick, der mir beinahe den Verstand raubte, wo ich weiße Unterhosen doch so scharf finde. Wie gut, daß er mich in diesem Zustand nicht gesehen hat.
Ab dem Moment, als er in der Toilette verschwunden war, wechselte bei mir der Ablauf von Zeitlupe zum Zeitraffer. Meine Gedanken überschlugen sich: Der ist es! Aber wie? Die hübschesten Männer sind sowieso nicht schwul. Und all das Zeug, was einem sonst noch so durch den Kopf schwirrt, wenn man sich halb im Delirium befindet.
Es kam wie es kommen mußte. Er kam so schnell zurück wie fünf Minuten um sind, wenn man morgens im Bett auf das Klingeln des Weckers wartet. Jetzt zündet er sich auch eine Zigarette an. Cool, jetzt bekomme ich noch mal ein paar Minuten Aufschub.
Doch was ist das? Träume ich, oder hat mein Adonis gerade zu mir herübergeschaut. Während ich weiche Knie bekomme zwinkert er mir noch einmal zu und steigt in seinen Wagen.
Mist, warum kann er seine Zigarette nicht hier zu Ende rauchen. Das wäre meine Chance gewesen. Da fährt er. Ich stehe da wie angewurzelt. Jetzt fehlt nur noch, daß ich ihm mit einem Taschentuch hinterherwinke. Das wäre Hollywood Kino live. Aber das ist auch mal wieder typisch für mich. Wer weiß, wann ich wieder mal auf so einen Süßen treffe, und ob überhaupt. Wenn ich so weiter mache sterbe ich noch als Jungfrau.
Niedergeschlagen steige ich in mein Auto, mir ist ganz schlecht. Eigentlich habe ich gar keine Lust mehr auf Bodensee, aber es sind nur noch 40 Kilometer, also Kopf hoch. Und außerdem hätte ich mir daheim wahrscheinlich nur die Augen ausgeheult. On the Road again geht mir dieser Kerl aber einfach nicht aus dem Kopf. Warum hat er mir zugezwinkert? Nicht gerade ein Heteromerkmal, einem anderen Mann zuzuzwinkern, oder? Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet, ach Themawechsel jetzt. Das bringt doch eh nichts mehr.
Hey, da fängt ja schon das Allgäu an. Diese hügelige Landschaft gefällt mir total. Hier sieht doch alles viel gemütlicher aus. Endlich tauchen auch so langsam meine Lieblingskühe auf: die Allgäuer Kühe. Ich finde, sie schauen immer so lieb. Sie sehen auf jeden Fall viel besser aus als die Rindviecher, die ich so kenne. Verrückt, ich will mich mit Kühen ablenken. Klar, daß das nicht funktioniert.
Mein Blick wandert auf die Tankanzeige. Kreisch! Total im roten Bereich. Scheiße, hoffentlich schaffe ich’s noch zur nächsten Tankstelle. Wenn ich mal Pech habe, dann aber richtig. Traumboy weg, Tank leer und – aller schlechten Dinge sind drei – wahrscheinlich die nächste Tankstelle erst kurz vor Lindau. Das würde ich nie schaffen. Sicherheitshalber wechsle ich von meiner Sportfahrweise in eine spritsparendere. Vielleicht gewinne ich dadurch ja ein paar Kilometer.
Doch was sehe ich da. Wie jemand der in der Wüste am Verdursten ist und nach Wasser lechzt, eröffnet sich vor mir eine Oase mit deutschem Markenkraftstoff. Das verspricht zumindest das riesige Schild. Hoffentlich ist es keine Fata Morgana. Ach, die Welt ist ja doch nicht so ungerecht.
Ich setze den Blinker, verlasse die Autobahn und rolle lässig an eine freie Zapfsäule. Puh, das war knapp. Während ich meinen Wagen auftanke, lasse ich meinen Blick über das Tankstellengelände gleiten. Das kann doch nicht wahr sein…
… Das gibt’s doch gar nicht. Dort drüben steht der gleiche Sportwagen wie der, den ich vorher auf dem Rastplatz gesehen habe. Aber ist es auch tatsächlich derselbe?
