Milonga de mis Amores

Teil 1 – Milonga

Elegant, unbeschreiblich elegant flossen ihre Bewegungen ineinander, verschmolzen im Rhythmus der Musik, verliehen ihr Ausdruck und Grazie. Ihre Schritte kamen direkt aus dem Bauch, geführt, diktiert von seinen starken Armen. Wie eine Puppe ließ sie sich gehen, lief, schritt und drehte sich, ganz den unsichtbaren Fäden folgend, die er spannte. Alternativlos und gleichzeitig unglaublich frei folgten ihre Beine dem vorgezeichneten Pfad, spiegelten ihn, ergänzten ihn. Es gab nur wenige Dinge, die Alischa so sehr genoß, wie ein Tango mit einem Mann, der zu führen wußte.

Wenn dir zum ersten Mal ein guter Tango glückt, packt dich das Fieber, sagt man. Und es läßt dich dein Leben lang nicht wieder los. Besser als Sex, dachte Alischa… Oder besser mit Sex? Sie lächelte über ihr gedankliches Wortspiel in sich hinein. Alischa war dem Fieber schon lange erlegen, wie die meisten Teilnehmer dieser Milonga. Beim Tango war sie ganz Frau, so kompromisslos wie sie es bei keiner anderen Gelegenheit sein konnte.

Sie strich sich das figurbetonte schwarze Chiffonkleid glatt, fühlte den Saum der Strümpfe darunter und streckte noch einmal die Beine in den hochhackigen Sandaletten, als er sie an den Tisch zurückbrachte. Sie konnte seinen brennenden Blick auf ihrem Rücken fühlen und es fühlte sich saugut an… Zweifellos war es nicht nur sein Blick, der ihr folgte. Doch seiner war es, auf den es ihr ankam. Die hohen Schuhe ließen Alischa größer erscheinen als sie war – gut einmetersechzig — und betonten ihre üppigen, 38-jährigen weiblichen Rundungen vorteilhaft. Hatte sie zuviel Schwarz gewählt? Schwarze Schuhe, Strümpfe, Kleid, umrahmt von ihren pechschwarzen kinnlangen Haaren. Ihr Blick erhaschte ein flüchtiges Bild von sich selbst in einem der Wandspiegel — nein, ihre vollen rubinroten Lippen und der gleichfarbene Seidenschal um ihre Schultern verliehen dem dunklen Versprechen ihres Äußeren das nötige Gegengewicht, die verheißungsvolle Note…

„Verbindlichsten Dank, mein werter Herr!“ wandte sie sich im Gehen zu ihrem Begleiter um. Sie setzte ihr entwaffnenstes Lächeln auf und fügte hinzu: „Du tanzt wirklich wundervoll, Roberto. Und jetzt würde ich gerne etwas trinken! Daiquiri für mich.“ Sie fächelte sich demonstrativ Luft zu.

Roberto verschwand wortlos in der Menge. Sie sah ihm hinterher und ertappte sich dabei, daß sie sich die Lippen leckte beim Anblick seiner Rückseite. Die dunkle Hose spannte sich bei jedem seiner Schritte über den knackigen Po, was einen schönen Kontrast zu dem schlichten weiten weißen Hemd bildete, das er trug. Sauberes Weiß, kein Schwitzfleck nirgendwo… dachte sie bei sich. Dem Kerl war noch nicht mal richtig warm geworden. Sie biß sich auf die Unterlippe und sah auf die Uhr: kurz vor 22 Uhr an diesem Freitag Abend. Es wurde höchste Zeit, einen Gang hochzuschalten, aber einen Gang bei ihm! Seit sie ihn vor zwei Wochen das erste Mal bei der Milonga gesehen hatte, war ihr der Mann nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Außer daß er neu in der Stadt war, hatte sie noch nicht viel über ihn in Erfahrung bringen können.

„Ein klassischer gutaussehender Schweinehund“, hatte ihre abschätzig gemeint, „und tanzt wie ein Gott! Der Kerl weiß genau, was er wert ist.“

Alischa schätzte ihn auf Mitte Vierzig und dem schlanken Äußeren zu urteilen, war er entweder sehr sportlich, oder alleinstehend. Sie tippte auf Letzteres, denn die verheirateten Männer kamen üblicherweise in Begleitung, oder besser gesagt: begleiteten ihre Frauen. Und der abwesende Ring unterstrich die Vermutung.

