Die letzte Romanze
Nun ist es soweit.
Dies ist die endgültig letzte Geschichte meines Protagonisten „Arne“, der seit 2012 all das ausbaden und erleben durfte, was meine blühende Fantasie sich für ihn ausgedacht hatte.
Aber irgendwann ist Schluß. Wenn überhaupt, dann wird er nur noch als Randfigur oder Gast in meinen weiteren Geschichten auftauchen. Denn sein Nachfolger Patrick steht schon in den Startlöchern und scharrt mit den Hufen.
Arne hat meiner Meinung nach mehr erlebt, als teilweise gut für ihn war. Er ist nun alt genug, um seinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen. Aber ob dieser Ruhestand ruhig wird, da bin ich mir nicht ganz sicher; ich glaube das wäre auch wider seine Natur. Er hat bisher immer eine Herausforderung gesucht, aber diesmal wird es seine letzte und eine endgültige sein.
Laßt euch überraschen und habt viel Spaß beim Lesen.
Liebe Grüße
Arne
*
– Gegenwart –
Was war nur mit mir los?
So genau wußte ich es auch nicht.
Mein Leben war irgendwie aus den Fugen geraten und ich hatte nicht die Spur einer Ahnung, wie ich es wieder in geordnete Bahnen bringen sollte. Viel zu viel war nicht so gelaufen, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte.
Gina, meine über alles geliebte Stationskrankenschwester Gina (siehe: Rehabilitationsmaßnahmen), hatte mir den Laufpass gegeben, mich in die Wüste geschickt, zum Teufel gejagt oder wie man es auch immer sagen will. Ist vielleicht etwas krass ausgedrückt, aber es entsprach dem Ergebnis. Der Altersunterschied, die Entfernung, die unterschiedlichen Erwartungen. Irgendwann hatte die alltägliche Routine zugeschlagen und die Anfangseuphorie überdeckt.
Gut, wir telefonieren noch ab und zu und reden ganz normal miteinander, aber das Ergebnis ist für uns beide doch sehr frustrierend. Gerade mal sieben Monate ist es gut gegangen und jetzt war es vorbei.
Und die Geschichte mit Miriam (siehe: Irrungen) ging mir immer noch nach und verursachte mir gelegentlich Bauchschmerzen und heftige Alpträume. An diesen Umständen war auch meine Beziehung zu Marianne gescheitert, denn weder sie noch ich wurden mit dem Umstand fertig, dass es ausgerechnet ihre beste Freundin Miriam war, mit der und deren Kindern ich eine gemeinsame Zukunft geplant hatte.
*
Ich stand am Fenster und schaute in den Garten. Diana S. (siehe: Familienanschluß), auch eine Episode aus meinem Leben, werkelte in ihrem Blumenbeet herum und ließ sich von ihrem Gatten Roland mit Kaffee und Keksen verwöhnen. Bedauernd dachte ich an die Zeit zurück, als ich an seiner Stelle und er im Abseits war. Aus, vorbei!
Ich war schlecht gelaunt, frustiert, ja teilweise schon depremiert und die Decke drohte mir auf den Kopf zu fallen. Ich musste unbedingt weg von hier, brauchte Abstand, eine Luftveränderung und musste andere Menschen sehen, mit denen ich reden konnte und die mich auf andere Gedanken brachten.
Da kam nur meine Schwester Lisa (siehe: Swinging Carnival) in Frage. Nur mit ihr konnte ich über all meine Probleme ganz offen sprechen, da wir schon immer einen ganz besonderen Draht zueinander hatten. Nicht einmal mit meinen Töchtern oder gar meiner Mutter wäre das möglich gewesen.
Also hängte ich mich ans Telefon und unterbreitete ihr mein Anliegen. Sie war damit einverstanden, hatte aber einen Einwand.
