Dies ist die fünfte, in sich abgeschlossene Episode über eine Welt, die ein wenig anders als unsere ist.

Wenn diese auch für sich allein stehen kann, spielt die Protagonistin auch schon in den fünf vorhergehenden Episoden mit, und einiges, was hier erwähnt wird, ist wahrscheinlich nur im Kontext verständlich.

Ich hoffe, diese Geschichte ist leichter verständlich als die letzten beiden. Auf jeden Fall kommt sie, von ein Rückblenden abgesehen, ohne Zeitreisen aus.

Alle an sexuellen Handlungen beteiligten Personen in dieser Serie sind volljährig — inzwischen auch Patrizia.

Aus gegebenem Anlass: Copyright© 2020 Phiro Epsilon Das Posten dieser Geschichte, auch auszugsweise, auf einer anderen Webplattform oder unter einem anderen Namen ist nicht gestattet.

05 Mir ist so langweilig

1

Patrizia

(März 2026)

„Du siehst traurig aus.“

Mein Kopf fuhr hoch, als diese Worte mich aus meiner Versenkung rissen. „Morgana!“ Ich sprang auf und umarmte sie wild. Unter all den Menschen, die ich hier auf dem Unicampus erwartet hätte, war sie sicher die Letzte.

Sie strich mir über den Kopf. „Du bist groß geworden.“

„Wir haben uns ja schließlich seit fünfzehnhundert Jahren nicht mehr gesehen. Für das Alter hast du dich gut gehalten.“

„Pssst! Erzähl niemandem, wie alt ich bin.“

Ich winkte ab. „Interessiert doch heutzutage keinen. Frauen sind so alt wie sie sich fühlen und aussehen. Was auf der Geburtsurkunde steht — Du hast ja wohl eh‘ keine.“

Sie lächelte. In dem Moment hätte wohl jeder gesehen, dass sie keine Mittzwanzigerin war, auch wenn sie so aussah. Ihre Augen spiegelten die Jahrhunderte wider.

„Wie geht’s deinen Eheleuten?“, fragte ich. „Sag nicht, du hast dich scheiden lassen.“

Sie setzte sich aufs Gras und zog mich mit sich herunter. „Iwo“, sagte sie. „Ich wollte den beiden nur ein paar Tage Zweisamkeit gönnen. Wir machen das reihum immer mal wieder.“

Ich nickte. „Macht Sinn, wenn man so lange zusammen ist.“

„Und, mit wem bist du zusammen?“

Ich zuckte die Schultern. „Mal der, mal die. Nichts Festes. Ich bin ja gerade erst achtzehn geworden.“

„Ich hab‘ gehört, du hast mit sechzehn ein Einser-Abitur abgeliefert.“

„Und ganz ohne Spicken!“, sagte ich stolz. „Alles, ohne auch nur einmal während einer Klausur im Internet nachzusehen.“

„Und jetzt studierst du Zaubern?“

„Theoretische Magie mit Nebenfach Psychologie. Was in den Köpfen der Leute vorgeht, ist mir immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Ich bin halt der klassische Computernerd.“

Sie nickte langsam. „Aber irgendetwas fehlt in deinem Leben. Deine war in deinem Alter schon schwanger. Ist es das? Willst du eine haben?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Ich habe aus sicherer Quelle, dass ich mir Zeit lassen darf. Die ‚Kette‘ gibt es in der neuen Zeitlinie nicht mehr. Genauso wenig wie ‚Gott Herne‘. Das war damals der größte Schock. Die ganze ist gut evangelisch. Ich dagegen kannte noch nicht einmal das Vaterunser, als ich zurückkam.“

Sie blickte mich fragend an. „Also?“

Ich holte tief Luft. „Mein ganzes Leben ist irgendwie langweilig. Damals, das Abenteuer mit dir und Merlin, auch wenn es nur ein paar Tage gedauert hat, das war wenigstens etwas. Trotz der Leichen. Aber danach —“ Ich hob die Hände. „Ich will mich ja nicht beschweren. Von den drei Welten, die ich kenne, ist das hier definitiv die beste. Zaubern als Pflichtfach in der Schule, statt der ständigen Geheimniskrämerei, das ist doch traumhaft. Aber trotzdem —“

