»Geht das schon wieder los?«, fragte Mirkos und schaute ihn angespannt an. Es war das erste Wochenende in seiner eigenen Wohnung. Nach dem Umzugsstress der letzten Tage wollte seine Freundin zum ersten Mal bei ihm übernachten und es kam ihm vor wie sturmfreie Bude auf Dauer. Endlich mussten sie sich nicht mehr gegenseitig in den „Kinderzimmern“ ihrer jeweiligen Elternhäuser besuchen.

Diese Euphorie war in den letzten Minuten deutlich abgeklungen. Sie saß schmollend auf dem Sofa und umarmte ein Kissen. Die Stimmung war im wörtlichen Sinn am Arsch.

»Wir können uns dem Thema spielerisch nähern, es soll uns ja beiden Spaß machen«, sagte Mirko. Er wusste nicht, wie oft er dieses Argument in den letzten Wochen angeführt hatte. Irgendwann musste sie doch mal kapieren, dass er auch keine Ahnung von Analsex hatte. Das durfte kein Grund sein, es nicht auszuprobieren.

»Ich will es nicht!«, fauchte sie in seine Richtung.

»Ich habe ja nur gefragt«, rechtfertigte sich Mirko.

»Nein. Du fragst nicht einfach nur, du diskutierst, bis ich Kopfschmerzen bekomme, als ginge es nur noch um dieses dumme Thema. Ich habe schon gar keine Lust mehr auf normalen Sex, weil du mir dann auch am Hintern rumspielst und ich total verkrampfe.«

»Was ist denn so schlimm daran?«, fragte er, wie immer, wenn sich die Diskussion dem Ende näherte, weil sie ihm darauf keine nachvollziehbare Erklärung gab.

Seine Freundin stand auf und bückte sich nach ihrer Reisetasche, die noch ungeöffnet auf dem Boden stand. Er ahnte Schlimmes, als er ihren Blick sah. Sie sagte: »Weißt du was? Ich fahr wieder heim! Das ist mir hier zu blöd, da bin ich lieber alleine.«

Ohne auf seine Reaktion zu warten, verließ sie seine Wohnung. Rums! Die Tür war zu. Mirko wusste nicht, ob sie eben Schluss gemacht hatte oder ob sie nur heute alleine sein wollte.

Beschissener konnte ein Wochenende nicht anfangen. Alles, worauf er sich mit ihr gefreut hatte, platze wie eine Seifenblase. Sie wollten gemeinsam Pizza backen, Netflix gucken und entspannt vögeln. Die Zutaten für die Pizza standen in seiner Küche, er sah sich ohne die Hilfe seiner Freundin außerstand, daraus eine Pizza zu machen. Mirko ging auf den Balkon seiner neuen Wohnung. Sie lag im vierten und obersten Stock des Mehrfamilienhauses. Mit zerknirschter Miene stemmte er seine Hände auf die Brüstung des Balkons und atmete tief durch.

Unten im Hof sah er seine Freundin. Vielleicht war es seine Ex-Freundin, er wusste es nicht. Ihr hübscher Hintern wackelte hektisch und ließ den kurzen Faltenrock aufgeregt hin und her schwingen. Sie war 22 und kein Kind von Traurigkeit, als er sie auf einer Karnevalsfeier kennenlernte. Das war kurz vor Corona, also eine ganz andere Welt. Er war 24 und fand, dass sie gut zusammenpassten. Der Shutdown hatte sie zusammengeschweißt — glaubte er.

Sie rannte fast zu ihrem Auto am Straßenrand, warf die Reisetasche in den Kleinwagen und fuhr davon, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Ein Teil von ihm genoss die Ruhe. Seit ein Wochen stritten sie sich wegen jeder Kleinigkeit. Sein Wunsch nach Analsex war vielleicht seine Art, die Beziehung retten zu wollen, die Bindung zu vertiefen — eventuell war das ein dummer Plan, dachte sich Mirko. Ein Geräusch in seiner Nähe riss ihn aus den Gedanken.

