Liebe Leserinnen und Leser,

hiermit darf ich euch den fünften und (so viel sei schon einmal verraten) vorletzten Teil meiner Geschichte „Eine Party und ihre Folgen“ präsentieren. Da es diesmal ein wenig länger gedauert hat, ist der folgende Part als Entschädigung ein kleines bisschen länger ausgefallen als die vorhergehenden Teile.

Der Einstieg ist diesmal ein wenig langwierig, zu sexuellen Handlungen kommt es erst vergleichsweise spät. Mir war es aber wichtig, die Geschichte glaubwürdig zu halten und eben nicht in einen unrealistischen feuchten Traum zu verwandeln. Ich hoffe, dass mir dies gelungen ist und euch dieser Teil gefallen wird.

In diesem Sinne wünsche ich gute Unterhaltung und bedanke mich für jedes Feedback.

Herzliche Grüße Euer

Panthera tigris

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Kapitel 5: Wann haben wir zwei uns aus den Augen verloren?

Toms Blick war nur schwer zu deuten. Er lag irgendwo zwischen blankem Entsetzen, grenzenloser Verachtung und erstauntem Unglauben als ich ihm erzählte, dass ich ihn mit Gina betrogen hatte.

Es war nur ein einzelner Satz, den ich hervorbrachte: „Ich…Tom…ich habe…Ich habe mit Gina geschlafen.“

Ich hatte angenommen, dass nach diesem Satz mein Gewissen erleichtert sein würde, als würde eine Last von mir fallen. In Wahrheit spürte ich jedoch augenblicklich, dass dem nicht so war. Wie ein Damoklesschwert lag die Ungewissheit über mir. Ich bekam Angst und wich Toms suchendem Blick aus, sackte wie ein Häufchen Elend in mich zusammen und vergrub, laut schluchzend und dicke Tränen meine Wange hinunter kullernd, mein Gesicht in meinen Händen, sodass meine Haare wie ein Vorhang herunterfielen.

„Du hast was?“, fragte Tom so als hätte er sich nur verhört.

„Es…es tut mir leid“, flüsterte ich kaum hörbar und schämte mich dabei in Grund und Boden.

„Aber wie…?“

„Es ist einfach passiert. Auf der Feier neulich.“

„So etwas passiert nicht einfach, Julia“, sagte Tom kalt. Obwohl ich es durch meinen Schleier aus roten Haaren nicht sehen konnte, spürte ich, wie seine Augen mich eisig taxierten. „Ich meine, bist du jetzt etwa lesbisch?“

Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein“, wimmerte ich.

Tom schnaubte wütend. „Aber du hattest Sex mit einer Frau!“, stellte er fest. Er sagte es nicht besonders laut und ich war überrascht, wie Tom in dieser Situation nur diese stoische Ruhe bewahren konnte. Eigentlich hätte er vor Wut schäumen müssen.

„Ich…ich…ich bin bisexuell“, antwortete ich beschämt.

Eine unangenehme Pause entstand, in der keiner von uns beiden es wagte, irgendetwas zu sagen. Einzig das Heulen des Windes und mein unterdrücktes Schluchzen unterbrachen die Stille. Dann stand Tom auf. Ich befürchtete, dass er so schnell wie möglich von hier verschwinden und mich allein zurücklassen würde — ich hätte es ihm nicht einmal verübeln können. Doch stattdessen drehte er mir nur den Rücken zu und starrte mit glasigen Augen und nachdenklich grübelnd ins Leere.

„Seit wann weißt du es?“, fragte er.

„Was meinst du?“

„Dass…Dass du nicht hetero…also…dass du bi bist?“

Ich sah zu ihm hinauf und fragte ihn unsicher: „Ist das denn wichtig?“

Tom zuckte mit den Schultern. „Für mich schon. Ich meine, warum hast du mir nie etwas darüber gesagt?“

Ich stand nun ebenfalls auf, stellte mich neben Tom und blickte in die gleiche Richtung wie er. Dann sagte ich: „Ich weiß es noch nicht so lange. Richtig klar geworden ist es mir erst heute.“

„Heute?“

„Ja. Nach der Uni habe ich mich mit Gina getroffen und…“

„Lass mich raten…ihr wart nicht beim Volleyballtraining?“

„Ja.“

„Stattdessen habt ihr euch miteinander verabredet, um zu vögeln?“

„Nein!“, sagte ich laut.

