9. Der Eklat

Während draußen noch das Fest im Gange war, hatte sich Ursell in die Michaels Kirche zum Beten zurückgezogen.

Alles schien sich zu einem Guten zu fügen.

Mertein blickte einer sorgenfreien und glücklichen Zukunft entgegen und auch Maiks Geselle Luther machte einen sehr guten Eindruck auf sie.

Es war offensichtlich. Er war nicht der Klügste, aber er war groß, stark und hatte offensichtlich ein gutes Herz. Sie fand ihn sympathisch.

Jetzt musste sie nur noch zwei, drei weitere Sommer den Hof führen, dann würde sich schon ein passender Gatte für ihre Margred finden, der dann mit ihr zusammen den Hof übernehmen konnte.

Sie hatte zu Gott und der gebetet, ihr diese Zeit noch zu vergönnen. Sie spürte, dass immer weniger Kraft in ihrem Körper war. Unbeugsamen Willen und ihr inneres Feuer — das konnte sie entgegen setzen. Sie wollte noch nicht gehen. Nicht so lange nicht alles geregelt war.

Und doch fühlte sie sich müde — unsäglich müde und ausgezehrt. Sie konnte und durfte es nur niemandem zeigen. Sie musste stark sein. Nur das schützte sie alle.

Langsam ging sie in Richtung der Seitentür. Gerade als ihre Hand den Türriegel erreichte, wurde dieser von außen betätigt, die Türe öffnete sich und Willin stand vor ihr.

„Gott zum Gruße Willin. Ihr hier?“

Ursell war verblüfft und überrascht. War er nicht durch Abt Simon höchst selbst für ein Jahr aus der Kirche ausgeschlossen worden. Nun war das aber ein Ort zum Beten. Und das Beten war ja jedem gestattet.

„Ja Ursell. Ich bin mit Prior Ralph von den Hospitalitern hierhergekommen. Prior Simon hat mich wieder in die Kirche aufgenommen. Nächsten Sonntag wird es verkündet.“

„Ich gratuliere euch Willin.“

Sie mochte ihn nicht sonderlich. Aber ihre beiden Familien waren seit Generationen nicht nur in Hostheim bedeutend und einflussreich.

Nur wurde in der Vergangenheit Willin dieser Verantwortung nicht mehr gerecht.

Ursell wusste, es war sehr schwer, gegen den Schatten seines Vaters oder Großvaters zu bestehen. Beides waren bedeutende Waldbauern, die Ursell von Kindesbeinen auf her kannte. Sie erinnerte sich kurz.

„Danke Ursell. Ich wollte mich mit euch unterhalten.“

„Gut. Wir können gern ein Schritte miteinander gehen.“

„Es muss nicht direkt jeder mitbekommen, was wir zu besprechen haben.“

„So bedeutend, wie geheimnisvoll Willin? So seid ihr doch sonst nicht.“

„Was soll das denn wieder heißen“, Willin lachte kurz auf.

„Ursell, ich wollte euch erst einmal zu eurem Glück gratulieren, Mertein bei Maik untergebracht zu haben. Als Brucher wird sich der Junge sehr gut machen. Ich bin mir da sehr sicher. Er ist schlau und Maik hat zwei hübsche Töchter.“

„Meinen aufrichtigen Dank Willin.“

Ursells Stimme klang weich und warm.

„Ursell, ich weiß nicht ob ihr bereits gehört habt, dass Reinhard, Reinhards als Vogt für die Bamberger eingesetzt werden soll und die Wonneke bezieht. Die Bamberger erneuern auch ihren Anspruch auf Hostheim und ich soll Reinhards Interessen in Hostheim vertreten.“

„Das ist mir in der Tat neu. Es erklärt auch, warum der Bann gegen Euch so schnell fallen gelassen wurde.“

„Ihr seid schlau Ursell. Das wart ihr schon immer.“

„Das meinen viele. Aber ich bin nur alt und habe vieles gesehen.“

Willin grinste: „Weshalb ich mit Euch reden wollte — nicht nur Maik hat zwei hübsche Töchter. Auch eure Margred ist sehr hübsch und wenn wir unsere Höfe und unseren Einfluss zusammentun, wäre das eine sichere Zukunft für euch und eure Enkelin und unsere beiden Familien.“

Willin war dicht an Ursell herangetreten. Sein schlechter Atem ekelte sie beinahe so stark an, wie seine unverschämte Offerte.

