Kapitel 1 — Das Erbe

Was habe ich mir nur dabei gedacht? Was soll das Ganze? Mein Gott, was hat mich dazu gebracht, hierher zu kommen? Ich sitze in diesem kleinen, engen Besprechungsraum eines Notars in Bozen und warte auf eine Testamentseröffnung. Es geht angeblich um meinen Franz. So stand es im Schreiben, das mir vor einigen Tagen überraschend zugestellt wurde. Ich möge bitte zu diesem Termin erscheinen, hieß es weiter, mehr nicht. Was habe ich mit dem Testament von Onkel Franz zu schaffen?

Für mich ist die Situation einfach unangenehm. Ich habe so ganz und gar keine Ahnung, warum ich hier bin. Ich kannte Onkel Franz überhaupt nicht. Ich bin ihm nie im meinem ganzen Leben begegnet. Was soll ich da schon erben?

Ich bin aber auch verunsichert, weil ich wohl gleich auf die Verwandten von Franz treffe und keinen von ihnen kenne. Womöglich tauchten Cousinen oder eine Tante auf, die ich noch nie gesehen habe. Wir gehören im weiteren Sinn derselben Familie an, sind aber .

Ungewöhnlich ist allerdings, dass ich offenbar der einzige bin, der in diesem Wartezimmer sitzt? Niemand, außer mir, ist da. Dabei ist es schon fünf Minuten nach zehn. Sind das wirklich derart unpünktliche Leute, mit denen ich es hier zu tun habe?

„Guten Tag, Herr Müller!“, reißt mich ein Mann aus meinen Gedanken. Es muss der Notar sein. „Mein Name ist Georg Weger.“

Er muss von mir unbemerkt in den Raum gekommen sein und streckt mir zur Begrüßung die Hand entgegen. Er lächelt freundlichen, macht aber einen sehr amtlichen Eindruck. Das gehört vermutlich — so nehme ich an — zu einem Notar dazu. Das lernen sie sicher schon an der Uni.

„Guten Tag“, grüße ich. „Wer muss denn noch kommen?“

„Wir sind komplett. Es kommt niemand mehr?“, sagt er. Sein Lächeln bleibt freundlich.

„Wie? Es kommt keiner mehr?“, bin ich überrascht.

„Herr Müller, Ihr Onkel hat nur sie im Testament bedacht. Sie erben seinen gesamten Besitz. Das Erbe umfasst ein Schloss am Gardasee, sämtliche Ersparnisse, Aktienpakete und Bankkonten. Die Details schauen wir uns gleich an. Ich habe eine Aufstellung und alle erforderlichen Unterlagen dabei“, antwortet er.

Onkel Franz hat mir seinen gesamten Besitz vererbt? Ausgerechnet mir! Ein Schloss? Was für ein Schloss? Unzählige Fragen schwirren mir durch den Kopf und ich weiß im Moment nicht, was ich denken oder glauben soll.

Ich hatte mich bereits gewundert, als ich von einem Notar in Bozen zu dieser Testamentseröffnung eingeladen wurde. Anfangs wollte ich diesen Termin gar nicht wahrnehmen. ´Wozu auch?´, habe ich mir gedacht. Ich hätte nie im Leben erwartet, dass mich Onkel Franz überhaupt im Testament erwähnt. Ich war mir bis dahin nicht einmal sicher, dass er überhaupt wusste, dass es mich gibt.

Mit der Zeit habe meine Meinung aber geändert. Genau genommen wollte ich Onkel Franz auf diese Weise ein letztes Zeichen des Respektes erweisen. Ich habe ihn zu Lebzeiten nie gesehen, deshalb wollte ich ihm diesen letzten Wunsch nicht abschlagen. Das war jedoch eher aus einem Bauchgefühl heraus, weniger eine überlegte Entscheidung.

Dass ich nun der Alleinerbe sein soll, hätte ich nie und nimmer erwartet. Was mache ich denn jetzt? Ich bin auf so etwas gar nicht vorbereitet. Ich hatte den heutigen Tag ganz anders geplant. Nur allmählich werden mir das Ausmaß und die Tragweite dieses Erbes bewusst. Es ist nicht nur ein kleines Erinnerungsstück, das ich in den Kofferraum werfe und zurück nach München fahre. Da geht es um ein Schloss und was weiß ich noch alles.