„Dann habt ihr also heute nicht miteinander geschlafen?“

„Doch.“

„Also was denn nun? Ja oder nein?“

„Tom…bitte. Ja, wir haben heute miteinander Sex gehabt. Aber es war nicht geplant. Ich…ich war einfach verwirrt und wollte mir bei ihr Rat holen, da ist es einfach passiert!“

Tom sagte nichts. Ich griff nach seiner Hand, doch er entzog sie mir sofort.

„Tom bitte, du musst das verstehen. Das alles ist doch selbst noch neu für mich. Ich weiß gerade nicht, wo mir der Kopf steht und wie ich mit dieser neuen Seite an mir umgehen soll.“

„Julia“, sagte Tom, „du musst dich für deine sexuelle Orientierung nicht rechtfertigen. Was mich so verletzt ist die Tatsache, dass du hinter meinem Rücken mit einer anderen Person geschlafen und mich danach schamlos darüber belogen hast.“

Dann brach es aus ihm heraus. Er ließ einen lauten Schrei entfahren. Ein tiefes, kehliges Brüllen. Seine Halsschlagader pochte und dann begann er zu weinen.

„Liebst du sie?“, fragte er mich. Irgendetwas in seiner Stimme verriet mir, dass er einerseits unbedingt eine Antwort auf diese Frage erwartete. Dass er sich andererseits aber auch vor einer Antwort fürchtete.

„Nein“, sagte ich entschieden.

Tom drehte mir das Gesicht zu. Sein verquollenes Gesicht und die verwässerten Augen schnürten mir fast die Kehle zusammen. Es tat weh, meinen so zu sehen und ich fühlte mich nur noch schlechter, denn ich allein war für diese schreckliche Misere verantwortlich.

„Das mit Gina und mir…das ist…ausschließlich körperlich.“ Ich unternahm einen weiteren Versuch, seine Hand zu greifen. Diesmal zog er sie nicht weg. „Aber dich liebe ich, Tom. Von ganzem Herzen. Das musst du mir glauben.“

„Es fällt mir gerade sehr schwer, dir überhaupt irgendetwas zu glauben.“, antwortete Tom traurig.

„Ich weiß. Und ich fühle mich schrecklich, weil ich dir das angetan habe. Tom, ich habe keine Erklärung für das, was passiert ist. Und ich weiß, dass mein Verhalten unentschuldbar ist. Trotzdem möchte ich dich um Verzeihung bitten und dir sagen, dass es mir entsetzlich leid tut“, sagte ich resignierend.

„Du hast recht, es lässt sich nicht entschuldigen, dass du fremdgegangen bist.“

„Tom, was willst du damit sagen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich…ich weiß es selbst nicht.“

„Tom bitte“, flehte ich und umklammerte seine Hand, nun wieder den Tränen nah, fest, „ist…ist das das Ende?“

„Julia…ich kann dir darauf jetzt noch keine Antwort geben. Ich liebe dich, Julia. Mehr als jede andere Person auf Erden. Aber was du getan hast, das…ich glaube, ich muss das erst einmal sacken lassen und darüber nachdenken.“

Ich nickte traurig mit dem Kopf.

Schließlich sprach Tom: „Es wird gleich dunkel. Wir sollten nach Hause gehen.“

„Ja, das sollten wir“, pflichtete ich ihm bei.

Schweigend traten wir unseren Heimweg an. Ich fragte mich, was in Toms Kopf wohl vorgehen mochte, aber ich wagte es nicht, ihn danach zu fragen. Er sollte sich Zeit nehmen und über alles nachdenken. Ich konnte sowieso nichts weiter tun als zu hoffen, dass Tom unserer Beziehung trotz meines gigantischen Fehlers eine zweite Chance zu gab.

