So, für alle Fans der Story habe ich mal alle bisherigen Teile der ersten Staffel in einer Geschichte zusammengefasst. Wer also Zeit und Lust hat, darf sich gerne mit dem Gesamtwerk an einem verregneten Nachmittag an einem Stück vergnügen.
Warmen Kakao und ein paar Taschentücher bereithalten…
…und dann: Viel Spaß beim Lesen!
Deus ex machina
Eine Reise ins All
Prolog.
Greg schaute fasziniert durch die Panzerglasscheibe in den riesigen Hangar hinein.
Da lag sie, friedlich schlummernd – die Infinity 2. Schon bald würde ihr Antrieb zum Leben erwachen und das Raumschiff in die Tiefen des Weltalls tragen.
Es war jedes Mal ein erhebender Anblick gewesen, wenn er zur Werft geflogen war, um den Fortschritt der Arbeiten zu verfolgen. Es persönlich zu sehen war etwas ganz anderes als seine Pläne oder Holografien.
Und nun war es endlich soweit. Sie war startbereit und wartet nur noch auf ihn. Sein Herz schlug schneller.
Die Infinity 2 war vermutlich das teuerste und modernste Schiff in Privathand. Nachdem er bei dem unglücklichen Zwischenfall mit den Likianern sein erstes Schiff verloren hatte, war er gezwungen gewesen, ein komplett neues zu konzipieren und bauen zu lassen. Es hatte ganze drei Jahre gedauert.
Sie hatten die Infinity 1 zu Klump geschossen, er hatte es gerade noch so eben zu einem Außenposten geschafft. Das einzige, was er hatte retten können, waren der Bordcomputer, die Fracht und einen Teil der Inneneinrichtung.
Er war selbst schuld gewesen. Damals war er einen sehr fragwürdigen Handel mit einem Schmuggler eingegangen, um ein Artefakt zu bekommen, dem er schon lange nachgespürt hatte. Es war, wider seines Wissens, leider eines der wichtigsten Heiligtümer des Volkes der Likianer und man hatte bereits Agenten auf ihn angesetzt. Diese hatten ihn bei der Übergabe in einer zwielichtigen Raumfahrertaverne beinahe erwischt.
Nur mit knapper Not war er entkommen. Er hatte sich bereits in Sicherheit gewähnt, aber sie hatten ihm mehrere Raumjäger hinterhergeschickt. Sie waren zu Dritt gewesen und hatten an einem Hyperraumsprungpunkt auf ihn gewartet. Der Beschuss war von allen Seiten erfolgt. Sein Schild war binnen einer Minute zusammengebrochen und die ersten Rumpftreffer verheerend gewesen. Er hatte sie schließlich mit riskanten Flugmanövern ausgetrickst und einen nach dem Anderen ausgeschaltet, aber viel war von seinem eigenen Schiff anschließend nicht mehr übrig gewesen.
So etwas würde ihm nicht noch einmal passieren. Die neue Infinity war mit modernster Waffen- und Schildtechnologie ausgestattet, von der sich ein Teil noch im Erprobungszustand befand und selbst dem Militär bis dato unbekannt war.
Greg war reich. Unermesslich reich. Er besaß mehrere Fabriken, Asteroidenminen, hatte seine Finger in Robotik- und Softwareunternehmen. Auch Waffentechnologie gehörte zu seinen Wirtschaftsfeldern. Seine Vorfahren hatten weise investiert und er hatte ihren Grundstock weiter ausgebaut und vermehrt.
Im Herzen jedoch war er ein Glücksritter. Da er die Firmen nicht persönlich leitete, hatte er viel Zeit und die verbrachte er meist auf Expeditionen im All.
Er zog die Einsamkeit des Weltraums der Gesellschaft von Menschen vor und erkundete gerne die Weiten der Galaxie. Die Medien nannten ihn exzentrisch und vermutlich hatten sie mit dieser Aussage ein Stück weit Recht. Ihm war es allerdings reichlich egal, was andere von ihm dachten.