„Willin, ich danke euch für Eure Worte. Doch ihr werdet in Zukunft mit eurem Hof und der Wahrung der Interessen Reinhards eine Menge zu tun haben. Wenn das alles stimmt, was man so hört, wird viel Holz in den nächsten Jahren benötigt werden. Aus Wäldern werden Äcker — ihr werdet sehr viel zu tun haben.

Ein Hof wie der meine erfordert sehr viel Zeit und Muße. Auch ist Margred noch nicht alt genug für die Ehe. Sie trägt zudem noch nicht die Schärpe des Frauentums.“

Ursell sah Willin durchdringend an: „Umgekehrt — ich bin offen — seid ihr schon sehr alt.“

„Wie meint ihr das?“

Willin sah ihren Blick und wusste instinktiv, dass er hier mit Reden nicht mehr weiter kommen würde. Sie hatte ihren Entschluss bereits gefasst und zugleich zeigten ihm ihre Worte, dass sie ihm nicht sonderlich viel zutraute.

Willins Maske der Freundlichkeit fiel schnell: „Meint ihr damit, ich wäre zu alt, es ihr richtig zu besorgen?

Oder meint ihr, ich wäre nicht in der Lage, einen großen Hof ordentlich zu bestellen?“

Willins Stimme gewann mit einem Mal eine gefährliche Schärfe.

„Das habt ihr gesagt und ich glaube in der Tat, dass ihr Eurem Erbe nicht gerecht werdet. Zwei große Höfe werden es trotz aller unserer Knechte und deren Familien nicht besser machen.“

Ursell sah ihn offen an: „Ihr wärt kein guter Mann für meine Margred. Sie braucht einen in ihrem Alter oder einen, der nur etwas älter ist und erfahren genug, den Hof mit ihr zu führen.

Willin, ihr habt schon um Margreds Grete geworben und sie hatte euch abgelehnt.

Seht euch doch nur einmal selbst an – Eure Kleidung?!

Wann habt Ihr Euch das letzte Mal gewaschen?!

Margred braucht vor allem einen zuverlässigen und fleißigen Mann, der anpackt und mehr Zeit auf den Feldern, als in den Braustuben verbringt. Ich weiß, dass ihr dort auch wichtige Geschäfte tätigt. Aber ihr trinkt, ihr spielt und ihr beehrt die Schankweiber. Und wenn man deren Worten Glauben schenken würde, dann habt Ihr schon jetzt Probleme, selbst dort Euren Mann zu stehen.“

Willin, wir reden hier unter vier Augen. Meint Ihr Euer Anliegen ernst?

Seid ehrlich zu Euch selbst!“

Willin war betroffen. Ursell hatte ruhig und beinahe emotionslos all das dargelegt, wofür er sich selbst hasste. Wie konnte sie ihm und seinem Rang nur so wenig Respekt entgegenbringen. Mit seinem Zorn stieg auch die Galle in ihm hoch und brannte scharf.

Seine Stimme überschlug sich beinahe: „Ich kann Euren Hof mitbestellen und das werde ich. Und ich werde Eure Margred noch dieses Jahr in mein Bett legen. Und ich werde sie hart ran nehmen und zu meinem Weib machen. Und ich werde meinen Mann stehen und dabei über deine Worte lachen. Und du altes Weib wirst nichts dagegen tun können. Mitansehen sollst du es und mit diesem Wissen zu den deinen gehen!“

Ursell war bestürzt. Sie wusste, dass Willin mitunter unbeherrscht war, aber sie war fassungslos über das Ausmaß an Hass und Frustration, dass ihr hier entgegenschlug.

