Ein schrecklicher Mensch

Acht Wochen waren seit der Nacht mit Kathi vergangen. Wochen, in denen ich mir über vieles Fragen stellte. Fragen, welche ich lieber ihr hätte gestellt hätte, aber das ging nicht.

Ich konnte Kathi einfach nicht mehr erreichen. Und als ich von ihrer neuen Beziehung erfuhr, musste ich mich selbst zwingen, sie in Ruhe zu lassen.

Ein Teil von mir nahm an, dass das nur was Vorübergehendes sein würde, und ich ein wenig warten müsse. Heute weiß ich es besser. Gut zwei Jahre später sollte Kathi diese temporäre Liaison ehelichen.

Aber das wusste ich natürlich damals noch nicht, weswegen ich alleine mit meinen Fragen leben musste.

Letztlich kam ich zu dem Schluss, dass Kathi wohl nicht bewusst gewesen war, dass ich vor ihr noch keiner Frau beigewohnt hatte. Das sie meine Erste gewesen war. Und ich dachte auch nicht, dass sie mich anschließend mit ihrer Abwesenheit quälen wollte, sondern die gemeinsam verbrachte Nacht als tröstendes Zusammensein zweier guter Freunde empfunden hatte.

Vielleicht war es ihr auch unangenehm, wenn jemand davon erfuhr; aber das konnte ich nur spekulieren.

Obwohl die Anzeichen für diese Haltung wahrscheinlich waren, da sie ja offensichtlich nie ernsthafte Interessen mit mir gehabt hatte.

Aber so kühl und rational ich das auch analysierte, und es sich jetzt sicherlich liest; sie ging mir nicht aus dem Kopf. Tags und Nachts. Vor allem Nachts. Jedoch ich wollte weder ihr, noch einer möglichen gemeinsamen Zukunft schaden, und so behielt ich unsere gemeinsame Nacht für mich.

Hatte ich in dem vorangegangenen Teil geschrieben, dass alle in meinem Bekanntenkreis liiert waren, und Kathi mit ihrer Trennung eine Ausnahme zu bilden schien, so wurde ich alsbald eines Besseren belehrt. Rückwirkend schien Kathi nur der Anfang einer massenhaften Trennungswelle gewesen zu sein.

Nach und nach zerbröckelten mehr und mehr Beziehungen vor meinen Augen; manche leise, die Meisten jedoch mit Getöse. Viele kehrten auch ihrem ‚alten‘ Freundeskreis den Rücken. Als ob sie vor den Geistern der Vergangenheit fliehen wollten. Manche zogen sogar in andere Regionen. Aber das war eher die Ausnahme.

Yvonne und Bernd, passe. Von jetzt auf gleich.

Cindy und Nils. Na gut, bei denen war es abzusehen gewesen. Und auch für beide das Beste. Meiner bescheidenen Meinung nach.

Cindy hatte allerdings anschließend ein noch schlechteres Händchen für einen potenziellen Partner bewiesen. Aber wie sagt man; wo die Liebe hinfällt wächst kein Gras mehr. Oder so ähnlich.

Eine Trennung muss ich Zuge meiner Geschichte etwas näher beleuchten. Gerade, weil sie so bizarre Wendungen in meinem Leben verursachte.

Das war die Trennung von Jens und Allessa.

Ohne Jens unnötig schlecht machen zu wollen; er war der typische Taugenichts. Ungefähr so groß wie ich, schlaksig im Auftreten.

Sein Leben bestand aus Zocken, sowohl Computerspiele als auch Geldautomaten, und dem Verzehr von Genussmitteln der legalen und illegalen Art. Und herum blödeln. Aus Sicht eines Kumpels alles völlig in Ordnung.

Und natürlich war er beschäftigungslos; wie hätte er sonst die Zeit gehabt seine, sagen wir mal, Hobbys zu pflegen. Am Anfang wunderte ich mich, woher er trotz permanenter Arbeitslosigkeit die nötigen finanziellen Mittel hatte, doch recht beachtliche Geldbeträge zu verklimpern; aber die Antwort darauf war recht simpel: Allessa.

