Hallo Freunde. Nach langer Zeit melde ich mich mit einer Geschichte zurück. Ich hoffe, sie gefällt. Wünsche mir konstruktive Kritik, und Euch alles gute. Andy.

*

Mittwoch:

Nachdem Dan alle Zollformalitäten hinter sich gebracht hatte, betrat er den Ankunftsbereich des Terminals. Er schaute in die wartenden Gesichter und versuchte sich zu orientieren. Es war nicht das erste Mal, dass er hier landete. Dennoch erschien es ihm, als beträte er jedes Mal eine völlig neue Welt. Es gab für ihn kaum eine Affinität zur europäischen Kultur, obwohl die gemeinsamen, wirtschaftlichen Interessen auf beiden Seiten von hohen Erwartungen und vor allem von gegenseitiger Achtung gekennzeichnet waren. Achtung setzt aber immer verstehen voraus, und da taten sich die Europäer doch etwas schwerer, als die Asiaten.

Die Zeiten, in denen die japanische Industrie davon lebte, gute, ausländische Produkte zu imitieren und nachzubauen, waren endgültig vorbei. Nicht, dass sie dazu nicht mehr in der Lage waren, im Gegenteil, sie hatten es nicht mehr nötig. Sie waren innovativ, kreativ und durchsetzungsfähig und in manchen Branchen einfach besser. Aber immer auf ihre ganz und gar unnachahmliche, asiatisch zurückhaltende Art. Osaka war Japans Industriestadt schlechthin. Die größten Konzerne hatten hier ihren Sitz, ihre Zentralen und Produktionsstädten. Die Stadt war eine Ausgeburt an Betriebsamkeit.

„Herr Miller“, hörte Dan seinen Namen in einwandfreiem aber japanisch akzentuiertem Englisch.

Dan drehte sich in Richtung Stimme.

„Willkommen in Osaka,“ setzte die Stimme erneut an.

Dan erkannte einen uniformierten und mit weißen Handschuhen bekleideten jungen Mann, der aus der wartenden Menge auf ihn zu schritt und sich dabei mehrmals mit kurzen Verbeugungen andiente.

„Ich bin ihr Fahrer. Ich bringe sie zu ihrem Hotel. Darf ich ihr Gepäck nehmen.“

Die Firma hatte wie immer einen Fahrer geschickt. Ein selbstverständlicher Service. Wie um alles in der Welt wusste dieser Mensch, wen er hier am Flughafen anzusprechen hatte. Sicherlich, Dans Auftreten und seine äußere Erscheinung war europäisch. Aber er war schließlich nicht der einzige Fluggast aus dem westlichen Ausland, der sich hier am Terminal aufhielt.

Wahrscheinlich hatten Asiaten weniger Probleme damit, europäische Gesichter zu unterscheiden, als das umgekehrt der Fall war.

„Bitte folgen sie mir.“

Der Fahrer verneigte sich kurz, schnappte sich Dans Koffer und ging ohne weitere Konversation in Richtung Aufzug.

Der Fahrer fädelte den Wagen aus der Tiefgarage geschickt in den dichten Verkehr.

„Das Hotel ist nicht weit entfernt vom Flughafen, Herr Miller, aber wir werden leider eine gute Stunde brauchen. Es ist Rushhour.“

„Ich habe Zeit,“ meinte Dan und lächelte verständnisvoll.

Der Fahrer nickte und steuerte mit stoischer Gelassenheit durch den dichten Verkehr.