Der Balkon der Nachbarwohnung war durch einen Sichtschutz von seinem getrennt. Wenn man sich über die Brüstung lehnte und den Kopf verdrehte, so wie er es gerade tat, konnte man zu den Nachbarn gucken. Er sah eine Frau mit langen roten Haaren auf einer Gartenliege. Sie trug eine große Sonnenbrille und schaute in seine Richtung.

»Sorry, ich wollte nicht spannen«, sagte er und wendete den Blick dennoch nicht ab. Ein Teil seines Gehirns hinderte ihn daran, weil es noch Informationen von den Augen benötigte, um das Bild zu vervollständigen.

Das Rückenteil der Liege war angestellt, sodass sie halb liegend, halb sitzen in seine Richtung schaute. Die Frau beeindruckte ihn mit einer begnadeten Figur. Neben ihren geschminkten Lippen schwebte ein kleines Mikrofon von dem Headset auf ihrem Kopf.

Mirko brauchte einige Sekunden, um das Material des knallengen Badeanzugs einzuordnen. Dieser satte, schwarze Glanz spannte sich faltenfrei über ihren Körper. Ein Gewebe vermochte diesen Glanzgrad selbst im nassen Zustand nicht zu erreichen.

»Gleich kostet es Geld«, sagte die Frau auf der Liege mit einem schelmischen Lächeln und zog die Beine verspielt an ihren Körper.

Mirko nahm den Kopf zurück und glaubte, im letzten Augenblick gesehen zu haben, dass ihre Füße in schwarzen High Heels steckten. Ihre langen Beine sahen so ebenmäßig aus, dass sie womöglich eine hautfarbene Strumpfhose trug. Er wunderte sich über das Outfit, in dem seine Nachbarin die letzten Sonnenstrahlen des beginnenden Herbstes genoss. Mirko war versucht, noch einen Blick zu riskieren, und wagte es nicht. Während er nachdachte, hörte er ihre gedämpfte Stimme:

»Na du kleiner, geiler Wichser. Der maßgefertigte Badeanzug aus Latex, den du mir bezahlt hast, sitzt perfekt. Schau mal wie straff sich das Material über meinen Körper spannt und wie stramm es sich zwischen meine Beine schmiegt. Das fühlt sich unglaublich geil an, wenn ich mit meinen Händen über meinen Körper streiche. Dazu trage ich eine nahtlose Glanzstrumpfhose und die High Heels, auf die du so abgehst. Aber die zeige ich dir heute nicht. Dafür war deine letzte Überweisung zu mickrig. Bitte erspare mir das Gejammer über die Kurzarbeit und das gekürzte Gehalt. Willst du mir den Luxus verwehren, der mir zusteht, nur weil du nicht genug anschaffst?«

Mirko stand reglos hinter dem Sichtschutz und hörte, was seine Nachbarin in perfekt artikuliertem Hochdeutsch redete. Er versuchte, ihre Worte mit den Bildern in Einklang zu bringen, die er bei seinem Blick nach drüben aufgeschnappt hatte.

»Ey, ! Ich sehe deine Schuhe!«, hörte er sie rufen. Der Sichtschutz, hinter dem er stand, begann einige Zentimeter über dem Boden. Mirko trat einen Schritt von dem Sichtschutz zurück. Dann fasste er Mut, lehnte sich über die Brüstung und schaute zu ihr rüber.

»Bist du online?«, fragte er und versuchte, möglichst viele Eindrücke von seiner eigenartigen Nachbarin zu sammeln, ohne in offensichtliches Gaffen zu verfallen.

»Nee, ich nehme auf und schneide die besten Szenen zusammen. Am Abend ist das Licht optimal und in einer halben Stunde verschwindet die Sonne hinter dem Haus gegenüber«, sagte sie und zeigte auf das Stativ mit der HD-Kamera, das am Fußende ihrer Liege stand.