Roberto kam mit Daiquiri und einem Bier beladen zum Tisch zurück und Alischa empfing ihn mit dem aufreizendsten Lächeln, das sie aufbringen konnte.

„Chin chin!“

„Salud!“ prostete Roberto zurück. „Schon besser?“

„Wie besser?“

„Dir war doch gerade noch ziemlich heiß, oder?“

„Ach so, ja. Doch… schon besser.“ ärgerte sie sich.

„Ich habe mich noch nicht für dein Kompliment bedankt. Du tanzt wirklich großartig! Wie lange schon?“ fragte er.

„Mehr als vier Jahre.“ sagte sie, „Ich heiße Alischa.“

„Roberto.“ prostete er ihr nochmals zu. Alischa beschloß, den Überraschungsvorteil auf ihre Seite zu ziehen: „Und selber?“

„Auch seit einigen Jahren.“ antwortete er ausweichend.

„Deine Frau tanzt nicht?“

„Ich bin nicht verheiratet.“

„Dann eben deine , Lebensgefährtin, was immer.“

Wie zur Antwort umspielte die Andeutung eines Lächelns seine Lippen, doch er sagte kein Wort. Verdammter gutaussehender Schweinhund! gingen Alischa die Worte ihrer Freundin nicht aus dem Sinn.

Dann brach er das Schweigen und seine Worte hallten als Echo in Alischas Kopf wider:

„Ich bin deinetwegen hier. Du bist mir vor zwei Wochen bereits aufgefallen und ich wollte, nein ich mußte, dich wiedersehen.“ sagte er mit gesenkter Stimme. Er blickte sie wieder an: „Keine Chance, dein Gesicht zu vergessen.“

Bamm!

Alischa war einige Komplimente gewöhnt, doch die unerwartete Intensität des Augenblicks raubte ihr einen Moment lang die Stimme. Ihre Finger strichen flüchtig über seinen Handrücken, dann antwortete sie mit rauchiger Stimme: „Ich würde diesen Abend gerne im privaten Kreis fortsetzen. Lust auf einen Tango zu zweit?“

Er hatte Manieren, dachte sie anerkennend. Der Mantel, die Tür… doch das wollte noch nicht viel heißen, den Knigge für Anfänger konnten sie alle, wenn sie wollten. Sie gingen wortlos zu seinem Wagen, Alischa angelehnt und untergehakt bei ihm. Als sie ankamen, ließ er sie los. Sie ging zur Beifahrertür und wartete, bis er auf der Fahrerseite aufgeschlossen hatte und einstieg. Sie blieb stehen.

Es dauerte einen Moment, bis er begriff. Sein Handzeichen, daß die Tür offen wäre, ignorierte sie stoisch.

„Ich bitte um Verzeihung!“ kam er um den Wagen herum und öffnete den Schlag für sie. Der Fauxpas war ihm sichtlich peinlich und Alischa aalte sich in seiner Unbequemlichkeit. Mit stolzem Lächeln und erhobenem Kinn stieg sie ein.

Yepp! Sie hatte die Oberhand wiedergewonnen. Der Rest des Abend konnte beginnen.

Sie dirigierte ihn zu ihrer Wohnung, als ob sie es ausgemacht hätten, daß sie den Abend bei ihr fortsetzten. Roberto erlaubte sich keinen zweiten Fehler, wie Alischa zufrieden feststellte. Ganz vollendeter Gentleman, begleitete er sie bis ins Dachgeschoß des großen Bürohauses. Seit ihrer Scheidung wohnte sie in „Steinwurfweite von Downtown“, wie sie gerne bemerkte. Das Penthouse war ein letzter Ablaß ihres Ex, 120 Quadratmeter, großzügig angelegt in drei Zimmern, ein riesiger Wohnraum mit Kaminofen, das Schlafzimmer mit Bad en suite und gleich nebenan das „Gästezimmer“. Beim Gedanken an letzteres mußte sie grinsen. Das Zimmer war weder besonders groß, noch besonders schön. Und genaugenommen schliefen ihre Gäste selten darin. Aber das konnte sich freilich ändern, wenn der richtige Gast kam.