Während der Notar mir alles Mögliche erklärt, hänge ich meinen Gedanken nach und höre nur mit einem halben Ohr hin. Ich werde mir allmählich der Tatsache bewusst, dass dieses Erbe einige nicht unwesentliche Veränderungen in meinem Leben mit sich bringen wird. Ich habe mich darauf eingestellt, in einem Tag die Sache hinter mich zu bringen. Ich wollte nach diesem Termin gleich wieder heim. Doch wie es aussieht, ist es damit nicht getan. Mein Onkel hat mir so etwas Ähnliches wie ein neues Leben vermacht. Was wird jetzt aus meinem alten?

Ich habe Onkel Franz tatsächlich nie gesehen, nicht ein einziges Mal. Ich habe von ihm gehört, weil meine Mutter ab und zu von ihm erzählt hat. Sie hat allerdings nur sehr selten von ihm gesprochen. Getroffen habe ich ihn nie. Meine Mutter hatte nicht einmal ein Foto von ihm, das sie mir hätte zeigen können. Ich weiß bis heute nicht, wie er ausgesehen hat.

Franz war der meiner Mutter. Er hat allerdings schon in ganz jungen Jahren seine Habseligkeiten gepackt und hat sich aus dem Staub gemacht. Franz wollte im Gastgewerbe arbeiten, hat meine Mutter erzählt. Sein großer Traum war es, die Welt zu sehen, etwas zu erleben. Er brauche Sonne und viel Luft zum Atmen, hat er gemeint. Das haben alle nur für Gerede gehalten. Doch eines schönen Tages, war er tatsächlich verschwunden. Das war lange vor meiner Zeit. Meine Mutter war damals selbst noch ein Teenager. Seitdem hat ihn niemand mehr aus der Verwandtschaft gesehen oder etwas von ihm gehört.

Selbst zum Begräbnis meiner Mutter ist er nicht erschienen. Sie ist vor etwa zwei Jahren plötzlich an einem Herzinfarkt verstorben. Ich habe daran gedacht, ihn einzuladen. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wo und wie ich Onkel Franz erreichen könnte. Meine Mutter hat zwar manchmal von ihm erzählt, aber wo er sich aufhält und was er macht, hat wohl auch sie nicht gewusst. Dabei war Franz — außer mir — der einzige Verwandte, der ihr geblieben war. Ich glaube, sie hat als junges Mädchen und vermutlich auch später, sehr darunter gelitten, dass ihr einziger Bruder einfach so aus ihrem Leben verschwunden ist. Ich hatte immer den Eindruck, das hat sie ihm Zeit ihres Lebens nie verziehen.

—-

„Ihr Onkel hat mich vor knapp zwei Jahren aufgesucht, da ich deutsch spreche. Das war ihm offenbar wichtig. Sonst hätte er ja auch einen Notar in seiner Nähe auswählen können. Er wollte seinen Nachlass geordnet und geregelt wissen. Er war diesbezüglich ein sehr penibler Mensch. Er ist mit allen nötigen Unterlagen hier aufgetaucht und hat mir alles sehr detailliert erklärt. Das Testament und die meisten Unterlagen verwahre ich seit diesem Tag bei mir im Safe.

Einige wenige Unterlagen und einen Brief an Sie habe ich erst wenige Tage vor seinem Tod erhalten. Ihr Onkel hat mir dies mit Kurierdienst zugeschickt. Er selbst war zu diesem Zeitpunkt vermutlich zu schwach, persönlich zu erscheinen.

Das Erbe ist ganz schön komplex. Das Schloss ist nicht nur eine Immobilie, es handelt sich um ein Hotel und damit erben sie ein Unternehmen. Mit allen Rechten und Pflichten“, erklärt mir der freundliche Notar.