Oh mein Gott, er ist es wirklich. Ich erkenne das heimische Kennzeichen wieder. Mein Puls schlägt schneller. Adrenalin. Aber wo ist ER? Sein Wagen steht nicht an einer Zapfsäule sondern auf einem normalen Parkplatz. Was macht er da? Na egal, ich werde jedenfalls nicht eher weiterfahren, bevor ich IHN nicht gesehen habe. Aber Moment mal, da drinnen im Shop steht er doch. Bei den Zeitschriften. Gedankenlos breche ich nach 15 Litern den Tankvorgang ab. Das muß reichen. Ich eile in den Shop. Jetzt cool bleiben. Mann ist das schwer, cool zu bleiben, wenn einem das Herz bis zum Hals schlägt. Er hat mich noch nicht gesehen, blättert vertieft in einem bunten Magazin. Ich versuche mich völlig normal zu verhalten und schlendere ebenfalls zu den Zeitschriften. Was liest er denn da, das ist doch nicht etwa… er ist schwul, er ist schwul, er ist schwul.
Ganz klar, so etwas göttliches würde ein Hetero nicht mal mit der Kneifzange anfassen. Verstehe einer diese Heteros.
Er hat mich immer noch nicht bemerkt, so konzentriert schaut er die Bilder durch. Ich stehe etwa zwei Meter von ihm entfernt und habe die Wahl zwischen dem Playboy und der Praline. Ich verzichte auf beides, atme ganz tief ein und fasse all meinen Mut zusammen:
„Na, was nettes dabei?“ Sein Kopf fährt hoch und dreht sich zu mir herüber.
„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken“. Sein Gesicht errötet leicht, was ihm sehr gut steht. „Nein, nein, äh, hast du gar nicht… bist du nicht ähh der vom Rastplatz vorher?“
Er hat mich erkannt. Das gefällt mir schon mal sehr gut. Ich nicke und sage: „Bingo, so schnell sieht man sich wieder“. So langsam komme ich auf Touren. Ich deute auf seine Zeitschrift und frage ihn, ob er sich sowas öfter anschaue.
„N..nein, eigentlich nicht, es ist nur, weil vorher, auf dem Rastplatz, na ja…“
Was meint er denn. Habe ich da auf der Toilette etwas verpaßt? Ich lasse ihn weitererzählen.
„Du bist mir vorher auf dem Rastplatz schon aufgefallen. Leider hat mir der Mut gefehlt, dich anzusprechen. Es klingt zwar blöd, aber ich wollte hiermit auf andere Gedanken kommen“.
„Das klingt echt blöd“, erwidere ich lächelnd, „zumal du ja auch nur kurz zu mir hergeschaut hast“.
„Von wegen“, sagte er.
Und dann hat er mir erzählt, was ich noch nicht wußte. Da wurde aus dem Jäger plötzlich der Gejagte. Er war nämlich schon vor mir auf dem Parkplatz gewesen und hat mich die ganze Zeit aus sicherer Entfernung beim Rauchen beobachtet. Als dann vor mir was frei wurde, parkte er seinen Wagen kurzerhand um, wie er sagte, um auf sich aufmerksam zu machen.
„Was dir zweifelsfrei auch gelungen ist“, sagte ich. „Aber woher weißt du, ob ich denn auch auf Männer stehe? Schließlich liegt die Wahrscheinlichkeit auf einen Schwulen zu treffen bei eins zu zehn“. „Ach weißt du“, erwiderte er, „wenn man selbst schwul ist, dann erkennt man seine eigenen Leute auch. Dich habe ich an deinen Bewegungen und an der Art, wie du Zigarette geraucht hast erkannt“.
Donnerwetter, 1:0 für ihn. Da kann ich glaube ich noch einiges lernen. Ob er mit dem schwulen Leben schon viel Erfahrung hat? Gleich mal fragen. Beziehungsweise halt, das hebe ich mir für später auf. Erstmal erfahre ich von ihm, daß er Julian heißt, 22 Jahre alt ist und aus meiner Nachbarstadt kommt.
Wir beschließen, uns in das Bistro neben der Tankstelle zu setzen, um uns näher kennenzulernen. Verrückt, ich spüre förmlich, wie elektrisiert die Luft ist. Ich glaube ihm geht es genau so.
Wenn ich heute an diese Situation zurückdenke wird mir bewußt, daß ich mit all meinen Sinnen bei Julian war. Ich hörte weder den Lärm der Autobahn, noch roch ich das Benzin der Tankstelle. Auch die Leute um uns herum nahm ich nicht wahr. Mein Vorhaben mit Lindau und Bodensee war plötzlich in weite Ferne gerückt. Ich war ganz auf Julian fixiert.
