Es wurde Sommer auf der Nordhalbkugel. V’nyx der IV. lag reglos auf dem Grund des Pazifiks. Seine Tentakel waren von losem Meeresboden bedeckt. Die ehemals so strahlend orangenfarbenen Blüten hatten eine granitgraue Farbe angenommen, als wären sie tot und in einem fortgeschrittenen Verwesungsstadium. Selbst bei genauer Suche war er in diesem Zustand nicht vom Meeresgrund zu unterscheiden. Aber V’nyx der IV. wollte auch nicht gesehen werden, er wollte seine Ruhe haben, um zuhören zu können.
Hier, an der Ostküste von Oahu, einer zur Hawaiigruppe gehörenden Insel, war einer der datentechnischen Knotenpunkte des Planeten. An dieser Insel kreuzten sich Glasfaserkabel, aus Japan, China und Australien sowie Nord- und Südamerika. Er musste einfach nur ruhig liegen bleiben und den Signalströmen lauschen, die seine weitverzweigten Tentakel aufsogen. Es war mühsam gewesen, die mehrlagigen Schutzschichten der Seekabel zu durchdringen, aber tief im Inneren dieser Kabel zuckten jede Sekunde Milliarden von Lichtblitzen. Wenn man diese Lichtblitze in der richtigen Reihenfolge las, waren darin Unmengen an Informationen enthalten. Dieser Informationen schossen durch ein Kilometerlanges Netzwerk aus Tentakeln, wurden unterwegs vorsortiert, aufbereitet und in seinem Wurzelstock verarbeitet.
Für V’nyx den IV. waren Tag und Nacht nur noch abstrakte Bezeichnungen, die in seinem Lebensraum, der ewig dunkel war, keine Rolle mehr spielten. Er analysierte in jeder Sekunde Milliarden Datenpakete nach interessanten Inhalten und spielte wie ein geübter Jongleur mit verschiedenen Verschlüsselungsalgorithmen, um auch die codierten Nachrichten sichten zu können.
Zur Freude der Königin hatten sich die Finanzmärkte auf einem niedrigen Niveau stabilisiert. Nachdem sich Miriam in ihrer Videobotschaft der Weltöffentlichkeit offenbart hatte, waren die Börsenkurse steil abgefallen. Es reichten ein paar Gerüchte vom nahenden Weltuntergang, um milliardenschwere Konzerne auf dem Papier zu vernichten. Kurz nach Weihnachten, als die Menschen erkannten, dass die Welt wohl doch nicht so bald untergehen würde, obwohl sie diesen Planeten mit einer weiteren Intelligenten Spezies teilen mussten, stoppte die Talfahrt der Börsenkurse.
Da sich für den überwältigenden Teil der Menschheit nichts geändert hatte, fragten sich die einfachen Leute, was die ganze Aufregung sollte. Nach dem Jahreswechsel war wieder ein leichter Aufwärtstrend an den Finanzmärkten zu erkennen. Nun war es Frühsommer und die Gewinne zogen langsam aber beständig an, obwohl die Experten mit einem viel schlimmeren Verlauf gerechnet hatten.
V’nyx der IV. und die anderen Cerebrate seiner Stammlinie erkannten, dass Währungen wie ein virtueller Lebenssaft waren, den die Menschen haben wollten – je mehr desto besser. Und dieser substanzlose Saft floss in gigantischen Mengen durch die Glasfasernetze dieses Planeten. Mit dem Wissen, das die V’nyx-Stammlinie täglich sammelte, war es eine Leichtigkeit, die Logik des virtuellen Saftes zu durchschauen, Vorhersagen zu machen, diese zu beeinflussen und bei dem Spiel mitzuspielen. Wenn die Königin stabile Finanzmärkte wollte, sollte sie die bekommen.
