Die Personen und die Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, Etablissements oder lebenden bzw. verstorbenen Personen wären rein zufällig. Online-Spiele im Sinne von alternativen, virtuellen (Chat-)Welten wie SIMS, Second Life, IMVU oder ähnlichen Konzepten haben mich zu dieser Geschichte inspiriert.
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Protokoll einer Unterhaltung in der virtuellen Privaten Region ‚Vieux Port‘
Der Verkäufer ‚Harry‘: „Was wollen Sie über unsere Angebotsartikel wissen?“
Armin Maske: „Ich interessiere mich für diese RLV-Dinger, um es einer Devoten zu geben.“
‚Harry‘ sah sich den fragenden Avatar genauer an und schätzte ihn wohl als Anfänger ein:
„Für einen Noob ist das am Anfang vielleicht noch eine Nummer zu groß. Das erfordert eine gewisse Kenntnis. Die Kontrolle von devoten Personen über unsere Erzeugnisse erfordert Kenntnisse in den entsprechenden Menus UND in der Wirkweise von RLV. RLV wird für die Simulation von Fesseln und ähnlichem benutzt und ist die Abkürzung für Restrained Love…“
„Ich bin kein Anfänger! Ich habe nur einen neuen Avatar erstellen müssen, um einer bestimmten Person mit einem neuen Image entgegentreten zu können. Ich weiß auch ganz genau, dass diese Frau sehr vorsichtig bei der Teilnahme an Rollenspielen ist. Bisher ist sie nur rein als Beobachterin aufgetreten und ohne Einsatz von RLV. Ich suche also gezielt nach solchen Kontrollen, die niederschwellig sind.“
‚Harry‘ schien einen Moment zu überlegen, bevor er antwortete:
„Verstehe ich Sie richtig, Sie wollen also nicht den typischen ‚Collar‘, mit dem Knien und Sitzen erzwungen werden kann sowie auch das Ausziehen und das Fesseln?“
Armin Maske: „Ich brauche nur die Fesseln samt einer daran befestigten Leine, damit ich mit ihr auch in die Bereiche gehen kann, wo ein Zutritt in dieser Region ohne RLV nicht erlaubt oder ungern gesehen ist. Die Fesseln sollten auch die Option einer zeitlich limitierten Kontrolle bieten. Dazu wäre vielleicht noch eine Kontrolle über die Möglichkeit von IM’s der Person wünschenswert. Aber gerade nicht den typischen Kontrollansatz über alles. Es soll langsam und graduell beginnen.“
Es gab wieder eine Pause in der Kommunikation. Offensichtlich war dies nicht etwas Übliches, sondern eher selten.
„Gut, dann kann ich den Satz Fesseln für Hände und Beine anbieten, die es erlauben, eine Leine an den Handschellen zu befestigen. Als Zubehör gibt es dazu einen Knebel mit verschiedenen Formen. Das alles zusammen ermöglicht genau das, was Ihnen vorschwebt.“
Armin Maske nickte befriedigt, denn er dachte an die junge Frau.
1 Arnim von Krien
Er hatte sie am Nachmittag in einem Café getroffen. Er hätte sie nicht erkannt. Wie auch? Es gab nur selten ein Foto aus dem echten Leben in den Profilen der Spieler, sondern nur eines vom Avatar mit Beschreibung — und manchmal noch nicht einmal das, sondern nur einen Namen des Spielers. Das was ihn darauf aufmerksam machte, waren Notizen, die er beim Vorbeigehen an einem Tisch erspähte. Nun ja, der ‚Vieux Port/Marseille‘ war nicht gerade eine Adresse in Meck-Pom. Dazu noch die Namen von zwei Avataren aus dem Spiel und beide Namen kannte er. Gerlinde Orlahndt musste ihrer sein, schätzte er – Sir Henry war es wohl kaum. Orlahndt war so etwas von selten, dass es kein Zufall sein konnte!
