„Ein Arzt! Ist hier ein Arzt?“, ruft jemand. „Wir brauchen ganz dringend einen Arzt.“

Ich sitze im Stau fest und bin soeben aus meinem Wagen gestiegen. Ich bin in Eile und das Herumsitzen macht mich nur noch nervöser. Ich will nachschauen, was da überhaupt los ist. Genau in diesem Moment höre die verzweifelten Rufe. Ein Polizeibeamter irrt aufgeregt durch die Reihen der stehenden Fahrzeuge. Zum Unfall muss es nur wenige Autos vor mir gekommen sein. Allerdings kann ich von meinem Standort aus so gut wie nichts sehen. Ein LKW, direkt vor mir, versperrt mir die Sicht und das ist nervig.

Ich müsste eigentlich schon längst im Krankenhaus sein, weil in einer knappen Viertelstunde mein Dienst anfängt. Doch wegen dieses Staus komme ich jetzt garantiert zu spät. Ich hoffe nur, dass das keine Probleme gibt. Aber was kann ich dafür? Normalerweise ist um diese Zeit kaum Verkehr – zumindest nicht in diesem Bereich der Stadt. Ich bin ein ausgesprochen pünktlicher Mensch und immer bemüht, nicht zu spät zu kommen. Ich hasse Unpünktlichkeit. Deshalb hatte ich ja auch geplant, bereits eine halbe Stunde früher zu starten. Doch meine hat mich wieder einmal aufgehalten und mit Fragen gelöchert. Natürlich war es wieder dieses eine, leidige Thema. Sie kann einfach nicht verstehen, dass ich mit Mitte Zwanzig immer noch keinen festen Freund habe. Sie hat mich sogar gefragt, ob ich lesbisch bin. Ich und lesbisch? Als ob jede Frau, die keinen Kerl hat, gleich lesbisch sein muss.

Der Ruf nach einem Arzt reißt mich aus meinen Gedanken. Ich bin Ärztin, eine blutjunge Assistenzärztin, wie ein Oberarzt mir kürzlich an den Kopf geworfen hat, als ich während der Visite ungefragt vorgeschlagen habe, bei einem Patienten einen ganz neuen Therapieansatz zu versuchen. Aber ja, ich bin Ärztin. Na gut, ich bin erst seit zwei Monaten Assistenzärztin, aber das heißt noch lange nicht, dass ich völlig unerfahren bin. Ich lese viel in Fachzeitschriften und versuche ständig auf dem neuesten Stand zu sein. Etwas, was ältere Kollegen ganz offensichtlich nicht mehr so regelmäßig machen, wie der Fall meines Oberarztes beweist.

Doch jetzt ist nicht die Zeit, mir Gedanken zu machen, ob ich qualifiziert bin oder nicht. Wenn ich gebraucht werde, bin ich zur Stelle. Sollten sie einen anderen Arzt finden, kann ich ihm immer noch das Feld überlassen oder assistieren. Ich schnappe also meine Arzttasche, die ich immer im Wagen parat habe. Man kann schließlich nie wissen, ob man sie braucht. Das ist eine Marotte von mir.

„Hier! Ich bin Ärztin!“, rufe ich.

Gleichzeitig laufe ich nach Vorn, wo der Polizist sich gerade danach umschaut, wer da gerufen hat. Deshalb winke ich ihm zu, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Er ist noch blutjung und sichtlich aufgeregt. Es sieht irgendwie so aus, als wäre es sein erster Verkehrsunfall mit Verletzten.

„Kommen Sie! Schnell!“, ruft er. „Es zählt jede Sekunde!“

„Ich beeile mich ja!“, versuche ich ihn zu beruhigen.

So ganz gelingt mir das aber nicht. Doch, was soll´s? Ich bin nicht da, um einen überforderten Polizisten in Sicherheit zu wiegen, ich will Verletzten helfen. Deshalb achte ich nicht weiters auf ihn und laufe in Richtung Unfall. Er folgt mir. Sieben oder acht Autos vor meinem ist die Autobahn komplett frei. Weitere dreißig Meter davor liegt eine Limousine auf dem Dach, ein LKW steht quer zur Fahrbahn und zwei weitere Autos mit abgedunkelten Scheiben stehen an der Seite. Keine Ahnung, ob auch sie in den Unfall verwickelt sind. Auf den ersten Blick kann ich keine Beschädigungen an diesen Fahrzeugen ausmachen.