„Meinst du das wirklich ernst?“

„Das meine ich. Der Vogt wird feststellen, dass du deinen Hof nicht mehr regelgerecht bestellen kannst und wird jemanden seines Vertrauens einsetzen. Und das werde ich sein. Ich hätte mich gut um dich gekümmert. Jetzt habe ich nur noch Verachtung für dich übrig Ursell. Verrotten sollst du alte Hexe!“

Bebend vor Wut ließ Willin Ursell einfach stehen und eilte von dannen.

Kopfschüttelnd blieb Ursell zunächst stehen und suchte dann Maik auf, um sich mit ihm zu beraten. Sie wusste, sie hatte einen Fehler gemacht.

Zwar war Willin bei Weitem nicht so mächtig, wie er ihr gegenüber tat. Aber er war eben auch nicht ohne Macht. Er konnte wirklichen Ärger machen.

Ihr Fehler war im Augenblick des Glücks offen darüber zu sprechen, was sie wirklich von Willin hielt. Sie war abgelenkt und bar jeder Vorsicht, die ihr sonst zu Eigen war — Willin dagegen ein nachtragender und gefährlicher Gegner.

Das wusste sie jetzt.

Sie musste vorsichtig sein und versuchen, Willins nächste Schritte voraus zu ahnen. Dass diese kommen würden, dessen war sie sich sicher.

Sie hatte großen einen Fehler begangen.

Sie sah Maik schon von weitem. Es saß noch mit den anderen am Tisch und feierte den Antoniustag.

10. Eine böse Idee

Willin war wieder einmal in seiner Stammschänke und in ein Gespräch mit dem Wirt Jobst vertieft. Die anderen waren noch nicht eingetroffen.

„Und wie willst du das anstellen Willin?“

„Jobst, sie ist ein uraltes Weib. Niemand ist so alt wie sie. Man muss sie nur ansehen, um zu wissen, dass sie eine Hexe ist.“

„Willin, viele sehen sie an — mit Achtung und Respekt. Aber ist sie deswegen gleich eine Hexe? Die alte Ursell war schon immer da. Sie wird geschätzt. Sie ist hart zu sich selbst. Und sie gibt den Armen. Ursell besucht den Gottesdienst und sie hatte sogar etwas Arbeit für den Priester, als noch der Bann über Hostheim lag.“

„Die Pest und das Antoniusfeuer…“

„Hat auch den Hof der alten Ursell ergriffen und ihren Sohn und dessen Familie aber auch ihre Tochter und ihren Schwiegersohn hinweggerafft. Wäre sie eine Hexe, wäre die Familie wohl eher verschont geblieben.“

Willin lenkte ein, da er merkte, dass er hier nicht weiter kam.

„Du hast ja Recht Jobst.“

„Willin, ein gut gemeinter Rat — sei vorsichtig, wenn du die alte Ursell angehen willst. Viele schätzen sie hier in der Gegend und ihren Rat.“

„Und mich etwa nicht?“

„Du bist jetzt nicht mehr nur Waldbauer. Du bist auch der Vertreter des Vogts. Die Leute bewerten immer eine Person nach ihren Taten und ihrem Einfluss“, Jobst versuchte immer noch Willin von seiner Idee abzubringen.

Fronicka, die Schankmagd kam dazu und mischte sich in das Gespräch ein.

„Willin, sammele Beispiele und Beweise für Hexenwerk und deine Vorwürfe. Etwas passiert immer irgendwo. Der Teufel ist unter uns. Und vergiss nicht, der Schwarzblutweiher zählt zu Ursells Hofgrund.

Aber mein Rat ist derselbe, wie der von Jobst — lass es besser sein. Den Hof und Margred bekommst du auch durch Zuwarten. Ursell ist nicht die Gesundheit in Person. Sie hat mehr Winter erlebt …“

„Danke für den Hinweis Fronicka. Warum hilfst du mir?“

„Weil Du es mir mit klingender Münze entlohnen wirst. Ich werde nicht jünger. Und ich habe zwei Kinder satt zu bekommen.“

„Klingende Münze — das werde ich, wenn du mehr lieferst und dich umhörst. Du hast Recht Fronicka. Ich brauche „Beweise“, sonst werde ich nicht erfolgreich sein.“

„Ich werde mich umhören Willin.“

Jobst schüttelte missbilligend den Kopf.