Was ihn überraschte, war der eklatante Unterschied in Größe und Erscheinung zwischen Avatar und Realität. Baronesse Gerlinde von Orlahndt — so war ihr Name in der Beschreibung des Avatars in der Simulation – war kleiner als die meisten Avatare, schlank und sonnengebräunt mit hellblonden Haaren sowie wasserblauen Augen. Die Person, die im Café allein an diesem Tisch saß, war aber ein stattliches Weib, deren Größe und Gewicht mehr als überdurchschnittlich war. Es war eine für ihn faszinierende junge Frau, die eine Aura zwischen einer Hexe und einer Walküre ausstrahlte. Nur hatte sie weder das blonde Haar noch die blauen Augen einer typischen Walküre, sondern die intensiv grünen Augen und das rote Haar einer Hexe. Wem das was sagt — sie sah so aus wie eine Art jüngere Angelina Kirsch mit rötlicheren Haaren und blasser Haut samt Sommersprossen. Sie hatte karottenrote, streng hochgebundene Haare und waldgrüne Augen. Sie strahlte für ihn eine Weiblichkeit im Sinne der Ideale aus seinen Lieblingsbüchern von keltischen Druidinnen aus. Das wadenlange Kleid, was sie trug, verstärkte noch diesen Eindruck.
Jetzt galt es, seine These irgendwie testen zu können. Baroness Gerlinde war als Spielerin bisher nicht so interessant für ihn gewesen, aber das hatte sich eben gerade drastisch geändert. Er konnte sich immer noch täuschen — und die Person im Café war es vielleicht doch nicht. Dann musste er noch ihren echten Namen herausbekommen. Es war auch so schon ein ziemlicher Zufall, in einer Kleinstadt von nicht einmal 30.000 Einwohnern ausgerechnet auf eine Spielerin zu treffen, die in derselben Gruppe unterwegs war. Die Gruppe umfasste insgesamt vielleicht ein paar hundert Spieler weltweit, um das mal zu sagen.
Leider war sie schon dabei zu bezahlen. Das einzige, was er durch geschicktes Spähen halbwegs erraten konnte, waren ihre Initialen auf der Unterschrift bei der Zahlung per Karte, bevor sie sich mit dem Fahrrad davon machte. Mit dem G beim Vornamen war er sich ziemlich sicher. Der Nachname musste mit U oder O anfangen. Besser als gar nichts.
Das einzige, was ihm sonst noch bei einer Identifikation helfen konnte, war das Buch, was sie dabeihatte. Obwohl ‚Steuerrecht“ nun auch nicht so viel aussagte. Da gab es zig Möglichkeiten für eine Interpretation. Er würde sich zunächst am Telefonverzeichnis abarbeiten. Die meisten hatten eine Festnetznummer, sobald sie eine gute Internetverbindung hatten. Und das brauchte man für so ein Spiel in der Art vom Hafen-Milieu in Marseille.
Er war gut im Recherchieren. Er war nicht so gut im Sinne von sozialen Kontakten. Selbst ein gutes Erbe und viel Bargeld verschaffen einem keine Freunde, wenn man nicht der Norm entspricht. Oh, es gab durchaus sogenannte ‚Freunde‘, aber sie mochten bestenfalls das Geld seiner Person, nicht ihn als Person. Das spielte aber im virtuellen Raum keine Rolle. Seit mehr als drei Jahren spielte er in Welten, die der Kategorie ‚jugendfrei‘ zuzurechnen waren. Seit einem Jahr brauchte ihn das aber nicht mehr zu kümmern. Inzwischen war er neunzehn. Keiner konnte ihm mehr ans Bein pinkeln!