Er hat etwas Väterliches an sich. Vom Alter her könnte es sogar passen. Ich schätze ihn auf Mitte Fünfzig, ich bin fünfundzwanzig. Er spürt wohl, dass ich mit der Situation hoffnungslos überfordert bin. Wie soll man denn bitte reagieren, wenn man ein Schloss und alles drum herum von einem Onkel erbt, den man nie in seinem Leben gesehen hat. Auf eine solche Situation ist vermutlich keiner vorbereitet.

„Darf ich noch etwas hier bleiben und die Unterlangen studieren? Es könnte gut sein, dass ich noch Fragen haben“, ersuche ich ihn.

„Natürlich, bleiben Sie, solange Sie wollen. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an meine Sekretärin, damit sie mich ruft. Ich bin gerne für Sie da“, meint er ausgesprochen zuvorkommend.

Auf meiner Fahrt von München hierher habe ich mich gefragt, warum ich mir das eigentlich antue. Die Fahrt zieht sich ganz schön hin. Sie dauert fast vier Stunden. So ganz alleine ist das eine kleine Ewigkeit. Ich musste mir auch eigens einen Tag frei nehmen. Ich wollte deshalb spätestens am Abend zurück fahren. Das ist jetzt wohl nicht mehr sinnvoll.

Ich werde wohl oder übel das Schloss und das Hotel aufsuchen und anschauen müssen. Wo ist das Schloss überhaupt, wer führt im Augenblick die Geschäfte oder steht es derzeit leer? Was erwartet mich dort? Mir brummt vor lauter Fragen, auf die ich im Moment noch keine Antwort habe, der Schädel. Ich weiß absolut nichts. Es könnte auch sein, dass wichtige Entscheidungen zu treffen sind. Mein Gott, was wird alles auf mich zukommen? Ich habe ein Hotel geerbt. Mit Gastgewerbe hatte ich noch nie etwas am Hut.

Wie ich gedankenverloren und — wenn ich ganz ehrlich bin – auch ein wenig in Selbstmitleid badend, die Unterlagen durchblättere, entdecke ich eine Aufstellung des Grundbesitzes und die entsprechenden Grundbuchsauszüge. Auch eine ganze Menge Bankunterlagen sind dabei. Wenn ich die Situation auf den ersten Blick richtig einschätze, dann war mein Onkel ein ausgesprochen wohlhabender Mann. Ich kann mich zwar irren, doch mein erster Eindruck deutet darauf hin. Neben einer beträchtlichen Summe Bargeld auf dem Firmen- und dem Privatkonto sind auch umfangreiche Aktienpakete und zwei Bankschließfächer aufgelistet.

Das Schloss selbst muss ein beachtlicher Bau sein. Zum Haupthaus gehören einige Nebengebäude und ein riesiger Park. Dieser grenzt direkt an den Gardasee und geht in den Privatstrand des Hotels über. Sogar eine Insel ist — zumindest den Unterlagen zufolge — mit dabei. Als Architekt fällt es mir zum Glück nicht schwer, die Pläne und Unterlagen, was den Immobilienbesitz betrifft, zu lesen.

Die Aufstellung sagt allerdings nichts über den Zustand der Gebäude aus. Es könnte sich genauso gut um eine verlotterte Bruchbude handeln. Dagegen spricht allerdings das viele Geld auf den Konten. Ich entdecke im Stapel aus Unterlagen auch eine Bilanz vom letzten Jahr. Buchhaltung war noch nie mein Fachgebiet, doch in der Zeile `Gewinn` ist eine ganz stattliche Summe ausgewiesen. So schlecht kann es also um das Hotel nicht bestellt sein.

Irgendwo zwischen den vielen Unterlagen finde ich den Umschlag, von dem der Notar gesprochen hat. Darauf ist mit Hand mein Name geschrieben. Ich betrachte gedankenverloren die Schrift, die mir auf Anhieb vertraut erscheint. Sie ist klar und strukturiert, hat aber trotzdem einen ganz eigenen, etwas leicht verschnörkelten Stil. Der Mann, der diese Worte schrieb, hatte Charakter. Davon bin ich überzeugt. Ich hole kurz Luft und öffne dann den Umschlag.