»Ist was Spezielles, hm?«, sagte Mirko und ließ den Blick zwischen ihr und der Kamera schweifen. Sie spitzte die Lippen und nickte wortlos. Dann grinste sie, legte das Headset ab und schob die Sonnenbrille über die Stirn. Ihrer Mimik nach nahm sie ihm die Störung nicht übel. Sie wirkte sogar erheitert. Mirko vermochte nicht, ihr Alter einzuschätzen: Ihr Gesicht und ihr Körper wirkten jung, trotzdem sah sie irgendwie alt aus.

»Ich bin übrigens Mirko, dein neuer Nachbar. Ich würde dir die Hand zur Begrüßung reichen, aber das macht man ja jetzt nicht mehr.«

Sie lächelte gequält und nickte. Dabei lag sie unbefangen in ihrem Fetischoutfit auf der Liege. Sie trug tatsächlich eine glänzende Nylonstrumpfhose und schwarze Lackpumps mit obszön hohen Absätzen zu dem hochglänzenden Badeanzug.

»Ich bin Jessica, freut mich, dich kennenzulernen, und tut mir echt leid, dass deine Freundin so unentspannt ist wegen Analsex.«

»Hast du das mitbekommen?«, fragte er erschrocken.

»Sorry, deine Balkontür stand offen und ich hätte mir die Ohren zuhalten müssen, um es nicht mitzubekommen.«

»OK«, seufzte Mirko, »Ist halt blöd wegen der Pizza. Jetzt muss ich mir wohl ein Scheiben Toast zum Abendessen machen.«

»Warum?«, fragte Jessica.

»Weil ich nicht weiß, wie man Pizza macht«, sagte Mirko. In seiner Stimme lag Unverständnis für ihre Frage, woher sollte er denn wissen, wie man Pizza aus Rohstoffen macht.

»Bekomme ich was ab, wenn ich dir zeige, wie es geht?«, fragte sie.

»Bei mir?«, fragte Mirko perplex.

»Ich will mich nicht aufdrängen und wenn du Angst hast, wegen Corona, habe ich dafür vollstes Verständnis.«

»Nee«, sagte Mirko irritiert, »Also ich meine: Das wäre super — wegen den Zutaten und so.«

Jessica lächelte und genoss seine irritierte Begeisterung. Sie richtete ihren Oberkörper auf und sagte: »Dann zieh ich mir was über und komme zu dir. OK?«

»OK«, sagte Mirko und schaute sie weiterhin an: Ihre Füße standen links und rechts neben der Liegefläche. Im Sitzen waren ihre Schenkel gespreizt und er schaute ihr unwillkürlich zwischen die Beine, wo sich das glänzende Material über ihren Venushügel spannte. Er hob den Blick, bevor es unhöflich wurde, und starrte auf ihre Brüste, die sich unter dem hochglänzenden Material abzeichneten.

»Bis gleich«, sagte sie und schaute ihn abwartend an. Er verstand die Botschaft und zog den Kopf ein, der über die Brüstung des Balkons ragte. Mirko fühlte eine vage Vorfreude auf den bevorstehenden Besuch und nahm am Rande wahr, dass ihn die spontane Abreise seiner Freundin kaum noch bekümmerte.

*

Als es an seiner Tür läutete, schaute er an sich runter: Nach der Arbeit hatte er geduscht und sich eine lange Sporthose sowie ein T-Shirt angezogen. Für den geplanten Abend auf der Couch mit seiner Freundin war das angemessen und jetzt war es zu spät für einen stilvollen Dress. Er öffnete seine Wohnungstür, ohne zu prüfen, wer da auf der Fußmatte stand und sah Jessicas Gesicht. Ihre Haare waren silberblond, im Nacken kurz geschoren, der Rest reichte ihr bis zu den Ohren.

»Hoppla«, sagte sie lachend und griff seine Verwunderung auf, »Willst du lieber Besuch von der Rothaarigen? Ich kann sie schnell holen.«

»Nein«, sagte Mirko und war spontan begeistert von dieser Wandlung. Mit ihren echten Haaren wirkte sie jugendlich-sexy. Jessica konnte kaum älter sein als er — höchsten Ende zwanzig. Sie war etwas kleiner als er und trug einen zartrosafarbenen Kapuzenpulli, eine knöchellange weiße Stoffhose und rosafarbene Hausschuhe in Felloptik. Aus der Fetisch-Lady war innerhalb von zehn Minuten eine lässige junge Frau mit einer frechen Kurzhaarfrisur geworden.