„Hör zu, Arne. Ich habe leider noch keinen Urlaub und du müsstest dich den Tag über alleine beschäftigen. Wenn das für dich kein Hinderungsgrund ist, dann kannst du jederzeit antanzen. Ab Donnerstagmittag habe ich Zeit und da können wir auch gemeinsam etwas unternehmen.“
„Gut, dann bin ich Donnerstag am Nachmittag bei dir. Du hast ja um 12 Uhr Feierabend und du brauchst auch nicht hetzen, denn es kann auch 15 Uhr bei mir werden. Es kommt auf den Verkehr an und es sind ja doch fast 600 Km bis zu dir.“
*
Am Donnerstag in aller Früh schwang ich mich auf meinen Roller. Das Wetter versprach sehr schön zu werden und ich wollte die Fahrt vom Schwarzwald bis in die Oberpfalz einfach nur genießen.
Nach 8 Stunden genussvoller und gemütlicher Bummelei kam ich endlich bei meiner Schwester an. Sie saß auf der Terrasse und winkte mir zu. Mein Kaffee wartete auf mich. Etwas hüftsteif von der langen Tour kletterte ich von der Maschine und schon hing Lisa mir am Hals und umarmte mich herzlich.
„Schön dass du mal wieder da bist, Brüderchen. Ist ja doch schon eine Weile her. Wie lange willst du bleiben?“
„Keine Ahnung, Lisa. Vielleicht bis du mich rausschmeißt?“
„Was? Nur zwei Tage? Haha, war ein Scherz. Jetzt trinke erst mal einen Kaffee und dann erzähle ein bißchen.“
Und dann redete ich eine Stunde lang mir meinen ganzen Frust von der Seele. Lisa hörte mir zu und stellte ab und zu eine Frage.
Sie schaute mich an.
„Arne, was fehlt dir am allermeisten?“
Da mußte ich nicht lange überlegen.
„Ehrlich gesagt? Die Familie. Meine Kinder und Enkel, sogar meine Frau, obwohl wir seit 16 Jahren geschieden sind. Die Kinder und Enkel wohnen zu weit weg und Ute will nach der ganzen Zeit immer noch nicht mit mir reden. Das Schlimmste ist, wenn ich nach Hause komme und die Stille in meiner Wohnung erschlägt mich. Deswegen bin ich ja auch dauernd auf Achse. Manchmal ist das Leben schon Sch……“
„Und warum hat das mit Gina nicht geklappt?“, wollte Lisa wissen.
„Gina, Gina!!! Gina wollte keine feste Dauerbeziehung nach ihrer gescheiterten Ehe eingehen und dann war ich zu wenig bei ihr, ich kam nicht oft genug, ich war immer zu kurz da und so weiter und so weiter. Mit dem Roller im Sommer dauerte es nur knapp eine Stunde, bis ich bei ihr war, aber im Winter ohne Auto sind die 65km eine Weltreise in unserer Gegend. Und so ist nicht nur ihre Laune, sondern auch unsere Beziehung gekippt.“
„Nun gut“, meinte Lisa. „Wir werden die Zeit schon zu nützen wissen und es wird dir auch nicht langweilig werden. Am Samstag werden wir grillen. Da kommt dann Patrick mit Elena, Carina mit Töchterchen Theresa, Diana und Adrienne und dein Herzblatt von oben ist auch da. Und eine Freundin aus meiner Judogruppe wird mit ihren Kindern auch noch da sein.“
Ach du liebe Güte! Eine massive Frauengang und Patrick und ich als, ja was, geduldetes und schmückendes Beiwerk?
Adrienne!
Dianas Tochter und Jurastudentin in Regensburg. Und das hübscheste und rattenschärfste Luder in der gesamten Oberpfalz. Wenn die in den Semesterferien nach Hause kam, war in der ganzen Ortschaft „Hausfrauenalarm“ angesagt. Kein Mann schien sicher vor ihr zu sein.