Viel kann diesen Autos und damit auch ihren Insassen nicht fehlen. Deshalb richte ich mein Augenmerk wieder auf die Limousine. Sie hat es auf jeden Fall am ärgsten erwischt.

„Was ist los?“, rufe ich. „Wie viele Verletzte?“

„Zwei!“, ruft ein Mann, der von seiner Statur her problemlos als Rausschmeißer in einem Club arbeiten könnte. „Hierher! Beeilen Sie sich! Nicht so lahm!“

„Hey! Schon gut, schon gut, ich bin ja da“, gebe ich Kontra. „Bin schließlich nicht ich es, die dämlich in der Gegend herumsteht und nur die anderen antreibt.“

Damit ernte ich einen finsteren Blick, was mir allerdings egal ist. Wie kommt der Kerl dazu, mich dermaßen blöd anzufahren.

Ich will mir zunächst selbst ein Bild vom Unfall und der Situation machen. Mir fällt dabei auf, wie zwei Männer verzweifelt versuchen, eine Tür der Limousine zu öffnen. Sie ist aber so verkeilt, dass ihnen das nicht gelingen will.

„Was ist passiert?“, frage ich.

„Der LKW hat nicht aufgepasst und den Wagen des Prinzen gerammt“, erklärt mir einer der beiden Männer. „Es kann auch umgekehrt gewesen sein. Keine Ahnung. Es ging alles so verdammt schnell.“

„Des Prinzen?“

„Reden sie nicht lange, es ist jetzt nicht die Zeit für Erklärungen“, fährt mich der Typ von vorher an.

„Schon gut, schon gut“, beschwichtige ich. „Der zweite Verletzte ist der Fahrer?“

„Nein, den konnten wir befreien. Beide Verletzten befinden sich im Fond des Wagens. Nun machen Sie schon!“, erklärt mir einer der unsympathische Typ.

„Lassen Sie mich meine Arbeit machen, wie ich will. Schließlich bin ich die Ärztin und will wissen, was Sache ist, bevor ich etwas falsch mache“, gebe ich energisch kontra.

Ich bin während dieses Gesprächs ja auch nicht untätig. Ich mache mir immerhin ein Bild von der Situation, um richtig reagieren zu können. Hetzen kann in so einem Fall gefährlich sein. Eine falsche oder unbedachte Handlung und es könnte Tote geben.

Die Verletzten befinden im Inneren des Wagens. Das ist nun schon einmal klar. Sie herauszuholen ist offenbar nicht möglich, also muss ich hinein.

„Aus dem Weg!“, fordere ich die beiden auf.

Dabei fuchtle ich mit der freien Hand in der Luft herum, um sie zu verscheuchen. Zu meiner Überraschung springen die beiden auch sofort zur Seite. Ich knie mich auf den Boden und mit der Tasche räume ich ein Scherben der zerbrochenen Seitenscheibe beiseite. Sie muss beim Unfall in tausende kleine Stücke zersprungen sein. Nur an einer Ecke sind noch ein Splitter im Rahmen verblieben, die ich sicherheitshalber entferne. Ohne zu zögern, lege ich mich vor dem Fenster auf die Straße und krabble hinein.

„Die Tasche bitte!“, rufe ich nach draußen.

Einer der Männer reicht mir meine Arzttasche, die ich sofort aufklappe und das Stethoskop herausnehme. Währenddessen schaue ich mich schon mal im Inneren des Wagens um. Es sind zwei Menschen drinnen, ein Mann und eine Frau. Beide sind um die Dreißig – sie etwas jünger als er. Ich gehe davon aus, dass sie ein Paar sind. Beide liegen bewusstlos da.