Er machte einen Schritt zurück und ließ sie eintreten. Sie ging zielstrebig in die Küche. Ihre Bewegungen zeigten eine geschmeidige Eleganz.

»Deine Wohnung hat den gleichen Grundriss wie meine«, sagte sie. Mirko folgte ihr und sah, dass sie sich einen Überblick über die Zutaten verschaffte, die auf der Arbeitsplatte seiner Küche standen.

»Echt jetzt?«, sagte sie gespielt vorwurfsvoll und zeigte auf die Packung mit dem Pizzateig.

»Was?«, fragte er.

»Das ist Fertigteig, den musst du nur ausrollen. Einen Hefeteig anzusetzen, ist das Schwierigste bei Pizza, der Rest ist idiotensicher.«

Mirko zog die Schultern ahnungslos nach oben.

»Nimm ein Backblech aus dem Ofen und lasse das Gerät vorheizen«, sagte Jessica und erklärte ihm, wie das mit dem Fertigteig ging. Anschließend ließ sie ihn die Zutaten für den Belag klein schneiden. Er saß am Küchentisch und erhaschte einen Blick auf ihre Kehrseite, als sie vor dem Backofen stand.

Ihre wohldefinierte Figur konnte von dem legeren Outfit nicht gänzlich kaschiert werden. Zwischen dem Ende ihrer Hose und dem Anfang ihrer Hausschuhe sah er einen Streifen zarten Nylonglanzes auf ihren Fußknöcheln. Wenn sie sich nur schnell etwas übergezogen hatte, trug sie vermutlich auch noch den hochglänzenden Badeanzug unter dem Pulli.

»Biste das erste Mal aus Hotel ausgezogen?«, fragte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen.

»Ja. Schlimm?«

»Nö, ich kenne einen Typen, der mit vierzig noch in seinem Kinderzimmer wohnt. Der verdient dreitausend netto im Monat, lässt sich die Wäsche von seiner Mama aufs Zimmer bringen und bezahlt Frauen dafür, dass sie mit ihm vor dem Fernseher kuscheln.«

»Echt?«

»Ja«, sagte Jessica gelassen und drehte ihren hübschen Kopf zu ihm.

»Machst du so was?«, fragte Mirko.

»Ja auch«, sagte sie beiläufig, »Also im Moment geht das ja nicht, weil körpernahe Dienstleistungen nicht systemrelevant sind. Ich versuche, mich mit Online- und Telefonservice über Wasser zu halten.«

Mirko war mit dem Schnippeln der Beläge fertig und schaute Jessica aus mehreren Gründen fragend an: »Auf dem Balkon kam es mir vor, als wärst du eine Domina oder so.«

Sie lachte und las von der Packung des Fertigteigs ab, in welcher Reihenfolge der Teig belegt werden sollte, dann sagte sie: »Wenn es gewünscht wird, kann ich streng und erniedrigend sein, aber ich bin weit von dem entfernt, was man allgemein unter einer Domina versteht.«

Mirko verteilte Salamischeiben auf dem Blech. Sie schaut ihm über die Schulter und das Gefühl ihrer Nähe kribbelte angenehm in seinem Bauch. Er sagte: »Sorry, ich will dich nicht ausfragen.«

»Mach doch«, ermutigte sie ihn, »Solange du mir nicht blöd kommst, habe ich kein Problem damit.«

»Wie würdest du deinen Beruf nennen?«, fragte Mirko und öffnete den vorgeheizten Ofen, um das Blech reinzuschieben.

