1 Die Hochzeit

Eine neue Welt und neue Leute. Viel Spaß beim Lesen.

Aus gegebenem Anlass: Copyright© 2021 Phiro Epsilon

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Pascal

Er fiel mir sofort auf. So jemand wie er passte nicht in das normale Publikum meiner Stammkneipe, die eigentlich nur von Studenten frequentiert wurde.

Er war alt, hatte seine langen, weißen Haare zu einem Zopf gebunden, trug eine Biker-Kutte, eine abgetragene Jeansjacke mit allen möglichen Aufnähern. Und dann war da noch sein Blick. Durchdringend musterte er mich aus blauen Augen.

„Was ist?“, fragte ich vielleicht etwa barscher als ich sollte, doch ich war schlecht gelaunt. Dauerzustand. „Habe ich etwas im Gesicht hängen?“

Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich habe mich nur gefragt —“ Seine Stimme war tief und voll. „— was einen jungen Mann wie Sie, mit einem Ehering am Finger, an einem Abend wie diesem dazu bringt, allein in einer Kneipe zu sitzen und in sein halbvolles Bierglas zu starren.“

Ich holte tief Luft. Eigentlich gingen meine Eheprobleme niemanden etwas an. Aber der Typ hatte etwas an sich …

„Der Ehering wird wohl nicht mehr lange da stecken“, erklärte ich. „Meine Frau ist gerade zu ihrer Mutter zurückgegangen.“

„Oh“, sagte er. „Das tut mir leid. Wieso denn? Gibt’s eine Geliebte — oder einen Geliebten?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Wir —“ Was war es eigentlich, das uns auseinandergebracht hatte? „Wir passen nicht zusammen.“

„Ach!“

„Am Anfang war alles toll —“

Wir waren uns an der Uni immer wieder über den Weg gelaufen. Im ersten Semester besuchten wir dieselben Vorlesungen. Sie studierte Informatik, ich Biochemie, aber wir sahen uns schon bei der großen Einführungsveranstaltung und in den Grundlagen der Informatik, die ich auch belegt hatte.

Im zweiten saßen wir nebeneinander — ich hatte inzwischen Informatik als Nebenfach und sie wollte etwas über Biologie lernen. Außerdem trafen wir uns bei Fachschaftsfeten und ich hatte eine sturmfreie Bude. Natürlich nur zum Reden.

Im dritten Semester nahmen wir uns eine gemeinsame kleine Wohnung. Natürlich nur, weil es billiger war.

Im vierten kriegte ihre Mutter das mit der Wohnung mit, und wir heirateten. Nur standesamtlich — wir hatten nicht viel Geld — aber ihre Mutter bestand darauf und meine hatte nichts dagegen.

„Und dann kam wohl der Alltag“, vermutete er.

„Wir lieben uns“, sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm. „Aber es klappt hinten und vorne nicht. Auch nicht mit dem Sex.“

Am Anfang hatten wir so ziemlich alles ausprobiert, was man zu zweit ausprobieren konnte, doch Ruth hatte an nichts wirklich Gefallen gefunden, also hatten wir auch fast nichts ein zweites Mal getan.

Irgendwann hatten wir nur noch nebeneinander im Bett gelegen und für unsere jeweiligen Prüfungen gelernt. Zusammen, aber doch jeder allein. Und jetzt war ich ganz allein.

„Wenn wir nur richtig verheiratet wären“, hatte sie ab und zu gesagt, doch ich hatte sie nur angestarrt. Wir waren doch richtig verheiratet. Wir hatten auch beide nicht viel mit der Kirche am Hut. Ihre Mutter war da wohl die treibende Kraft — wie bei so vielem.

Meine hatte mich in den Arm genommen und gesagt: „Du wirst schon das Richtige tun.“ Doch ihrer war ich nicht gut genug.

„Sie will eine richtige Hochzeit. Weißes Kleid, Blumenkinder, all der Kladderadatsch.“

„Und Sie wollen das nicht?“

Ich zuckte die Schultern. „Wenn es uns wieder zusammenbringt, natürlich — Aber was das kostet! Es ist ja nicht so, als ob wir oder unsere Mütter im Geld schwimmen würden.“

„Es kann gut sein“, meinte er nachdenklich, „dass Ihre Frau andere Prioritäten hat.“

Ich seufzte tief.