Zunächst schaue ich mir die Frau an. Sie hat eine blutende Kopfwunde. Ihr Puls ist kräftig und beim Abhören kann ich keine Probleme an der Lunge ausmachen. Sie hat sich vermutlich den Kopf angeschlagen und ein Schädelhirntrauma davongetragen. Sie muss ins CT, aber nicht hier. Ich versuche sie, aus Rücksicht auf eine mögliche Verletzung der Wirbelsäule, so wenig wie möglich zu bewegen, muss sie aber doch ein kleines Stück zur Seite schieben, da sie teilweise auf dem Mann draufliegt.

Ihn hat es offenbar schlimmer erwischt. Er hat eine stark blutende Wunde im Halsbereich. Zum Glück ist nicht die Schlagader verletzt, aber er verliert trotzdem viel Blut. Als ich den Puls suche, kann ich keinen finden. Auch die Atmung ist nicht mehr zu spüren. Scheiße! Ich muss ihn sofort reanimieren. Wer weiß, wie lange sein Hirn schon ohne Sauerstoffversorgung ist. Sofort beginne ich mit der Herzdruckmassage und mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Es ist verdammt eng im Wagen. Doch eine andere Möglichkeit bleibt mir nicht. Ich kann unmöglich warten, bis er aus dem Wagen geborgen werden kann.

Während meiner Ausbildung habe ich öfters Dienst in der Notaufnahme gemacht und auch einige Male Menschen wiederbelebt. Doch das hier ist etwas völlig anderes. Ich bin nicht im Krankenhaus und habe nicht die nötigen Hilfsmittel und Medikamente. Trotzdem muss es klappen. Das Leben dieses Mannes hängt allein von mir ab.

Nach etwa einer Minute habe ich ihn Gott sei Dank wieder. Es ist eine verdammt anstrengende Minute, denn eine Wiederbelebung ist Knochenarbeit und unter diesen Umständen erstrecht. Wo bleiben nur die Rettung und die Feuerwehr? Ich brauche dringend Hilfe, um die beiden aus dem Fahrzeug zu holen und ins Krankenhaus zu bringen. Es zählt wirklich jede Minute, auch, wenn ich durch die erfolgreiche Wiederbelebung schon mal wertvolle Zeit gewonnen habe.

Ich kann mich aber noch nicht zurücklehnen. Der Mann ist noch lange nicht stabil. Zumindest sein Herz schlägt wieder und er atmet selbstständig. Allerdings röchelt er. Das klingt nicht gut. Ich lege ihm am Hals eilig einen notdürftigen Druckverband an, um die Blutung zu stoppen. Da ich weder Blutkonserve noch Kochsalzlösung zur Hand habe, muss ich versuchen, den Blutverlust so gering wie möglich zu halten. Verdammt, wo bleibt die Rettung!?

„Was ist passiert?“, höre ich eine Stimme.

Sie ist leise und noch sehr schwach. Es ist die verletzte Frau. Sie muss wieder zu sich gekommen sein.

„Bleiben Sie ruhig liegen. Versuchen Sie sich nicht zu bewegen“, fordere ich sie auf.

„Wo sind wir?“

„In der Limousine. Sie hatten einen Unfall.“

„Und wer sind Sie?“

„Ich bin Ärztin. Ich war zufällig ein paar Autos hinter Ihnen.“

„Was ist mit meinem ?“

„Genau kann ich das noch nicht sagen. Ich kümmere mich gerade um ihn.“

„Lebt er?“

„Ich konnte ihn wiederbeleben. Jetzt muss ich schauen, was ihm fehlt.“

„Retten Sie ihn“, fleht sie. „Bitte!“

„Ich mache alles, was in meiner Macht steht“, versichere ich. „Versprochen!“

Mit dem Stethoskop höre ich die Lunge ab. Eine Seite klingt gut. Verdammt, der zweite Lungenflügel muss kollabiert sein. Er hat einen Pneumothorax! Scheiße! Ich muss sofort etwas unternehmen. Hier im Wagen wird das nicht einfach werden. Noch dazu habe ich nicht das Passende dabei. Ich hole ein Einweg-Skalpell aus der Tasche, davon habe ich immer ein paar dabei. Aber ich habe sonst nichts, um die Lunge zu entlasten.

