16 Zusammenleben im Bunker

Die nächsten zwei Monate wurden für Wanda und Maximilian alles andere als einfach. Egal wo sie hinliefen, es folgten ihnen die Flüchtlinge auf Schritt und Tritt. Dabei hielten sich Letztere nicht nur gegenseitig an den Händen, nein sie suchten auch den Körperkontakt zu Maximilian oder Wanda und fühlten sich gestresst und unwohl, wenn dieser nicht zustande kam. Sie wiesen ein enges soziales Gefüge auf, schliefen zusammen, streichelten oder kratzten sich, umarmten und kuschelten miteinander oder fütterten sich gegenseitig. Auch der Gang zur Toilette wurde in regelmäßigen Abständen als Gruppe durchgeführt und es hatte Maximilian harte Überzeugungsarbeit gekostet, Iga davon zu überzeugen, dass die Benutzung der sanitären Einrichtungen für sie alle eine Notwendigkeit darstellte. Schließlich ließen sich die Besucher darauf ein, lehnten aber alles andere was Wanda oder Maximilian ihnen zeigen wollte zu deren Enttäuschung ab. Weder die Kinder noch die Erwachsenen zeigten Interesse am Basteln oder Kochen, Wäschewaschen oder Putzen und stellten somit keine besondere Hilfe für ihre beiden Gastgeber da.

Suchten Wanda und Maximilian Momente für sich allein, wurde dies lautstark und mit Freude kommentiert und zu ihrem Leid auch imitiert. Dabei blieb es nicht nur bei Lauten und Gesten, sondern die Erwachsenen machten es ihnen sofort nach und bildeten ein großes Knäuel, in denen es keine feste Partnerkonstellation zu geben schien.

„Wenn sie dabei so laut sind, kann ich mich nicht richtig konzentrieren.“

Stöhnte Maximilian. Wanda lächelte, streichelte ihren über dessen Hinterkopf und drückte sein Gesicht sanft zwischen ihre Brüste hinein. Ihre mächtigen Schenkel umschlossen ihn, dann spürte sie den kleinen ihres Liebsten an ihre Pforte klopfen.

Genüsslich hieß sie ihn willkommen, spürte den Druck an ihrer Scham, spürte eine Mischung aus dezenten Weh und reizvoller Erregung und wurde von einer Welle der Lust hinfort gerafft. Sein Glied fühlte sich so unendlich geil für sie an, so massiv und gewaltig, als ob es einem Mann gehörte, der ihr in Körperhöhe glich oder sogar überragte. In solch einem Moment war ihr egal geworden, ob es nicht ihre eigenen natürlichen Empfindungen waren, die sie spürte. Hauptsache sie durfte sie lange und intensiv fühlen.

Für Maximilian kam es einer Mischung aus Freude und Pflicht gleich, wenn er mit Wanda schlief. Er wusste, dass er sie lange und nach Möglichkeit mehrere Male hintereinander zu nehmen hatte, damit ihr Hunger gesättigt wurde. Immer gelang es ihm nicht und er registrierte, wie sehr sie in solchen Momenten gegen ihren Wunsch ankämpfen musste, sich einfach das von ihm zu nehmen, was sie sich so dringend wünschte. Ein bedrohliches Gefühl, so irre es ihm auch vorkam.

Die drei Kinder in der Gruppe erholten sich langsam in dem gesicherten Umfeld des Bunkers. Auch sie waren von den beträchtlichen Schädigungen ihres Erbgutes stark gezeichnet worden und wiesen Veränderungen ihrer Haut, lichtes Haar, fortgeschrittenen Zahnausfall und überlange oder verkümmerte Gliedmaßen auf. Doch sie störten sich nicht an ihren Behinderungen, denn sie waren in dieser Gruppe nichts Besonderes. Selbst Wanda und Maximilian gehörten für sie dazu, denn Erstere war viel zu groß geraten und mit einem Menschen nicht vergleichbar und Maximilian hatte graue Haare wie sie und noch alle Zähne im Mund, was in ihren Augen einer Missbildung gleichkam.

