„Guten Morgen, spreche ich mit Horst Grafenberger?“

Horst riss die Augen auf setzte sich aufrecht hin.

„Ja, der bin ich…!“

„Guten Morgen, Herr Grafenberger, Hauptkommissar Feldmann am Apparat. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Frau heute Morgen leider einen Autounfall hatte.“

Horst ist sprachlos.

„Und obwohl der Notarzt und der Krankenwagen schnell zur Hilfe kamen, ist sie leider auf dem Weg ins Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen verstorben.“

Horst wurde kreidebleich und ließ das Handy fallen, ich nahm es auf und beendete das Gespräch mit dem Polizisten.

„Hella, sie ist….. tot!“

„Was, das gibt es doch nicht.“

Unter Tränen erzählt er mir, was er gerade erfahren hatte. Ich nehme ihn in den Arm und er schluchzt wie ein kleines Kind.

Seit dem war nichts mehr wie vorher. Horst hatte vorerst aufgehört zu leben, er existierte und funktionierte nur noch. Das mit der Beerdigung und der Haushaltsauflösung kriegte er hin, aber zu Hause und im Büro musste ich ihn vertreten, was ich auch bereitwillig tat. Ich weiß nicht, ob er mir die Leitung der Kanzlei auch ohne dass wir zusammengekommen waren, übertragen hätte. Aber es machte eigentlich auch keinen Unterschied.

In vielen Beziehungen kommt es zur Bewährungsprobe wenn die Zeiten hart werden, aber dann hat man oftmals schon eine gewisse Zeit hinter sich. Wir standen ja eigentlich erst am Anfang, aber das spielte eigentlich keine Rolle, schließlich waren wir seit über 10 Jahren schon Kollegen und Freunde.

Als dann so ziemlich alles abgewickelt war, fiel Horst noch mehr in ein Loch, er hat zu nichts mehr Lust und saß nur auf der Terrasse und starte auf die Wasseroberfläche vom Whirlpool. Ich musste dringend etwas finden, denn langsam wurde es zu kühl um stundenlang draußen zu sitzen. Aber was sollte ich machen, kaum einer wusste Bescheid, den ich hätte zu uns einladen können um Horst auf andere Gedanken zu bringen.

Doch die nächsten dunklen Monate blieb alles unverändert und ich leistete ihm Gesellschaft und war für ihn da, aber mehr als das Fernsehprogramm oder den Essensplan besprachen wir nicht. Er grübelte viel und ich las als Vorwand um ihm über meinem Buchrand beobachten zu können, viele Bücher, ohne sie wirklich zu lesen.

Der 1. Advent stellte dann unerwarteter Weise eine erste Wendung zum besseren dar. Als ich die Deko aus dem Keller holte und im Flur abstellte, rechnete ich nicht wirklich mit einer Reaktion seinerseits, doch er kam neugierig aus der Küche und trug die Kiste sofort ins Wohnzimmer. Ich holte die nächste Kiste und als ich ebenfalls ins Wohnzimmer trat, da hatte er schon alle Schwippbögen, Pyramiden und Rauchermännchen ausgepackt und überall im Raum verteilt und ich sah das erste Mal einen Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht.

Horst bemerkte mich gar nicht, so stellte ich einfach die Kiste ab und ging erneut in den Keller. Vielleicht hatte ich jetzt etwas gefunden, womit ich ihn erstmals aus der Reserve locken konnte. Nach 5 Kisten Weihnachtsdeko holte ich auch noch die alten Vinyl Schallplatten hoch und als ich damit ins Wohnzimmer zurückkam, schaute mich Horst an und strahlte über das ganze Gesicht:

„Schallplatten?“

Sofort kam er auf mich zu gerannt und blätterte in den Platten. Er fand eine alte Peter Alexander LP und lief mit ihr zum Plattenspieler und legte sie sogleich auf. Nachdem das obligatorische Glockengeläut am Anfang jeder Weihnachtsplatte vorbei war, erklang Jingle Bells, was bei Peter Schlittenfahrt im Schnee hieß und sogleich begann Horst durchs Zimmer zu tanzen. Er beachtete mich gar nicht weiter und bekam somit gar nicht mit, wie überglücklich ich ihn beobachtete. Ich stellte die Kiste mit den LPs vor der Stereoanlage ab und wollte mich auf die Couch setzen.

Das war gar nicht so einfach, denn hier hatte er den Inhalt von 5 Kisten über Couch und Tisch verteilt. Ich verschaffte mir Platz und „vertiefte“ mich in das Cover der LP, nur um ihn bei seinem weiteren Verhalten zu beobachten. Als er die einzelnen Stücke thematisch verteilt hatte, entdeckte er die Weihnachtszipfelmützen und setzte sich spontan eine auf und kam mit einer weiteren zu mir. Als er mir die Mütze aufsetzte, entdeckte er die Tränen der Freude in meinen Augen und setzte sich neben mir.