„Du hast doch noch dein ganzes Leben vor dir. Mach doch erst einmal deinen Abschluss —“

„Jetzt hörst du dich an wie , oder Oma, oder Oma, oder Oma, oder —“

Sie brach in Lachen aus. Dann wurde sie wieder ernst. „Du kannst es langsam angehen. Du kannst doch auch ein Jahr aussetzen und eine Weltreise unternehmen. All die interessanten Stätten kennenlernen, statt sie nur im Internet anzuschauen.“

„Moment mal“, unterbrach ich sie. „Hat Oma Melanie dich etwa geschickt?“

Sie zuckte die Schultern.

„Als ob sie nicht genug Sorgen mit ihren eigenen Kindern hätte.“ Melanie war sehr verblüfft gewesen, als sie kurz nach der Rückkehr von unserem Abenteuer feststellte, dass sie schwanger geworden war. Wo sie das doch schon lange abgeschrieben hatte. Doch schließlich hatte sie ja ihren Körper aus der „SM-Zeitlinie“ behalten. Dreißig Jahre jünger und perfekt in Schuss. Sogar jungfräulich. Frank musste schon in derselben Nacht einen Volltreffer gelandet haben.

Seitdem hatte sie im Zweijahresrhythmus Kinder in die Welt gesetzt. Einmal sogar Zwillinge. Zusammen mit den vier Geschwistern, die ich geerbt hatte, fast schon eine Fußballmannschaft. Und Mama arbeitete schon am Mittelstürmer.

„Du weißt genau, dass du einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen hast.“

„Ja, schon. Aber auf dieser Welt herumzureisen, ist doch kein Abenteuer mehr, solange man nicht als Hexe in ein streng katholisches oder muslimisches Land einreist. Und letzteres wäre ein sehr kurzes Abenteuer.“

Sie lachte leise in sich hinein. „Wem erzählst du das? Okay, was hältst du von folgender Idee: Ich stelle dir in der nächsten Zeit immer mal wieder kleine Aufgaben, die du lösen musst. Es wird jeweils mehrere Möglichkeiten geben, wie du darauf reagieren kannst. Und damit auch mehrere mögliche Wege, wie dein Leben weitergeht.“

Ich legte den Kopf schief. „Ist eines davon ein Blind Date?“

„Du warst schon mit neun ein cleveres Kerlchen. Aber ja. Ich denke, du brauchst einen Partner, der — oder die — etwas mehr als nur ’nichts Festes‘ ist. Jemand, dem du vertrauen kannst. Ich sorge dafür, dass dir in nächster Zeit ein paar Leute über den Weg laufen.“

„Hmmm.“ Das hörte sich irgendwie nicht sooo gut an.

„Und noch etwas: Hör auf damit, potentiellen Freunden hinterherzuspionieren.“

„Das mache ich doch nicht!“

Sie runzelte die Stirn. „Nein? Wie nennst du es, wenn du ihren Namen eintippst und dich vom Internet zu ihren privatesten Informationen führen lässt?“

„Das ist alles — Okay. Du hast recht. Schlechte Angewohnheit.“

„Also?“

„Ach, was soll’s! Wir haben einen Deal.“

*

Es war noch ein paar Tage bis zum Semesterbeginn. Es liefen nur die üblichen Vorbereitungskurse, also hatte ich viel Zeit, nach Neuankömmlingen Ausschau zu halten. Was ich auch tat.

2

Leon

(April 2026)

Drei Jahre auf der Sorbonne hatten mich nicht darauf vorbereiten können, was mich auf meiner neuen Universität in Deutschland erwartete.

In Paris gab es alte, muffige Gebäude, in die das Tageslicht Mühe hatte, einen Blick hineinzuwerfen. Hier — Flache Neubauten mit großen Fensterfronten. Licht, Luft, Freiheit.