Heute bin ich überzeugt, daß ich mich damals im Bistro schon in ihn verliebt habe. Was auch kein Kunststück war, denn er war einfach traumhaft schön. Seine blonden Haare, die tiefen, blauen Augen, seine süßen kleinen Ohren, seine freche Nase, die vorne, an der Nasenspitze, leicht nach oben gezogen war (ich habe sie später immer liebevoll Schweinchennase genannt), seine festen und prallen Lippen, die mir sagten: küß mich.
Da saß ich ihm nun gegenüber und ließ mich von seiner Aura fesseln. Die quälende Aufregung ihn vorher anzusprechen war zu einem spannenden Prickeln geworden. So etwas habe ich zuvor noch nie erlebt. Ich beobachtete, wie er seine süßen Lippen beim Reden formte und wie sich bei bestimmten Wörtern seine Nase leicht kräuselte.
Hätte ich damals schon gewußt, daß Julian zwei Jahre später in meinen Armen sterben würde, ich hätte nicht gewußt, wie ich mich verhalten hätte. Ich glaube ich wäre trotzdem bei ihm geblieben. Obwohl sein Verlust ein so entsetzlich großes Loch in mir hinterlassen hat, daß ich nach dem Sinn des Lebens lange wieder suchen mußte.
Aber die Zeit mit ihm war so traumhaft schön.
„Was treibt dich denn eigentlich hierher?“, fragte ich ihn.
„Unser Nachbar hat einen kleinen Hof in der Nähe von Kempten. Ich bin mit ihm öfters da am Wochenende. Einfach so eben. Zwischen uns läuft nichts. Er ist ja auch schon Mitte vierzig. Gestern hat er mich gefragt, ob ich für ihn ein paar kleinerer Arbeiten am Haus ausführen könnte. Als kleines Entgegenkommen könnte ich auch mit seinem neuen Wagen fahren. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen“.
„Kann ich mir vorstellen. Den Flitzer habe ich schon am Rastplatz bewundert. Der macht bestimmt seine 250 Sachen“.
„Kann schon sein, ich habe ihn noch nicht ausgefahren. Ist auch viel zu gefährlich bei dem Verkehr hier. Und wo willst du hin?“
Ich erklärte ihm, was ich vorhatte und das ich auch heute abend wieder heimfahren will.
„Hmm“ sagte er. „Wie wäre es, wenn du mir auf dem Hof etwas Gesellschaft leisten würdest? Allein ist es dort sehr einsam und bei der ein oder anderen Arbeit könntest du mir behilflich sein“.
Ooops. Der hat ja ein Tempo drauf. Aber wo er Recht hat, hat er Recht. Wir hätten bestimmt jede Menge Spaß zusammen. Und außerdem hätte ich mir das nie verziehen, wenn ich Nein gesagt hätte. Nach kurzem überlegen antwortete ich: „OK, einverstanden“.
„Klasse, dann nichts wie los!“
So schüchtern wie ich zu Anfang dachte ist er eigentlich gar nicht. Er gefällt mir.
Erste Kontaktaufnahme
Ich fuhr brav hinter ihm her. Wir verließen nach kurzer Zeit die Autobahn. Nach einer weiteren dreiviertel Stunde bogen wir von der Landstraße in ein kleineres Sträßchen ein und erreichten den Hof nachdem wir einen Wald passiert hatten. Er lag tatsächlich sehr einsam. Ich stellte mir vor, wie unheimlich es hier nachts sein würde.
„So, wir sind da“.
„Mann, hier ist es ja total schön. Und diese Stille“. Ich war sprachlos.
„Ja ja, hier kann man sich am Wochenende richtig schön entspannen. Und man ist vor allem ganz ungestört“. Was hat er da nur für ein Glänzen in seinen Augen?
Zuerst zeigte er mir das Grundstück und das Haus. Die Arbeiten werden zu zweit schnell erledigt sein, meinte er. Ein paar Holzlatten am Zaun erneuern, am Unimog muß die Kühlerhaube neu gestrichen werden und in der Scheune ist noch Brennholz für den Winter (im März?) zu stapeln.
Wir beschlossen – da es schon kurz vor 17 Uhr war – heute die Malerarbeiten und morgen den Rest zu erledigen.
„Zu zweit macht diese Arbeit sowieso mehr Spaß“, meinte er.