2 Gwen
Es war wie so häufig in der Öffentlichkeit. Es gab immer einige mitleidige Blicke, wenn man mich sah. Inzwischen hatte ich das mit den Diäten aber aufgegeben. Das funktionierte auf Dauer nicht. Sobald ich in den Prüfungsstress geriet, futterte ich, was das Zeug hielt. Das war für den Prüfungserfolg eine dienliche Strategie, für mein soziales Leben nicht. Als junge Frau von 1,80 m Höhe findet man selbst mit flachen Schuhen nicht viele männliche Tanzpartner – mit gut 95 kg Gewicht nach ‚Stressdiät‘ noch entsprechend weniger. Diskos hatte ich aufgegeben — Mauerblümchen zu sein, musste nicht sein.
Jetzt lebte ich nach dem Motto ‚ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich gänzlich ungeniert‘. Ergo saß ich im Café und gönnte mir ein Nuss-Sahne-Tortenstück. Im Studium lief es gut für mich, das konnte ich nach der letzten Klausur feiern — und tat es auch mit dem Café-Besuch. Danach würde ich noch auf andere Art feiern. Ich machte mir Notizen, um neue Ideen für das online-Spiel zu gestalten.
In dem kleinen Kaff von weniger als 30.000 Einwohnern war ich eine klare Außenseiterin, weil ich aus Hamburg kam und dazu noch in Irland geboren war. Mein Vater war aus Irland und meine Mutter kam ursprünglich aus Hamburg. Mit einem hamburgischen Akzent und einem irischen Namen wie Gwen O’Brien sah man automatisch die Augenbrauen hochgehen. Fremde waren in Mecklenburg immer noch etwas Ungewöhnliches und eher Grund zum Misstrauen. Ich zuckte innerlich mit den Schultern. Früher oder später würde ich mich wieder nach Hamburg versetzen lassen, wo ich noch einen Freundeskreis aus der Schulzeit hatte. Hier war eine nur Kollegin auf dem Finanzamt das, was ich als eine Art Freundin bezeichnen konnte. Leider war es von Güstrow bis nach Hamburg zu weit für regelmäßige Wochenendtrips, um meine richtigen Freunde zu besuchen.
Ich tröstete mich vor Ort mit schönen Filmen und mit spannenden online-Spielen für den fehlenden Freundeskreis vor Ort. Die Filme waren entweder Serien oder nette romantische Komödien. Die Spiele mehr in Richtung auf das, was man sich im richtigen Leben nicht traute oder man nicht konnte. In einem Fünf-Sterne-Hotel zu speisen und zu tanzen. Durch einen Dschungel zu reisen, in dem es vor gefährlichen Tieren, Fallen und Überfällen durch Menschenjäger nur so wimmelte. Auf einem Kreuzfahrtschiff der Luxusklasse in einem Abendkleid durch den Tanzsaal zu schweben oder in einem Schloss die Prinzessin zu spielen. Das Aufsuchen von gefährlichen Gegenden, in denen es Machos, Zuhälter und Drogendealer gab sowie Bordelle und Striptease-Bars – Szenen mit einem gewissen Kick.
Ja, es gab eine Spaltung meiner Gefühle bei dieser Auswahl von Umgebungen. Klar, bewundert zu werden und flirten zu können, bis der Arzt kam, hatte schon einen Sucht-Faktor. Gleichzeitig kam ich mir dabei immer wie ein ‚fake‘ vor. Ebenso fasziniert aber auch ebenso falsch fühlte ich mich in diesen Orten, wo es diese Typen von Alpha-Männern gab, denen devote Frauen und Mädchen zu Füßen lagen. Ich war doch kein Dummchen, das sich einem hirnlosen Gorilla in die Arme warf!
Gleichzeitig konnte ich mich von diesem Milieu einer Hafenstadt am wenigsten losreißen. Die Lieder und Geschichten über Matrosen im Hafen — und auch die über die Entführungen von weißen Mädchen in arabische Harems hatten eine orientalisch exotische Faszination, die nicht zu leugnen war.
Das war auf der anderen Seite ein extremer Kontrast zu der braven Kleinstadt, in der ich zurzeit lebte. Klar, es war sicher hier. Unverkennbar würde ich einen sicheren Job bei der Behörde haben. Genau deshalb war aber auch der Antrieb eine abenteuerliche Existenz in einer ungewöhnlichen Umgebung zu erleben, so elementar und herausfordernd.