******

Als ich am nächsten Morgen erwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Tom hatte die Nacht, wie es zu erwarten gewesen war, auf dem Sofa zugebracht und ich hatte allein im Bett gelegen und stundenlang die Decke angestarrt. Unruhig hatte ich mich im Bett hin und her gewälzt. Wann immer ich in einen unruhigen Schlaf weggedämmert war, hatte mich das kleinste Geräusch geweckt. Panisch hatte ich mich im Raum umgesehen und Tom gesucht, doch ich war mutterseelenallein. Ich vermisste seine Körperwärme, seinen Duft und das sanfte, gleichmäßige Atemgeräusch, das mich sonst immer wohlig einschlafen ließ und mir das sichere Gefühl der Geborgenheit gab.

Mit zerzausten Haaren und blutunterlaufenen Augen schleppte ich mich ins Bad, um mich frisch zu machen. Als ich in den Spiegel blickte, erschrak ich beinahe vor mir selbst. Die Person, die mir entgegen starrte, hatte rein gar nichts mit dem Wesen zu tun, dass mir tags zuvor in Ginas Spiegel begegnet war.

Mühsam kämmte ich mir den wenigen Schlaf, den ich bekommen hatte, aus dem Haar. Perfekt würde ich heute auf keinen Fall aussehen, trotzdem gelang es mir nach einer gefühlten Ewigkeit, wenigstens einigermaßen vorzeigbar auszusehen.

Das Knarzen der Wohnungstür riss mich aus meinen trüben Gedanken.

„Tom?“, rief ich sehnsuchtsvoll und wirbelte herum. Ich riss die Badezimmertür auf, stürmte in den Flur und tatsächlich, dort stand Tom, der soeben die Wohnungstür hinter sich schloss.

Tom sah schrecklich aus. Anscheinend hatte er die ganze Nacht über nicht geschlafen. Das Schlafsofa war nicht wirklich bequem, aber ich befürchtete, dass er nicht deswegen keinen Schlaf gefunden hatte.

„Morgen“, murmelte ich kleinlaut. Am liebsten wäre ich auf ihn zu gerannt und hätte ihn stürmisch geküsst, doch Toms Miene verriet eindeutig, dass ich wahrscheinlich größtmöglichen Abstand halten sollte.

Tom blieb mir eine Antwort schuldig und schob sich an mir vorbei ins Wohnzimmer. In der Hand hielt er eine Tüte mit der Aufschrift des Bäckers, der direkt um die Ecke sein Geschäft hatte.

Der dunkelhaarige junge Mann ließ sich erschöpft auf den Stuhl sinken. Dann zog er aus der Tüte eine einzige Semmel hervor, legte sie auf einem Teller ab und griff zum Messer.

Ich griff nach der Tüte, doch sie war leer. Tom hatte mir nichts mitgebracht. Er hatte auch nur für eine Person eingedeckt. Kein gutes Omen.

Ich drehte mich und beschickte die Kaffeemaschine mit Wasser. Dann legte ich einen Filter ein und griff nach der Dose mit Kaffeepulver.

„Möchtest du auch?“, fragte ich.

Auch diesmal blieb Tom mir eine Antwort schuldig. Stattdessen schnitt er sein Brötchen mit stoischer Ruhe in zwei Hälften auf.

Also gut. Ich kochte für Tom trotzdem eine Tasse mit. Während ich darauf wartete, dass der Kaffee sich röchelnd in die Kanne ergoss, nahm ich am Tisch genau Tom gegenüber Platz.

„Tom, lass uns reden“, flehte ich.

„Ich wüsste nicht, worüber wir etwas zu reden hätten.“

„Bitte. Ich halte das kaum noch aus. Ich vermisse dich. Schrecklich.“

„Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du…“

„Bevor ich was?“, fragte ich und ohne dass ich es wollte, wurde ich wütend. „Bevor ich mit Gina gefickt habe?“

Tom sah von seinem Brötchen auf, mir direkt ungläubig ins Gesicht. Als wäre er erschüttert über meine Wortwahl.