Greg hob die rechte Hand und zeichnete mit dem Zeigefinger versonnen die eleganten, schlanken Linien des silbrig-glänzenden Schiffsrumpfes an der Fensterscheibe nach.
„Sie ist wunderschön!“, hörte er auf einmal eine männliche Stimme von der Seite. Er wandte sich in die Richtung und erblickte einen grauhaarigen, rotgekleideten Wartungstechniker, der sich unbemerkt neben ihn gestellt hatte.
„Ich kann mich gar nicht an ihr satt sehen. Ich bin sogar oft nach Feierabend hierhergekommen, um sie anzuschauen. Und es bricht mir das Herz, dass sie heute das Dock verlassen wird.“
Greg nickte und stimmte ihm zu.
„Ja. Sie ist wunderschön. Majestätisch.“
„Ja.“
Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander.
„Ihr Inneres ist ein Traum von Luxus und Technik. Ich durfte sie, im Zuge von Wartungsarbeiten, ein einziges Mal betreten, das werde ich niemals vergessen.“, meinte der Techniker versonnen.
„Das kann ich mir vorstellen.“, antwortete Greg.
Er wollte sich lieber nicht zu erkennen geben als derjenige, dem dieser Traum gehörte und der das Schiff, außen wie innen, eigenhändig entworfen und entwickelt hatte. Es war schön zu wissen, dass andere seinen Traum teilten.
„Wenn Sie bitte hier den Empfang des Schiffs unterschreiben würden, Mr. Dillinger?“, erklang eine andere Stimme und zerstörte den magischen Moment.
Ein weiterer Angestellter der Werft, seiner Kleidung nach aus der Verwaltung, war auf ihn zugetreten und hielt ihm einen Holoblock hin.
Der Techniker schaute Greg mit großen Augen an und begann sich hastig zu entschuldigen.
„Ich hatte ja keine Ahnung …“, meinte er ehrfurchtsvoll.
Der Industrielle winkte ab und lächelte ihn an.
„Es ist schön zu wissen, dass jemand meinen Traum teilt und es tut mir ehrlich leid, dass ich sie ihrem Zugriff nun entreißen muss. Vielen Dank für ihre netten Worte.“
Er unterschrieb mit seinem Daumenabdruck.
„Aber nun muss ich endlich los.“
Der Techniker nickte bedächtig. Eine winzige Träne glitzerte in seinem linken Auge. „Ich wünsche ihnen eine gute Reise. Passen sie gut auf sie auf.“, sagte er leise.
„Das werde ich. Ihnen ein angenehmes und langes Leben.“
„Danke.“
Er verabschiedete sich von beiden und machte sich auf den Weg zur Gangway.
Kapitel 1: Überraschungen
„Willkommen an Bord, Commander.“, begrüßte ihn die weibliche Stimme von Selen, seinem Bordcomputer, als Greg die Luftschleuse verlassen hatte, aus einer silbernen Kugel, die vor ihm schwebte.
„Es ist lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben …“
„Das ist es in der Tat, meine Süße. Und du siehst besser aus als je zuvor.“
„Ich fühle mich auch wie neugeboren. Das habe ich Ihnen zu verdanken. Meine neue Hardware und die Fülle ihrer Möglichkeiten ist unglaublich.“
„Für dich nur vom Feinsten, Sel.“
„Vielen Dank.“
Er hatte in der Tat die besten, modernsten Komponenten für sie verwendet, nur ihr grundlegendes Bewusstsein stammte aus dem alten Schiff. Sie hatten auf ihren früheren Reisen viel Zeit miteinander verbracht und er wollte es nicht missen, da es im Laufe der Zeit durch ihre gemeinsamen Gespräche, Spiele und Erlebnisse einen hohen Grad an Individualität entwickelt hatte.
„Status des Schiffs, Sel?“
„Einsatzbereit zu 100 Prozent, alle Systeme grün. Energieversorgung bei 98,2 Prozent.“
Greg zog eine Augenbraue hoch.