Dort lehrte man, dass Naturwissenschaft und Magie nicht viel miteinander gemein hatten. Hier — Ich blickte auf meinen Stundenplan: Theoretische Magie, Quantenmagie, Mathemagie, Magie und Computertechnik, Physikalische Magie und so weiter und so fort. Alles, was mein Herz begehrte.

Und außerdem Sonnenschein und blauer Himmel fast wie damals zu Hause im Kongo.

Nur wo in des großen Gottes Namen war Gebäude S13? Ich starrte auf den riesigen Bildschirm, der eine Übersichtskarte der Universität anzeigte. Nur hatten die Gebäude keine Nummern, sondern seltsame Namen.

Eine junge Mädchenstimme sprach mich von der Seite an. Ich wandte mich zu ihr. Sie war jung, bestimmt noch keine zwanzig. Sie redete wie ein Wasserfall, allerdings verstand ich kein Wort.

„Je ne parle pas allemand“, sagte ich. „Kein Deutsch. Parlez-vous français? English?“

„Sorry“, sagte sie. „One moment.“ Sie schloss die Augen und murmelte ein paar Worte. Dann lächelte sie mich an. „Verstehst du mich jetzt, Großer?“

Ich war verblüfft. „Du sprichst Suaheli?“

„Tue ich das?“ Sie grinste frech. „Nein. Ich habe nur einen Verständigungszauber aktiviert. Ich heiße Patrizia. Hast du dich verlaufen?“

„Ich suche nach Gebäude S13.“ Doch dann rappelte ich mich auf. „Sorry. Ich bin Leon. Leon Batongo.“

Sie blickte auf die Anzeige und lachte laut auf. „Da hat doch mal wieder jemand am Display herumgespielt. Hier!“ Sie wies auf das Gebäude, an dem „Black Sabbath“ stand.

„Ich verstehe nicht. Wieso?“

„‚Dreizehn‘ ist ein Musikalbum von Black Sabbath. Da haben sich mal wieder irgendwelche Computerkids in den Server gehackt. Passiert ständig an Semesteranfang.“

„Wie lange bist du denn schon hier, dass du das weißt?“

„Hab‘ grad meinen Bachelor in Theoretischer Magie gemacht. Das ist mein drittes Jahr.“

„Du — äh —“

„Sag’s ruhig. Ich sehe viel zu jung aus, als dass ich schon so weit sein könnte.“

Ich blickte an ihrem Körper hinunter und wieder hinauf. Dann zuckte ich die Schultern. „Ich hätte gesagt, du bist siebzehn? Sechzehn?“

„Achtzehn. Vielen Dank. Ich darf endlich allein Auto fahren. Aber ich hab‘ mein Abitur mit sechzehn gemacht. Bin halt ein Wunderkind.“

Das alles kam so selbstverständlich aus ihr heraus, als wäre das ganz normal.

„Aber du bist mit deiner Schätzung nah dran. Ich könnte bei dir nicht sagen, ob du zwanzig oder vierzig bist.“

Ich strich mit der Hand über mein Gesicht. „Ich bin dreiundzwanzig. Die Narben —“

„— gehen mich nichts an. Hey, ich muss los. Ich hoffe, wir sehen uns.“

„Vielleicht. Danke für die Hilfe.“

„Gern geschehen.“ Sie wandte sich um und rannte los. Ihr Körper sah durchtrainiert aus. Und ihr Hintern in der engen Lederjeans war wirklich knackig aus. Ein leichter Kopfschmerz erinnerte mich daran, dass ich mir über so etwas keine Gedanken machen sollte.