3 Arnim von Krien
Natürlich hatte er schon mit so einigen Avataren gespielt. Er hatte auch schon so einige Erfahrungen. Vieles davon rutschte aber sehr schnell in eine Routine ab, die nur noch wenig Aufregung bot. Es geriet schnell in eine Aura der Künstlichkeit. Logo, es war ja auch virtuell — und damit künstlich.
Dann kam diese Baroness in die Region ‚Vieux Port‘. Sie faszinierte ihn extrem, seit er Anlass hatte anzunehmen, dass hinter ihr die Person steckte, die er im Café gesehen hatte. Und wohl auch und gerade deshalb, weil sie sich nur abseits hielt und beobachtete. Sie lehnte die üblichen Anmache-Touren der lokalen Machos in dem virtuellen Hafen ab. Bisher hatte er sich als französischer Typ ausgegeben. Einige der Frauen und Mädchen waren tatsächlich aus Frankreich nach seiner Einschätzung. Andere waren weder aus Frankreich noch weiblich. Einige waren schätzungsweise weiblich, aber keine französischen Mädchen.
Diese Baroness Gerlinde gehörte zur Kategorie weiblich, aber nicht aus Frankreich stammend. Dummerweise war er nur in der üblichen Anmache-Tour an sie herangetreten als ‚Francois Pichon‘. Da brauchte es einen anderen Ansatz. Intuitiv wählte er einen Araber aus dem Maghreb, der in Marseille und dem Hafen durchaus glaubwürdig als Charakter wäre. Es erwies sich als goldrichtig.
‚Ahmed Assaf‘ als sein Charakter schaffte es in der virtuellen Welt, sie in ein Büro in dem Trakt hinter der Straße einzuladen. Nicht nur das, es führte sogar zu einer kurzen Szene einer Bestrafung, wo sie gefesselt über dem Strafbock lag. Gleichzeitig hatte sie wohl ambivalente Gefühle dabei. Sie war so zurückhaltend, als ob sie das noch nie vorher gespielt hätte. Sie verhaspelte sich sogar mit ihrem Namen. Sie nannte sich zweimal Obrand anstatt Orlahndt. War das schon ein Fingerzeig?
Später nutzte er diese Spur zur Recherche. Tatsächlich gab es in Güstrow nur fünf Frauen oder Mädchen mit einem Vornamen der mit G startete und mit einem Nachnamen, der mit O endete. Davon konnte er zwei schnell eliminieren. Gaby und Gundula tauchten auch im Konfirmandinnen-Verzeichnis des Landkreises auf. Ihre Bilder wiesen keinerlei Ähnlichkeit mit der jungen Frau im Café auf. Blieben nur noch drei ohne Bilder — oder eigentlich nur zwei. Gisela Oschatz und Gudrun Ogow klangen lokal und plausibel — Gwen O’Brien klang mehr nach einer jungen Austauschschülerin aus Irland oder England. Das wäre bestenfalls ein kurzes Vergnügen mit einer Schülerin. Gisela Oschatz erwies sich als sehr reife Rektorin einer Schule, die kurz vor dem Ruhestand war. Also konzentrierte er seine Energie auf Gudrun Ogow.
Das war nicht so einfach. Es gab kein öffentliches oder halb-öffentliches Verzeichnis, in dem sie auftauchte. Es dauerte Tage und Tage, bis ihm der Zufall in die Hände spielte. Der Zufall ergab aber ein negatives Ergebnis. Die Verkäuferin im Supermarkt mit dem Namensschild Gudrun Ogow war eine superschlanke, zierliche Person. Keinerlei Ähnlichkeit mit dem Superweib aus der Konditorei!