Osaka glich auf den ersten Blick jeder anderen Großstadt. Überquellender Straßenverkehr, wartende Menschenmassen an Fußgängerübergängen und Werbebanner jedweder Couleur an den Fassaden der Hochhäuser und Geschäfte. Doch die Eigenarten dieser diszipliniert turbulenten Stadt waren unverkennbar. Die japanischen Stadtplaner hatten wahre Meisterwerke in der Verkehrsführung geschaffen. Zu mehreren Fahrspuren flutete die Blechlawine wie ein Flussdelta in verschiedenen Stadtteile ohne sich zu verheddern. Sie schlängelten sich an Häuserfronten vorbei und verschwanden plötzlich im Gewirr der Straßenzüge. Für jeden nicht ortskundigen Autofahrer war Osaka eine Odyssee im Nirgendwo. Dan beobachtete die auf den Gehwegen vorbei trippelnde Menschenmenge, wie sie in die Geschäfte hinein flutete, oder aus den U-Bahnausgängen ans Tageslicht quoll. Jedes Einkaufszentrum flankierte seine Aus -und Eingänge mit unablässig lächelnden und sich dabei verneigenden Servicekräften, die nichts anderes taten, als den eintretenden Kunden die Königswürde zu verleihen.

Der Fahrer stoppte den Wagen vor der Eingangshalle des Hotels, sprang heraus, lief um das Fahrzeug und öffnete sich verneigend die Tür, während ein flugs herbeigeeilter Portier sich am Kofferraum zu schaffen machte und Dans Gepäck entlud.

„Ich hoffe ihre Fahrt war angenehm,“ erkundigte sich der Fahrer.

Dan bedankte sich.

„Bitte zeichnen sie mein Fahrprotokoll gegen,“ forderte der Fahrer Dan höflich auf und hielt ihm eine Klemmmappe zur Unterschrift hin, auf dem er ein Schriftstück sah, welches mit seinem Konterfei in Form eine Bildes nebst Namen geschmückt war. Dan musste Schmunzeln. Er hätte es sich denken können.

Dans Termin war für Zehn Uhr am Morgen anberaumt. Er wollte unbedingt pünktlich sein und machte sich, nachdem er im Hotelrestaurant ausgiebig gefrühstückt und dabei seine Unterlagen geprüft hatte, per Taxi auf den Weg. Die erste Nacht war wie immer kurz gewesen. Der Jedleg machte ihm ein wenig zu schaffen, aber er hatte sich im Griff und konzentrierte sich auf den anstehenden Termin.

In der Lobby der Firmenzentrale wurde er bereits erwartet.

„Herzlich willkommen in Osaka.“

Ein kleiner, smarter Mann kam Dan entgegen, dessen Gesicht er aus zahlreichen Videokonferenzen kannte. Nach einer kurzen Verbeugungen reichte er ihm freundlich lächelnd seine Hand.

„Vielen Dank, ich freue mich hier in Osaka zu sein und sie einmal persönlich kennen zu lernen.“

„Wir freuen uns sehr sie in unserem Haus begrüßen zu können. Ich hoffe, ihre Reise verlief zu ihrer Zufriedenheit.“

„Ja, Danke, es verlief alles Reibungslos.“

Damit war die Frage nach dem zur Verfügung gestellten Fahrservice auch gleich dezent abgehakt.

„Bitte begleiten sich mich in meine Abteilung.“

Die Gespräche und Verhandlungen verliefen erfolgreich. Die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen zum neuen Geschäftspartner waren unter Dach und Fach.

Da Dan noch ein Tage in Osaka blieb, erhielt er noch ein Tipps und Hinweise zu Sehenswürdigkeiten und Orten, an denen er die japanische Kultur besser kennen lernen würde.

Es war für Dan ein harter, aber erfolgreicher Tag. Er war zwar müde, fühlte sich aber gleichzeitig beschwingt genug, um sich noch einen Drink zu gönnen. Nachdem er den späten Nachmittag genutzt hatte einen Teil des angefallenen Schriftverkehr abzuarbeiten, verließ er sein Hotelzimmer und begab sich nach unten.

Die Hotelbar war bereits mit zahlreichen Gästen besucht. Leise spielte Musik im Hintergrund. Dan wandte sich zur Theke und setzte sich auf einen Hocker. Neben ihm unterhielten sich japanische und europäische Geschäftsleute, die ihren Feierabend in entspannter Atmosphäre verbrachten. Dan schaute auf die Getränkekarte, überflog sie kurz und legte sie beiseite. Ein oder zwei kühle Biere, dann aufs Zimmer, ein wenig durch die Kanäle zappen und schlafen, dachte Dan. Der Tag war anstrengend genug.