*
V’nyx der IV. entdeckte eine Nachricht, die er einer zweiten, intensiveren Kontrolle unterzog. Sein Anfangsverdacht bestätigte sich. Er erstellte eine Kopie dieser Nachricht, verpackte sie in einen Algorithmus, den die Menschen mit ihren Möglichkeiten niemals knacken könnten, und sendete diese Kopie an einen Server in Neuguinea.
Die Serversoftware ermittelte das Datenpaket als fehlerhaft oder unvollständig und forderte die Daten erneut an. Da diese Rückfrage nie beantwortet wurde, löschte eine Systemroutine den scheinbaren Datenmüll nach einer gewissen Zeit. Auf dem Weg, den das Datenpaket genommen hatte, war es jedoch an V’nyx dem VII. vorbeigekommen, der sich in der Nähe von Guam in den Meeresgrund vergraben hatte und sehr wohl etwas mit den Informationen anfangen konnte. Er schüttelte den losen Meeresboden von seiner Blüte, richtete sie nach Südosten aus und informierte T’rion den II. über den Inhalt der Botschaft.
Von der V’nyx-Stammlinie gab es mittlerweile schon mehrere Ableger, die sich an den Glasfasernetzen in der Tiefsee durch das Chinesische Meer nach Australien und bis in den Indischen Ozean vorgearbeitet hatten. In naher Zukunft würden die Datenautobahnen im Roten Meer erschlossen sein. Bis Ende des Jahres sollten die großen Kabel zwischen Europa und der amerikanischen Ostküste angezapft werden. Dann würden weit über 90 Prozent der weltweiten Kommunikation von der V’nyx-Stammlinie überwacht werden.
V’nyx der IV. erhielt eine indirekte Antwort von V’nyx dem VII. Die Königin war begeistert, dass er den Aufenthaltsort von Greg ausfindig gemacht hatte, und forderte einige Detailinformationen an, um eine Rettungsaktion starten zu können.
***
Greg las eine Zeitung, die schon ein paar Tage alt war und schon von Hunderten verschwitzten Händen durchgeblättert worden war. Aber sie war in Englisch geschrieben. Bei den thailändischen Zeitungen, die sonst von Zelle zu Zelle gereicht wurden, konnte er sich nur die Bilde anschauen, da er weder die Schrift noch die Sprache beherrschte. Bei dem, was gerade in den Medien vorging, war es eine Schande, in einem thailändischen Knast zu sitzen. Wobei er sich nicht beschweren wollte. Er steckte in einem schnuckeligen Vierbettzimmer mit drei kleinen Thailändern, die ihm allesamt kaum bis zu Brust reichten und ihn geflissentlich in Ruhe ließen, in der Hoffnung, er würde sie auch in Ruhe lassen.
Er hätte nicht gedacht, dass er es aus Europa raus schaffte, nachdem er Miriam an der Nordsee abgesetzt hatte. Aber es war ihm noch am gleichen Tag gelungen, einen Last-minute-Flug über Frankreich nach Thailand zu buchen. Dort war er in den Touristenhochburgen untergetaucht. Als sein Geld knapp wurde und er es mit ehrlicher Arbeit versuchte, waren sie ihm auf die Schliche gekommen. Das mit den Arbeitspapieren wurde mittlerweile sogar in Thailand genau genommen.
Seine Auslieferung nach Deutschland war schon so gut wie unterschrieben, als etwas passierte, das Greg nicht direkt mitbekam. Aber er spürte, dass etwas passiert war. Etwas von globaler Tragweite. Die Bilder von der Blauen Königin sah er erst zwei Tage später im Fernsehen des Gemeinschaftsraums. Sie hatte jetzt knallrote Lippen und noch schönere Augen. Als Greg ihre Botschaft im englischen Original hörte, machte er einen Freudentanz im Gemeinschaftsraum des Gefängnisses und wurde dafür von den Wachen mit Stöcken verprügelt. Aber Greg lachte trotzdem – denn jetzt hatte es wenigstens einen Sinn, dass er in diesem Rattenloch saß.