„Das war es doch, was du sagen wolltest, Tom. Nicht wahr?“ Trotzig stemmte ich die Hände in die Hüften. Komisch, eigentlich hätte es genau umgekehrt sein müssen. Tom hatte alles Recht der Welt, um wütend zu sein. Nicht er hatte durch einen Seitensprung unsere Beziehung gegen die Wand gefahren, sondern ich. Und doch fühlte ich in diesem Moment nichts als Zorn.

„Hör zu“, kreischte ich laut, „glaubst du etwa, dass ich leichtfertig unsere Beziehung aufs Spiel gesetzt hätte? Du hast mich gestern nach einem Grund für mein Verhalten gefragt. Wenn du unbedingt darauf bestehst…es war deine beschissene Idee, auf diese Party zu gehen. Auf eine Party, wo ich kaum jemanden kannte, obwohl du genau gewusst hast, dass ich an diesem Abend mit dir endlich mal wieder etwas Zweisamkeit genießen wollte.“

Tom entglitt das Messer aus seinen Händen und laut scheppernd fiel es zu Boden. Er schluckte schwer, doch ich redete mich erst richtig in Rage.

„Schlimmer noch“, giftete ich einer Furie gleich weiter, „du schleppst mich nicht nur auf diese dämliche Feier. Nein, du lässt mich anschließend auch völlig alleine und einsam zurück. Und da fragst du dich, wieso ich die Gesellschaft einer anderen Person suche? Glaub mir, ich habe es bestimmt nicht geplant, dass ich mit Gina im Bett landen würde. Aber im Gegensatz zu dir, war sie an diesem Abend für mich da. Sie hat mir zugehört und mir das Gefühl gegeben, begehrenswert zu sein!“

Wieder stiegen Tränen in mir hoch und ich weinte, nachdem ich meine Schimpftirade beendet hatte.

Tom stand auf. Er blickte mich unsicher an. Schuldbewusst. Einen Augenblick lang zitterten seine Lippen, dann flüsterte er leise: „Oh Julia…ich…Gott, ich hatte doch keine Ahnung.“

Mit tränennassen Augen sah ich ihn an, dann ging ich ein Schritte auf ihn zu. Ich vergrub meinen Kopf in seine starke Brust und schluchzte. Meine Tränen benetzten den Stoff seines T-Shirts. Tom ließ all das bereitwillig geschehen. Mehr noch, er legte seine Arme um mich, zog mich eng zu sich heran und streichelte mir beruhigend den Rücken.

„Sch…meine Kleine…alles wird gut“, sagte Tom beruhigend.

Ich ließ all meine Emotionen heraus und weinte, bis sein Shirt völlig durchnässt war. Es tat gut, ihn zu spüren. Seine Wärme beruhigte mich.

„Tom?“, fragte ich unsicher.

„Ja?“

„Wann haben wir zwei uns aus den Augen verloren?“

„Ich weiß es nicht.“

Wir lösten uns voneinander. Nicht ganz, denn wir griffen uns an den Händen, keiner von uns wollte den anderen loslassen.

„Es stimmt, Julia“, sagte Tom leise, „wir sollten miteinander reden.“

******

Wir hatten gemeinsam auf dem Sofa Platz genommen. Für uns beide würde das folgende Gespräch alles andere als einfach werden. Vorsorglich hatten wir eine Box mit Taschentüchern auf dem Tisch platziert.

„Mir tut es leid, wenn ich dir das Gefühl gegeben habe, dass du einsam bist“, sagte Tom schließlich und starrte dabei zu Boden.