—-

Mein lieber Thomas,

es tut mir unendlich leid, dass wir uns nie getroffen haben. Nach allem, was ich von dir erfahren habe, sind wir uns sehr ähnlich und wir hätten uns ganz sicher auf Anhieb verstanden. Ich bedaure auch aus tiefstem Herzen, dass deine Mutter gestorben ist. Ganz schwer liegt mir auf der Seele, dass ich sie seit meinem Weggang von Zuhause nie mehr gesehen habe. Erst jetzt, wo ich im Sterben liege und sie nicht mehr da ist, kann ich mir in etwa vorstellen, was ich ihr damit angetan habe. Von ihre Tod habe ich leider erst Wochen später erfahren und das auch nur durch Zufall. Ein gemeinsamer Bekannter war bei mir zu Gast und hat mir davon berichtet.

Du warst der ganze Stolz deiner Mutter, hat er mir erzählt. Das alles hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Was habe ich denn alles versäumt! Die Zeit vergeht viel zu schnell und sie kommt nicht mehr zurück. Ich habe mir deshalb ganz fest vorgenommen, dich zu treffen. Wenn ich schon deine Mutter nie mehr sehen durfte, so wollte ich es bei dir besser machen. Leider bin ich wenig später schwer erkrankt und wollte dir nicht so unter die Augen treten. Ich bin dem Trugschluss aufgesessen, mein Zustand würde sich eines Tages bessern. Wenn du nun diese Zeilen liest, dann habe ich es wohl nicht mehr geschafft. Auch das ist mir verwehrt geblieben, dich persönlich kennen zu gelernt. Schade!

Ich bin damals von München weggezogen, weil ich als junger Mann etwas von der Welt sehen wollte. Du kannst dir vorstellen, dass es damals eine ganz andere Zeit war. Da ist man nicht einfach so in Urlaub gefahren und hat dabei ferne Kontinente bereist und entdeckt. Das ist heute viel einfacher. Damals ist man losgezogen und musste sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Da du noch jung bist, kannst du mich hoffentlich zumindest ein klein wenig verstehen. Es war eine Entscheidung für ein anderes Leben und nicht gegen meine Familie oder gar gegen deine Mutter. Das musst du mir einfach glauben. Es hat mich in die Welt hinausgezogen. Ich habe gespürt, da draußen muss es noch etwas anderes geben, als das kleinbürgerliche, wohlbehütete Leben, das wir alle geführt haben.

Ich bin zuerst in Rimini hängen geblieben. Ich habe dort gearbeitet, im Gastgewerbe natürlich. An der Adria hat man damals problemlos Arbeit gefunden, ganz besonders, wenn man Deutsch sprach, wie ich. Es waren harte, aber andererseits auch sehr schöne Jahre. Ich war jung und habe das Leben und meine neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen genossen. Ja, ich war ein Hallodri, wie man zu Hause sagen würde. Versteh mich nicht falsch, ich will mich nicht dafür entschuldigen. Das muss ich auch nicht, denn dazu hat mir mein Leben viel zu viel Spaß gemacht. Ich möchte diese Zeit nie missen. In diesen Jahren habe ich mich mit unzähligen Frauen vergnügt. Mein Gott, war das eine schöne Zeit.

Nach einigen Jahren in Rimini begann mein beruflicher Aufstieg. Ich habe in immer nobleren Häusern gearbeitet, bin in den wunderbarsten Orten dieser Welt gewesen und habe schließlich selbst Hotels übernommen. Es hat viele Wechsel in meinem Leben gegeben. Sowohl bei der Arbeit als auch bei den Frauen. Immer wieder gab es eine neue und noch schönere Herausforderung.

Am Ende bin ich völlig überraschend in Riva am Gardasee gestrandet. Bei einem Ausflug habe ich eher zufällig dieses wunderschöne Schloss gesehen und mich unsterblich verliebt. Ich hoffe innständig, dass du nur einen Funken von meinem Wesen in dir hast, damit auch du die Schönheit und die Besonderheit dieses Platzes erkennst. Ich glaube, ich habe nie in meinem Leben eine Frau so sehr geliebt, wie dieses Schloss. Sonst wäre ich wohl auch in dieser Beziehung irgendwann sesshaft geworden.