„Hat jemand einen Kugelschreiber?“, rufe ich nach draußen.

„Ja ich!“, meint ein Mann.

Er reicht mir das Teil, ich schraube es hastig auseinander und desinfiziere das Röhrchen mit viel Desinfektionsmittel. Das muss reichen! Mit einer Schere schneide ich ein Loch ins Hemd des Mannes und mache anschließend mit einem kräftigen Ruck aus dem kleinen Schnitt ein großes Loch.

„Was machen Sie da?“, will die besorgt wissen. Sie ist beinahe panisch.

„Ich muss die Lunge entlasten“, antworte ich kurz. „Sie füllt sich mit Flüssigkeit.“

„Ist das gefährlich?“

„Das wird schon wieder“, beruhige ich sie. „Schauen Sie lieber weg. Das ist nichts, was schön ist, abzuschauen.“

„Sie haben das schon einmal gemacht?“

„Ja, schon oft“, versichere ich ihr. Leise füge ich hinzu. „Im Krankenhaus.“

Ich setze im selben Moment das Skalpell an, mache vorsichtig einen kleinen Schnitt, vergrößere mit einem Finger das Loch und schiebe das Röhrchen des Kugelschreibers mit einem Ruck in die Wunde. Die Frau schreit auf und draußen bewegt sich etwas. Ich achte aber nicht darauf und konzentriere mich auf den Patienten. Man hört ein pfeifendes Geräusch, als die Luft durch das Röhrchen strömt. Sofort schnauft der Patient deutlich hörbar ein. Er bekommt wieder besser Luft. Na endlich!

Ich höre noch einmal seine Lunge ab und stelle zu meiner Beruhigung fest, dass die Lunge sich wieder entfalten konnte. Er atmet wieder halbwegs normal. Damit ist er so weit stabil und ich habe Zeit gewonnen, ihn endlich eingehender zu untersuchen. Er hat einen Unterschenkelbruch und vermutlich einige Prellungen, aber er ist zum Glück stabil.

„Wie heißen Sie?“, frage ich die Frau.

„Ich bin Leyla und das ist mein Ahmed.“

„Ahmed ist jetzt stabil. Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird alles wieder gut.“

Ich will gerade zu Leyla krabbeln, da schlägt Ahmed die Augen auf. Er schaut mich völlig entgeistert an.

„Was machen Sie hier?“, stöhnt er.

„Ich bin Ärztin. Sie hatten einen Unfall. Sie sollten jetzt aber nicht sprechen.“

„Wo sind wir?“

„In München.“

„Ahmed, ich bin bei dir. Sie sagt, es wird alles wieder gut. Sie hat dich wiederbelebt“, meldet sich nun auch Leyla zu Wort.

„Leyla, wie geht es dir.“

„Mir geht es gut. Ich habe nur eine dicke Beule und mein Kopf brummt.“

Der Mann sackt wieder etwas zusammen. Er scheint vorerst beruhigt zu sein. Endlich höre ich, dass Rettungsfahrzeuge näherkommen. Das lange Warten hat zum Glück ein Ende. Wenig später blinken zahlreiche blaue Lichter vor der Limousine. Sie sind da! Ich stecke den Kopf aus dem kaputten Fenster und sehe, wie der Notarzt auf mich zukommt.

„Wer sind denn Sie?“, will er wissen.

„Ich bin Mandy Berner, ich bin Assistenzärztin im Krankenhaus links der Isar.“

„Wie sieht es aus?“

„Hier drinnen befinden sich ein Mann, etwa dreißig Jahre alt. Ich habe ihn wiederbelebt. Inzwischen ist er stabil. Er hatte einen Pneumothorax und ich musste auch eine stark blutende Wunde am Hals versorgen. Außerdem hat er sich einen Unterschenkelbruch zugezogen. Der Rest dürften Prellungen und Abschürfungen sein. Im Krankenhaus sollte zur Sicherheit ein CT gemacht werden.