Roberto pfiff anerkennend zur die Zähne, als er zum Fenster trat und die Aussicht bewunderte. Er öffnete die Terrassentür und sog einen Schwall der kühlen Abendluft ein.

„Die nächtliche Stadt liegt dir buchstäblich zu Füssen.“ sagte er.

„Ich hoffe doch, nicht nur die.“

„Wie meinst du das?“

„Würdest du uns bitte eine Flasche Barolo aus der Küche öffnen. Gläser sind in der Vitrine da drüben.“ bat sie ihn. Sie ließ sich rücklings auf die Couch fallen, halb im Liegen die Sandaletten abstreifend, und zog die Beine an.

„Setz dich zu mir.“ bat sie ihn, als er mit den gefüllten Gläsern zurückkam und ihr eines davon reichte. Sie tauchte ihre Nase ins Glas und zog das fruchtige Bouquet ein und setzte fort: „Also, Roberto! Was hat dich nach Wien verschlagen?“

„Der Job.“

„Der wäre?“

„Ich bin Anlageberater. Und was machst du?“

„Das heißt also, ich kann mich in Geldangelegenheiten vertrauensvoll an dich wenden?“ ignorierte sie seine Gegenfrage völlig. Sie war ein bißchen näher gerückt und ihr linker Fuß bohrte sich zwischen die Polster der Couch und seinen Rücken.

„Meine Füsse sind kalt.“ meinte sie entschuldigend.

„Soll ich wieder…“ er deutete auf die immer noch offene Terrassentür.

„Bleib! Besser du wärmst sie mir…“

Roberto ergriff ihren andern Fuß und legte ihn auf seinen Schoß, sanft die Sohlen und den Spann massierend. Alischa konnte die harte Beule in seiner Hose gut spüren und hakte nach, indem sie ihre Zehen in seinen Schritt bohrte. Minutelang unterhielten sie sich schweigend und sahen sich beide unentwegt in die Augen. Alischa zählte im Geiste: Fünf — Vier — Drei — Zwei — Eins …

Im selben Augenblick, als er sich zu ihr hinbeugte, entzog sie ihm ihre Füsse und stand auf.

„Vielleicht sollten wir die Tür doch besser wieder schließen.“ ging sie zur Terrassentür und blieb vor dem Panorama stehen. Sie frohlockte innerlich, das Spiel lief ganz zu ihrer Zufriedenheit.

Er trat hinter sie und schlang die Arme um ihren Oberkörper. Sie ließ ihn gewähren und wehrte sich auch nicht, als er ihren Hals zu küssen begann. „Ist das ein Spiel?“ fragte er ernst.

„Spielst du denn nicht gerne?“ neckte sie ihn.

Dann drehte sie sich abrupt in seinen Armen um und hielt die Hände vor seine Brust. Langsam öffnete sie Knopf für Knopf sein Hemd. Ihre Finger erkundeten den Weg unter den Stoff und wanderten mit spitzen Nägeln über seine Haut. Sie fühlte seine Erregung erneut steigen, spürte wie er seinen Unterleib gegen ihren presste. Als er sie küssen wollte, zog sie ihren Kopf zurück:

„Beim Tango überlasse ich dir die Führung, Roberto. Im Bett aber läuft es ausschließlich nach meinen Regeln… Ich führe, du folgst. Hier ist Damenwahl, und das nicht nur beim Tanzen! Entendido?“

Ihre Stimme war zum Flüstern geworden als sie sprach und ihre Fingernägel hatten zwischenzeitlich seine Brustwarzen gefunden. Sie konnte sein sanftes Beben spüren, als sie in sein Ohr hauchte: „Kannst du damit umgehen, mi amor?“

Die Pause schien ihr endlos. Sie verwünschte ihre eigene Direktheit und sorgte sich, ob sie nicht zu weit gegangen war für den Anfang, bis sie ihn sagen hörte:

„Ja.“

„Dann darfst du die Nacht über bleiben.“ entspannte sie sich.

Ihre Hand faßte unter sein Kinn und zog sein Gesicht zu ihr heran.

Sie grinste: „Ausziehen!“

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