Bei Allessa war eine Art rauhe Schönheit zu bemerken; um sich das besser Vorstellen zu können vergleiche ich sie hier mal mit dem Modell Maria Moore. Die Gesichtszüge hatten eine gewisse Ähnlichkeit; wobei Allessa bei weitem nicht so üppig ausgestattet war. Damals.

Alles in Allem konnte man schon angenehme Kurven sehen. Breite Schultern. Schätzungsweise ein gutes C- bis D-Körbchen. Schmale Taille, breites Becken. Und recht stramme Schenkel, ohne dick zu wirken.

Obwohl man da schon den Hang zur Fettleibigkeit im fortschreitenden Alter erahnen konnte, war sie recht attraktiv damals. Aber all das machte sie durch ihre schroffe Art wieder wett.

Allessa war gerade mit ihrer Ausbildung fertig geworden und wurde von ihrem Betrieb übernommen. Und so konnte sie Jens Lebensstil stützen. Ich konnte das überhaupt nicht verstehen, aber nach einem einprägendem Moment unterließ ich jegliche Einmischung.

Ungefähr ein Jahr, bevor diese Geschichte spielt, fand ich mich unverhofft in meinem Auto mit Allessa sitzend, während sie mir vor jammerte, wie sehr sie all das anwidern würde.

Die Zockerei.

Das ständige kiffen.

Das unbestätigte Gefühl, dass Jens ihr nicht treu war.

Allessa und ich kannten uns da noch nicht allzu lange; so dass ich mich schon wunderte, wie offen sie mir ihren Kummer schilderte.

Als ich ihr dann, nachdem sie sich ausreichend Luft gemacht zu haben schien, in meiner unendlichen Dummheit die Frage stellte, warum sie dann nicht lieber die Beziehung beendete, lernte ich recht schnell die andere Seite Allessa’s kennen.

Nachdem ich meinem Unverständnis durch meine naive Frage Kontur gegeben hatte, faltete sie mich mit Worten für meine Unverschämtheit dermaßen gründlich zusammen, dass ich anschließend bequem in mein Handschuhfach gepasst hätte.

Aber, ich hatte wenigstens daraus gelernt. So stellte ich in der darauf folgenden Zeit gar nichts mehr zwischen den Beiden in Frage. Ich ließ sie es machen, wie sie es wollten.

Ich unterließ es sogar, ihr diffuses Gefühl, Jens wäre ihr nicht treu, zu bestätigen. Hatte ich es ja quasi live mitbekommen, wie er sich an einem Abend, an dem Allessa arbeiten musste, mit Angela Climp zum Stelldichein verzog.

Angela hatte an dem Tag ihre Zwischenprüfung als Krankenschwester erfolgreich absolviert und Lust, sich zur Feier des Tages unter dem Sternenzelt ‚ordentlich durchnehmen‘ zu lassen. Wie sie es ausdrückte. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade frisch mit Olive zusammen gekommen und konnte diese Form der Aktivität außerhalb der Beziehungsgrenzen nicht gut finden.

Aber, ich schwieg.

Als wir nun, ein gutes Jahr nach oben erwähnten erstem katastrophalen Gespräch, erneut in meinem Auto saßen, und Allessa dieses Thema anschnitt, war ich dem entsprechend gewarnt.

Leg mich einmal rein, Schande über dich. Leg mich zweimal rein, Schande über mich.

So ließ ich sie erzählen. Steuerte ab und an mal ein „Mhm“ dazu. Oder mal ein Nicken.

Im Grunde war es fasst eine identische Wiederholung des ersten Gespräches. Ich glaubte aber nicht, dass sie sich dessen bewusst war. Und sie darauf hinzuweisen schien mir ebenfalls nicht besonders klug.

Also ließ ich sie reden; was schadete es schon. Doch plötzlich wendete sich das Blatt; und zwar in dem Moment, als sie meine passive Teilnahme ansprach.

„Willst du eigentlich gar nix dazu sagen?“ fragte sie mit klagendem Unterton.

Eigentlich nicht…‘

Ich sah sie an, machte vorsichtshalber erst mal ein nachdenkliches Gesicht.