„Wenn Sie eine Möglichkeit hätten“, fuhr er fort, „für eine ‚richtige‘ Hochzeit, würden Sie sie ergreifen?“

Ich zuckte erneut die Schultern. „Schon —“

„Hmmm“, machte er. „Ich hätte da nämlich eine Idee.“

Ich runzelte die Stirn. Ein völlig würde mir wohl nicht so einfach eine Hochzeit spendieren.

„Sehen Sie: Ich besitze eine Ferienanlage draußen an der Müritz. Sehr exklusiv und teuer.“

Ich blickte ihn von der Seite an. Was war denn das?

„Jetzt hat ein Mitbewerber ein ganz ähnliches Resort in der Nähe aufgemacht. Noch exklusiver und noch teurer.“

„Was hat das mit mir zu tun?“

„Ich will diesen Wettkampf nicht mitmachen. Stattdessen werde ich meine Preise senken, junge Paare und Singles anlocken. Verlobungen und Hochzeiten ausrichten — sozusagen All Inclusive. Essen, Trinken, Dekoration, Einladungen, all die Kleidung, die man nur einmal im Leben anzieht —“

„Und?“

„Sie wären doch gute Versuchspersonen, nicht? Jung, nicht sehr vermögend. Drei Tage in meinem Resort, um die Liebe neu zu entdecken.“

„Und was haben Sie davon?“

„Sie müssten natürlich am Ende einen ausführlichen Fragebogen ausfüllen; Ihre Frau ebenfalls.“ Er grinste verlegen. „Ich gehöre nicht zur richtigen Altersgruppe, um die Qualität zu beurteilen.“

„Hmmm“, sagte ich. „Lust hätte ich schon. Aber es hängt davon ab, was Ruth dazu meint.“

Er blickte auf die Uhr und lächelte mich an. „Schauen Sie auf Ihr Handy.“

„Was?“ Ich griff in die Hosentasche. „Eine neue Videonachricht“, prangte auf dem Display. „Sie haben schon mit ihr gesprochen?“

Er zuckte die Schultern. „Schauen Sie sich die Nachricht an.“

„Hallo, Pascal.“ Ruth blickte etwas verwirrt drein. „Da war dieser weißhaarige Kerl. scheint ihn zu kennen. Auf jeden Fall hat sie gemeint, wir sollten uns anhören, was er zu sagen hat. Und sie meint auch, das wäre doch eine geniale Idee, dass er uns unsere Hochzeit bezahlt.“

Ich stöhnte genervt auf und drückte auf Pause. Da war es wieder, unser größtes Problem.

„Was ist?“, fragte der Mann, dessen Namen ich noch nicht kannte.

„Sie hört immer nur auf ihre .“ Ich kotzte das letzte Wort geradezu heraus. „Mama hier, Mama da. Nie trifft sie mal selbst eine Entscheidung.“

„Und Ihre Eheprobleme?“

„Genau. ‚Mama‘ ist total gegen Sex eingestellt. Seit Ruths Vater sie verlassen hat, hat sie keinen Mann mehr angeschaut. ‚Mama‘ ist auch gegen Sex vor der Ehe. Und eine Ehe ohne eine richtige Hochzeit ist für sie nicht gültig.“

„Hmmm“, sagte er nachdenklich. „Und wie ist Ihr Verhältnis zu ihren Eltern?“

„Einzahl. Meine Mutter lebt auch allein. Allerdings ist sie das absolute Gegenteil. Sie unterstützt mich, und sie ist keine Kostverächterin.“ Ich runzelte die Stirn. Was brachte mich eigentlich dazu, vor einem Mann intime Geständnisse zu machen, den ich überhaupt nicht kannte?

Er lachte leise. „Sind Sie beide Einzelkinder?“

Ich nickte langsam. hatte immer gesagt, ich wäre so perfekt, da könnte nichts Besseres nachkommen. Und Ruths Mutter würde eher aus dem Fenster springen, als einen Mann an sich heranzulassen. Ruths Vater musste sie wohl sehr verletzt haben.