Das Bisschen, das Greg aus Zeitschriften und Fernsehberichten mitbekam, war köstlich, widersprüchlich und mit wilden Spekulationen überladen. Die Religionen waren sich nicht nur untereinander uneinig, wie eine fremde Spezies in ihre Mythologien passen sollte. Die Religionen waren auch intern zerstritten. Was sollten sie den ratlosen Gläubigen sagen: War Jesus auch für dieses Wesen am Kreuz gestorben? Könnte auch diese Spezies das hinduistische Nirwana erreichen? Hatten sie überhaupt eine Seele? Kurz vor Weihnachten erreichte die Zahl der Kirchenaustritte einen neuen Rekord.
Politisch waren nur die USA düpiert. Sie holten sich den verlassenen Flugzeugträger und die Begleitschiffe ohne großes Aufsehen zurück und versuchten, die Sache kleinzureden. Die Besatzungen der Schiffe wurden offiziell als vermisst gemeldet. Nach und nach bestätigten die Recherchen der Journalisten, das was die Königin in der Videobotschaft gesagt hatte: Die Kette der Ereignisse konnte überhaupt erst ins Rollen kommen, weil Tausende von Soldaten mit einem unzureichend getesteten Serum behandelt wurden, das Aliengene enthalten hatte.
Über die Regierung, dem Pentagon und der Navy brach ein Shitstorm herein, wie ihn die USA noch nicht erlebt hatten. Die Angehörigen der betroffenen 8000 Soldaten gingen in die Hunderttausende, und die hatten wiederum Freunde und Bekannte, die sich in den sozialen Netzwerken auskotzten, bis auch der letzte Patriot wütend auf den Tisch schlug.
Der Großteil der Bevölkerung nahm diese neue Spezies nicht als Bedrohung wahr. Immerhin hatte die Königin nicht mit einem Heiligen Krieg gedroht, den Kapitalismus infrage gestellt oder Mickey Mouse beleidigt. Sie wollte nicht einmal irgendein Land besetzen, sondern nur die Ozeane bewohnen. Und sie hatte den Menschen die Hand gereicht, indem sie ein Wiedersehen ihrer Drohnen mit ihren Familienangehörigen angeboten hatte. Das wurde von den Behörden jedoch aus Sicherheitsgründen kategorisch ausgeschlossen. Die unaufhaltsame Wucht einer infektiösen Kettenreaktion war in unzähligen Zombiefilmen hinlänglich vor Augen geführt worden.
Weiterhin hatte die Königin unter anderem den Vorschlag gemacht, gemeinsam mit den Menschen die Zukunft dieses Planeten zu gestalten. Die Propheten der Apokalypse sahen darin natürlich eine List, um das Vertrauen der Menschen zu erringen, bis die Aliens stark genug für den finalen Overkill waren. Die Skeptiker waren sich nicht sicher, ob sie überhaupt wollten, dass jemand anderes an einer Zukunft dieses Planeten mitgestaltete. Und dann gab es einen schwer abzuschätzenden Anteil unter der Weltbevölkerung, der in der Königin und ihrer Art den einzigen Weg sah, um diesen Planeten noch zu retten.
Diese Uneinigkeit zog sich nicht nur durch die Regierungen aller Länder dieser Erde, sondern sie reichte bis in die Familien und Freundeskreise. Hätte die Königin gesagt: »Hier bin ich und ich will euch alle töten«, wäre eine Meinungsfindung eindeutiger ausgefallen. Aber bei der aktuellen Faktenlage würde sich die Menschheit wohl nicht auf eine einheitliche Meinung einigen.
Abgesehen davon waren die Königin und ihr Volk nach der Videobotschaft quasi vom Erdboden verschwunden. Es gab keine neue Meldungen, keine Katastrophen – nur Gerüchte in einer Welt in der jeden Tag die Sonne aufs neue aufging, wie vorher auch.