„Ich halte nach wie vor nichts von der Idee. Willin, du hast genug und du wirst durch die Holzgeschäfte noch mehr haben. Wenn auch nur ein Teil dessen stimmt, was du sagst und was die hier alle vorhaben, wird es hier bald kaum noch Wald und nur noch Äcker und Wiesen geben. Lass die alte Ursell und ihren Hof.“

„Es geht mir nicht nur um die alte Ursell und ihren Hof.“

„Du willst die Kleine? Ja sie ist hübsch. Aber sie ist blutjung. Ist sie überhaupt schon bei den Frauen.“

„Noch nicht. Aber das ist mir egal. Ich konnte schon ihre Mutter nicht haben und das ist jetzt auch was Persönliches.

Ich will sie besitzen.

Ich brauche eine junge Frau und ich brauche Kinder.

Mit den beiden Höfen — vielleicht ist irgendwann auch ein Ritterschlag drin.“

Jobst betrachtete Willin lange und nachdenklich. Willin hatte zweifelsfrei sehr gute Eigenschaften. Er setzte sich auch für seinesgleichen ein und tat anderen auch mal Gefallen. Aber Willin sah darin dann immer auch eine sich daraus ergebende Verpflichtung der anderen ihm selbst gegenüber.

Jobst hatte immer gewusst, dass sein Stammgast rücksichtslos seine Ziele verfolgen konnte.

Und genau damit wollte er rein gar nichts zu tun haben.

„Willin, ich finde es trotzdem nicht gut.“

Jobst stellte einen neuen Krug vor Willin ab und betrachtete auch Fronicka nachdenklich, die wieder anfing, Willin zu umgarnen.

Jobst ging zurück zu seinem Tresen und dachte dabei über seine Schankmagd nach.

Fronicka hatte keinerlei Selbstachtung.

Ja, sie spottete über Willin und sie schimpfte über ihn.

Doch jetzt, wo er mehr Macht und Einfluss hatte, verschoben sich offensichtlich ihre Werte.

Wollte sie ihn einfangen? Oder wollte sie ihn melken. Das konnte sie getrost vergessen. Er würde sich ihrer nur bedienen.

Jobst wurde sich genau in diesem Moment darüber klar, wie wenig er sie jetzt noch mochte. Fronicka war alt geworden. Und hässlich. Nicht hässlich von ihrem Aussehen — eher von ihrem Wesen. Eine hässliche Schankmagd konnte sehr beliebt sein, wenn sie ein guter und offener Mensch war. Fronicka war verderbt geworden, wie auch er selbst. Er würde sich nach einer neuen Schankmagd umsehen müssen.

In diesem Moment kamen Jorg und Kai. Selbolt würde dann wohl auch gleich kommen.

Jobst hoffte, die drei würden Willin seine Idee austreiben.

11. Der Handel

„Und wie wollt Ihr das anstellen, Willin?“

Gutzhold von Ilbenstadt saß mit Willin zusammen im gerade fertig gestellten großen Saal der Burg Wonneke.

„Gutzhold, ich habe hier eine Liste von Anschuldigungen. Einige sind bezeugt, aber ehrlicherweise würde ich mich mit denen nicht zu intensiv auseinandersetzen. Für eine Anklage sollte es aber in jedem Fall reichen. Die üblichen Punkte … Sauer gewordene Milch, Säuglinge, die an der Mutterbrust gestorben sind, missgestaltet geborene Kinder und Tiere, das Antoniusfeuer, die alten Riten am Schwarzblutweiher, der auf Ursells Grund liegt und natürlich, dass Ursell als Hexe ein widernatürlich langes Leben hat. Vielleicht hat sie es ja mit den Seelen ihrer eigenen Kinder erkauft? In jedem Fall müssen wir deren Nachkommen davor schützen, das gleiche Schicksal zu erleiden.“

Gutzhold nickte zustimmend.