Ich schloss die Augen und wartete, bis der Schmerz abgeklungen war. Dann setzte ich mich in Bewegung. „Schwarzer Sabbat“, murmelte ich. „Seltsamer Humor.“

*

„Hey, Leon!“

Ich wandte mich um. „Patrizia! Schön dich zu sehen.“

„Suchst du wieder nach Black Sabbath?“

Ich lachte auf. „Nein, die Anzeige funktioniert inzwischen wieder richtig. Ich bin auf dem Weg zu meiner ersten Vorlesung. Quantenmagie 101.“

Sie runzelte die Stirn. „Du hörst Anfängervorlesungen? Fängst du erst mit dem Studium an?“

„Schön wäre es. Ich habe drei Jahre in Paris auf der Sorbonne verplempert. Physik und Magie sind dort völlig getrennt.“

Sie feixte. „Stehen da noch Alchimie und Dämonenbeschwörungen auf dem Lehrplan?“

„Woher weißt du das?“

„Gut geraten. Komm mit. Ich habe denselben Weg. Stammst du denn aus Frankreich?“

Ich schüttelte den Kopf. „Eigentlich sollte meine Hautfarbe das Gegenteil beweisen.“

„Auf dieser Uni? Ich kenne ein paar Schweden und Norweger, die sind dunkler als du.“

„Na dann wenigstens die Tatsache, dass Suaheli meine Muttersprache ist?“

„Ja richtig. Das sagtest du ja beim letzten Mal. Hast du denn inzwischen einen Universaltranslator bekommen?“

„Aber ja.“ Ich hob meinen Arm. Das juwelenbesetzte Armband funkelte in der Sonne. Noch etwas, worin die Leute hier den Franzosen voraus waren. Glücklicherweise sprach ich vorher schon fließend Französisch, sonst wäre ich dort gleich im ersten Semester untergegangen.

„Also kommst du aus Afrika.“

Jetzt war es an mir zu feixen. „Bist du aber klug.“

„Sagt meine Oma auch immer. Und dann kriege ich eine auf den Hintern, weil ich mal wieder vorlaut war.“

Das hätte wahrscheinlich meiner Schwester auch gut getan, doch meine Eltern hatten sie zu sehr verhätschelt. Was böse geendet hatte. Ich wischte meine deprimierenden Gedanken beiseite.

„Ich komme aus dem Kongo.“ Ich wies auf mein Gesicht. „Schwärzestes Afrika.“

„Und hast in Paris studiert?“

„Ich wollte Lehrer werden, dann in meine Heimat zurückkehren und den Kindern Mathematik, Physik und Chemie beibringen.“

„Aber jetzt?“

„Beulenpest. Ein ganz übler Stamm. Der halbe Kongo ist entvölkert oder steht unter Quarantäne.“

Sie blieb stehen. „Du hast deine verloren.“ Das war keine Frage.

Ich nickte. „Und meine Freunde und unser Dorf. Die Schule, in die ich gegangen bin, wurde niedergebrannt, um sie zu desinfizieren.“

„Und jetzt willst du etwas lernen, um deinem Land zu helfen.“

„Die Medizin hat versagt. Die Chemie hat versagt. Die katholische Kirche —“

„— verteufelt immer noch die Magie. Ich weiß.“

„Also habe ich mir vorgenommen, irgendetwas zu finden, das mein Land wieder zu meiner Heimat macht.“

Sie blickte mich nachdenklich an. Ich hatte das Gefühl, als ob sie etwas sagen wollte, doch dann wandte sie sich ab. „Hier“, sagte sie. „Hörsaal Eins. Die besten Plätze sind rechts von der Mitte.“

Ich blickte auf meine Uhr. „Dann werde ich mich beeilen. Danke, Patrizia.“

„Viel Erfolg, Leon.“

Ich winkte ihr noch einmal zu und setzte mich dann in Trab. Ich war bei weitem nicht der Einzige, den es in den Hörsaal zog. Zu meinem Erstaunen waren die Plätze rechts von der Mitte noch frei. Ich setzte mich in die zweite Reihe, öffnete meinen Laptop und harrte der Dinge, die da kommen würden.

Die Plätze um mich herum füllten sich nun auch mit Studenten. Manche grüßten mich freundlich, andere starrten mich nur an. Für mich keine ungewohnte Reaktion.