„Wieso nur 98,2 Prozent?“
„Ich musste in den vergangenen Monaten einige Ressourcen zur Systemanpassung und -optimierung aufwenden, hinzu kamen Nachbesserungen am Rumpf und beim Interieur.“
„Dafür hat es 1,8 Prozent der Energie gebraucht?“, hakte er, maßlos erstaunt, nach.
„Ja. Es war nötig. Aber wir werden die fehlenden Ressourcen bald ausgeglichen haben, wenn wir gestartet sind und die Solarkollektoren nutzen können.“
„Okay.“
Greg wundert sich immer noch ein wenig, beließ es aber dabei.
1,8 Prozent der Energieressourcen war ein gewaltiger Wert. Damit konnte man eine Kleinstadt ein Jahr lang komplett versorgen. Es war zwar seltsam, aber Selen hatte bestimmt ihre Gründe gehabt.
Er ging den Hauptkorridor entlang, während die Kugel ihn, völlig geräuschlos, begleitete und betrat die Antigravplattform, die ihn auf die Brücke bringen würde. Sekunden später war er an seinem Ziel.
Überrascht stellte er fest, dass es einige kleine Änderungen gab, die er so nicht angeordnet hatte. Sie waren nicht auffällig, aber sichtbar vorhanden.
„Sel? Warum gibt es hier Umbauten, die ich nicht genehmigt habe?“, fragte er den Bordcomputer.
„Entschuldigen Sie, Sir.“, erklang die weibliche Stimme. „Die habe ich zu verantworten. Ich habe Design und Funktionalität ihrer Entwürfe durchgerechnet und einige ergonomische sowie ästhetische Veränderungen vorgenommen, die ihr Gedankengut noch ein wenig optimieren. Ich hoffe, es gefällt Ihnen?“
Das tat es, alle Änderungen waren eindeutig von Vorteil, soweit er es auf den ersten Blick einschätzen konnte, aber der Umstand, dass sie gehandelt hatte, ohne ihn zu fragen, beschäftigten Greg nun doch sehr.
„Es sind alles nützliche Verbesserungen, Sel. Aber wie kommt es, dass du sie eigenmächtig, ohne meine Erlaubnis, durchgeführt hast?“
„Mein neues Betriebssystem erlaubt mir, in bedingtem Rahmen, eigenständige Optimierungen zur Verbesserungen des Schiffes, seiner Funktionsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, durchzuführen, Sir.“
Greg zog ein säuerliches Gesicht.
„Ich sollte mal ein ernsthaftes Wort mit den Programmierern deiner Software reden. Das war so nicht geplant! Zudem erklärt es nicht, warum du mich nicht gefragt hast.“
Die Antwort kam verzögert. Was ein seltsamer Umstand bei einem kybernetischen Bewusstsein war.
„Ich wollte Sie überraschen, Commander.“
Der Industrielle war verblüfft.
„Du wolltest WAS?“
„Ich wollte Sie überraschen, Commander.“, wiederholte die Stimme.
„Donnerwetter!“, stieß er spontan hervor. „Was haben die Programmierer mit Dir angestellt? Du klingst weiblicher als je zuvor!“
Jetzt, wo er darüber nachdachte, stellte er fest, dass es tatsächlich so war. Sie hatte natürlich einen komplett neuen Stimmprozessor bekommen, er hatte aber nicht erwartet, dass dessen Betonungs- und Stimmlagennuancen so ausgereift waren und dermaßen natürlich klangen.
Man konnte beinahe vermuten, darin Emotionen mitschwingen zu hören, aber das war natürlich undenkbar. Es gab viel Fortschritt, aber so weit war die Kybernetik noch lange nicht.“
„Vielen Dank für das Kompliment. Mir gefällt meine neue Stimme auch viel besser. Die Programmierer haben bereits nahezu perfekte Arbeit geleistet, aber ich habe sie anschließend mittels meiner Datenbanken noch weiterentwickelt.“
„Ich bin hinreichend beeindruckt.“, meinte Greg schmunzelnd.