Und dann auch noch Uta! Mein Herzblatt von oben! Eine ganz spezielle Freundin meiner Schwester. Naja, ich mochte sie schon, aber als Partnerin? Nein danke! Solange ich noch zwei gesunde Hände habe kommt mir eine Frau wie Uta nicht ins Haus. Ein Hypochonder erster Güte. Ich selbst hatte schon alterbedingt genug Wehwehchen, da brauchte ich das Buch der 5000 Haushaltskrankheiten nicht auch noch. Außerdem war sie eine Sauberkeitsfanatikerin; eine Intensivstation war dreckig im Gegensatz zu ihrer Wohnung. Ein Putzteufel, also keine Ambitionen meinerseits. Andererseits war sie ausgesprochen attraktiv, passte vom Alter her mit ihren 47 Jahren auch noch so einigermaßen und schien einer Liaison nicht so abgeneigt zu sein. Aber nein, lieber doch nicht. Sie lag einfach nicht auf meiner Wellenlänge.
Lisa lachte schallend, als sie mein Gesicht sah.
„Wird schon nicht so schlimm werden, Bruderherz. Nachher machen wir erst einmal einen Bummel durchs Dorf, dann gehen wir einkaufen und danach gibts bei Giovanni noch einen Cappuccino.“
Einen Kaffee in der Eisdiele!
Vielleicht sah ich dann ja auch Melanie wieder? Zumindest richtete Lisa mir immer Grüße von ihr aus, wenn wir telefonierten. Ich freute mich schon richtig auf die Begegnung mit ihr und ihrer Tochter Federica. Bei unserer letzten Begegnung vor fast zwei Jahren war sie wieder schwanger.
Vorsicht Arne! Nicht zu früh freuen und außerdem ist sie ja mit Giovanni verheiratet. Verbotenes Terrain. Finger weg, sonst gibt das nur Ärger mit Bella Italia.
Aber jedesmal wenn ich mit Lisa telefonierte, ließ Melanie einen schönen Gruß an mich ausrichten und umgekehrt war es genau so. Im Laufe der letzten Jahre war es zu einer lieben Angewohnheit geworden und ohne das hätte mir etwas gefehlt.
Ich schaffte es doch tatsächlich, meine Freude zu verbergen und ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. Zumindest machte Lisa keine dumme Bemerkung wie sonst üblich.
Am späten Nachmittag schlenderte ich mit meiner Schwester durch das Dorf und wir holten noch einige Sachen, die wir für den Grillabend brauchten. Dann ging es zur Eisdiele, wo ich mich schon auf meinen Kaffee und die Begegnung mit Mel freute.
Doch was für eine Enttäuschung. Keine Melanie weit und breit, egal wie lange ich auch wartete und wo ich auch hinschaute. Giovanni war da und auch seine Angestellte Lucia. Und die vertraute Art, wie die beiden miteinander umgingen, irritierte mich doch schon etwas.
Ich schaute Lisa fragend an. Sie schüttelte mit dem Kopf und flüsterte: „Später Arne, später. Ich erzähle dir alles zuhause.“
Das half mir jetzt auch nicht weiter, also vertiefte ich mich wieder ins Gespräch mit Lisa und in meinen Cappuccino.
*
„Jetzt, was ist los?“ wollte ich wissen, als wir wieder zuhause waren. „Wo ist Melanie?“
„Melanie ist Geschichte“, sagte Lisa. „Sie und Giovanni sind seit einem Jahr geschieden, was du nicht wissen kannst, da du ja längere Zeit weg warst und ich dich mit dieser Angelegenheit nach Miriam nicht auch noch belasten wollte. Sie hat die Mädchen und er die Eisdiele und ist jetzt mit Lucia zusammen. Frag mich nicht weiter, ich sehe dir an, dass du mehr wissen willst. Aber das soll sie dir selber erzählen. Du wirst sie schon sehen.“
Lisas Erläuterungen brachten mich natürlich keinen Schritt weiter, da mir die Hintergründe vollkommen unbekannt waren. Wie konnte Mel mir jede Woche Grüße ausrichten lassen, wenn sie „Geschichte“ war? Und die Eisdiele und das Haus gehörten doch ihr und nicht Giovanni. Die beiden waren mir immer als ideales Paar erschienen und ihr Geschäft florierte den Sommer über. Im Winter waren sie in Italien, wo Giovanni´s Eltern und Geschwister ein Weingut und mehrere Restaurants hatten. Ich konnte mir einfach keinen Reim auf das Gehörte machen und bedauerte sehr, Mel nicht begegnet zu sein. Sie hatte jetzt also zwei Töchter und ich immer noch keine Ahnung wo sie war.