Er blickte mich fragend an.

Ich zuckte die Schultern. „Was soll’s? Ein kostenloses Wochenende mit Hochzeit für ein paar Stunden Fragen beantworten, hört sich für mich wie ein Schnäppchen an.“

„Super!“ Er grinste übers ganze Gesicht und sah mit einem Mal viel jünger aus. „Kommen Sie!“

„Was?“ Ich starrte ihn an. „Jetzt etwa?“

„Haben Sie etwas Besseres vor?“ Er warf einen Hunderter auf den Tresen. „Behalten Sie den Rest“, sagte er zu dem Barkeeper.

„Und Ruth? Ihre Mutter? Ich sollte wenigstens meiner Mutter Bescheid sagen.“

„Können Sie. Rufen Sie sie an. Die Limousine steht gleich um die Ecke. Auf jetzt!“

Ich stand auf und lief mit ihm hinaus. Warum eigentlich? Was brachte mich dazu, dem Kerl zu vertrauen, den ich vor fünf Minuten noch nicht gekannt hatte? Aber sein Enthusiasmus war einfach zu ansteckend.

Ruth

Ich wachte auf und fühlte mich — anders. Nun ja. Seitdem der weißhaarige Kerl bei uns zu Hause aufgekreuzt war, hatte sich einiges verändert. Mama, die sonst Männern überhaupt nicht zuhörte, hatte ihn nicht nur hereingebeten und ihm ihren besten Whisky angeboten, sondern auch zu allem ja gesagt, was er ihr vorgeschlagen hatte. Ich hatte sie nur angestarrt.

Doch als er mich dann mit seinen himmelblauen Augen ansah, fast der gleiche Farbton wie bei meinem Ehemann, war es auch um mich geschehen. Hätte er mich in dem Moment haben wollen, ich hätte nicht nein gesagt. Ich hätte wohl auch nicht ja gesagt, aber das lag an meiner chronischen Unentschlossenheit und nicht an der fehlenden Anziehung. Doch dann schüttelte ich den Kopf, um die Spinnweben zu vertreiben. Es konnte nicht sein, dass ich den Kerl schon einmal gesehen hatte. Der weiße Schopf wäre mir in Erinnerung geblieben.

Ich wollte protestieren, aber tat es nicht, also hatten die beiden mich einfach mitgerissen. Wortwörtlich. Raus aus dem Haus, rein in eine Limousine, und dann ab in die mecklenburgische Pampa.

Nicht, dass ich davon viel mitbekommen hatte. In der Limo dudelte Entspannungsmusik, von draußen hörte man nur das leise Rauschen des Fahrtwinds, und ein Glas Champagner war der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Ich schaffte es gerade noch, Pascal eine Videonachricht zu schicken, bevor ich in Morpheus‘ Armen versank.

An gestern konnte ich mich kaum erinnern. Von einer Beauty- und Wellnessbehandlung zur nächsten. Irgendwann lag ich — „Ach du Scheiße!“ Ich riss die Bettdecke zur Seite und blickte an meinem — splitterfasernackten — Körper hinunter. Ich hatte tatsächlich nicht geträumt. Kein einziges Härchen trübte den Blick. Weder auf oder unter den Armen noch auf den Beinen und auch nicht zwischen meinen Beinen.

Ich hatte also wirklich irgendwann nackt mit gespreizten Beinen auf einem Stuhl gelegen, während zwei junge Frauen meinen ganzen Körper mit irgendeiner Creme einrieben, die meine Haare schmerzlos entfernte.

Es klopfte an der Tür. „Frau Theißen“, hörte ich eine Frauenstimme. „Sind Sie wach? Wir müssen zur Anprobe!“ Sächsischer Dialekt. Das musste die Dunkelhäutige von den beiden sein.