Die Frau ist etwas jünger und seine Schwester. Sie hat eine Beule am Kopf und war kurze Zeit bewusstlos. Ich vermute sie hat ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Auch bei ihr sollte ein CT gemacht werden, um Verletzungen des Hirns auszuschließen. Ansonsten, soweit ich das in der Eile und in der Enge feststellen konnte, dürfte sie mit ein paar Prellungen davongekommen sein. Beide sind inzwischen wieder einigermaßen ansprechbar.“

„Ich reiche ihnen Stiffnecks zum Stabilisieren der Halswirbelsäule. Sicher ist sicher“, meint der Notarzt. „Dann soll die Feuerwehr die Tür öffnen und wir holen Euch drei raus.“

Er reicht mir, wie besprochen die beiden Halskrausen, die ich den Patienten anlege. Ich bekomme auch eine Decke, die ich über die Verletzten breite. Damit soll vermieden werden, dass sie bei der Bergung verletzt werden. Vor allem Glasscherben könnten ein Problem darstellen. Danach ist die Feuerwehr an der Reihe. Sie muss mit hydraulischen Spreizen die Tür öffnen. Dafür benötigt sie nur wenige Sekunden. Der Notarzt hilft mir, zuerst den Mann und dann die Frau auf ein Bord zu heben, damit sie nacheinander von den Männern der Feuerwehr aus dem Wagen gezogen werden können.

„Gute Arbeit!“, lobt mich der Notarzt.

Ich krabbele hinaus und beobachte, wie die beiden für den Transport fertig gemacht werden.

„Wir bringen sie ins Krankenhaus links der Isar. Dann können Sie später nach ihnen sehen“, meint der Notarzt.

Ich will mich schon dranmachen, meine Sachen zusammenzusuchen, und die Rettungssanitäter wollen die Patienten zum Wagen schieben. In dem Moment packt mich der verletzte Mann am Handgelenk.

„Sie kommen mit!“, sagt er schwach, aber bestimmt.

„Sie sind in guten Händen und ich schaue dann später nach Ihnen.“

„Nein, sie kommen mit!“, wiederholt er. Diesmal ist der Ton deutlich rauer. Er scheint es gewohnt zu sein, Anweisungen zu geben.

Ich will schon antworten, da mischt sich einer der Männer ein, die ihn offenbar begleiten. Es ist der Muskelmann, der mich vorhin zur Eile angetrieben hat.

„Der Prinz will, dass Sie ihn begleiten“, meint er.

„Der Prinz? Na und?“

„Das ist Kronprinz Ahmed von Darlam. Wenn er wünscht, von Ihnen begleitet zu werden, dann ist das nicht verhandelbar“, meint der Mann streng.

„Kronprinz hin oder her, er ist Patient und ist gut versorgt“, gebe ich genervt Kontra. „Nun übernehmen der Notarzt und die Sanitäter. Das ist bei uns nun mal so.“

„Bitte!“, meint der Kronprinz. „Vergessen Sie den Titel und erfüllen Sie mir diesen Wunsch.“

Offenbar wechselt er Taktik. Er schaut mich dermaßen flehend an, dass ich ihm die Bitte unmöglich abschlagen kann. Er hält mich immer noch am Handgelenk fest. Ich bin überrascht, wie ängstlich er wirkt. Meine Anwesenheit scheint ihn zu beruhigen. Das wird vermutlich der Schock sein.

„Was sagen Sie?“, frage ich den Notarzt. Er hat die Szene mitbekommen.

„Fahren Sie ruhig mit, er ist schließlich Ihr Patient“, antwortet dieser. „Ich begleite die Frau.“

„Na gut!“, lenke ich ein. „Aber jemand muss meinen Wagen zum Krankenhaus bringen. Er steht da hinten im Stau.“

Der Begleiter des Prinzen lässt sich alle Infos zum Wagen und den Schlüssel geben. Dann wird der Patient in den Rettungswagen verfrachtet und ich steige bei ihm ein. Die Schwester wird zu einem zweiten Wagen gebracht und vom Notarzt betreut.