Wie komm ich aus der Nummer unbeschadet wieder raus?‘

Ich entschied mich dafür, meine passive Teilnahme soweit wie möglich zu halten, um mir den Rückzug zu ermöglichen.

„Was erwartest du jetzt von mir?“ hakte ich vorsichtig nach.

Allessa sah nach vorn, lehnte sich zurück. „Ich weiß nicht. Nen Rat? Was ich tun soll… Ich weiß echt nicht mehr weiter.“

Das tat mir ehrlich leid.

Nach einer kurzen Denkpause fragte ich: „Ehrliche Frage, ehrliche Antwort?“

Allessa blickte wieder zu mir „OK…“

„Was ist für dich ein schöner Abend?“ fragte ich.

Sie überlegte kurz.

„Schön essen gehen. Vielleicht einen Film zusammen gucken. Zusammen was machen halt.“

Ich nickte.

„Was ist für Jens ein schöner Abend?“ fragte ich erneut.

Diesmal kam die Antwort wesentlich prompter „Zocken. Mit den Kumpels. Und dabei kiffen.“ Etwas verächtliches schwang in ihrer Stimme.

„So. Beides eigentlich ok.“ Allessa senkte den Kopf. „Was macht ihr öfter?“ fragte ich wiederum.

Allessa schwieg; mir schien es fast, als würden ihre Augen feucht schimmern. Das hatte ich nicht beabsichtigt.

Sie fing sich allerdings recht schnell, sah mich wieder an. Mit leicht glänzenden Augen „Ich weiß schon, worauf du hinaus willst. Und du hast absolut recht.“

Cool! Und das, ohne was gesagt zu haben…‘

„Aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Mich von ihm trennen.“ fuhr sie plötzlich fort.

„Warum nicht?“ fragte ich leicht überrumpelt.

Erhöhte Obacht!‘

Nun beobachtete ich etwas sehr seltenes an Allessa. Sie schien verlegen zu sein. Das weckte auf eine morbide Art meine Neugier.

Nach einer schier endlosen, spannungserzeugenden Zeitspanne kam dann schließlich ihre Antwort.

„Na ja, ich hab halt Angst, wenn ich mich von Jens trenne, dann…“ wieder eine Pause.

Mir jagten tausend Möglichkeiten durch den Kopf, wie dieser Satz wohl zu Ende gehen könnte. Eine verrückter als die Andere. Manche auch beängstigend. Sollte mir eine gewalttätige Seite an Jens entgangen sein?

Doch schließlich fuhr sie fort „…das dann keiner mehr hier mit mir spricht.“

Was?‘ Das verstand ich nicht.

„Wie meinst du das?“ hakte ich nach.

Sie sah mich an. So sanft und und zerbrechlich hatte ich sie noch nie erlebt.

„Ich hab halt Angst, das niemand mehr mit mir was zu tun haben will, wenn ich mich trenne. Weil ihn ja alle leiden können. Und mich nicht so.“

Ich war ernsthaft verdutzt. Gut, durch ihre schroffe Art hatte sie einige verprellt, aber so schlimm war es nun auch nicht. Dachte ich zumindest. Ich musste erst mal meine Gedanken sortieren.

„Wie kommst du denn darauf?“ fragte ich leicht fassungslos.

Allessa sah aus dem Beifahrerfenster. Sprach wohl mehr zu sich selbst als zu mir.

„Alle mögen ihn, und ich bin dann immer nur dabei. Mit mir spricht kaum mal jemand.“ Pause „Und wenn ich mal allein da bin, werd ich immer nur gefragt, wo denn Jens ist.“

So unsicher hatte ich sie nie eingeschätzt.

Ich stubste sie am Arm, worauf sie mich ansah.

„So ein Quatsch!“ konnte ich ihr ins Gesicht sagen.

Allessa sah mich leicht erschrocken an.

„Wie kommst du nur auf so einen Käse, Allessa?“ ich konnte meine Fassungslosigkeit ob ihrer Selbsteinschätzung kaum in Worte kleiden.