Dan schaute nach dem Barkeeper.

Noriko putzte die frisch gespülten Longdrinkgläser mit einem Tuch und stellte sie in ein Regal hinter sich. Sie schaute sich prüfend nach ihren Gästen an der Theke um. Sie erblickte Dan und kam zu ihm.

„Was darf ich ihnen bringen, fragte sie Dan in hervorragendem, akzentfreiem Englisch.

„Ein Bier vom Fass hätte ich gern, ein Export bitte.“

„Gerne der Herr,“ antwortete Noriko und begann zu zapfen.

Dans Blick haftete einen Moment auf ihr.

Sie trug eine weiße hochgeschlossene Bluse dazu einen schwarzen knielangen Rock. Neben ihrem hübschen ovalen Gesicht, in dem zwei wache, dunkle Augen hinter einer schwarz umrandeten Brille funkelten, fielen Dan ihre pechschwarzen Haare auf, die sie zu einem langen Zopf geflochten hatte. Er reichte ihr bis zur Hüfte. Noriko servierte Dan das Bier, schaute ihn kurz an und verzog fast unmerklich ihre Lippen zu einem Lächeln. Sein Blick fiel auf ihre Hände, die äußerst schlank und feingliedrig waren.

Dan nahm einen Schluck Bier und ließ dann interessiert seinen Blick durch den Raum schweifen, warf einen Blick auf die geschmackvolle Einrichtung und landete wieder bei Noriko, die in ruhiger und konzentrierter Freundlichkeit die Gäste bediente.

Sie servierte gerade ein paar Longdrinks an einen ganz in der Nähe der Theke gelegenen Tisch. Für eine Japanerin ist sie auffällig groß gewachsen, dachte Dan. Sie war hübsch, aber dennoch eine eher unauffällige Erscheinung, eine Frau, die auf den zweiten Blick wirkte, für die man sich einfach mehr und mehr interessieren musste, je öfter und intensiver man diese Frau wahrnahm. Noriko servierte die Drinks, drehte sich um, schaute hinüber zur Theke und fixierte Dan für einen kurzen Augenblick. Ihre Blicke trafen sich. Dan war dieser Moment unangenehm. Er fühlte sich ertappt. Noriko kam zurück, stellte das Tablett ab, öffnete einen Kühlschrank, der sich gegenüber von Dans Sitzplatz befand, ging in die Hocke und entnahm ein paar gekühlte Flaschen. Ihr langer Zopf hing nun über ihrem Gesäß. Dan ließ seinen Blick über ihren Rücken wandern. Ihre Bluse hatte sich über ihren Rücken gestrafft. Deutlich zeichnete sich der Verschluss ihres weißen BH’s ab, die kleinen Wirbel ihres Rückgrades, die in regelmäßigen Kaskaden ihren schmalen Rücken herab liefen. Der Stoff ihres Rockes spannte sich um ihr Gesäß, so dass sich die Rundungen ihrer Pobacken deutlich abzeichneten. Dan nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas.

Eine Japanerin hatte ich noch nicht, schwebte es plötzlich aus seinem Unterbewusstsein wie eine Luftblase an die Oberfläche. Lass‘ diese Gedanken sein, ermahnte er sich, du bist nur hier um ein Geschäft abzuwickeln und heute Abend ein Bier zu trinken. Dan leerte sein Glas. Besser ich geh‘ nach oben und bestelle mir etwas zu trinken auf mein Zimmer, ist auch gemütlicher im Bett, erst Duschen, etwas Fernsehen, schlafen, sinnierte er.

„Junge Dame… er winkte Noriko heran, bitte schreiben sie das Getränk auf die Rechnung für Zimmer dreihundertundvierzehn.“

„Selbstverständlich, einen Moment bitte. Noriko ging zum Computer, gab die Zimmernummer ein und kam schließlich mit einer Quittung zurück.

Vielen Dank Herr Miller, die „junge Dame“ heißt Noriko,“ setzte sie noch halblaut hinzu.

Dan nahm die Quittung entgegen, schaute sie einen Moment verdutzt an und lächelte.