Anprobe? Scheiße ja! Heute war mein Hochzeitstag und ich hatte noch kein Kleid. „Einen Moment!“ Ich sprang aus dem Bett und blickte mich um. Meine alten Klamotten waren schon gestern verschwunden gewesen. Das Einzige, was mir ins Auge fiel, waren Shorts und ein Sport-BH. Plus ein Paar Ballerinas und ein kurzer Bademantel.

Was hätte Mama gesagt, wenn sie mich so gesehen hätte? Doch eigentlich war es mir egal. Ich grinste bösartig in den Spiegel. Das war mein Tag.

Ich riss die Tür auf. „Gehen wir!“, sagte ich zu der jungen Frau.

Der Flur, durch den wir liefen, war eigentlich ein mit Glas überdachter Weg zwischen Bungalows hindurch zum Haupthaus. Holzfliesen und Wiesenblumen. Überall waren Leute dabei, die Scheiben zu reinigen.

Sie führte mich in einen der anderen Bungalows. In dem Moment, da sie die Tür öffnete, hörte ich schon die schrille Stimme meiner Mutter. Ich schüttelte den Kopf. War sie mal wieder dabei, alles in ihrem Sinn zu organisieren?

Ich räusperte mich lautstark. „Was ist das Problem?“

Mama fuhr herum. „Diese Klei— Wieso läufst du halbnackt herum?“

„Sind ja nur ein paar Schritte zwischen den Bungalows.“

Ich blickte über die Auswahl an Brautkleidern, die jemand im ganzen Raum verteilt hatte. „Wow!“ Eines war schöner als das andere.

„Nur ein einziges davon“, sagte Mutter, „ist auch nur halbwegs akzeptabel.“

Dasjenige, auf das sie wies, hatte lange Ärmel, Rocksaum auf dem Boden und war am Hals geschlossen. Mit Stickereien und Kristallen besetzt. Ein wunderschönes Kleid — für eine Achtzigjährige oder im Sarg.

Ich lief langsam an der Präsentation entlang. Mein Blick fiel auf eines, das meiner Mutter sicher einen Herzanfall verpassen würde. Wie würde wohl Pascal reagieren, wenn er mich darin sah? „Das hier“, sagte ich. „Das will ich haben.“

Mama keuchte auf. „Das ist—“

„—meine Hochzeit“, unterbrach ich sie. „Meine Entscheidung.“ Ich starrte sie herausfordernd an.

Ja, etwas war mit mir geschehen. Vorgestern hätte ich nie im Traum daran gedacht, meiner Mutter zu widersprechen. Und dann auch noch vor einer ganzen Horde von Frauen, die uns gebannt musterten.

„Du kannst doch nicht —“ Diesmal unterbrach sie sich selbst. Sie starrte mich stumm an und wartete wohl auf eine Entschuldigung.

„Doch, ich kann. Und wenn du das nicht mit ansehen kannst, könntest du dich vielleicht um ein eigenes Kleid kümmern.“ Meine Stimme troff geradezu vor Sarkasmus. Ich hatte noch nie so mit meiner Mutter gesprochen.

Ihre Kinnlade fiel herunter. Ihre Augen wurden groß. Ich konnte gut verstehen, dass sie geglaubt hatte, ich würde ohne Widerspruch die Art von Hochzeit mitmachen, die sie sich vorstellte.

Wortlos drehte sie sich um und verschwand.

Beifall brandete auf. Ich holte erst einmal tief Luft, dann verneigte ich mich theatralisch.

„Also das hier?“, fragte die Frau, die hier die Chefin zu sein schien, und nahm das Kleid in die Hand, das ich mir ausgesucht hatte. „Sie haben auf jeden Fall die Beine dafür.“

Pascal

Mir stockte der Atem, als Ruth am Arm ihrer Mutter langsam zu Orgelklängen auf mich zu schritt.

Das Kleid — O. Mein. Gott. Vorne bedeckte es gerade so ihren Schritt. Selbst ihre Strumpfbänder waren zu sehen. Hinten fiel es in einer langen Schleppe auf den Boden. Nur ein fast durchsichtiger Überwurf machte aus erotischen Dessous ein fast züchtiges Hochzeitskleid.