„Danke für alles! Ich glaube, ich habe jetzt genug getrauert. Jetzt lass uns zusammen Weihnachten feiern. Unser erstes gemeinsames Weihnachten. Nur Du und ich!“

Ich nickte und für den Rest der Plattenseite kuschelten wir Arm in Arm auf der Couch.

Als er die Platte umgedreht hatte, übernahm er die Leitung und wies mich an, wo ich welches Teil aufzustellen hatte. Ich ließ ihn gewähren und war froh, ihn so aktiv und glücklich zu sehen. Als wir den größten Teil aufgestellt hatten, kümmerte ich mich ums Abendessen und Horst spielte eine Platte nach der anderen, die ich zum Teil über Jahre wenn nicht Jahrzehnte nicht mehr gehört hatte. Heintje, Andrea Jürgens und Roger Whittaker, sowie viele Sampler aus diversen Fernsehsendungen wie Der große Preis und ein Herz für Kinder erklangen in unserem Zuhause, in dem sich mehr und mehr die düstere Stimmung seit dem Sommer verzog.

Nach dem Essen schmiedeten wir weitere Pläne. Weihnachten sollte uns gehören, aber zu Sylvester wollten wir die engsten Freunde einladen und dort wollte Horst nun endlich auch alle einweihen über uns. Ich hatte nichts dagegen und wollte ihn in seinem wiederentdeckten Tatendrang schon gar nicht bremsen.

Im neuen Jahr kam er dann auch das erste Mal wieder ins Büro. Ich vermutete das er jetzt wieder die Leitung übernahm. Aber er machte nur noch den Senior, schaute nach dem Rechten, aber überließ mir weiterhin das Ruder. Ich war mittlerweile so gewöhnt alles für uns zu wuppen, sowohl beruflich als auch privat, dass ich nichts gegen ein bisschen weniger Arbeit einzuwenden gehabt hätte. Doch Horst hatte andere Pläne.

Nach dem Mittag war er meist schon wieder verschwunden, kümmerte sich dafür im Haushalt um alles. Die Wäsche war gewaschen, gebügelt und im Schrank verstaut. Das Essen war gekocht, der Kühlschrank voll und das Haus blitzte von oben bis unten. Dass er unsere Perle nun doppelt so viel engagiert hatte, hatte ich gar nicht mitbekommen, aber ich war mit alle dem vollsten einverstanden, besonders da es ihm von Tag zu Tag besser ging und er wieder zu seiner alten Form auflief.

Anfang Februar musste ich für eine Woche nach New York und fragte ihn, ob er mich nicht begleiten möchte, doch er lehnte ab, er habe andere Pläne. Ich war zwar enttäuscht aber akzeptierte seine Entscheidung, da ich sowohl viel Termine und Meetings haben würde und wir nur wenig Zeit für Shopping oder Sight Seeing gehabt hätten.

Als ich von der Geschäftsreise zurückkam, wusste ich dann auch welche Pläne er gehabt hatte. Er hat die 2. Terrasse zu einem Riesen Wintergarten umbauen lassen. Es gab viele Palmen und bequeme Sitzmöbel und einen offenen Kamin. Ich war sprachlos, als ich sah, wie sich in der einen Woche hier alles verändert hatte. Ich war total geplättet, so gut gefiel mir das Ganze.

Verlegen stand er auf und kam mir entgegen:

„Gefällt es Dir?“

„Und wie! Du Verrückter!“

„Und Du bist nicht sauer, dass ich hier alles umbauen ließ?“

„Nein, es ist doch jetzt auch Dein Zuhause. Nun gut, wir hätten vorher auch drüber reden können, was wenn es mir jetzt nicht gefallen würde?“

„Ich wollte Dich halt gerne überraschen!“

„Das ist Dir auch absolut gelungen.“

„Dann setz Dich hin und entspann Dich, ich hole uns was zum Anstoßen!“

Ich setzte mich hin und bestaunte noch einmal das Ganze und war so fasziniert von seiner geglückten Überraschung, dass mir die vielen Motorradkataloge auf dem Tisch noch gar nicht aufgefallen waren.

Wir stießen an und Horst wollte alles von meinem Trip hören. Bereitwillig berichtete ich und als ich fertig war, deutete Horst auf die vielen aufgeschlagenen Kataloge.

„Das ist mein nächstes Projekt! Ich will wieder Motorrad fahren!“

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