Greg war durch diese Lawine an Ereignissen entweder vergessen worden, oder die Behörden dachten neu über seinen Fall nach. Er feierte Weihnachten in einem Gefängnis in Thailand. Da seine buddhistischen Zellengenossen das nicht kannten, musste er ihnen die Lieder, von denen er selbst nur die Refrains kannte, mühsam beibringen. Sie wollten erst nicht singen, aber Greg hatte ihnen das Fest der Liebe auf seine Art erklärt. Nach ein paar gestauchten Fingern erklang eine recht passable Interpretation von ‚Stille Nacht, Heilige Nacht‘.
*
Weihnachten war schon Monate her, als man ihm Hand- und Fußfesseln anlegte und Greg wusste, dass etwas Besonderes bevorstand. Normalerweise bekam er diesen aufwendigen Edelstahlschmuck nicht angelegt. Sein thailändischer Lieblingswachmann rammte ihm den Stock noch mal in die Niere, bevor er ihn an die Kollegen von der CIA übergab. Die Herren in den schwarzen Anzügen behandelten ihn nicht so ruppig, blieben aber stumm, als er fragte, wo er jetzt hingebracht werden würde. Er musste nach einer langen Autofahrt in ein Flugzeug einsteigen, das, abgesehen von den beiden Piloten, nur mit ihm und seinen beiden neuen Freunden abhob.
Nach dem Start verbrachten sie die nächsten Stunden schweigend. Greg döste in seinem Sitz. So bequem hatte er seit Monaten nicht mehr gesessen. Ein dumpfer Schlag riss ihn aus dem Schlummerzustand. Es folgten weitere dumpfe Schläge, als würde die Maschine von großen Felsbrocken getroffen. Dann sah Greg durch das Fenster eine geflügelte, tiefschwarze Gestalt an einer Tragfläche hängen. Diese Gestalt sah wie ein geflügelter Ritter aus. Abgesehen von den gewaltigen Schwingen, war der Körper von einer Art Bänderpanzer umgeben. Greg kannte den Prototyp dieser anatomischen Rüstung bereits von Miriam. Bei diesen Drohnen handelte es sich um eine deutlich verbesserte Version.
Da diese geflügelten Wesen unmöglich aus eigener Kraft so schnell fliegen konnten wie ein Düsenjet, hatten sie dem Flugzeug in der Luft aufgelauert und griffen die Maschine nun im Sturzflug von vorne an. Bei diesem Anflug hatte jeder Angreifer nur einen Versuch, das Flugzeug zu treffen und sich fest zu halten. Einige schafften es nicht, sich am Rumpf oder den Flügeln festzuhalten oder trafen die Maschine so unglücklich, dass sie einfach abprallten. Greg konnte den Angriff nicht weiter beobachten, da er von den beiden CIA- Agenten mit dem Kopf nach unten gedrückt wurde, bis seine Ohren auf Kniehöhe waren. Im Flugzeug wurden hektische Befehle gerufen, die Maschine verlor an Höhe und legte sich hart in eine Kurve. Als die Einstiegsluke von außen geöffnet wurde, sank der Kabinendruck schlagartig ab und Greg verlor das Bewusstsein.
*
Als Greg die Augen wieder öffnete, wurde ihm eine Atemmaske auf das Gesicht gedrückt und er schaute benommen in das wunderschöne Gesicht einer weiblichen Drohne. Seine Arm- und Fußfesseln waren entfernt worden und er sah, dass seine beiden Freunde von der CIA auf dem Boden lagen, aber immerhin auch mit Sauerstoff versorgt wurden. Sie schienen zu schlafen. Neben den beiden lagen die beiden Piloten – sie schliefen auch. Im Cockpit feixten zwei männliche Drohnen und es schien so, als könnten sie die Maschine so routiniert bedienen, dass genug Zeit blieb, um Witze zu machen. Die Maschine verlor weiter an Höhe, fing sich aber ungefähr hundert Meter über dem Meer und flog dann ruhig weiter.