„Ja, danke, antwortete Dan und ging.

Dan machte die kleine Nachttischlampe an, nahm den Hörer ab und bestellte noch ein kühles Bier und einen Happen zu essen. Das Bier an der Bar hatte ihn auf den Geschmack gebracht. Bevor er ins Bett ging, wollte er sich noch eine warme Dusche zur Entspannung gönnen. Er hängte seine Sachen sorgfältig auf den Herrendiener, machte den Fernseher an, warf einen kurzen Blick auf das Programm und ging ins Badezimmer.

Dan stellte sich unter die Dusche und begann sich einzuseifen.

Nach einer Weile hörte er den Zimmerservice klopfen und eintreten.

„Bitte stellen sie es auf den Tisch,“ rief Dan aus dem Bad.

Er stand mit den Handflächen gegen die Fliesen gelehnt und ließ das warme Wasser über seinen Rücken plätschern. Einen Moment blieb er so stehen und genoss das wärmende Nass, dass seinen Rücken umspülte. Er versuchte seine Gedanken abzuschalten, sich auf diesen wohltuenden Moment zu konzentrieren. Es gelang ihm nicht. Wie immer kamen ihm die gleichen Gedanken. Er dachte über seine Lebenssituation nach. Wieder einmal in einem Hotelzimmer, irgendwo im Ausland, das ihm seine Heimat kaum ersetzen konnte. Immer wieder der Druck erfolgreich Geschäfte für seine international agierende Firma zum Abschluss zu bringen, Messen vorzubereiten, immer wieder große Herausforderungen, keine Zeit für privates, keine Frau oder , die auf ihn wartete, die sich nach seinem Befinden erkundigte, und wenn das Telefon klingelte, dann wartete oder die Abteilung auf einen Zwischenbericht mit kalkulierbaren Fakten und keine Antworten wie, „es geht mir gut, ich vermisse dich, wann bist du endlich wieder bei mir,“ statt dessen, „die Gespräche verliefen viel versprechend, meine Präsentation machte Eindruck, unser Angebot wurde akzeptiert, der Auftrag ist erteilt, wir werden auf der Messe mit unserem neuen, innovativen Produkt einen positiven Eindruck machen und neue Klientel gewinnen.“

Immer wieder der gleiche Trott, irgendwie läuft meine Zeit in einer Endlosschleife ab, fühlte Dan und mischte das Wasser der Dusche etwas heißer.

Seine Wohnung in der Heimat blieb die meiste Zeit verwaist und der Porsche in der Garage hatte noch nicht viel Asphalt gesehen.

Dan lachte in sich hinein.

Die einzige Genugtuung, die ihn ein wenig aufbaute war die Tatsache, das sein Guthaben auf seinem Bankkonto ständig stieg. Die Firma bezahlte alle Spesen, den Flug, das Hotel, und am Ende eine erfolgreichen Jahres, gab es eine satte Bonifikation. Er hatte mehr als genug. Aber was war schon Geld im Vergleich zu dem, was er damit eintauschte. Manchmal wünschte er sich ein einfaches, ortsgebundenes Leben, mit Haus, Familienauto, Frau und Kinder, Vorgarten, Rasen schneiden, Barbecue mit Freunden an Wochenenden, ein banales, unspektakuläres Leben. Morgens mit dem Auto zur Arbeit und nachmittags zurück zur . Seid gestorben ist, sitzt Vater nur noch hinter dem Schreibtisch…, vielleicht sollte ich mich in den Innendienst versetzen lassen, da gibt es ein paar Frauen, bei denen ich nicht nein sagen würde…, irgendwann muss ich Vaters Firma weiter führen…, sinnierte er.

Aber er war darauf trainiert, Geschäftsabschlüsse in trockene Tücher zu verhelfen, und das ging oft nur vor Ort. Gerade, wenn es sich um Millionenaufträge handelte. Dan versuchte sein Leben zu positionieren.