Bei seinem Glück würde natürlich auch Gwen O’Brien ein Fehlschlag sein. Wer mit so einem Namen würde auch in so einem örtlichen Café alleine auftauchen? Als Austauschschülerin hätte sie nie allein an einem Tisch gesessen. Für andere Möglichkeiten fehlte ihm die Fantasie. Umso mehr perplex war er, als eine Gwen O’Brien als Studentin an der lokalen Fachhochschule zu identifizieren war. Jetzt machte auch das mit dem Steuerrecht Sinn. Sie war Referendarin im Finanzamt, wie er danach herausfand. Nun konnte er an die nächsten Schritte gehen.
4 Gwen
Es war einmal wieder soweit. Ich ging in der virtuellen Welt in die Region ‚Vieux Port‘. Das war der alten Hafengegend von Marseille nachempfunden. Ein Mischmasch aus einem schicken Yachthafen sowie seiner Restaurantstraße und den daran anschließenden dunklen Hintergassen mit entsprechenden Etablissements vom Stripteaselokal über BDSM-Studios bis hin zum Puff. Die Restaurantstraße mit Bars, Diskotheken und Shops war das Milieu der Treffpunkte und ohne RLV-Zwang.
Die Region der dunklen Gassen dahinter war anders. Dort wurden automatische Zwangsinstrumente im Sinne der RLV-Kontrolle möglich. Es gab Skripte, die einen Avatar zwangen, sich hinzuknien oder sich einer Fessel zu unterwerfen, sofern man entsprechende Ausrüstungsgegenstände am Avatar trug. Das brachte einen Reiz mit sich, aber auch eine Gefahr. Manche derjenigen, die es liebten, Avatare unter ihre Kontrolle zu bringen, waren durchgeknallte Charaktere. Es konnte vorkommen, dass sie einen Avatar angekettet stehen ließen und selber abhauten. Es gab auch solche, die sich einen Avatar permanent unterwerfen wollten — meistens bestand der Wunsch nach einer Sklavin. Die entsprechenden Geschichten gab es gratis dazu. Sie handelten von der Entführung von weißen Frauen und Mädchen als Sex-Sklavinnen in orientalische Harems — gruselig und spannend zugleich!
Es konnte spannend sein, solche Unterhaltungen anzuhören, die teilweise im öffentlichen Modus geführt wurden. Natürlich gab es auch den Austausch von Nachrichten direkt zwischen den Avataren. Auch das konnte seinen Reiz haben. Ich selber bin auch der Adressat von solchen Überredungsversuchen geworden. Fast immer bot man mir einen sogenannten ‚Collar‘ an. Oft eine Halskette oder ein Halsband, das dann die weitgehende Kontrolle über den Avatar ermöglichte, sobald man den Anbieter als zeitweiligen ‚Eigner‘ akzeptierte. Das konnte gut gehen, wenn der Besitzer der Kontrolle dann auch tatsächlich die Kontrolle wieder abgab. Es konnte auch schiefgehen, wenn er das NICHT tat. Es gab nämlich eine lokale Besonderheit, die es schwer machte, die Kontrolle wieder zurückzubekommen. Das kostete dann viel Zeit und Arbeit, um es wieder ungeschehen zu machen. Diese Flucht aus der Kontrolle ruinierte in gewisser Hinsicht den Ruf des Avatars, wenn man richtig devot sein wollte.
Bisher war ich immer vorsichtig gewesen. Gut, es war ein gewisser Reiz, mit anzuschauen, wenn Mädchen oder Frauen an einem Strick oder an einer Kette in die dunklen Bereiche der Gassen geführt wurden. Für manche Bereiche konnte man es auch noch mitbekommen, wie diese dann teilweise sich ausziehen mussten. Ja, es hatte einen morbiden Reiz, das musste ich zugeben. Aber das Risiko war mir bisher immer einfach zu hoch gewesen.