„Sind Sie jetzt bei den Rettungssanitätern? Wie schauen Sie denn aus?“, fährt mich der diensthabende Oberarzt an.

Wir sind gerade dabei, den Patienten in die Notaufnahme zu schieben, da bekomme ich auch schon meine erst Rüge. Hinter uns wird Leyla in den Raum geschoben, die vom Notarzt begleitet wird. Dieser bekommt offenbar mit, dass ich angeschnauzt werde.

„Sie hatte etwas Besseres zu tun, als sich von Ihnen runtermachen zu lassen. Sie hat ein Menschenleben gerettet“, kontert der Notarzt an meiner Stelle.

„Wer hat denn Sie um Ihre Meinung gefragt?“, gibt der Oberarzt zurück. So leicht lässt sich dieser Kotzbrocken nicht zurechtweisen.

Doch bevor der Notarzt oder ich antworten können, stürmen auf der einen Seite die Begleiter des Kronprinzen in die Notaufnahme, auf der anderen Seite, von der aus man über einen Verbindungsgang aus dem Hauptgebäude des Krankenhauses hierher gelangt, wird die Tür ebenfalls aufgerissen und der Chefarzt, der Klinikdirektor und ein Mann, den ich nicht kenne, betreten den Raum. Plötzlich wimmelt es nur so von Menschen.

„Was ist denn jetzt los? Was soll der Aufmarsch?“, wundert sich auch der Oberarzt. Sein Tonfall ist immer noch abweisend und verärgert. „Das ist eine Notaufnahme und kein Rummelplatz.“

Der Prinz gibt dem Mann, der in Begleitung der Krankenhausgrößen ist, einen Wink. Dieser deutet eine Verbeugung an, geht auf ihn zu und beugt sich augenblicklich zu ihm hinab. Die beiden unterhalten sich in einer mir fremden Sprache. Keine Ahnung, was er dem Mann sagt.

„Der Kronprinz wünscht, dass die Ärztin, die ihn bisher betreut hat, sich auch weiterhin um ihn und seine Schwester kümmert.“

„Papperlapapp!“, meint der Oberarzt. „Wo kämen wir hin, wenn jeder Patient bestimmen kann, welcher Arzt ihn behandeln soll. Das ist eine Klinik und kein Wunschkonzert.“

„Dr. Mezer, das ist nicht Ihre Entscheidung“, meldet sich nun auch der Chefarzt zu Wort. „Die Frau Bundeskanzlerin hat sich persönlich bei mir gemeldet und mich angewiesen, alles Erdenkliche zu unternehmen, damit sich der Kronprinz von Darlam bei uns wohlfühlt. Wenn er also den Wunsch äußert, ausschließlich von Frau Dr. Berner behandelt zu werden, dann ist das so.“

„Er will eine Assistenzärztin? Weiß er das?“

„Sie hat das Leben des Kronprinzen gerettet. So schlecht kann sie also nicht sein“, mischt sich der mir unbekannte Mann ein.

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“, fährt ihn der Oberarzt an. Er ist sichtlich angepisst, weil ihm eine Assistenzärztin vorgezogen werden soll und das auch noch bei einem Fall, der unter Umständen viel Publicity bringen könnte.

„Das ist der Herr Botschafter von Darlam. Herr Dr. Mezer, ich würde vorschlagen Sie wenden sich einer anderen Tätigkeit zu. Sie haben sicher noch andere Patienten, um die Sie sich kümmern müssen“, mischt sich nun auch der Klinikleiter ein.

Der Oberarzt schaut verärgert in die Runde. Sein Blick sagt mehr als Worte. Er empfindet es als persönliche Kränkung, dass eine Assistenzärztin den Fall bekommt und nicht er. Dass dies von der Chefetage auch noch abgesegnet wird, ist in seinen Augen der Gipfel der Frechheit. Allerdings ist ihm auch klar, dass er sich beugen muss, vorerst zumindest.

„Wir sprechen uns noch!“, faucht er in meine Richtung.

„Das glaube ich weniger. Frau Dr. Berner wird ab sofort zu meinem Team gehören“, kontert der Chefarzt sofort.

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