Maks, die Jüngste der drei, erkundete für ihr Leben gerne den Bunker und den Schacht und amte in ihren Bewegungen Wanda nach, ihrem Idol. Gerne wäre sie so stark und mutig gewesen wie die große Kriegerin und hoffte eines Tages so zu werden, wie sie.

Nies und Soks, die beiden Jungen, begleiteten das Mädchen, hielten sich aber lieber im Hintergrund. Dabei musste Nies, der abgesehen von einem viel zu kleinen Kopf kaum körperliche Anzeichen einer Behinderung besaß, seinen Freund Soks auf den Rücken tragen, der ohne Beine geboren worden war und voller Angst alleingelassen zu werden, über die Schultern seines Freundes hinweg seine Umgebung beobachtete.

Jetzt umtanzten die drei Maximilian und dessen Schreibtisch, zupften ihm an seiner Kleidung und suchten unbedingt seine Aufmerksamkeit. Ein Minuten widerstand er den Kindern, dann fragte er sie, was sie denn eigentlich von ihm wollten. Kehlige und grunzende Laute dabei ausstoßend zeigten die dünnen Ärmchen auf den Projektor in der Ecke. Maximilian hatte ihnen in den vergangenen Tagen etliche Filme und Kindersendungen gezeigt und ihnen damit eine riesige Freude bereitet.

„Schon wieder? Ihr kennt doch schon so viele.“ Maximilian löste sich nur ungern von den Büchern, die er bei Mikimoto gefunden hatte.

„Na schön, dann sagt den anderen Bescheid und ich bereite derweil alles vor.“

Für Maximilian war es immer wieder erstaunlich, dass die Besucher, wie Wanda und er selbst die Rads bezeichneten, jedes Wort, das sie an sie richteten, zu verstehen schienen, selbst aber fast ausnahmslos unverständliche Laute von sich gaben. Nur Iga bildete eine Ausnahme und hatte ihnen von dem schrecklichen Leben erzählt, dass sie dort oben geführt hatten. Dafür hatte sie mehrere Anläufe gebraucht und erst nach und nach hatten Wanda und Maximilian eine Vorstellung davon bekommen, was es in der Welt über ihnen bedeutete ein Rads zu sein.

So schilderte Iga, begleitet von vielen Gesten und Laute wie Menschen auf sie Treibjagden veranstalteten, Hunde auf sie hetzten und sie bestialisch töteten, um sich einen sadistischen Spaß daraus zu machen. Rads waren in ihren Augen nicht einmal Tiere, sondern eine Art von Leben, das es auf ihrer Welt nicht geben durfte.

Iga erzählte ihnen auch von einigen wenigen Menschen, die sich ihrer angenommen hatten und zu schützen suchten. In kleinen Gruppen streiften sie so durch die abgelegenen und kontaminierten Gegenden wo es kaum Menschen gab, ernährten sich von Pflanzen und Insekten und hungerten sich durch die Winter, wo viele von ihnen ihre „Schöne Reise“ begannen. So bezeichneten sie den Tod, der für sie eher Befreiung und Glück bedeutete, statt etwas, vor dem man sich zu fürchten brauchte.

Aber sie zeugten auch Kinder und das in einer hohen Zahl. Die hohe Mortalität unter diesen sorgte allerdings dafür, dass die Gruppen nur sehr langsam wuchsen und die wenigsten Rads älter wurden, als fünfundzwanzig Jahre. Krankheiten, die widrigen Umstände ihres Lebensraums, vor allem aber Menschen und Tiere forderten von ihnen einen hohen Tribut ein.

Während Iga erzählte, wollte sie zwischen Wanda und Maximilian sitzen und streichelte die beiden dabei mit unbeholfenen Bewegungen. Wenn sie aber von einem ihrer Abenteuer berichtet, dann schlackerten ihre Ärmchen wie wild durch die Luft und mehr als einmal wurden Wanda und Maximilian von ihnen dabei unsanft getroffen.

Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als die ersten seiner Gäste mit unbeholfenen und wackeligen Bewegungen in einer langen Reihe den Raum betraten, aufgeregt dabei miteinander tuschelten und ihren Blick auf das weiße Bild an der Wand richteten, dass gleich bunt und voller Leben sein würde. Stühle und Bänke benutzten sie nicht, stattdessen ließen sie sich auf den Boden nieder, und hielten sich gegenseitig fest.

Maximilian hatte ihnen bisher ausschließlich Trickfilme und Tiersendungen gezeigt, von denen er wusste, dass in ihnen weder gestorben, noch jemand verletzt werden würde. Auch heute wollte er ein Märchen zeigen, das aber deutlich mehr Abenteuer in sich trug. Ihm gingen langsam die Alternativen aus, er musste sich diesbezüglich unbedingt genauer informieren, was er den Besuchern zeigen konnte.

„Iga, wo ist Wanda?“

„Iga nit saag ka. Soll Iga gan un suken?“

Maximilian lächelte, drückte die kleine Frau an sich und streichelte dabei ihren knochigen Rücken.

„Setz dich zu den anderen, ich schau nach ihr.“

Er suchte seine zuerst in den Toilettenräumen, in denen sich auch die Duschen befanden, doch konnte er sie dort nicht finden. Seine nächste Vermutung galt dem Labor, vielleicht hatte er dort Glück? Sie hatte sich selbst die Dokumente angesehen, die Mikimoto in der englischen Sprache verfasst hatte, wenn sie auch noch weniger davon verstand, als er selbst.

Tatsächlich hockte die Maschinenfrau auf ihren Knien vor dem PC und las in den Unterlagen des japanischen Wissenschaftlers und denen seiner deutschen Kollegen. Sie fügte gerade Text aus dem Übersetzungsprogramm in ein Dokument ein und versuchte eine Schlussfolgerung aus dessen Inhalt zu ziehen, die in ihren Augen einen Sinn ergeben könnte.

„Kommst du zu uns? Wir schauen uns einen Film an.“

Wanda blickte zu ihm auf, sie hatte ihn wahrscheinlich schon vor Minuten wahrgenommen.

„Lass mich hier ein wenig lesen, bitte.“

Maximilian nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihr.

„Hast du etwas gefunden?“

Wanda hob ihre Schultern.

„Nichts, von dem wir nicht schon wissen. Aber ich gewinne wenigstens langsam eine Ahnung davon, was da oben in diesem Kopf steckt.“

„Siehst du sie als Feind?“

Wanda blickte an ihm vorbei und wusste seine Frage nicht zu beantworten.

„Eher als ein Raubtier, dass ständig auf der Suche nach Beute ist.“

„Und du bist dann ihr Wärter?“ Mutmaßte Maximilian.

„Ja, so ähnlich stelle ich sie mir vor. Was mir Sorgen macht, ist die Tatsache, dass meine Empfindungen die ihren sind. Sie leitete sie ja an mich weiter, verstehst du? Es sind ihre Augen, ihre Ohren, ihre Haut. Ich muss immer wieder filtern, was ich wirklich fühlen und denken soll und alles dabei in Frage stellen.“

„Sei wach ihr gegenüber, Wanda. Mehr kannst du nicht tun. Halte dich an mich im Zweifel und wir entscheiden dann gemeinsam, wenn das möglich ist.“ Er lächelte und küsste ihr den Nacken.

„Ich gehe dann mal zurück, bevor ich mit Maks noch Ärger bekomme. Die Kleine ist so ganz anders als der Rest ihrer Familie, viel energievoller und aufgeweckter.“

Wandas Gesicht hellte sich auf, wenn sie an das Mädchen dachte. Die Kleine hielt sich gerne in ihrer Nähe auf, versuchte sie zu imitieren, wenn sie das konnte, ließ sich gerne von ihr auf den Arm nehmen und hoch in die Luft werfen. Wie oft hatten sich die Kinder vor ihr versteckt und sie ahnungslos herumgesucht, ohne sie zu finden? Dabei zeigte das Kee ihr ganz deutlich an, wo sie sich vor ihr verbargen, egal wie ausgefallen ihre Verstecke auch waren.