Ein Ahmed Assaf mit einem arabisch erscheinenden Avatar funkte mich mit einer IM an:
„Hallo, Baroness Gerlinde. Wie wäre es mit einer Tour durch die dunklen Gassen mit mir? Die von mir angebotene Fessel dafür ist mit einer Zeitfunktion versehen, die sich automatisch nach 30 Minuten abschaltet. Es ist also sicher…“
„Das sagen sie alle. Netter Versuch, aber so dumm bin ich nicht, dass ich auf so einen Spruch hereinfalle, mein Lieber.“
„Ich wiederum bin nicht so dumm, dass ich es mit Aussagen versuche, die ich nicht belegen kann. Wir können in einen Shop gehen – und die misstrauische Baroness darf sich gerne selber ein Exemplar heraussuchen, das ich zunächst bezahlen werde. Wenn es im Laden nicht nach der festgesetzten Zeit von selber aufgeht, dann können Sie es dort direkt dem Verkäufer zurückgeben und brauchen den Laden während der Zeit nicht zu verlassen.“
Das war eine mir unbekannte Variante. So etwas hatte ich bis dato nicht gehört. Da wurde ich neugierig. Ich ließ mich darauf ein. Es funktionierte tatsächlich. Der Verkäufer stellte fünf Minuten ein — und die Fessel löste sich nach exakt 300 Sekunden. Gut, ich ließ Ahmed machen — mit 30 Minuten.
So ging ich zum ersten Mal in den dunklen Bereich der Gassen mit einer dünnen Kette an einer der beiden Handfesseln. Es war ein eigenartiges Gefühl, das musste ich schon sagen. Natürlich waren es nur Pixel, die durch die Gasse wanderten, aber meine Emotionen dabei waren echt. Er führte mich durch eine Gasse, in der auf der linken Seite ein beleuchtetes Reklameschild für einen Puff stand: ‚Belle Étape‘. Auf der rechten Seite gab es eine Neon-Reklame für ‚Striptease-Bar Moulin Rouge‘. Mich überlief ein Schauer.
Er ging ganz langsam an beiden vorbei und dann in eine kleine Quergasse. Er blieb vor einem kleinen Eingang stehen und benutzte eine öffentliche Nachricht, die von jedem in einem Umkreis von 20 Metern gelesen werden konnte, ohne die IM zu benutzen:
„Hier ist ein Büro der besonderen Art. Hat die Baronesse ein Interesse daran, mal einen Blick hineinzuwerfen?“
Per IM gab ich ihm meine Zustimmung. Laut wollte ich es nicht ausdrücken, obwohl es vermutlich keinen gab, der im hörbaren Bereich war. Das Büro war sehenswert! Es gab einen altmodischen Schreibtisch aus massivem Holz, so sah er zumindest aus. Es gab einen lederbezogenen Strafblock mit Halterungen für Fesseln. An der Wand hingen Rohrstöcke, Peitschen und breite Haarbürsten sowie andere Züchtigungsinstrumente. Es war wirklich ein sehr besonderes Büro!
„Lege Sie sich doch mal probehalber über den Bock, Baronesse?!“
Mein erster Impuls war es, ihn für verrückt zu erklären, aber er fragte mich gleich danach, ob ich nicht mutig genug dafür wäre. Also tat ich es. Er ließ die Fesseln zuschnappen. Ich lag nun gebeugt über diesem Bock, oder besser gesagt mein Avatar auf dem Bildschirm. Im nächsten Augenblick hatte sein Avatar eine Haarbürste in der Hand.
„Baronesse, sagen Sie mir Ihren ganzen Namen und bitten Sie mich um Verzeihung für Ihr Misstrauen, sonst werde ich Ihnen die elegante Stoffhose herabziehen müssen. Also, ich zähle bis drei.“
Er hatte mich damit komplett überrascht. Einerseits bezweifelte ich, dass er seine Drohung wahrmachen konnte, aber sicher war ich mir nicht. Dieser Strafbock mochte Eigenschaften haben, die mir nicht bekannt waren. Er hatte aber schon bis zwei gezählt, bevor ich etwas nervös reagierte und mir mein Avatar-Name wieder einfiel.