Doch wie das Leben eben spielt, heute besitze ich ein wunderschönes Schloss, das ich zu einem Hotel umgebaut habe. Die eine, ganz besondere Frau in meinem Leben hat es dagegen nie gegeben und wird es wohl auch nicht mehr geben. In dieser Frage war ich wohl konsequent bis zum Ende. Entweder ich finde die absolute oder ich will keine dauerhafte Beziehung. Das habe ich mir am Anfang in Rimini geschworen, als ich noch sehr jung war. Doch meine wirkliche Traumfrau ist mir – um ganz ehrlich zu sein — bis heute nicht begegnet. Schade eigentlich. Ich weiß auch nicht, ob es so etwas für mich überhaupt gibt oder gab.

Obwohl! Da ist Pia. Nein, mit ihr hatte ich nie etwas — leider muss ich fast sagen. Pia ist die einer guten . Sie hat mich in den letzten Monaten tatkräftig und sehr aufopfernd unterstützt. Seit ich krank bin schaukelt sie den Laden praktisch alleine. Sie ist begabt und ausgesprochen fleißig, sie ist ein hübsches, liebevolles und sehr hilfsbereites Mädchen. Sie ist ein echter Schatz. Ich habe sie damals im Testament nicht berücksichtigt, weil die Situation noch eine andere war. Heute tut mir das sehr, sehr leid.

Da wir uns leider nie getroffen haben, schreibe ich dir diesen Brief. Ich versuche dir in wenigen Worten meine Gedanken und meine Geschichte zu erzählen. Es ist nur das Allernötigste, denn für meine Lebensgeschichte bräuchte ich viel Zeit — und die habe ich nicht mehr.

Mir liegen aber auch noch ein paar Dinge sehr am Herzen, die ich nicht mehr selbst in die Hand nehmen kann. Diese Punkte muss ich dich innständig bitten, in meinem Sinne zu regeln und abzuschließen.

Da wäre an erster Stelle Pia. Ich bitte dich, Pia an meiner Stelle einen Teil des Erbes zukommen zu lassen. Ich würde ihr gerne meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Einen Menschen wie sie, habe ich nie in meinem Leben getroffen. Wenn nicht der Altersunterschied und der falsche Zeitpunkt wären, bei ihr könnte ich mit reinem Gewissen sagen, dass sie die Traumfrau ist. Du wirst die kennenlernen und sie mögen. Davon bin ich überzeugt. Entscheide du, wieviel du ihr von dem Erbe zukommen lassen willst. Schließlich musst du mit der Situation zurechtkommen, die sich daraus ergibt. Ich bin überzeugt, dass meine Bitte bei dir in guten Händen ist.

Besonders freuen würde mich natürlich, wenn Ihr beide zusammen das Hotel weiterführt. Pia ist noch jung und braucht mit Sicherheit deine Hilfe. Ich war ihr in letzter Zeit keine große Stütze. Ich habe ihr sehr viel zugemutet, indem ich die ganze Last auf ihre Schultern abgewälzt habe. Es tut ihr sicher gut, wenn sie jemand hat, der ihr in Zukunft zur Seite steht.

Sie hingegen kennt den Laden, wie kein zweiter und kann dir mit ihrem umfassenden Wissen eine ganz große Hilfe sein. Ich will Euch nicht verkuppeln, wenn ich dir sage, dass sie sehr klug, sehr liebenswert und ausgesprochen hübsch ist. Ich weiß nicht, ob es eine Frau in deinem Leben gibt. Ich möchte dich nur bitten, für mich auf Pia Acht zu geben. Sie ist ein wundervoller Mensch. Ich möchte sogar sagen, der wundervollste, den es in meinem Leben gab.