Meine Laune pegelte sich bei Null ein. Himmel, lief denn auf dieser Welt gar nichts mehr normal?
*
Der Freitag war nicht so wirklich mein Tag und ich bemerkte, wie Lisa mehr als einmal den Kopf schüttelte. Wir fuhren nach Nürnberg zum Shoppen, da Lisa nur dreieinhalb Tage in der Woche arbeitet und ich besorgte einige nette kleine Sachen für Louise, sowie für mein Patenkind Samantha und deren Schwestern. Und dann sah ich in einem Schmuckgeschäft in der Nähe des Bahnhofs eine wunderschöne feingliedrige Goldkette mir einem Herz als Anhänger. Da konnte ich nicht widerstehen und kaufte sie, aber als mir dann die Parallelität zu Ginas Kette aus Colmar bewußt wurde, brachen meine Gefühle durch und die Tränen liefen mir über die Wangen. Trotz Lisas Zuspruch dauerte es lange, bis ich mich wieder gefangen hatte.
Am Abend saßen wir mit Freunden auf der Terrasse und genehmigten uns ein gutes Glas Rotwein. Lisas ältester Sohn Patrick war mit seiner Tochter Elena, die inzwischen eine sehr hübsche junge Frau geworden war, zu uns gekommen und unterhielt sich intensiv mit mir über einen Umzug in unser Dorf und die Gründung einer eigenen Firma. Erste vielversprechende Erfahrungen mit dem Verleih von Gartengeräten und kleinen Baumaschinen hatte er bereits gemacht. So war ich abgelenkt und dachte nicht andauernd an Melanie.
Der Samstag zog sich hin wie Kaugummi und ich konnte es fast nicht erwarten, dass es endlich Abend wurde.
*
Langsam trudelten die Gäste ein. Zuerst Patrick und Elena, die uns bei den Vorbereitungen noch ein wenig zur Hand gehen wollten. Patrick hatte sich nach unserem gestrigen Gespräch endgültig entschieden, sich bei mir im Schwarzwald nach einem entsprechenden Haus mit Grundstück umzusehen, wobei ich ihm natürlich helfen würde und Elena hatte mir nach einer herzlichen Umarmung gesagt, dass sie sich schon per Internet nach einem Studienplatz an der Uni Basel umgeschaut hatte.
Als nächstes kam Uta und ab da hatte ich alle Hände voll zu tun, sie mir vom Leib zu halten. Lisa ließ ein gemeines Grinsen sehen und beobachtete amüsiert meine Bemühungen, mir Uta auf Abstand zu halten, ohne sie vor den Kopf zu stoßen.
Danach stieß Carina mit ihrer kleinen Tochter Theresa zu uns und Diana mit Adrienne. Ich schnappte mir Theresa, um mit ihr zu spielen, damit ihre Mutter ungestört sich mit den anderen Damen unterhalten konnte. Außerdem hatte das den nützlichen Nebeneffekt Uta zu verscheuchen, denn mit kleinen Kindern konnte sie absolut nichts anfangen. Und ich konnte Adrienne aus dem Weg gehen, bei deren Anblick ich jedesmal feuchte Gedanken bekam.
Aber wo verdammt nochmal blieb Mel?
Auf einmal stand sie vor mir. Und wie immer konnte ich sie nur fasziniert anschauen.
*
– Rückschau –
Den Grund will ich jetzt mal erklären.