„Na, ist doch so.“ kam kleinlaut trotzig von ihr zurück.

„Nein, ist es nicht!“ erwiderte ich scharf. Allessa sah mich zurückhaltend an.

„Erstens“ fuhr ich fort „spreche ich gerade mit dir. Und hab dich noch nicht einmal gefragt, wo Jens ist. Des Weiteren wird öfter mit Jens gesprochen, weil er sich mit seiner blödelnden Art in den Vordergrund spielt. Nix weiter.“ Allessa sah mich immer noch an, als würde ich ihr etwas völlig Neues erzählen. Nun, vielleicht war dem so. „Und zu guter Letzt: wenn Jens alleine kommt, wird er genauso gefragt, wo du bist. Das kriegst du nur nicht mit!“

Noch immer ruhte Allessas schwer zu deutender Blick auf mir.

Scheiße, ich habs schon wieder getan…‘

„Glaub mir, selbst nach einer möglichen Trennung wird so ziemlich alles so sein wie vorher. Und wer glaubt, dann nicht mehr mit dir sprechen zu wollen – drauf geschissen.“

Nun schlich sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. „Meinst du wirklich?“

„Zweifelos.“ Erwiderte ich. Worauf völlig unerwartet Allessa ihre Hand auf Meine legte und sie drückte.

„Dankeschön!“

„Isso. “ konterte ich überrumpelt.

Dann saßen wir noch ein wenig schweigend in meinem Auto, jeder seinen Gedanken nachhängend.

Mit einem „So, ich muss los. Danke fürs Gespräch!“ verließ sie mich schließlich.

Mit dem Gedanken ‚Soviel hab ich ja nicht dazu beigetragen.‘ machte ich mich ebenfalls auf den Heimweg.

Und, was soll ich noch groß drum herum reden; Allessa trennte sich nach ein wenigen Tagen von Jens. Rückwirkend die beste Entscheidung ihres Lebens. Sie selbst nannte es ein Jahre später „Ballast los geworden“.

In der nächsten Zeit versuchte ich, ihr ein zu sein. Wenn sie einen brauchte. Und auch, wenn sie nicht da war. Sprich, wenn jemand anhob, sich negativ über sie und die Trennung zu äußern, machte ich klar, dass sich lieber jeder, der sich damit nicht auskannte, nicht darum kümmern sollte. Aber das war echt selten.

Klar, Allessa tat sich ziemlich schwer mit anderen Menschen. Das lag halt an ihrer Art, welche leicht abschreckend wirkte. Aber ich nahm sie ein wenig unter meine Fittiche. In der Form, dass ich sie gelegentlich zu Treffen einfach mitnahm und sie so auch neue Menschen kennen lernen konnte. So auch ihren späteren ; was zu dem Zeitpunkt, an dem diese Geschichte spielt, aber noch nicht abzusehen war.

Ich zeigte Allessa sogar, wie man tankt. Das hatte vorher immer Jens gemacht, und der schien es wie ein Staatsgeheimnis gehütet zu haben. Sie hatte fast schon Angst vor diesem Prozedere.

In jedem Fall schien es Allessa gut zu tun, dass sie jemanden auf ihrer Seite hatte. Und, um bei der Wahrheit zu bleiben, mir machte es auch Spaß, mich ein wenig um sie zu kümmern. Wenn man hinter ihren Panzer blicken konnte, war sie ein Mensch mit viel Humor. Auch, wenn dieser oftmals bissig war.

Es war an einem Abend, der wie jeder Andere auch begann, an dem diese Geschichte spielt.

Wir waren im Kino gewesen, es lief der dritte Teil der ‚‘ Saga. Allessa war von Anfang an nicht so angetan von der Idee, kam aber mir zu liebe mit. Und vielleicht auch, weil sie nichts Besseres vorhatte.

Ich rang ihr, im Anschluss an dem Film, ein gewisses selbstgerechtes Schmunzeln ab, als ich einräumte, dass ich den Streifen beileibe nicht als gelungene Fortsetzung zugab.