»Was habt ihr mit mir vor?«, fragte Greg die weibliche Drohne auf Deutsch, weil er gerade zu aufgeregt war, um sein Englisch zu bemühen.
»Wir bringen dich zur Königin«, antwortete sie auf Deutsch, allerdings klangen die Worte so, als würde sie diese Sprache gerade zum ersten Mal sprechen.
»Vielleicht will ich da gar nicht hin?«
Seine Frage blieb unbeantwortet und mit einer Drohne zu diskutieren, war sinnlos. Ihm fiel erst jetzt auf, dass die Drohnen keine Flügel mehr hatten. Er erinnerte sich, dass Miriam auch manche Extras wachsen und schrumpfen lassen konnte, wie sie es gerade brauchte.
»Geile Scheiße«, sagte Greg mit einem anerkennenden Nicken.
Nach einiger Zeit wachten die CIA-Agenten und die Piloten auf und waren ebenso schwarz, wie die Flugzeugentführer.
»Habt ihr das auch mit mir gemacht!«, fragte Greg aufgebracht und schaute seine Hände an. Bei ihm sah alles normal, also menschlich aus.
»Der Flug endet hier«, sagte eine der Drohnen aus dem Cockpit. Die neu CIA – Drohnen wurden von je einer erfahrenen Drohne umarmt, dann sprangen sie aus der offenen Tür. Greg sah, dass die erfahrenen Drohnen ihre Flügel im freien Fall ausbildeten, dann weit öffneten und den Fall mit kräftigen Flügelschlägen knapp über dem Meer stoppten, um dann aus eigener Kraft wieder Höhe zu gewinnen.
Zum Schluss blieb er mit der weiblichen Drohne zurück. Sie stellte sich hinter ihn, schloss ihre Arme um seinen Oberkörper und schob ihn zu Tür. Ihm war die Sache nicht geheuer, aber er schwieg, schloss die Augen und ließ es geschehen. Zu Beginn war es wie ein Fallschirmsprung, dann spürte er die immense Kraft, die diese Schwingen aufbringen konnten. Bei jedem Flügelschlag, der ihn und seine geflügelte Freundin höher stemmte, spürte er ein flaues Gefühl, wie wenn ein Fahrstuhl nach oben anfuhr.
Das Flugzeug schlug einige Hundert Meter vor ihnen auf der Meeresoberfläche auf, zerbrach und ging rasch unter. Jetzt lag er in den Armen einer hübschen Drohne mit gewaltigen fledermausartigen Schwingen und war wohl irgendwo zwischen Thailand und den USA auf dem Pazifik. Die Drohnen segelten mit ihrer „Beute“ in der Thermik, um Energie zu sparen und bilden eine V-Formation wie Zugvögel.
*
Greg sah eine schwarze Seerose im Meer schwimmen. Da er keine Bezugspunkte hatte, wusste er nicht, wie weit sie noch entfernt war. Sie wurde nur langsam größer und musste wohl riesig sein. Als sie über der Seerose kreisten, schätzte Greg, dass die Fläche ungefähr zwei Fußballfeldern entsprechen musste, wobei das bei dem sternförmigen Umriss schwer zu schätzen war. An den Blatträndern der schwimmenden Blüte wuchsen baumgroße Auswüchse mehrere Meter in den Himmel. Jeder dieser Stämme hatte zahlreiche, große ovale Blätter, die sich nach dem Sonnenstand ausrichteten. Unter diesen Blättern hingen große kugelförmige Früchte.
Als sie auf der schwarzen gummiartigen Oberfläche landeten, musste sich Greg erst an das schwammige Laufgefühl gewöhnen. Durch die hohen Bäume mit dem dichten Blattwerk war das Meer von hier nicht zu sehen. Er kam sich vor, wie in einem übergroßen Sportstadion aus schwarzem Gummi und mit roten Zierstreifen.