„Stimmt“, erwiderte ich. „Aber du solltest beim Eintauchen des Pinsels vielleicht nicht gleich deine ganze Hand mit einfärben“.
Ein Malermeister wird an ihm nicht verlorengehen, dachte ich mir. Aber er hat dafür bestimmt andere Qualitäten. Während wir so weiterpinselten ertappte ich mich wieder bei meinen erotischen Gedanken. Doch diesmal hat mein Partner zum ersten Mal ein Gesicht bekommen. Es ist Julian.
„An was denkst du gerade?“ Seine Frage reißt mich in die Realität zurück. Er sieht mich an und ich fange unweigerlich zu lachen an.
„Mensch wie siehst du denn aus. Du sollst die Motorhaube anmalen und nicht dein Gesicht. Oder ist das hier so Tradition?“ Er hatte sich wohl in Gedanken mit der farbigen Hand den Schweiß von der Stirn gewischt.
„Scheiße, das kriege ich so schnell wohl nicht wieder ab“.
„Wenn wir uns beeilen vielleicht schon. Die Farbe ist noch nicht ganz trocken, komm mit“.
Gleich als wir ankamen ist mir dieser Brunnen vor dem Haus aufgefallen. Julian sagte, es ist das einzige Trinkwasser hier oben. Frisch und eiskalt.
„Ich wasche dir jetzt die Farbe aus dem Gesicht“, meinte ich. Er holte Seife und ein Handtuch aus dem Haus.
„Du siehst ja aus. Wie hast du das denn geschafft? Sogar hinter den Ohren!“
Da die Farbe noch nicht angetrocknet war bekam ich sie ganz gut von ihm ab.
„Danke“, sagte er und gab mir einen Kuß auf die Wange. Sonst sagte er nichts, sondern machte sich wieder an die Arbeit.
Das war also mein erster Kuß von einem Mann. Warum hatte er das getan? Bedeute ich ihm etwas?
Ich saß noch bestimmt zwei Minuten am Brunnen und grübelte, bis ich mich auch wieder an die Motorhaube machte. Während der restlichen Arbeit schwiegen wir.
„Fertig!“, unterbrach er die Stille. „Sieht doch ganz gut aus, findest du nicht?“
„Hmmm, doch“. Zu mehr brachte ich es nicht.
„Was ist denn auf einmal los mit dir, du bist so ruhig geworden?“, fragte er mich.
„Das vorher am Brunnen…“
„Du hast wohl noch nie von einem Jungen einen Kuß bekommen, was?“
Ich erklärte ihm, daß ich eigentlich noch überhaupt keine Erfahrungen mit Jungs gemacht habe und das ich das vorhin eine sehr schöne Geste fand.
Nach dem Abendessen machten wir es uns auf einer alten Couch im Wohnzimmer bequem. Irgendwo hatte Julian noch eine Flasche Rotwein aufgetrieben. Wie schön dachte ich, ich glaube ich werde mir wohl heute abend ein bißchen Mut antrinken.
Wir unterhielten uns bestimmt drei Stunden angeregt über Gott und die Welt. Er erzählte mir, daß er noch daheim wohne und nur seine Mutter über ihn Bescheid wußte. Für sie war das kein Problem, für den Vater schon eher. Julian spielt dreimal die Woche Handball im Verein und ist auch sonst recht sportlich, was auch nicht zu übersehen ist. Jetzt fand ich den Zeitpunkt passend, die Frage zu stellen, ob er denn schon mal einen Freund hatte.
„Ja, das ist aber schon bestimmt zwei Jahre her. Er ist dann von hier weggezogen nach Berlin. Beruflich, er war schon 27. Damals habe ich gedacht, die Welt bricht zusammen. Heute glaube ich nicht, daß es die große Liebe war. Na ja, und ab und zu mal ein paar kleinere Sachen, nichts ernstes eben“.
Er stand auf, ging zum Schrank und kam mit einem Buch zurück.
„Hier, das ist das Gästebuch. Immer wenn früher irgendwelche Wanderer hier vorbeikamen, haben sie was in dieses Buch geschrieben. Es ist glaube ich über 50 Jahre alt“.
Während ich in dem Buch blätterte, stellte er sich hinter mich und begann leicht meinen Nacken zu massieren. Es gefiel mir. Ich sagte nichts, er sagte auch nichts, eine ganze Weile.
Nach einiger Zeit faßte ich nach seinen Händen und zog ihn zu mir auf die Couch. Was für zarte und weiche Hände er doch hatte.