Allessa hatte sich für den Kinoabend etwas herausgeputzt und für ein Kleid entschieden. Das war eher selten bei ihr. Ich fand, ihr stand das Kleid sehr gut; betonte es doch äußerst vorteilhaft ihre Figur.

Sie selbst schien sich ein wenig unwohl darin zu fühlen, wie ich ihrer Körpersprache entnehmen konnte. Deshalb beließ ich es auch mit einem kurzen „Siehst gut aus.“ bei der Begrüßung. Sie nahm es mit einem genauso knappen „Danke.“ auf und ich konnte förmlich spüren, dass sie sich fragte, warum sie es angezogen hatte. Sie war sonst eher der Jeans-Typ.

Im Anschluss fuhren wir zu meiner Wohnung. Das war keine Seltenheit; wir taten das oft. Einfach was trinken und Musik hören. Oder reden. Ich denke, Allessa bemerkte, dass ich an ihr kein Interesse hatte, so gingen wir recht unverkrampft damit um.

Zwei Freunde, die ab und an Zeit miteinander verbrachten. Das hinter unserem Rücken darüber gemunkelt wurde, wussten wir beide. Machte uns aber nichts aus. Manchmal amüsierten wir uns sogar darüber.

Wir waren also bei mir. Allessa hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht; rauchte, während sie darauf wartete, dass ich damit fertig war, Kaffee zu machen. Ja, die Frage ‚Kommst du noch mit rein auf nen Kaffee?‘ war zwischen uns nicht zweideutig gemeint. Ich hatte es mir, wie üblich, bereits etwas bequemer gemacht und meine Straßenjeans gegen Shorts getauscht.

Ich füllte die Tassen mit dem koffeinhaltigen Heißgetränk; süß für mich, weiß für sie. Als ich die Schublade mit den Kaffeelöffeln öffnete, fiel mir eine Packung Ferrero Küsschen ins Auge, welche aus ungeklärten Umständen meinen letzten Geburtstag überlebt hatte.

Perfekt!‘

Ich ging also zu Allessa, sie schien ein wenig vor sich hin zu träumen, in das Wohnzimmer, stellte die Tassen ab und setzte mich zu ihr. Hielt die bereits geöffnete Packung Naschwerk hin und fragte das, was man aus der Werbung kennt.

„Willst du ein Küsschen?“

Allessa, aus ihren Gedanken gerissen, wich mit dem Oberkörper von mir zurück und sah mich entsetzt an. Und das schreibe ich jetzt nicht als Stilmittel der Übertreibung. Blankes Entsetzen. Ein unartikulierter Ausdruck des Ekels entfleuchte ihr.

Und obwohl ich nie auch nur über den Ansatz hinaus an ihr interessiert war und auch nie in diese Richtung gedacht hatte – bei diesem Ausdruck in ihrem Gesicht sackte etwas Schmerzendes in mir herab.

Gleich dem sank auch meine Hand mit dem Dargebotenen nach unten. Allessas Blick folgte dieser Bewegung. Sah die Packung Küsschen, und ihre Körperhaltung entspannte sich etwas.

Ich legte das Päckchen auf den Kaffeetisch; irgendwie hatte ich keine rechte Lust mehr, ihr etwas anzubieten. Man möge mich nicht falsch verstehen; ich weiß selbst, dass ich alles andere als Gutaussehend bin. Aber wenn man erfährt, dass man eher in Richtung ekelhaft tendiert, bei einer Person, die man als betrachtet; das traf mich.

An Allessa selbst schien mein Stimmungswandel nach ihrer Reaktion nicht unbemerkt vorbei gegangen zu sein.

Sie war allerdings überhaupt nicht der Typ, der es in solchen Momenten schafft, die Wogen zu glätten. Wenn sie es in Vergangenheit gelegentlich versucht hatte, machte sie es eigentlich damit noch schlimmer.

Sie wusste das.

Ich wusste das.

So schwieg sie. Rührte übertrieben lange in ihrem Kaffee.

Die Packung Ferrero Küsschen lag wie ein Elefant auf dem Tisch.

Ich fühlte mich müde. Müde von Allem.