„Damit werdet ihr aber kaum zu den Antonitern gehen können. Ich glaube Simon von Arras wäre euch nicht nur in dieser Hinsicht alles andere als wohlgesonnen.“

„Das muss ich auch gar nicht. Reinhard kann das genauso gut entscheiden — oder ihr in seinem Namen.“

„Hexenwerk ist Kirchenrecht.“

„Ich kann zwar nicht lesen, aber mein neuer Vorarbeiter kann es. Er war mal ein Mönch, ist aber von den Dominikanern rausgeschmissen worden. Er steht auf kleine Jungs. Ist mir persönlich egal, weil er gute Arbeit leistet.

Er hat mir gesagt, dass Papst Alexander an alle größeren Klöster geschrieben hätte, dass sich die Kirche mehr der Häresie und weniger mit Wahrsagern, Hexen und Zauberern auseinandersetzen soll. Für Letztere wären die weltlichen Gerichte eingesetzt.“

„Also wir?“

„Genau. Ihr seid zuständig.“

„Und wenn ich den Prozess gegen Ursell anstrenge?“

„Bekommt ihr von Selbolt und mir das Holz, das ihr braucht, um die Motte einzufrieden und doppelt gebrannte Ziegel aus Hostheim.“

„Ihr müsst mir das doch sowieso liefern.“

„Ihr bekommt aber alles so schnell, dass ihr vor Reinhard auch mit großen Erfolgen aufwarten könnt.“

„Und wenn euch diese Margred als Mündel zugesprochen wird und ihr damit direkten Zugriff auf die Jungfer und den Hof erhaltet?“

„Werden ein Fuchs mit Silber sowie der Heckenwingert in euren persönlichen Besitz übergehen.“

„Ich sehe, wir sind uns einig Willin. Man kann sehr gut mit Euch Geschäfte machen. Lasst Reinhard mein Problem sein und bewahrt über unsere Übereinkunft Stillschweigen.“

12. Entscheidungen

Reinhard, Gutzhold, Prior Ralph und Abt Simon saßen nun schon fast einen ganzen Vormittag zusammen.

Die Besprechungen waren sehr produktiv und tatsächlich fand man eine Reihe von Lösungen, um Gebietsstreitigkeiten durch gleichwertigen Tausch dauerhaft beizulegen.

Reinhard und Ralph waren guter Dinge und auch Simon war erleichtert. Reinhard trat die Welschen Höfe an die Antoniter ab, wenn diese im Gegenzug ihre ohnehin schwachen Ansprüche auf Hostheim aufgaben.

Damit konnte Simon von Arras sehr gut leben.

Dann besprach man das Tagesgeschehen und auftretende Probleme.

„Ich habe gehört, ihr hättet in Hostheim eine Hexe dingfest gemacht und eingekerkert.“

Gutzhold für Ilbenstadt antwortete sehr beiläufig: „Ja Abt Simon. Das haben wir. Es gibt umfangreiche Anschuldigungen vieler Bürger gegen die alte Ursell wegen Hexerei. Wir haben vor, in einer Woche über sie Gericht zu sitzen.“

Der Burgmann wusste, dass sich Reinhard für diese Art von Tagesgeschäft im Moment so gut wie gar nicht interessierte.

Reinhard traf sich insgeheim mit seinem und mit seinem , um sich mit beiden abzustimmen. Das Ziel der drei war es, langsam und stetig die Einflusssphäre an Kinzig und Main auszudehnen. Besonders hatte Reinhard das Dorf Hagennouwa am Main ins Auge gefasst.

Mit diesem kleinen Ort hatte er die Option, einen Hafen an einem der wichtigsten schiffbaren Flüsse und damit eine Aufwertung der von ihm kontrollierten Handelsstraßen unter Umgehung von Offenbach oder Frankfurt zu errichten.