Sie trug Highheels, die im Sonnenlicht glitzerten. Ein Bolerojäckchen, das genug von ihrem Dekolleté frei ließ, dass ich genau sehen konnte, wie das kleine Medaillon, das ich ihr zu unserer ersten Trauung geschenkt hatte, fast zwischen ihren Brüsten verschwand. Sie strahlte über ihr ganzes Gesicht; ihre Lippen feuerrot, ihre Wangen rosig, ihre Augen leuchteten.

Sie trug einen Strauß Vergissmeinnicht — meine Lieblingsblumen — in der Hand. Verdammt — meine Frau sah zum Anbeißen aus. So sexy hatte ich sie noch nie gesehen.

Sie kam näher und ließ ihren Blick über mich gleiten. Ich weiß nicht, was mich geritten hatte, doch mein Blick war bei der Anprobe auf einen weißen Anzug gefallen und ich wusste, dass ich ihn tragen würde. Auch wenn die Hose im Schritt viel enger war als alles, was ich je getragen hatte. Spätestens seit dem Moment, wo ich Ruth erblickt hatte.

Sie leckte sich über die Lippen, und ihr Lächeln schien mir fast lüstern zu sein. Es schien, als ob ich nicht der Einzige war, der sich innerhalb eines Tages verändert hatte.

Heute früh hatte ich mich im Spiegel angestarrt. Wann genau hatte ich meine Schamhaare verloren? Und wieso hatte ich das Gefühl, über Nacht zehn Zentimeter gewachsen zu sein? Ruth und ich waren ungefähr gleich groß — gewesen. Jetzt waren unsere Augen auf einer Höhe, obwohl sie ziemlich hohe Absätze trug.

Nicht verändert hatte sich die säuerliche Miene ihrer Mutter. Janitha hatte mich nie leiden können und ich hatte keine Ahnung wieso. Schon bei unserem ersten Treffen blickte sie mich an, als ob sie mich kennen würde. Als ob ich jemandem ähnlich sehen würde, der sie sehr verletzt hatte. Nun, womöglich sorgte dieser Tag dafür, dass wir in Zukunft besser miteinander auskamen. Auf jeden Fall zögerte sie, bevor sie mir Ruths Arm anvertraute.

Ruth dagegen zögerte nicht im Geringsten. Sie grinste über beide Backen. „Pascal“, hauchte sie ein bisschen atemlos.

„Ruth“, flüsterte ich zurück. „Heute ist der schö—“ Ich brach ab, als ich merkte, dass Ruth genau dieselben Worte zu mir sagte. Wir blickten uns tief in die Augen und vergaßen die Welt um uns her. Wäre da nicht das aufdringliche Räuspern des Pfarrers gewesen.

Ruth

Es war der schönste Tag in meinem Leben. Jeder einzelne Moment. Ich hatte gedacht, irgendwann käme der Punkt, an dem ich es nicht mehr aushalten würde. Ich hatte schon einige Hochzeiten besucht, und so glücklich das Brautpaar auch war, setzte doch irgendwann bei einem oder auch beiden Erschöpfung ein.

Ich hätte bei mir auf meine Füße gewettet. Die Highheels, die ich mir ausgesucht hatte, stammten von weit außerhalb meiner Komfortzone. Ich bin groß. Ich konnte Pascal immer in die Augen schauen und hatte nie das Gefühl, dass ich hohe Absätze anziehen wollte.

Frau Sägmüller, die Hausdame, hatte mich angegrinst. „Tu es, Kindchen. Hohe Absätze wirken Wunder für die Beine. Falls du es nicht mehr aushältst, winkst du mir einfach und ich bringe dir ein Paar Sneakers.“

Also hatte ich es getan. Umso überraschter war ich, dass ich Pascal immer noch in die Augen schauen konnte. Ich warf einen verstohlenen Blick auf die weißen Edel-Sneakers, die er trug — Männer! — doch nicht wies darauf hin, dass er irgendwo hohe Absätze versteckte. Wir passten perfekt zueinander, absolut perfekt.