„Komm nach, wenn du hier fertig bist. Unsere Freunde sind dann ruhiger und müssen sich keine Sorgen mehr um dich machen.“

Wanda versprach es, blickte Maximilian noch einen Moment lang nach und kopierte dann das nächsten Textstück und fügte dieses in das Übersetzungsprogramm ein.

Der Film dauerte fast zwei Stunden und handelte von einem Mädchen, dass unbedingt zur See fahren wollte, um ihren vermissten zu suchen. So verkleidete sie sich schließlich als Junge und heuerte unter einem falschen Namen auf einem Schiff an. Dort lernte sie ein paar neue Freunde kennen, die ihr halfen, mit dem harten Schiffsalltag zurechtzukommen, und sie entwickelte sich so zu einem angesehenen Mitglied der Besatzung. Jahre später stieg sie zum Bootsmann auf und erst als sie im Kampf mit einem Sturm, beim Reffen der Segel verletzt worden war, entdeckte der Schiffsarzt ihr Geheimnis. Der stellte fest, dass der Bootsmann eigentlich eine Bootsfrau war und so wurde sie im nächsten Hafen ohne Heuer und mit Schimpf und Schande von Bord gejagt.

Nur ihre Freunde hielten noch zu ihr, heuerten ebenfalls ab und zusammen machten sie sich weiter auf die Suche nach dem vermissten des mittlerweile zur Frau herangewachsenen Mädchens. Nach Jahren erfuhr es dann schließlich vom Tod ihres Papas und haderte mit sich selbst und all den Mühen, die es auf sich genommen hatte, um ihn zu finden.

Einer ihrer Freunde war es schließlich, der ihr aufzeigte, dass der gemeinsame Weg schließlich ihr aller Ziel geworden war und spendete ihr Trost und den Glauben an eine gemeinsame und glückliche Zukunft. So heiratete sie ihn, kaufte mit ihren Freunden zusammen ein eigenes Schiff und fuhren gemeinsam wieder auf die weite See hinaus. Ende gut, alles gut.

Maximilian seufzte. Kein besonders ansprechender Film, aber was soll´s. Seinen Besuchern hatte er gefallen. Sie waren ziemlich anspruchslos und staunten über all die Bilder, die sie zuvor noch nie gesehen hatten.

Für Maks stand fest, dass dieses Mädchen Wanda hieß, obwohl es einen ganz anderen Namen trug und jedes Mal, wenn es auf der Leinwand auftauchte, kam sie nach vorne gelaufen, deutete mit ihrem überlangen rechten Zeigefinger auf die Trickfilmfigur und drehte sich zu ihrer Familie um.

„Nda! Nda!“

Die übrigen Rads fielen mit ein und so schallte alle paar Minuten die Fragmente von Wandas Namen durch den Raum. Anfangs belustigt über den Eifer der Kleinen, fühlte Maximilian sich schnell genervt und bot alles an Willenskraft auf, um bis zum Schluss des Filmes durchzuhalten. Ansonsten blieben die Alten ruhig, schliefen aneinander gelehnt ein oder hockten beisammen, kraulten oder streichelten sich oder brabbelten leise vor sich hin.

Als Wanda schließlich in der Tür auftauchte, rief sie die Gruppe zum Essen und allesamt wackelten in höchster Eile zur Kantine, setzten sich in deren Mitte auf den nackten Boden und warteten ungeduldig auf ihre Schüsseln, die Wanda ihnen reichen würde. Das Benutzen von Besteck kannten sie nicht und so schlürften sie das Essen vom Rand aus oder nahmen ihre Finger zu Hilfe. Satt wurden sie nie und egal wie viel Wanda ihnen hinstellte, es wurde gegessen.