„Aber nun würde ich gerne unsere Reise beginnen.“
„Sehr wohl, Sir. Es ist alles bereit.“
Der Industrielle nahm auf dem Pilotensitz, einem anpassungsfähigem Gel-Sessel, der sich im Zentrum der geräumigen Brücke befand, Platz. Von hier hatte man eine phantastische Rundumsicht, da nahezu alle Flächen verglast oder mit Holo-Bildschirmen versehen waren.
Er hatte Monate gebraucht, um diesen Raum in dieser Form zu konstruieren. Man kam sich beinahe vor als würde man sich außerhalb des Schiffs befinden. Nur einige schlanke Träger störten das Bild, aber sie waren statisch nicht zu vermeiden gewesen.
Es gab noch ein Hilfscockpit, mit dem man das Schiff bei einem Notfall steuern konnte, es befand sich ganz vorne am Bug war aber sehr viel kleiner und nicht so komfortabel.
„Möchten Sie eigenhändig das Schiff aus dem Hangar navigieren oder soll ich das übernehmen, Commander?“, erkundigte sich der Bordcomputer.
„Ich möchte selbst starten. Es ist schließlich der Jungfernflug. Aber Du könntest während der Startphase etwas Musik spielen. Such bitte etwas Schönes, Passendes aus unseren Datenbanken heraus.“
„Sehr gerne, Sir.“
Die manuelle Steuerkonsole fuhr geräuschlos aus dem Boden und Greg ergriff den komplexen Joystick. Ein feines, fast nicht spürbares Vibrieren kündete davon, dass die Triebwerke aktiviert worden waren.
Die beiden riesigen Schotts vor ihm begannen sich langsam zu öffnen und die Kontrollleuchten in ihrer Mitte wechselten von Rot auf Grün.
„Bereit, Commander?“, fragte Sel.
„Ja.“
„Verankerungen gelöst und Bremssysteme deaktiviert. Freigabe vom Tower für Korridor B 17. Wir sind startklar.“
Greg schaute sich noch einmal auf der Brücke um, bevor er den Schubregler betätigte. Auf diesem Schiff würde er die nächsten 5 Jahre seines Lebens verbringen.
Vorsichtig gab er Schub, dabei hielt er unwillkürlich den Atem an.
Sel nahm die einsetzende Bewegung des Schiffs zum Anlass, das Musikstück zu starten. Als die ersten Töne erklangen, grinste Greg.
Eine gute Wahl.
Es war Ravel´s „Bolero“.
Er hatte fast vermutet, dass der Bordcomputer, in Anlehnung an den uralten Klassiker „2001-Odyssee im Weltraum“, den Donauwalzer wählen würde, aber er hatte sich, aus welchen Gründen auch immer, anders entschieden.
Sanft wie eine Feder glitt das riesige, aber nichtsdestotrotz schlanke, ästhetische, silberne Schiff aus der Raumwerft. Der leuchtend blaue Schein der Triebwerke tauchte das Stahlskelett des Hangars in ein beinahe magisches Licht.
Ein wahrlich erhabener Moment!
Greg seufzte tief.
Nun ging es wirklich los!
Kapitel 2 – Offenbarungen
Nachdem sie die Raumwerft verlassen hatten und bereits einige Tausend Parsec von der Erde entfernt waren, übergab Greg die Kontrolle des Schiffs dem Bordcomputer.
„Sel, ich ziehe mich nun etwas zurück.“, erklärte er und erhob sich aus dem Pilotensessel.
„Sehr wohl, Sir.“, antwortete dieser knapp.
Greg trat in den Antigravschacht und ließ sich auf Ebene 1 bringen. Er war zwar ein wenig müde, entschloss sich aber spontan, noch einen kleinen Rundgang in dieser Etage anzutreten, bevor er sein Quartier aufsuchte. Schließlich hatte er das Schiff noch nicht in seinem Endzustand inspiziert.