Genauso perfekt wie der Rest der Feier. Ich traf Freundinnen wieder, die ich jahrelang nicht mehr gesehen hatte, und wir plauderten, als wären wir nie getrennt gewesen. Ich lernte Pascals Freundeskreis kennen, Jungs, mit denen er früher „um die Ecken gezogen“ war. Ich bekam Stories erzählt, die ihm die Schamesröte ins Gesicht trieben, und doch schien er es zu genießen, von ihnen freundschaftlich aufgezogen zu werden.

Auf jeden Fall sammelte ich so viele eMail-Adressen wie ich konnte und versprach allen, den Kontakt nicht wieder abbrechen zu lassen.

Selbst meine war gekommen. Mama hatte nur einen Bruder, den sie überhaupt nicht mochte — doch wen mochte sie schon — und ich hatte immer geglaubt, das würde auf Gegenseitigkeit beruhen. Mama hatte mich schließlich bekommen, als sie gerade mal achtzehn war, und behauptet, ihre Familie hätte es ihr nie verziehen, dass sie meinen Vater nicht geheiratet hatte.

Frieda versicherte mir im Brustton der Überzeugung, dass „nie verziehen“ absolut nicht der Wahrheit entsprach. Sie und Onkel Hannes hatten meiner Mutter ihre Hilfe angeboten, sie hätte zu ihnen ziehen können, bis sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben würde. Doch Mama hatte sie links liegen gelassen.

Natürlich war ich misstrauisch, doch irgendetwas in mir sagte mir, dass ich zum ersten Mal die Wahrheit erfuhr, und ich nahm mir vor, ein ernstes Wörtchen mit meiner Mutter zu reden.

Nur unseren weißhaarigen Wohltäter vermisste ich. Ein paar Mal hatte ich das Gefühl, seine Mähne aus meinen Augenwinkeln zu sehen, doch beim nächsten Blick war er schon wieder verschwunden. Morgen, sagte ich mir, morgen musste ich ihn finden und mich bei ihm bedanken.

Gegen zehn am Abend hatten wir alle denkbaren Hochzeitsspiele und andere Riten hinter uns gebracht, das reichhaltige Buffet vollständig geplündert, und ich merkte, dass Pascal langsam nervös wurde. Mir ging es nicht anders. Das Kribbeln vom Anfang unserer Beziehung war zurück. Und es kribbelte überall. Vor allem zwischen meinen Beinen.

Ich verzog mich auf die Toilette— nicht einfach mit so einem Kleid — und stellte zu meiner Überraschung fest, dass mein dünner Slip aus weißer Spitze völlig durchnässt war. So etwas war mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Ganz in Gedanken hob ich ihn an meine Nase, doch es war nicht der Geruch von Urin, der mir entgegenwehte.

Seltsamerweise roch es auch nicht so, wie ich es von den seltenen Momenten kannte, wenn ich erregt gewesen war. Heute war es — wie so vieles — anders. Besser. Viel besser.

Okay, was tun? Ich hatte es ein einziges Mal im Leben gewagt, ohne Höschen aus dem Haus zu gehen, und war die ganze Zeit in Panik verfallen. Was, wenn mein Kleid hochwehte? Was, wenn ich hinfiel oder mich ungeschickt bewegte, und mein Unterleib sichtbar wurde? Doch irgendwie konnte ich die damaligen Gefühle überhaupt nicht mehr nachvollziehen. Ich hatte mich am Vormittag nach der Anprobe noch einmal im Spiegel gemustert und fand mich schön. Meine Schamlippen waren dick und öffneten sich bei der kleinsten Berührung einladend. Und ja, ich hatte sie zum ersten Mal im Leben berührt, ohne dass ein Waschlappen oder Klopapier die Haut meiner Finger und die meines Schambereichs — der Gedanke an das Wort hatte mich kichern lassen — trennte. Und das Gefühl hätte mich fast dazu gebracht, mich aufs Bett zu werfen und auszuprobieren, was Masturbation bedeutete. Im letzten Moment jedoch kam mir der Gedanke, dass ich das besser für meine Hochzeitsnacht aufheben würde. Die Idee, für meinen Mann meine Beine zu spreizen und mich mit meinen Fingern zu befriedigen brachte meine Erregung auf die Spitze.

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