Ich nickte leicht mit dem Kopf. Dann sagte ich: „Wir haben beide Fehler gemacht. Ich den allergrößten.“

Er nickte. „Ja, das hast du.“

„Verzeihst du mir?“

Er schaute mich an. Unsicher wartete ich seine Antwort ab. „Das ist nicht so einfach, Julia.“

„Ich weiß.“

„Ich kann nicht einfach so tun als wäre das zwischen dir und Gina nie passiert. Aber wenn ich ehrlich bin, dann hat mich viel mehr verletzt, dass du mit mir nicht gleich darüber geredet hast. Vertraust du mir etwa nicht mehr?“

„Ich…ich hatte Angst“, gestand ich leise. „Angst, dass du dich von mir trennen würdest. Glaub mir, ich habe mich deswegen total mies gefühlt. Ich wollte es dir sagen, wirklich. Aber…immer wenn ich kurz davor stand, hat mich der Mut verlassen.“

Demütig blickte ich Tom ins Gesicht. Tom legte seine Hand auf mein Knie. „Julia, Liebes, du hättest mit mir über alles reden können. Wir hätten schon eine gemeinsame Lösung gefunden.“

„Ich habe mich so geschämt“, sagte ich, „du bist der liebste und netteste Junge, den ich je kennengelernt habe und ausgerechnet dir habe ich das angetan. Außerdem war ich total verwirrt. Ich wusste doch selbst nicht mehr, was oder wer ich eigentlich bin. Ich habe mich immerzu gefragt, ob ich jetzt plötzlich lesbisch geworden bin. Aber immer wenn du dann in meiner Nähe warst, da wusste ich, dass ich dich auf jeden Fall liebe. Trotzdem war ich mir über diese neue Seite an mir völlig unsicher. Verstehst du? Ich musste mich einfach darauf einlassen, um herauszufinden, was mit mir los ist.“

„Also hast du dir gedacht, du schläfst noch einmal mit Gina?“

Traurig nickte ich mit dem Kopf. „Ja“, krächzte ich mit nervöser Stimme.

„Und dabei hast du dann gemerkt, dass du bi bist?“

Wieder bejahte ich seine Antwort mit einem Kopfnicken. „Es gab schon früher Anzeichen dafür, Tom. Aber ich habe sie nicht als solche erkannt. Bitte verstehe das, Gina hat mich nicht bi gemacht — ich war es schon immer. Nur wusste ich es nicht und habe erst durch Gina erkannt, wer ich in Wirklichkeit bin.“

Nachdenklich kratzte Tom sich am Kopf. Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: „Sag mal, hättest du dich mit Gina noch öfter getroffen, wenn ich das mit euch beiden nicht herausgefunden hätte?“

Ich war sprachlos. Was sollte ich bloß darauf antworten? Die Wahrheit war, dass ich mich ganz eindeutig noch öfter auf sie eingelassen hätte. Ein Teil von mir konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder auf diese homosexuelle Seite an mir verzichten zu wollen. Andererseits würde ich schweren Herzens, um unsere Beziehung zu retten, jeden Kontakt zu Gina abbrechen.

Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. Ich schluckte.

„Julia?“, wiederholte Tom seine Frage, „hättest du dich mit Gina noch öfter getroffen?“

Ich zuckte mit den Achseln. „Vermutlich schon“, antwortete ich ihm ehrlich.

Tom schwieg wieder. Er schien meine Worte erst verdauen zu müssen. Dachte nach über deren Bedeutung. Und ich fragte mich, ob ich es mit diesem Geständnis wohl endgültig versaut hätte. Andererseits hatte ich genug von all diesen Lügen. Ich konnte und wollte nicht mehr länger unehrlich Tom gegenüber sein. Aber auch mir gegenüber nicht. Meine Lust auf Frauen war nun einmal da. Sie würde nicht wieder verschwinden und ich wollte endlich zu mir selbst stehen können.

„Weißt du was?“, sprach Tom schließlich zögerlich, „ich finde, du solltest…Gott, ich kann kaum glauben, dass ich das jetzt sage…ich finde wirklich, dass du dich weiterhin mit Gina treffen solltest.“

Entgeistert riss ich die Augen auf. Hatte ich mich gerade verhört? Ja, bestimmt. Ich musste ganz gewiss unter akustischen Halluzinationen leiden. Entweder das, oder Tom hatte plötzlich den Verstand verloren.