Nächste Woche bin ich wieder in New York, ich muss mit Vater Auge in Auge reden…, dann nach Seoul. Ich brauche Zeit für mich, Luft, dachte er. Nach den Gesprächen in Seoul könnte ich für eine Woche dort bleiben…, könnte mit Chung sprechen, vielleicht werden wir was zusammen unternehmen, er wollte mir immer schon sein Boot zeigen…, oder fliege ich nach hause zurück…, würde gerne wieder einmal in meinem eigenen Bett schlafen…, scheiße…

Er drehte das Wasser ab, schnappte sich das Badetuch, stellte sich vor den Spiegel und trocknete sich ab. Einen Moment betrachtete er sich gedankenverloren im Spiegel, als würde er einen Fremden anblicken, über den er dennoch intime Details wusste.

Bin ich für andere nur ein Verhandlungspartner oder nimmt man mich auch als Mensch wahr, wer bin ich eigentlich für mich…, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Er verdrängte den Gedanken sofort wieder und rubbelte sich mit dem Badetuch über die Haare.

Dan kremte sich mit einer Bodylotion ein, zog den Bademantel über, föhnte sich seine dunkelblonden Haare trocken, schlüpfte in seine Slipper und betrachtete seine Fingernägel. Er schob die Schiebetür auf und verließ das Bad.

Dan blieb verdutzt stehen, als er sie sah, mit dem Rücken zu ihm gewandt, aus dem Fenster in die dunkle Nacht schauend, die bunten Lichter der Stadt betrachtend. Er erkannte sie sofort. Es war Noriko.

Warum war sie noch hier, hatte sie hier so lange gewartet, musste sie nicht in ihrer Bar sein, hinter ihrem Tresen, weshalb brachte gerade sie ihm seine Bestellung, sie war nicht der Zimmerservice, oder gehörte es zu ihren Aufgaben, wartete sie auf ein Trinkgeld, nein, sicher nicht, in Japan war es unüblich, gar eine Beleidigung, Trinkgeld zu geben und schon gar nicht in einer solchen Situation, während der Gast unter der Dusche steht, schoss es Dan in wenigen Sekunden durch den Kopf.

„Hallo,“ meinte Dan, anstatt eines, „Warum sind sie noch hier?!“ Ihm gelang in diesem Moment kein geeigneterer Satz, keine sinnvoll angemessene Äußerung als diese, in seiner Banalität und Einfallslosigkeit unübertroffene, unspektakuläre, Gesprächseröffnung.

Es war wohl eher gedacht als ein, „Hallo sie, ich stehe im gleichen Raum, bin jetzt bei ihnen, hinter ihnen, nimm mich wahr.“ Ein befremdlich unangenehmes balancieren, zwischen neugieriger Erwartung und freudiger Anspannung mit ungewissem Ausgang, das gleichzeitige Gefühl von „bitte gehen sie“ und „bitte bleiben sie.“

„Da für mich jetzt Dienstende ist, habe ich dem Zimmerservice mitgeteilt, dass ich ihre Bestellung persönlich serviere. Es war Zufall, dass sie es sind, aber es ist kein Zufall, dass ich es bin. Daher bin ich hier,“ antwortete Noriko ohne sich umzudrehen.

„Danke…“ antwortete Dan und strich mit den Händen über sein Haar.

„Von hier oben hat man einen guten Überblick, über die Stadt, die Lichter, und am Abend, wenn man zur Ruhe kommt, sieht man manche Dinge klarer als bei Tageslicht, finden sie nicht auch.“

Norikos Gesicht spiegelte sich im Fensterglas und Dan hatte den Eindruck, als schaute sie ihn an.

„Ja, das ist wohl so,“ meinte Dan vorsichtig, ging zum Fernseher und stellte ihn leiser.

„Sie reisen viel, nicht wahr.“

„Ja, ich bin viel unterwegs, geschäftlich.“

„Ich begegne vielen Menschen wie ihnen in der Bar. Ein Kommen und ein Gehen, für kurze Zeit sind sie da, und alle sprechen über die Zeit, dass sie keine haben. Dabei ist das Leben zu kurz, um keine Zeit zu haben, finden sie nicht auch.“

„Die Frage ist, womit man seine Zeit verbringt,“ antwortete Dan.