Da es mir übertrieben schien, sie an dem Punkt aus meiner Wohnung zu bitten, entschloss ich, sie wenigstens den Kaffee austrinken zu lassen.

Auf den Meinen hatte ich keinen Appetit mehr; irgendwie war mir nach was Stärkerem.

So nahm ich mein Getränk, ging in die Küche und schüttete die volle Tasse in den Ausguss.

Ich holte eine gut gekühlte Flasche Klaren, nach dem letzten Umtrunk noch mehr als dreiviertel voll, aus dem Kühlschrank, nahm ein Glas und ging wieder in die Stube. Allessa nippte immer noch an ihrem Kaffee herum. Machte große Augen, als sie die Schnapsflasche sah.

Ich wusste, dass sie es nicht so mit Alkohol hielt. Aber dass war mir jetzt egal; sie sollte ja nichts trinken.

Ihr, fast schon empörter, Blick ruhte immer noch auf mir, als ich mich hinsetzte und mein Glas befüllte. Langsam nervte mich das.

„Das brauch ich jetzt.“ sagte ich zu ihr. Allessa blickte in ihren Kaffee. Selbst ich konnte die Schärfe in meinem Satz hören.

Hoffentlich sagt sie jetzt nichts.‘

Ich konnte nicht garantieren, dass, wenn doch, ich meine Contenance hätte waren können.

Mich zurücklehnend nahm einen beherzten Schluck aus meinem Glas, und sah Allessa zu, wie sie erneut ihren Kaffee umrührte.

Was bildet die sich eigentlich ein?‘

Ich spürte, wie langsam Ärger in mir aufkam.

Ganz ruhig Ben. Lass sie austrinken und fertig.‘

Ja, das klang gut. Belasse es einfach dabei.

„Ach Ben…“ sagte Allessa.

Oh verdammt, bitte nicht.‘

„Jetzt sei doch nicht sauer!“ sagte sie vorwurfsvoll zu mir.

Mein Ringen nach Fassung verhinderte glücklicherweise eine Antwort meinerseits.

Ich nahm lieber noch einen Schluck zu mir.

„Nein? Brauch ich das nicht zu sein?“ ironierte ich in ihre Richtung.

„Nein. Das war doch nicht so gemeint.“

Wir sahen uns schweigend an. Ich hatte den Eindruck, unfreiwillig an einem Anstarrwettbewerb teilzunehmen.

„Ich glaube, du gehst jetzt besser.“ sagte ich, so ruhig ich konnte.

Allessa Mund klappte kurz auf und wieder zu. Ihre Augen schienen auf einmal traurig.

Denkt sie denn wirklich, nur weil ich freundlich zu ihr bin, dass sich alles um sie dreht? Dass sie keine Rücksicht nehmen muss?‘

Ich merkte, wie Wut in mir aufkeimte. So kannte ich mich gar nicht.

„Du weißt doch, dass ich das nicht so gut kann.“ kam leise von Allessa.

„Ja. Und du weißt doch, wo meine Tür ist.“ erwiderte ich.

Wieder starrte sie mich an. Sah ich da ein feuchtes Schimmern in ihren Augen?

Ach guck, die harte Allessa. Siehst du, so fühlt es sich an, vor den Kopf gestoßen zu werden.‘

Dann geschah etwas, womit ich in der Richtung nicht gerechnet hatte.

Allessa verschränkte ihre Arme vor der Brust und sagte „Nö, ich geh nicht.“

Vor Verblüffung verpuffte ein großer Teil meines Ärgers.

„Wie, du gehst nicht?“

„Nö, ich bleib jetzt.“ sagte sie trotzig.

Verständnislos sah ich sie an.

Dann fuhr sie fort.

„Wenn ich jetzt gehe, dann sind wir beide sauer aufeinander. Ich, weil du mich rauswirfst, du, weil ich mich so blöd verhalten hab. Und wir beide wären zurecht sauer aufeinander. Aber du hättest mehr Recht als ich. Und darauf wäre ich erst recht sauer. Und weil ich schlecht darin bin, mich zu entschuldigen, bitte ich dich um Entschuldigung.“

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