„Wie bitte?“, fragte ich erstaunt.

„Ich finde, du solltest dich weiterhin mit Gina treffen.“

„Aber…“, warf ich ein.

Doch Tom ließ mich nicht zu Ende sprechen und schnitt mir das Wort ab: „Julia, hör mir zu. Ich kann dir deine Sexualität nicht vorwerfen. Sie ist ein Teil von dir und du hast dir nicht ausgesucht, dass du nun mal für beide Geschlechter etwas übrig hast.“

Ich fragte mich, worauf Tom hinauswollte. „Tom, bist du jetzt total übergeschnappt?“

„Lass mich bitte ausreden. Ich habe mich damals in dich verliebt. In dich als Person, nicht in deine sexuelle Orientierung. Es ist mir egal, ob du nur auf Männer stehst oder auf beides, solange ich weiß, dass du mich liebst.“

„Das tue ich, ganz bestimmt“, fiel ich ihm ins Wort.

Zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte Tom, dann fuhr er fort: „Ich weiß. Und mir geht’s genauso. Ich bin total verrückt nach dir und es klingt vielleicht blöd, aber ich habe erst durch deinen Seitensprung mit Gina gemerkt, wie sehr ich dich immer noch liebe.“

„Aber wie kommst du dann darauf, dass ich mich weiter mit Gina treffen sollte?“

„Du hast dir die Antwort vorhin schon selbst gegeben. Weil du herausfinden musst, wer du wirklich bist. Schau, Julia, ich bin nun mal ein Mann. Also kann ich dir doch gar nicht all das geben, was du brauchst. Deine Lust auf Frauen kann nun einmal nur eine Frau befriedigen. Wie könnte ich von dir also verlangen, mir zuliebe auf einen Teil deiner selbst zu verzichten?“

„Das heißt also, dass…?“

„Dass du dich nicht zurückhalten solltest. Nur bitte, mach es nicht mehr heimlich. Versuch nicht, diesen Teil von dir vor mir zu verstecken. Von jetzt an sei bitte ganz offen zu mir und sprich mit mir, wenn du dich mit Gina triffst. Wenn du es so willst, dann lass uns von jetzt an eine offene Beziehung führen. Es soll zwischen uns keine Geheimnisse mehr geben. Komm her.“

Er zog mich zu sich heran und küsste mich stürmisch. Überglücklich erwiderte ich seinen Kuss und schmiegte mich eng an ihn. Einmal mehr fragte ich mich, womit ich nur diesen tollen Kerl verdient hatte. Nicht nur, dass er unserer Beziehung eine zweite Chance geben würde, er gab mir das Gefühl, dass ich mich endlich vervollständigen konnte.

Als wir uns voneinander lösten, fügte Tom grinsend hinzu: „Außerdem finde ich den Gedanken unglaublich heiß. Es macht mich tierisch an, wenn ich mir vorstelle, wie meine mit einem anderen Mädchen im Bett liegt und heißen, lesbischen Sex hat.“

Gespielt beleidigt boxte ich ihm in die Seite und sagte schmollend: „Du Blödian!“

Aber Tom grinste nur weiter und entgegnete: „Hey, zeige mir einen Kerl, der Lesbensex nicht heiß findet! Im Grunde genommen träumen wir Kerle doch alle von einer bisexuellen . Insofern habe ich doch eigentlich echt riesiges Glück gehabt.“

Ich streckte ihm die Zunge heraus und sagte schließlich: „Ich weiß ja nicht, welche Ferkeleien du dir jetzt ausmalst, aber du solltest nicht immer all das glauben, was du in deinen Lesbenfilmchen auf dem PC gesehen hast.“

Er schaute mich an wie ein Reh mitten auf einer dunklen Nachtstraße im Scheinwerferlicht kurz bevor es zum unvermeidbaren Zusammenstoß kommt.

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