‚… die Blüte schließt sich in zehn Minuten‘, hörte Greg in seinem Kopf, aber er kannte die Stimme nicht. Offenbar galt diese Ansage allen, die auf dieser schwimmenden Insel herumliefen – es mussten über hundert sein, die sich langsam zum Zentrum der Blüte bewegten.
Greg lief mit der weiblichen Drohne, die ihn hier hingebracht hatte.
»Du musst dich noch ausziehen«, sagte sie kurz vor dem Zentrum der Blüte. Greg zog sich die Sträflingskleidung ohne zu zögern aus, er war hier sowieso der Einzige in Kleidung, und es war nur fair, wenn alle nackt waren.
Durch einen Gang, der sich korkenzieherförmig in die Tiefe wand, kam er an mehreren Kammern vorbei, die durch Biolumineszenz in ein sanftes rotes Licht getaucht waren. Diese Kammern schienen zum Schlafen geeignet zu sein, aber teilweise sah er darin auch sehr bizarre Spielarten mit mehreren Beteiligten. Der spiralförmige Abstieg endete nach einer, für Greg nicht mehr abschätzbaren, Anzahl von Windungen in einem großen nierenförmigen Raum. Die Biolumineszenz war hier deutlich heller. Über die organisch anmutenden Wände zogen sich fein verästelte, rot leuchtende Linien.
»Hallo Greg«, sagte die Königin. Greg riss den Kopf hoch und sah Miriam am Ende des Raums. Sie war umgeben von Drohnen. Die feinen Linien auf ihrem Körper leuchteten tiefblau und hoben sie deutlich von den umgebenden Wesen ab. Greg schaute sie verlegen an. Der Blick aus ihren übernatürlich schönen Augen war vereinnahmend. Er musste plötzlich an die Drohnen denken, die bei seinem Rettungsversuch vom Flugzeug abgeprallt waren. Es hatte sicher Verletzte, oder sogar Tote gegeben.
»Jeder hier kennt dich. Du hast mir mehrfach das Leben gerettet, ohne dich wäre das alles nie passiert. Wir waren bereit, Risiken einzugehen, um dich zu befreien«, sagte sie, um seine Sorgen zur Seite zu schieben. Ihr Gesicht war direkt vor ihm. Mit den wunderschönen Lippen und den verführerischen Wimpern strahlte sie eine unanfechtbare Autorität aus. Vielleicht war er so verlegen, weil er tief in ihrem Palast war und es hier nur so von Drohnen wimmelte, die sich jederzeit für ihre Königin opfern würden. Es hatte sich verdammt viel verändert, seit sie mit einer Kiste Bier in seiner Scheune gestanden hatte.
Er hörte ein Geräusch, das ihn an einen kräftig knurrenden Magen erinnerte. Die Königin nahm ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich.
»Ich würde lieber mit dir an der Oberfläche spazieren gehen, aber wir tauchen jetzt ab, um unsichtbar zu werden. Sicher wimmelte es hier in den nächsten Tagen von Schiffen und Flugzeugen, die das Flugzeugwrack suchen.«
»Befinden wir uns in der Blume aus meiner Scheune«, fragte Greg, während er mit seinen Armen ihren Rücken umfasste.
»Das ist T’rion der II., der größte und älteste der T’rion-Stammlinie. Du kennst ihn nicht«, sagte die Königin und löste die Umarmung.
»Um auf deine dringendste Frage zu kommen: Du kannst zwischen drei Optionen wählen. Ich kann dich erstens an einer Küste deiner Wahl absetzen lassen, dort kannst du versuchen, ein Leben als Mensch im Verborgenen zu leben. Zweitens kannst du zu einer gewöhnlichen Drohne in meinem Kollektiv werden.«
»Und drittens?“, fragte Greg, weil ihm sonst keine Optionen mehr einfielen.
»Drittens mache ich dir ein Angebot, das ich vielleicht einmal bereuen werde. Aber du bist der Einzige, dem ich dieses Angebot auf absehbare Zeit noch machen werde.«
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