»Hm«, machte Jessica und posierte mit gekreuzten Beinen neben dem Backofen, »Ich bediene Wünsche im Bereich Escort und Bizarr-Lady. Das überkreuzt sich thematisch, je nach den Wünschen der Kunden. Ich bevorzuge Stammkunden, mit denen ich eine Art Beziehung aufbauen kann, das erzeugt mehr Tiefe. Ich habe während meines Studiums bei einer Escort-Agentur angefangen. Nach dem zweiten Staatsexamen habe ich mich nach einem Arbeitsplatz umgesehen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich gar keinen Bullshit-Job in einem Büro machen will und mir die Arbeit mit Menschen gefällt. Mittlerweile arbeite ich freiberuflich und biete maßgeschneiderte Lösungen.«

Sie setzten sich an den Küchentisch, während die Pizza im Ofen backte und Mirko fiel auf, wie entspannt sie sich unterhielten. Die Vertrautheit zwischen ihnen konnte unmöglich in so kurzer Zeit entstanden sein. Er war für einen Moment abgelenkt von diesem Gedanken und verpasste einen oder zwei Sätze ihrer Erzählung.

»… versteh mich nicht falsch, in der Branche passiert viel Unrecht, aber ich war immer in der glücklichen Lage, mir meine Kunden aussuchen zu können. Klasse statt Masse, langfristige Kundenbindung, kein Zack-Zack für fünfzig Euro, du verstehst?«

Er nickte.

»Und was machst du so?«, fragte sie ihn. Dabei schlug sie ihre Beine übereinander und drehte ihren Oberkörper interessiert in seine Richtung.

»Bullshit-Job im Büro«, lachte er, »Wir machen Sonderausstattungen für Wohnmobile und Wohnwagen — dieser Sommer war der beste aller Zeiten.«

»Glückwunsch«, sagte sie mit verzogenen Mundwinkeln. Ihre strahlend grünen Augen wirkten leicht melancholisch.

»Hältst du dich an das Kontaktverbot?«, frage er, »Merkt doch keiner, wenn du weiterarbeitest.«

»Doch«, sagte sie bestimmend, »Wenn ich mich nicht an die Auflagen halte, machen die mein Geschäft zu und es kann deftige Strafen hageln. Außerdem gibt es dieses scheiß Virus wirklich. Ich möchte keinen meiner Kunden auf dem Gewissen haben.«

»Verstehe«, sagte Mirko nachdenklich.

»Du musst dir keine Sorgen um mich machen.«

Ihr Lächeln wirkte angespannt und er entließ sie nicht aus seinem prüfenden Blick. Jessica senkte die Lider und sagte: »Mir fehlt der unbefangene Kontakt mit anderen Menschen.«

»Hast du keinen

Sie lachte und schüttelt den Kopf, »Die letzten Jahre hatte ich nichts Festes. Nicht mal Affären. Ich wollte mir nicht noch Arbeit mit nach Hause nehmen. Vor Corona habe ich mir Auszeiten genommen, um für mich sein zu können, jetzt habe ich von mir selbst die Schnauze voll.«

Jessicas Hände lagen entspannt auf dem kleinen Küchentisch. Er legte seine Hand auf ihre und war von seinem Mut rückwirkend überrascht. Sie ließ die Berührung zu. Das Display seines Smartphones flammte auf und zeigte eine neue Nachricht auf dem Startbildschirm. Die Nachricht war von seiner Freundin. Ohne den Text zu lesen, stach ihm der übermäßige Gebrauch von Ausrufezeichen und roten Wut-Smileys ins Auge.

»Ich glaube, meine Beziehung hat sich erledigt«, murmelte Mirko und schob das Smartphone zur Seite.

»Willst du alleine sein?«, fragte sie mitfühlend. Seine Hand lag noch auf ihrer und er nahm sie nicht weg.

»Nein, im Gegenteil«, sagte er, »Meine Ex und ich, wir hätten uns unter normalen Umständen schon viel früher getrennt. Wir hatten vielleicht nur Angst, in dieser Zeit alleine zu sein — die letzten Wochen mit ihr waren ein Krampf.«

Der intensive Geruch von Pizza ließ Mirko aufschrecken.

»Oh, die ist knusprig geworden!«, rief Jessica und sprang auf.