„Küßt du mich noch mal?“, fragte ich ihn.
Ohne zu zögern, schlang er seine Arme um meinen Hals und zog mich zu sich heran.
Das ist der schönste Moment in meinem Leben, das war das einzige was mir durch den Kopf ging. Dann schaltete sich mein Gehirn ab und die Gefühle übernahmen das Kommando.
Diesmal küßte er mich auf meinen Mund. Ich spürte seine kräftigen und festen Lippen auf meinen und erwiderte seinen Kuß. Ich tastete mit meiner Zunge seine Lippen und seinen Mund ab und spürte schließlich auch seine Zunge. Ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper. Ich habe ja schon ein paarmal Mädchen geküßt als ich noch nicht wußte, daß ich schwul bin, aber mit Julian ist das etwas ganz anderes.
Ich zog sein T-Shirt aus der Hose und berührte mit meiner Hand seine nackte Brust. Wie schön warm und weich sie war. Aber Julian war immer ein Schritt weiter als ich. Er knetete schon die Beule, die sich in meiner Hose gebildet hatte und flüsterte in mein Ohr: „Laß uns ins Bett gehen, dort ist es viel schöner“.
Wenn ich es noch richtig weiß, sind wir morgens um halb sieben eingeschlafen.
Dieses erste Mal mit einem Jungen war das Schönste, was ich bisher erlebt habe. Ich habe Julian sogar am nächsten Tag noch in mir gespürt. Dieses Gefühl hatte ich seither nie wieder.
Von Aliens belagert
„Sag mal, Schatz, wann kommt eigentlich Independence Day im Kino. Kann es sein, daß er am Donnerstag schon anläuft?“
Wir sind jetzt seit 6 Monaten zusammen, ich und Julian, und wir sagen eigentlich mehr Schatz zueinander, als daß wir uns beim richtigen Namen nennen.
„Kann schon sein, schau doch mal in die Zeitung rein“.
Stimmt, ich lag mit meiner Vermutung richtig. Er läuft schon in dieser Woche an. Neben den Anzeigen der Stadtkinos fiel mir auch die Anzeige unseres Autokinos auf, wo der Film ebenfalls gezeigt wird.
„Warst du eigentlich schon mal im Autokino“, fragte ich meinen Liebsten.
„Einmal, war ziemlich öde. Wir mußten uns so einen alten quäkenden Lautsprecher an die Fensterscheibe hängen, woraus kein Wort zu verstehen war“.
Stolz berichtete ich ihm, was ich gerade gelesen hatte: „Die haben jetzt einen UKW-Sender auf dem Gelände stehen. Man kann jetzt den Ton übers Autoradio empfangen“.
Julian riß diese Neuigkeit nicht gerade vom Hocker. Meine Argumente gemütlich und ungestört haben in aber schließlich doch noch überzeugt, so daß wir unserem schnuckeligen Stammkino in der Stadt dieses eine Mal untreu wurden.
Der Tag der Invasion war gekommen.
Am Abend sah Julian mißtrauisch zum Fenster raus und kritisierte den nicht mehr ganz so schönen Septembertag: „Also diese Wolken gefallen mir gar nicht. Was machen wir, wenn es zu regnen anfängt?“
„Heh, lieber ein paar Wolken am Himmel, als diese UFOs, die du nachher zu sehen bekommst. Das Wetter wird schon halten“, sagte ich und kam zu ihm ans Fenster.
Ich umklammerte ihn von hinten und biß ihn leicht in seinen braungebrannten, ausrasierten Nacken. Das mochte er besonders. So auch heute, und beinahe hätten wir den Anfang des Films verpaßt…
Wir fuhren in letzter Minute auf das Gelände und suchten uns noch einen schönen Platz aus. Ein letzter Korrekturzug rückwärts und der Blick auf die riesige Leinwand war perfekt.
Ich stellte das Radio auf den richtigen Empfang und machte es mir mit meinem Kopf in Julians Schoß gerade gemütlich, als der Film auch schon anfing. Das nenne ich Timing.
Ich lag gerne auf ihm. Er strahlte so eine beruhigende Wärme aus. Und manchmal – wenn er sehr erregt war – konnte ich sogar sein Herz schlagen hören. Klar, daß man dann auch ein anderes Körperteil zu spüren bekommt. Einer der Gründe, weshalb ich schwul bin.
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