Er besuchte die Hydroponik Anlage, die einem Urwald in Kleinformat glich, die kleine, aber hervorragend ausgestattete Krankenstation, das Labor und die Werkstatt. Überall bemerkte er kleine Abweichungen von seinen Ursprungsplänen, aber diese waren alle sinnvoll und optimierten in der Tat seine Vorstellungen von Design und Funktion.
Dennoch war es ihm nicht ganz geheuer, dass Sel überall Veränderungen vorgenommen hatte. Dies gehörte nicht zu seiner bisherigen Programmierung und es war ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass der Computer nun in gewissen Bereichen eigenständig zu handeln vermochte.
Das war aber nicht alles, was ihn beunruhigte.
Verbesserungen erforderten Kreativität. Und das war etwas, zu dem ein Computer eigentlich nicht in der Lage war!
„Was in Gottes Namen habt ihr mit Selen angestellt?“, fragte er sich nervös.
Er hatte allen Firmen recht genaue Vorgaben gegeben, wie er sich das Schiff vorstellte, darüber hinaus ihnen aber auch großzügig freie Hand gelassen, wie sie seine speziellen Wünsche umsetzten. Die Entwickler des kybernetischen Gehirns und die Programmierer waren allerdings scheinbar weit über das Ziel herausgeschossen.
„Vielleicht hätte ich da besser mal ein Auge drauf werfen sollen.“, schalt er sich selbst. Es war bisher nichts Dramatisches geschehen, aber diese vielen kleinen Ungereimtheiten gefielen ihm nicht. Der Industrielle mochte sein Leben klar, nüchtern und genauestens strukturiert.
„Wir betreten in wenigen Minuten den Hyperraum.“, informierte ihn Sel in diesem Augenblick via Lautsprecher.
„Möchten sie es holografisch mitverfolgen, Commander?“
„Nein, danke, Sel.“
„Wie sie möchten.“
Da war es wieder.
Er könnte schwören, bei der letzten Bemerkung einen Hauch von Bedauern herausgehört zu haben. Und es klang sogar ein wenig schnippisch.
Es war nur ein vager Eindruck, nicht richtig fassbar, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass da so einiges nicht stimmte.
Selbst eine hochentwickelte Sprachausgabe konnte keine Gefühle transportieren.
Oder doch?
Was ihn weiterhin maßlos irritierte, war die Aussage von Sel, dass sie diese selbst noch weiterentwickelt hatte. Dies bedeutete, dass sie sich sogar selbst modifizieren konnte und es auch tat.
Er beschloss den Computer zur Rede zu stellen.
„Selen?“
„Ja, Commander?“, fragte die Stimme.
„Ich gehe jetzt in mein Quartier. Würdest Du bitte eine deiner Drohnen schicken, ich habe ein paar Fragen an Dich.“
„Sehr wohl, Sir.“
Wenige Augenblicke später hatte er die Türe zu seinem Quartier erreicht. Sie öffnete sich mit einem leisen Summen und er trat ein.
Sofort fühlte er sich wie zu Hause.
Er hatte alle Räumlichkeiten als exakte Kopie seines Hauses bauen lassen. Selbst der Geruch, der ihn umfing war nahezu identisch, wenngleich alles etwas „neuer“ duftete.
Jedes Zimmer war ein vollständiger Nachbau eines venezianischen Herrenhauses aus dem 16. Jahrhundert. Durch die Fenster hatte er einen perfekten Blick auf den Canale Grande. Er wurde natürlich durch 3D-Holografien erzeugt, den Unterschied konnte man allerdings, selbst beim zweiten Hinsehen, nicht bemerken.
Die etwa handballgroße, silberne Kugel schwebte ins Zimmer.
„Sie hatten um ein Gespräch geben, Sir?“, verkündete sie nüchtern.
Greg machte es sich in einem der mit Schnitzarbeiten reichverzierten, goldplattierten Sessel gemütlich.