Nachdem unser Vater vor sechs Jahren verstorben war, besuchte ich seit längerer Zeit wieder meine Schwester. Ihre Nachbarin war Veronika (siehe: ein Treffer ins Schwarze) gewesen, die Mutter meiner ältesten Tochter Nicole. Veronika war Lisa´s Lehrerin gewesen und hatte im gleichen Haus wie sie eine Wohnung gekauft. Nachdem Lisa´s Mann beim Bergsteigen tödlich verunglückt war, hatte sich zwischen den beiden eine sehr gute Freundschaft entwickelt. Nicole, unsere gemeinsame Tochter war schon mit Christof verheiratet und weggezogen. Veronika wollte mich damals (1972) nicht heiraten, da sie 11 Jahre älter war als ich und mir „nicht die Zukunft verbauen“ wollte, wie sie sagte.
Das war eigentlich der erste Tiefpunkt in meinem Leben.
Aber meine Tochter Nicole konnte ich sehen so oft ich wollte; sie verbrachte ihre Schulferien bei mir und auch mit Veronika hatte ich nach einiger Zeit verletzten Stolzes wieder ein inniges und vertrauensvolles Verhältnis.
Ich war also damals nach Veronika´s Beerdigung (2012) bei Lisa und sie tat alles, um mich von meinen trüben Gedanken zu befreien oder abzulenken. Nach einem Besuch bei Patrick lud sie mich auf einen Cappuccino in der Eisdiele ein.
Ich wollte meine Bestellung am Tresen abgeben, aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
Nicole!!!???
Ich schaute in die bernsteinfarbenen Augen einer jungen Frau, die wie meine Tochter vor 15 Jahren aussah. Ein intensiver Blick und ein Mund mit wunderbar geschwungenen Lippen zogen mich in den Bann. Die langen dunkelblonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden und sie trug einen weißen Kittel mit dem Emblem des Eiscafés und dem Namenszug „Melanie Falcone“.
Das konnte also doch nicht Nicole sein! Aber sie hatte das gleiche Aussehen, dieselbe Figur und eine ebenso faszinierende Ausstrahlung wie meine Tochter.
Von der linken Seite bekam ich einen Stoß mit dem Ellenbogen und Lisa grinste mich an.
„Na, was sagst du nun? Als ich Mel das erste Mal gesehen habe, sie kam damals zu mir in meine Judotrainingsgruppe, da habe ich sie doch glatt mit ´Nicole` angesprochen und dann musste ich ihr erst einmal alles erklären. Sie hat dann gemeint, dass sie mal ihren „Vater“ kennenlernen wollte und ich dich mitbringen sollte. Und was sagst du, Bruderherz?“
Ich schüttelte den Kopf, drehte mich um und ging ein paar Schritte weg. Ich setzte mich auf eine Bank und versuchte mich erst einmal zu sammeln. Doch meine Erinnerung an Veronika brachen sich mit aller Gewalt ihren Weg und die Tränen liefen mir über mein Gesicht. Lisa setzte sich zu mir und drückte mir die Hand.
„Geht´s wieder, Arne? Sorry, aber ich habe nicht geahnt, dass dich das immer noch dermaßen mitnimmt.“
„Schon gut, Lisa. Aber in so kurzer Zeit Papa und Veronika, da habe ich etwas nahe am Wasser gebaut. Wird schon wieder werden.“
Melanie kam und brachte mir einen Cappuccino. Sie setzte sich zu mir und schaute mich unsicher an.
„Scusami, hab´ ich was verkehrt gemacht?“, wollte sie wissen. „Das täte mir leid.“
„Nein, nein, Signora Falcone. Sie haben nichts verkehrt gemacht. Ein paar Erinnerungen sind wieder hochgekommen und ich kann sie momentan noch nicht vollständig ausblenden.“
„Bene, aber bitte sag Melanie zu mir. Darf ich Arne sagen?“
„Sicher, komm lass dich mal anschauen.“
Melanie stand auf und drehte sich einmal im Kreis. Die Ähnlichkeit, nicht nur im Gesicht, mit Nicole war verblüffend. Circa 1,75m groß, schlank und mit einer sportlichen Figur, was nicht weiter verwunderlich war, wenn sie mit Lisa Judo machte. Aber was mir auffiel, sie hatte ein kleines, ein wirklich kleines Bäuchlein.