Wenn du gleich zum Hotel fahren wirst, um dein Erbe anzuschauen, wende dich bitte an Pia. Sie spricht ausgezeichnet Deutsch. Ihr werdet Euch – zumindest sprachlich – gut verstehen. Mir ist klar, dass es nicht leicht sein wird, wenn du plötzlich ein Hotel übertragen bekommst. Aber bitte, bitte kümmere dich um das Schloss und meine Angestellten. Sie sind mein zweites großes Anliegen. Jeder einzelne von ihnen hat mir viele Jahre lang mit viel Hingabe treu gedient und wir sind zu einer großen Familie zusammengewachsen. Das schönste Geschenk, das du mir machen könntest, ist, dass du alles in meinem Sinn weiterführst.

Mir ist klar, dass ich gerade deine ganze Lebensplanung über den Haufen werfe, dass ich wie aus dem Nichts auftauche und Wünsche an dich stelle. Mir ist auch klar, dass mir das genau genommen gar nicht zusteht. Doch du bist meine ganze Hoffnung, dass die Menschen, die mir im Leben wichtig waren, auch darüber hinaus eine Zukunft und eine Heimat haben.

Egal wie du dich entscheiden wirst, ich danke dir jetzt schon dafür.

Dein Onkel Franz

„Scheiße, was jetzt!“, sage ich laut vor mich hin.

„Ich kann Sie sehr gut verstehen. Ihr Onkel hat Ihnen ganz schön etwas aufgebürdet. Um ehrlich zu sein, wüsste ich nicht, wie ich in Ihrer Lage reagieren würde. Ich kann Ihnen jedoch versichern, er hat wirklich große Hoffnungen in Sie gesetzt. Ich weiß nicht warum, aber er war sich sicher, dass er sich voll und ganz auf Sie verlassen kann. Mein Eindruck war damals, er hofft, dass Sie aus demselben Holz geschnitzt sind, wie er selbst.

Ich habe ihn nur zweimal getroffen. Trotzdem hat mich dieser Mann schwer beeindruckt. Seine Mitarbeiter und das Hotel waren ihm ein echtes Anliegen. So etwas findet man in der heutigen Zeit nur noch selten. Genau das nötigt mir großen Respekt ab und ich hoffe, er hat sich in Ihnen nicht getäuscht. Wenn es jemand verdient hat, dass sein letzter Wunsch erfüllt wird, dann war es Ihr Onkel. Er hat dabei auch nicht an sich, sondern an die anderen gedacht“, sagt der Notar. Er muss in den Raum gekommen sein, ohne, dass ich es bemerkt habe.

„Es kommt nur alles so verdammt unerwartet. Ich hatte von alledem keine Ahnung. Ich wusste nicht einmal, wo er umgeht“, antworte ich. „Was soll ich denn nur machen? Wie soll es weitergehen?

Alles Jammern nützt aber nichts. Es wird vermutlich das Beste sein, wenn ich mir das Hotel anschaue und mit dieser Pia spreche. Würden sie bitte alle Umschreibungen, Eintragungen, Meldungen und so weiter für mich übernehmen?“

„Natürlich, gerne. Ich werde alles in die Wege leiten“, antwortet der Notar zuvorkommend. „Und Ihnen wünsche ich viel Glück und Kraft.“

„Danke, das habe ich beides bitter nötig.“

Kapitel 2 — Pia

Ich habe noch vom Büro des Notars aus meinen Arbeitgeber angerufen. In Anbetracht der Sachlage habe ich mir für den Rest der Woche frei genommen. Das war ein ganz schön hartes Stück Arbeit. Ich bin als Architekt in einem Studio beschäftigt und kümmere mich vorwiegend um statische Berechnungen. Das ist die Arbeit, die keiner machen will und, die meist dem Neuen aufgebrummt wird. Das hat sich so ergeben und inzwischen mache ich nahezu alle Berechnungen. Das kommt allen anderen Architekten gelegen, schafft jedoch ein Problem, wenn ich einmal nicht da bin. Das ist mir im Augenblick jedoch herzlich egal. Sie werden wohl oder übel ein paar Tage ohne mich zurechtkommen müssen. Gerd ist schließlich auch noch da. Der weiß eh immer alles besser. Jetzt hat er die Gelegenheit, zu zeigen dass er es kann und nicht nur eine große Klappe hat.

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