Auch hier stellte Maks eine Ausnahme da, denn sie versuchte mit Löffel, Messer und Gabel zu hantieren, was ihr nach Wochen der Übung auch langsam gelingen wollte. Iga betrachtete den Wunsch des kleinen Mädchens, Maximilian und Wanda nachahmen zu wollen, mit Sorge. Vielleicht weil sie nicht wusste, ob das den Zusammenhalt ihrer Gruppe gefährden würde? Maximilian war ein guter Beobachter und sprach das Oberhaupt der Familie daraufhin an.

„Wovor hast du Angst, Iga? Maks ist klug, sie wird euch mit dem helfen können, was sie bei Wanda und mir gelernt hat.“

Iga blickte treuherzig zu ihm auf, nahm seine Hand und schüttelte schließlich bedächtig ihren kleinen Wackelkopf.

„Glug we han, Maksch. Ir sad de dum!“

Maximilian lachte und erzählte Iga von all dem, was die Menschen erfunden und erreicht hatten. Waren sie nicht auf den Mond geflogen? Hatten sie nicht all ihre natürlichen Schwächen in Stärken verwandeln können? Er beschrieb Bilder von Künstlern, die ihn bewegt haben, von Musik, die ihn zum Tanzen brachte, von Filmen, die ihn tief berührt haben. Schon allein das, was ihnen heute Wanda zu Essen gemacht hatte …, war es nicht ein Fest für Iga und ihre Gruppe gewesen? Sie ernährten sich sonst von Insekten, Pflanzen, Pilzen und kleinen Tieren.

Sie blickte zu ihm auf und schien sich zu erinnern.

„Smak tut all wen Hunger han. Lat us wid oben gan, Maksch. Her unt we werd swak.“

Iga blickte treuherzig zu ihm auf.

„Aber Iga! Ihr seid hier in Sicherheit. Was ist mit den Schwarzhemden dort oben über uns? Sollen sie wieder Jagd auf euch machen und grausam töten? Was ist mit dem Winter, der bald kommen wird? Habt ihr Vorräte angelegt?“

Iga schien einzusehen, dass er, zumindest was den Winter betraf, Recht hatte.

„Nak de Winte we gan, ja? He unt we werd swak, Maksch.“

Er verstand nicht, was Iga ihm da zu erklären versuchte und sprach mit Wanda darüber. Auch sie hatte keine Ahnung, worauf die Besucherin hinaus wollte und nahm sich vor selbst mit ihr zu reden. Stunden später, er hatte längst das Gespräch mit der Alten vergessen und im Lager des Geheimdienstes an Fensterabdeckungen gearbeitet, trat Wanda an ihn heran.

„Weshalb baust du das?“

„Ich möchte damit die kaputten Fenster im Büro abdichten. Wenn ich sie ordentlich einpasse, dringt abends kein Licht nach draußen, das uns verraten könnte. Du hast es selbst damals vorgeschlagen, erinnerst du dich?“

„Aber ich passe doch auf uns auf, oder nicht?“

Maximilian hob die Platte an, musterte ihre Oberfläche und stellte sie neben den kleinen Arbeitstisch zu den anderen.

„Ja, aber vielleicht gibt es Situationen, in denen du nicht in der Nähe bist? Solche Augenblicke wird es geben und ich möchte auf sie vorbereitet sein. Keine Risiken mehr, verstehst du?“

Er wandte sich zu Wanda um.

„Sag nichts, ich ahne schon, in welche Richtung du denkst.“

„Es kommt ja auch nicht von ungefähr, oder? Versprich mir einfach nur bitte, dass wenn wir wieder nach oben gehen, du mehr auf mich hörst.“

Er versprach es ihr hoch und heilig, wenn auch nicht mit einem sonderlich ernsten Gesichtsausdruck. Wanda nahm es hin und wollte nicht mit ihm streiten.