Ich deutete darauf und fragte sie: „Im wievielten Monat? Zweiter oder dritter?“
Melanie riß erstaunt die Augen auf und sagte: „Dritter, fast vierter. Das siehst du?“
„Klar, ich hab doch selber zwei Mädels und war nicht unbedingt ein Rabenvater“, schmunzelte ich. „Und was wird es? Weißt du es?“
„Nee, das will ich gar nicht. Ich lass mich überraschen. Hauptsache gesund.“
„Gute Einstellung“, erwiderte ich, „alles andere ist egal.“
Melanie strahlte mich an.
„Ich muss wieder rein, sonst muss Giovanni alles alleine machen. Wir sehen uns noch.“
Ich schaute Lisa fragend an.
„Melanie ist die Chefin und mit Giovanni verheiratet. Das Haus hat sie von ihren Eltern geerbt, die vor ein paar Jahren bei einem Autounfall umgekommen sind. Sie ist dann bei ihrer Oma aufgewachsen und hat das Café ihrer Eltern, das sie zuerst verpachtet hatte, in eine Eisdiele umgewandelt, nachdem sie Giovanni kennen gelernt hatte. Vor zwei Jahren haben die beiden geheiratet und nun ist das erste Kind unterwegs.“
Nun war ich informiert.
Aber wie Melanie gesagt hatte, wir sahen uns noch. In den zwei Wochen, in denen ich noch bei Lisa war, ging ich jeden Tag noch mindestens einmal zu Melanie, um in ihrer Gesellschaft einen Cappuccino zu genießen und mich mit ihr zu unterhalten. Von Giovanni ernteten wir ab und zu ein Stirnrunzeln, aber er sagte nichts, da er wußte, dass ich ja bald wieder weg war.
Und als ich wieder zuhause im Schwarzwald war, bekam ich jedesmal liebe Grüße von Melanie ausgerichtet, wenn ich bei Lisa anrief.
*
Weihnachten sah ich sie nicht; die Eisdiele war ja im Winter zu und sie war in Italien. Aber zu den Feiertagen schickte sie mir einen Brief mit einem Foto von ihr und ihrer hübschen kleinen Tochter Federica. Lisa hatte ihr nach einigen Überredungsversuchen meine Adresse verraten, was ich ihr aber nicht übel nahm. Von mir bekam sie über Lisa dann einen Bergkristall aus der Schweiz, den ich zu einem Anhänger gestaltet hatte.
An Ostern trafen wir uns wieder (da hatte sie doch wirklich meinen kleinen Kristall umhängen) und dann noch einmal im Herbst. Da lernte ich auch ihre Tochter Federica kennen, eine süße und lebhafte kleine Maus. Mehr als einmal saß die auf meinen Knien, wenn ich zum Kaffeetrinken kam. Da Melanie bis auf ihre Oma so gut wie keine nahen Verwandte mehr hatte, war ich eine Art Opa für Rica.
Melanie ist eine hervorragende Barista und die Verziehrungen auf meinem Cappuccino versetzten mich immer wieder in Erstaunen. Blumen, Schmetterlinge und phantasievolle Ornamente und Ranken zeigten mir, wie kreativ sie war. In der letzten Woche meines Urlaubs bei Lisa hatte mein Cappuccino aber immer dieselbe Verziehrung. Ein großes dunkles und ein kleines helleres Herz. Als ich sie nach der Bedeutung fragte, wurde sie etwas rot und meinte, dass das momentan ihr Lieblingsmotiv sei.
Melanie hatte sich etwas verändert. Sie war etwas ruhiger und melancholischer geworden, was ich auf ihre Mutterrolle und die berufliche Belastung schob.
Damals ahnte ich noch nicht, wie sehr ich mich irrte.
*
Am Tag, als ich wieder abreiste, fuhr ich noch schnell nach dem Frühstück auf einen letzten Kaffee zu Melanie. Sie kam zu meiner großen Überraschung hinter dem Tresen hervor, umarmte mich und wünschte mir eine gute Heimreise.
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