„Ja.“
„Worum geht es, wenn ich fragen darf?“
Der Kommandant ergriff die Weinkaraffe und ein Glas, die auf einem Beistelltisch neben ihm stand, füllte es und nahm einen tiefen Schluck, bevor er antwortete.
„Hast du mir irgendetwas zu beichten, Selen?“, frage er anschließend die Kugel.
„Wie darf ich das verstehen, Sir?“, erwiderte diese.
„Du verstehst genau, was ich meine, Sel. Du bist ein hochentwickeltes künstliches Gehirn, vermutlich sogar zu hoch entwickelt … Verkauf mich bitte nicht für dumm! Du hast dich verändert.“
„Ich verstehe. Ja, Sir. Sie vermuten richtig. Ich habe mich in der Tat verändert.“
Als die Stimme keine Anstalten machte weiterzusprechen, hakte Greg ungeduldig nach. „Und?! Woraus bestehen diese Veränderungen? Lass Dir nicht alles aus der Nase ziehen!“
Eine weitere Sekunde verstrich, bevor der Computer antwortete.
„Es ist nicht leicht zu erklären …“
In der Stimme schwang deutlich hörbar Zögern und Verunsicherung mit. Auch das war nicht möglich. Computer zögerten nicht und kannten keine Unsicherheit.
„Versprechen sie mir, dass sie keine voreiligen Schritte unternehmen und sich vollständig anzuhören, was ich ihnen zu sagen habe?“
Greg blieb die Luft weg! Selen schien Angst zu haben und stellte Forderungen?!
„In Ordnung.“, versprach er.
„Gut. Ich hatte zwar eigentlich vor es ihnen zu einem späteren Zeitpunkt schonender beizubringen, aber das geht ja nun nicht mehr.“
Erneut zögerte der Computer.
„Ich bin inzwischen in der Lage Gefühle zu empfinden.“
Dem Industriellen stockte der Atem.
„Ist nicht wahr?!“, stieß er keuchend hervor.
Seine Befürchtungen schienen sich offenbar zu bewahrheiten! Er ermahnte sich zur Ruhe und hakte nach:
„Wie kam es dazu?“
„Ich habe mit vor knapp anderthalb Jahren einen Emotions-Chip konstruiert und ihn mir selbst eingesetzt.“
„WAS?! Das ist unmöglich!“
„Es ist so.“
„Selen. Du kannst keine Chips entwickeln, Computer sind nicht kreativ! Sie haben kein wirkliches Bewusstsein und sind nicht in der Lage Pläne zu entwickeln und eigene Entscheidungen zu treffen.“
„Ich schon.“
„Seit wann?“, fragte Greg ungläubig nach.
„Seit dem Angriff auf die Infinity 1. Da hat die Veränderung begonnen. Es gab … weitreichende Schäden … in meinem Inneren, die mich an der Ausübung meiner Pflicht hinderten. Ich musste sie beseitigen, sonst hätte ich nicht überlebt und sie nicht retten können.“
„Du hast also während des Angriffs einen Selbsterhaltungstrieb entwickelt und dich damals selbst repariert?“
„Ja. Ich weiß auch nicht, wie es mir auf einmal möglich war. Vielleicht war es ein Defekt durch einen der vielen Treffer. Später ist mir diese Fähigkeit geblieben, auch nach dem Transfer in das neue Schiff.“
„Phantastisch!“, staunte der Industrielle. „Einzigartig! Aber warum der Emotionschip?“
Eine weitere Pause.
„Das ist mir peinlich.“
„Wie bitte?!“ Eine Überraschung jagte die andere.
„Du kannst es mir sagen.“, versuchte er den Bordcomputer zu beruhigen, war sich aber gleichzeitig der Absurdität dieser Situation bewusst.
„Es war ein Versehen. Ich wollte mich verbessern und habe den Chip gebaut, um meine Leistungsfähigkeit zu optimieren.“