„Ich habe mit Iga gesprochen und kann sie verstehen, Max. Sie haben sich dem Leben dort oben angepasst und können ihm nur auf ihre Art standhalten. Von daher sind sie wirklich klüger als wir, verstehst du? In dem sie sich nämlich auf das Wesentliche konzentrieren, was das Leben ausmacht. Nahrung suchen, schlafen, füreinander da sein und nach einem Platz suchen, an dem sie Schutz und etwas Geborgenheit finden können.“

„Und was ist mit Maks? Was mit den Schwarzhemden?“

Wanda hatte auch schon darüber nachgedacht. Auch sie machte sich Sorgen um ihre Schützlinge.

„Maks wird sich nicht aufhalten lassen, das ist Iga bewusst. Aber sie bittet uns dennoch darum, die Kleine nicht all zu sehr aus ihrer Gruppe herauszulösen.“

„Bleiben sie erst einmal bei uns?“

Wanda nickte.

„Ja, zumindest bis wir beide die Lage in der näheren Umgebung geklärt haben. Sie wollen aber auch so in der Nähe bleiben und zu uns kommen, wenn ihnen Gefahr droht.“

Maximilian nickte und wandte sich wieder zu seiner kleinen Werkbank um.

„Ich habe Angst, Wanda. Das geht also nicht nur dir so. Ein paar Stunden waren wir da oben und ich wäre zweimal mit Sicherheit gestorben, wenn du nicht da gewesen wärst. Wie es unsere Besucher geschafft haben, sich über Jahre hinweg diesen Wahnsinnigen zu entziehen, das ist mir ein Rätsel.“

„Iga ist klüger, als du glaubst. Sie weiß ganz genau was sie tut und wohin sie die Gruppe führen möchte.“

„Schön. Vielleicht bin ich ihnen gegenüber wirklich zu arrogant von meiner Denke her. Sie kennen sich aus, ich nicht, damit hat sie also recht. Egal! Ich bereite uns so weit wie möglich vor und wenn wir das nächste Mal dort oben sind, werden wir in allem vorsichtiger sein.“

„Du vor allem!“ Korrigierte ihn Wanda.

Maximilian seufzte.

„Ja, ich weiß schon.“

Sie strich ihn sanft mit einer Kralle ihrer rechten Hand über seinen Nacken, küsste ihn auf seine Wange und strich mit ihrer Linken über seinen Schritt.

„Kommst du gleich ins Bett?“

Maximilian zeigte sich einverstanden, räumte seinen Arbeitsplatz auf und ging wieder mit ihr zusammen zurück ins Archiv.

Weitere Wochen und Monate verstrichen und Maximilian sah immer wieder aufs Neue bestätigt, dass Iga Recht hatte. Das Ausbleiben von Gefahrensituationen, die von Wanda gereichten Speisen, die Kleidung, welche Maximilian ihnen angefertigt hatte, all das war für die Besucher zur Selbstverständlichkeit geworden. Dazu waren ihre einst ausgemergelten Körper mit der Zeit wesentlich kräftiger und belastbarer geworden. Viermal hatte es bisher in der Gruppe Streit gegeben, für Wanda und Maximilian keine große Sache, doch für Iga kam das einer Katastrophe gleich. Sie kannte solch ein Verhalten unter ihren Freunden nicht. Auch die Kinder entfremdeten sich voneinander und so suchte Maks vor allem Kontakt zu Wanda und Maximilian, während sie ihre beiden Freunde immer mehr außen vor ließ. Die folgten ihr zwar weiterhin auf Schritt und Tritt, doch ein gemeinsames Spiel kam zwischen ihnen kaum noch zustande.

Wanda hatte im Winter drei Exkursionen an die Oberfläche unternommen, den näheren Umkreis des Gebäudes abgesucht und Maximilian schwärmerisch von der Winterlandschaft berichtet. Bei ihrer letzten Rückkehr an die Oberfläche, hatte sie 24 Grad Kälte gemessen und außer dem Heulen von Hunden oder Wölfen und ein paar Pfotenspuren im Schnee keine Anzeichen von Leben entdecken können.

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