„Immer dann, wenn man Zeit für sich hat, sucht man sie sinnvoll zu nutzen. Ist das nicht seltsam. Ist man sehr beschäftigt, wünscht man sich mehr Zeit, um für sich Zeit zu haben, hat man mehr Zeit, sucht man nach Sinn. Mir geht es jedenfalls so. Und ihnen?, stellte Noriko fest.

Habe ich unter der Dusche vielleicht zu laut gedacht, kam es Dan in den Sinn.

„Es geht vielen Menschen so… mir geht es manchmal nicht anders,“ erwiderte Dan offen.

„Sie bleiben bis Montag Mittag in Osaka,“ stellte Noriko fest, intonierte den Satz jedoch wie eine Frage, obwohl sie seinen Checkout aus dem Computer kannte.

„Ja.“

„Kennen sie Osaka.“

„Ein wenig.“

„Das Wochenende verbringen sie allein?“

„Ja, ich habe mir nichts vorgenommen.“

„Am Wochenende habe ich keinen Dienst. Wir hätten Zeit füreinander,“ erklärte Noriko und drehte sich nun zu Dan um.

Sie schaute ihm ins Gesicht.

„Ist das ein Angebot für eine Stadtführung,“ meinte Dan und lächelte.

„Ich möchte ihnen ein wenig meiner Zeit schenken.“

„Machen sie das öfter, fremden Hotelgästen ihre Zeit schenken.“

„Nein, sie sind der erste, es könnte mich meine Arbeit hier im Hotel kosten. Es ist nicht ganz uneigennützig und ihnen erscheint es fremd, das verstehe ich.“

„Was erwarten sie.“

„Gemeinsamkeiten. Für eine kurze, überschaubare Zeit.“

„Und, wie könnten die aussehen,“ fragte Dan neugierig.

„Nähe.“

„Nähe,“ wiederholte Dan fragend.

„Ich kenne sie nicht, sie kennen mich nicht, und doch nähern sich unsere Gedanken in manchen Dingen. Wenn sie wollen, können wir Zeit damit verbringen, uns intensiver einander anzunähern, so nahe, wie wir wollen. Macht das Sinn für sie?“

„Sie denken an mehr als eine Stadtbesichtigung.“

„Ich denke, was sie denken,“ antwortete Noriko.

„Sie wissen, was ich denke,“ fragte Dan neugierig.

„Durch den Ausdruck in ihrem Gesicht, wenn sie mich beobachten.“

„Ist es ihnen unangenehm, bin ich ihnen in irgendeiner Form zu nahe getreten,“ fragte Dan entschuldigend.

„Wenn „sie“ mich ansehen, ist es mir nicht unangenehm zu wissen, was sie denken. Ich stimme mit ihnen darin überein. Ich denke, wir sollten Zeit miteinander verbringen,“ resümierte Noriko betonend.

Dan stand immer noch neben dem Fernseher, der ein stummes, kaltes, grell flackerndes Licht in das halbdunkle Zimmer warf, als würde sie neben einer defekten, nervös zuckenden Neonröhre stehen.

„Ich werde ihre Erwartungen erfüllen, um damit auch meine Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen, fuhr sie fort. Es wäre ein freiwilliges Geben und Nehmen. Wir könnten unsere Wünsche, Erwartungen und Vorstellungen durch den anderen Wirklichkeit werden lassen.“

„An was dachten sie dabei,“ fragte Dan.

„Ich werde offen zu ihnen sein. Nur so kann es funktionieren. Ich wünsche mir das auch von ihnen. Es ist kein blindes Vertrauen meinerseits, denn ein gewisse Unwägbarkeit gehört immer dazu. Dieses Vertrauen ist nicht inszeniert. Das ist das wirkliche daran. Alles andere fügt sich mehr oder minder. Wir könnten es für uns ändern, ich wäre bereit dazu.“

Weitere Geschichten zum Thema

Gerne gelesene Kategorien

Wähle eine Erotik-Kategorie aus, die dich interessiert.