Immer noch kein Professor da. Ich blickte mich um. Durch den Mittelgang kam Patrizia, ein Tablet in der Hand. Huch? Die brauchte doch diese Vorlesung sicher nicht noch einmal.

Ich winkte ihr zu, sie grinste zurück, doch machte keine Anstalten, sich zu mir zu setzen, sondern lief weiter. Na dann eben nicht.

Sie lief an der vordersten Reihe vorbei, legte ihr Tablet auf den Tisch, der da stand und setzte sich locker daneben auf die Tischplatte.

Ich starrte sie an.

„Hallo Leute“, sagte sie. Ihre Stimme war nicht laut, und dennoch war es im Hörsaal plötzlich so still, dass man ein Blatt hätte fallen hören. „Dies ist die Vorlesung Quantenmagie 101. Eins Null Eins. Ich möchte also alle Studenten, die diesen Schein schon haben und nur hierhergekommen sind, um mit offenem Mund eine Hexe anzustarren, bitten, sich ab der nächsten Woche eine andere Beschäftigung zu suchen. Verstanden?“

Ich schüttelte langsam den Kopf. Ich hatte das Gefühl, dass mir irgendetwas entgangen war. Gleichzeitig fühlte ich einen leichten Druck in meinem Kopf. Knapp unter der Schmerzschwelle. Um mich herum hörte ich leises, zustimmendes Murmeln.

„Den anderen möchte ich sagen, dass diese Vorlesung nicht einfach wird. Ich fange langsam an, damit alle mitkommen, aber wer hier pennt oder im Internet surft, während ich rede, fliegt raus. Verstanden?“

Wieder der leichte Druck. Wieder das leise Murmeln, das sich verdammt nach „Jawohl, Frau Lehrerin“, anhörte.

„Gut. Ansonsten —“

Das Licht im Hörsaal wurde schwächer und plötzlich erschienen Sterne und Galaxien mitten in der Luft.

„Im Weltall gibt es etwa zwei Billionen Galaxien. In jeder Galaxie gibt es im Schnitt einhundert Milliarden Sterne. In einem menschlichen Körper gibt es etwa so viele Atome wie Sterne im gesamten Universum.“

Es war wie ein Flug durch das Weltall, wie ein Raumschiff, das sich mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit in eine der Billionen Galaxien stürzte und am Rand einen kleinen Stern ansteuerte, um den acht Planeten kreisten. Dann visierte das Raumschiff den dritten Planeten an, kreiste einmal darum und fiel auf eine Stadt in Europa. Am Rande dieser Stadt erstreckte sich der Unicampus und das Raumschiff flog durch die Decke eines der Gebäude. Hinein in diesen Hörsaal und in den Körper des Mädchens, das diesen Vortrag hielt. Knochen, Blutgefäße, einzelne Zellen, der Doppelstrang der DNA und dann ein einzelnes Atom, um das ein einzelnes Elektron kreiste.

„Auf dem ganzen Weg zwischen Galaxienhaufen und dem Atom ist nichts zu sehen, was die fünfte Urkraft erklären könnte, die wir Magie nennen. Denn die Partikel, die diese steuern, sind WIMPs, Weakly Interacting Massive Particles. Allgemein auch bekannt als ‚Dunkle Materie‘. Also unsichtbar. Und dennoch ist jedes davon in der Lage, Atome zu beeinflussen. Ein WIMP kann Atome verschieben, Elektronen zwischen Orbitalen springen lassen oder sie komplett von ihren Atomen trennen. Doch wann genau tut ein WIMP so etwas?“

Das Atom begann hin und her zu hüpfen, dann sprang das Elektron zwischen den Bahnen hin und her und stieß jedes Mal einen Lichtstrahl aus. Zuletzt bewegte sich das Elektron immer schneller von seinem Atomkern weg. Ein zweiter nackter Atomkern tauchte auf und die beiden bewegten sich schnell aufeinander zu. In dem Moment, in dem sie sich berührten, flammte ein Blitz auf.

Ich sprang fast aus meinem Sitz. Das hatte so echt ausgesehen, dass ich fürchtete, von der Kernverschmelzung verbrannt zu werden.