»Hast du Topflappen oder ein trockenes Handtuch?«, fragte sie. Mirko holte ein Frotteehandtuch aus dem Bad, mit dem er das Blech herausziehen konnte, ohne sich die Finger zu verbrennen.

»Das geht noch, wir schneiden den Rand einfach ab«, stellte sie fest.

Mirko retten große Teile der Pizza und legten diese auf Teller, um das Blech mit dem verbliebenen Teig und den sonstigen Zutaten belegen zu können. Als das zweite Blech im Ofen war, aßen sie gemeinsam und waren mit dem geschmacklichen Ergebnis zufrieden.

Kauend schaute er in ihre Augen, die leicht mit Kajal umrandet waren. Vom Lippenstift, den sie vorhin auf ihrem Balkon getragen hatte, waren nur noch dezente Spuren zu sehen.

»Ich finde es unglaublich interessant, hier mit dir zu sitzen«, gestand Mirko kauend. Jessica lächelte und nickte zustimmend, »Die besten Partys finden in der Küche statt.«

»Oder mit einem Kasten Bier an der Bushaltestelle.«

Jessica lacht und hielt sich die Hand vor den Mund, wie es sich beim Essen gehörte.

Als das zweite Blech fertig war, erinnerte ihn Jessica, den Ofen auszuschalten.

»Das zweite Blech kannst du morgen kalt essen«, erklärte sie. Er zeigte auf ihren Teller: »Du hast ja fast nichts gegessen?«

»Ich esse abends nicht viel, magst du den Rest?«

Mirko wollte nicht gefräßig erscheinen, aber es schmeckte. Er zog ihren Teller zu sicher heran und biss ab.

»Unter Escort kann ich mir etwas vorstellen, aber was macht eine Bizarr-Lady?«, fragte er kauend und weckte ein tiefsinniges Grinsen bei Jessica. Sie stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab und schaute ihn an: »Eine Bizarr-Lady erfüllt Fetischwünsche. Lack, Leder, Latex, Nylon, Schuhe — du weißt schon.«

Mirko nickt. Jessica sprach weiter: »Darüber hinaus kann ich bis zu einem gewissen Grad bestimmend oder unterwürfig sein, je nachdem, welche Rolle besetzt werden soll.«

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor ihren Brüsten und sagte: »Ich mag dieses Denken in Schubladen eigentlich nicht. Ich führe mit jedem Kunden ein Vorgespräch, bei dem wir die Wünsche und Möglichkeiten besprechen.«

Mirko grinste.

»Was ist?«, fragte sie und neigte den Kopf neugierig.

»Ich weiß, dass es Frauen wie dich gibt, aber ich dachte immer: Die sind irgendwo in einer Luxus-Welt, mit der ich nichts zu tun habe, zumal ich es mir sowieso nicht leisten könnte.«

»Ich sage dir, ab wann es Geld kostet«, sagte sie mit einem frechen Zwinkern.

»Fallen bei einem Gespräch bereits Kosten an?«, fühlte Mirko neugierig vor.

»Nicht unbedingt, warum fragst du?«, wollte Jessica mit einer flirtbereiten Körpersprache wissen. Mirko zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich finde das total spannend, hier mit dir zu sitzen und zu reden. Du bist total nett und unkompliziert.«

»Danke, du auch«, sagte Jessica.

»Wie läuft so ein Gespräch?«

Jessica atmete entspannt aus, machte es sich auf ihrem Stuhl bequem und fragte mit einem Lächeln: »Ich würde zuerst einmal fragen, nach was sich der Kunde sehnt, was er sich von mir wünscht.«

»Aha«, sagte Mirko. Jessica stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch, neigte den Kopf weit vor und schaute ihn fragend an: »Das ist der Moment, in der ich eine Antwort brauche.«

Mirko riss die Augen auf und lachte aus Verlegenheit. Nach einem tiefen Atemzug sagte er: »Eine Partnerin, die keinen Rucksack voller Komplexe und Vorurteile mit sich herumschleppt und ihre eigenen Wünsche klar formulieren kann, wäre schon toll.«

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