Gutzold wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Simon erstaunt seine Stimme hob und nachsetzte: „Ursell? Eine Hexe? Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich da nicht dran glaube.“

Simon von Arras äußerte sich offen. Er hatte insbesondere Prior Ralph und Reinhard in den letzten Wochen wertschätzen gelernt.

Gutzold von Ilbenstadt dagegen mochte er nicht besonders. Dieser Mann war jemand, der seine Fahne nach dem Wind ausrichtete.

Simon wandte sich direkt an Reimund: „Fallen Hexen jetzt eigentlich in meinen oder in Euren Zuständigkeitsbereich Reimund?“

„Das ist mir egal. Gutzhold ist mein Burgherr und er kümmert sich an meiner Stelle um solcherlei Dinge.“

Prior Ralph mischte sich ein: „Ich gebe Abt Simon Recht, dass wir solche Fragen auch gemeinsam regeln sollten. Auch ich sehe solche Vergehen eher in seinem Zuständigkeitsbereich als Erzpriester.“

„Hatte nicht Papst Alexander kürzlich genau deswegen die großen Klöster angeschrieben?“

„Ihr seid sehr gut informiert Gutzhold von Ilbenstadt. In der Tat gibt es ein solches Schreiben. Jedoch meinte der Heilige Vater damit die Dominikaner und deren Bestreben, Hexen und Zauberwerk gezielt ausfindig zu machen und auszumerzen. Ihm ging es eher darum, unsere Mitbrüder daran zu erinnern, dass eher Waldenser oder Katharer und andere gotteslästerliche Häretiker in unseren Fokus rücken sollten.“

Prior Ralph argumentierte in Simons Richtung, was dieser wohlwollend aufnahm. Reinhard war es offensichtlich egal. Aber Gutzhold schien die Fragestellung, wer Recht sprechen sollte, sehr wichtig zu sein.

„Ich schlage vor Reinhard, wir sitzen in solchen Fragen künftig gemeinsam zu Gericht.“

Prior Ralph platzierte sich damit selbst – unauffällig aber für Simon durchaus wahrnehmbar — ebenfalls im Bereich der Rechtsprechenden.

„Ich finde an der Idee nichts auszusetzen. Wir können gerne die Wonneke als gemeinsamen Richtsitz bei Fällen nutzen an denen alle Parteien ein Interesse haben. Damit wäre für jedermann sichtbar, dass weltliches und kirchliches Recht gemeinsam Hand in Hand gehen.“

„Dann machen wir das so. Herr Gutzhold, ist die alte Ursell denn bereits einer „Unterfragung“ unterzogen worden.“

Abt Simon beschloss zum Thema zurückzukommen. Maik der Brucher hatte ihn darum gebeten.

„Nein. Sie ist zu schwach. Der Kerker bekommt ihr nicht sonderlich gut.“

„Dann schlage ich vor, machen wir das auch nicht. Wie wolltet Ihr mit ihr verfahren, um herauszubekommen, ob sie eine Hexe ist?“

„Läuterung in den Flammen oder Schwimmprobe — das Übliche, was die Dominikaner empfehlen.“

Gutzhold gab sich pragmatisch, liefen für ihn und Willin beide Alternativen letztendlich auf das gleiche hinaus.

„Für einen Unschuldigen ist das Läuternde der Flammen der direkte Weg in das Paradies“, zitierte Reinhard lakonisch Papst Gregor IX, als er Simons angewiderten Blick bemerkte.

„Ich denke, dass die Schwimmprobe wahrscheinlich humaner ist und zumindest auch die Wahrscheinlichkeit in sich birgt, dass jemand der wirklich unschuldig ist, sie auch überlebt“, setzte Reinhard nach.

„Es ist dennoch barbarisch. Wir müssen sicherstellen, dass sie nicht nur an Armen und Beinen gebunden, sondern auch mit einem Seil zu ihrer Rettung gesichert wird.“

Auch der Hospitaliter schien nicht viel von solcherlei Praktiken zu halten.

„Ich werde mich persönlich darum kümmern.“

Gutzhold war verbindlich und hatte damit – wenn auch über Umwege – sogar sein Ziel erreicht.

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