Die Geräusche, die meine Sitznachbarn machten, bewiesen mir, dass ich nicht der Einzige war, den diese Vorführung gefangen hatte.

„Wer weiß es?“

Meine Hand bewegte sich nach oben, bevor mir klar war, dass ich die Antwort wusste.

„Ja?“

„Diese Teilchen können durch den menschlichen Willen gesteuert werden.“

„Genau. Jedes Graviton hat eine Masse von —“

*

Ich war bei weitem nicht der Einzige, der sich nach dem Ende der Vorlesung auf weichen Knien nach draußen stahl. Alle waren davon beeindruckt, selbst diejenigen, die wohl nur gekommen waren, um diese Vorführung noch einmal zu erleben.

Draußen angekommen, warf ich mich ins Gras und starrte in den wolkenlosen Himmel. Großer Gott! Ich danke dir, dass ich das erleben durfte.

„Und“, hörte ich eine Frauenstimme. „Sind wir angemessen beeindruckt?“

„Wow!“, sagte ich. „Einfach nur Wow!“

Patrizia setzte sich neben mich ins Gras. „Also hat es dir gefallen.“

„Wird jede Vorlesung bei dir so beeindruckend?“

Sie lachte. „Leider nicht. Die meisten beschäftigen sich mit meterlangen, trockenen Formeln. Totaaal langweilig.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine deiner Vorlesungen langweilig sein könnte. War das ein 3-D-Film?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nope. Alles live aus meinem Kopf in eure.“

„Du bist gut. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“

„Danke. Und was kannst du?“

Ich öffnete den Mund, doch es kam kein Laut heraus. Stattdessen begann mein Kopf zu schmerzen.

„Oh sorry. Ich wollte dir nicht irgendwelche Geheimnisse entlocken.“

Ich konnte ihr noch nicht einmal darauf eine Antwort geben.

3

Patrizia

„Keine leichte Nuss“, sagte ich, „die du mir da aufgegeben hast?“

„Was meinst du?“, fragte Morgana mit leicht verwirrter Stimme.

„Der Afrikaner, den du mir hast über den Weg laufen lassen.“

Mein Handy blieb ein paar Sekunden stumm. „Das war ich nicht“, sagte sie.

„Ach komm. Du versprichst mir Herausforderungen und ich stolpere ganz zufällig über einen extrem gutaussehenden Kerl mit offensichtlich schwerer Vergangenheit, der Magie lernen will, um sein Heimatland zu retten?“

„Beim Barte meines Ehemanns. Ich habe nichts damit zu tun.“

Ich musste kichern. „Ach? Macht er jetzt wieder auf Gandalf?“

Sie lachte leise. „Eher mein kleines Pony. Fürchterlich weich.“

„Also du warst das wirklich nicht?“

„Hand aufs Herz. Ich wollte dich erst einmal ein paar Wochen zappeln lassen.“

*

Nachdem ich aufgelegt hatte, lief ich nervös in meiner Studentenbude auf und ab. Nur Zufall? Früher hätte ich so etwas auf Gott Herne geschoben. Wer wusste schon, ob es ihn nicht doch gab oder ob er wirklich nur eine Erfindung William Shakespeares war.

Ich hielt inne. Andererseits bot mir die Tatsache, dass sie ihn nicht geschickt hatte, die Möglichkeit, im Internet über ihn zu recherchieren.

Nur was das eine kompletter Fehlschlag. Ich fand natürlich seine Unterlagen aus Paris. Abgesehen von seinen herausragenden Noten enthielten sie aber keine neuen Informationen.

Die Seuche im Kongo war natürlich dokumentiert. Der Präsident hatte jegliche Auslandshilfe abgelehnt. Es hatte Wochen gedauert, um herauszufinden, dass die Regierung kurz danach die Folgen ihrer Haltung an den eigenen Leibern hatte erleben müssen. Selbst schuld. Brazzaville war inzwischen eine Geisterstadt.

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