„Die Runde geht auf meinen Nacken!“, rief Ria aus wenigen Schritten Entfernung und stellte das Holztablett mit vier großen Latte-Macchiato-Gläsern zwischen ihren drei Mädels in den Sand.
Nova, Leni und Rias Schwester Heidi griffen dankend zu. Der Duft des frischen Kaffees lag in der warmen Sommerluft am Stadtstrand an der Weser.
„Apropos Nacken“, griff Heidi das unterbrochene Thema Füße wieder auf. „Was total entspannend wirkt, ist eine Fußmassage. Ich liebe das!“, strahlte sie und verdrehte ihre blauen Augen gen Himmel.
„Mats findet immer die richtigen Punkte. Er hat mir Socken geschenkt, auf denen die Fußreflexzonen eingezeichnet sind – wie eine Landkarte. Damit man weiß, wo man drücken muss“, führte sie ihren Satz fort. „Nacken und Wirbelsäule sitzen nämlich an der Unterseite der großen Zehen, also beim Übergang Fuß zum großen Onkel. Das sieht auch fast aus wie ein Hals und der Zeh ist der Kopf, wenn man es genau betrachtet.“
„Ich such ja schon“, warf Nova ein und fischte erneut ihr Smartphone aus der Tasche und fand schnell eine passende Grafik.
„Ihr müsst euch die Fußsohle anscheinend fast wie den menschlichen Körper vorstellen“, leitete Nova ihren nächsten Vortrag ein.
Nova stellte ihr Kaffeeglas in den Sand und zeigte auf Lenis Fuß: „Den brauche ich als Anschauungsmaterial.“
Leni streckte ihr rechtes Bein aus und stellte ihren Fuß mit der Ferse nach unten vor Nova in den Sand.
„Alter, was hast du für schwarze Sohlen?“, fragte Nova erstaunt.
Leni wurde rot. „Wir gehen seit Tagen barfuß“, antwortete sie verlegen. „Seit dem ersten Tag des Festivals am Freitag.“
„Wie hält man das denn aus?“, fragte sich Ria. „Ist doch wieder eine Idee von deinem Mats“, mutmaßte sie in Heidis Richtung.
„Mats war auch barfuß – okay – aber die Idee kommt von den Hippies und das war ein Festival am Meer. Das ist natürliches Körperempfinden und das Gefühl von Freiheit. Gut, auf dem Rückweg hätten wir unsere Schuhe wieder anziehen können – haben wir aber nicht“, grinste Heidi. „Wir haben die Vibes mit nach Hause genommen!“
„Da bekommt man doch sofort Hornhaut“, ätzte Ria gegen ihre kleine Schwester.
„So schnell nun auch wieder nicht“, gab Heidi zurück. „Und in den falschen Schuhe bekommt man genauso Hornhaut.“
„Ihr habt echt keine Schuhe mit?“, fragte Nova weiter. „Das muss doch schmerzen, wenn man wo drauf tritt. Also in der Stadt meine ich, nicht in der Wohnung oder im Garten.“
„Klar, wenn man auf einen Stein tritt, kann das schon mega weh tun“, warf Leni ein. „Aber nach ein paar Stunden weisst du wo du hintreten darfst und wo nicht. Lästig ist nur abends die Schrubberei mit der Fingernagelbürste. Das kitzelt wie verrückt. Kaum auszuhalten.“
„Total awesome!“, grätschte Heidi dazwischen. „Da bekomm ich fast einen Orgasmus von, wenn man mit der Bürste über die Fußsohlen reibt. Selbst kann man sich ja nicht kitzeln, aber mit der Bürste – da geh ich total drauf ab. Das schießt wie ein Blitz durch alle Nervenbahnen.“
„Du bist echt Fuß-verrückt!“, lachte Nova. „Ich hab hier noch die Seite mit den Fußreflexzonen offen. Schaut mal.“
Sie hielt das Handydisplay in die Runde, auf der man zwei Fußsohlen erkennen konnte, die farblich wie eine große Karte in Zonen eingeteilt war.
„Wie eine Wetterkarte“, stellte Ria fest. „Das heißt, auf meiner Fußsohle ist quasi mein Körper abgebildet?“
„Genau“, fuhr Nova weiter fort. „Hier sind die ganzen Organe eingezeichnet. Kopf und Gehirn liegen an der Zehenspitze der mittleren Zehen.“ Sie streckte ihren linken Fuß vor sich aus und zeigte mit den Fingern auf die beschriebenen Stellen. „Über die Zehen verteilen sich noch Augen, Ohren, Nase, Zähne und so weiter.“
Dann massierte sie – wie Heidi schon erwähnt hatte – unterhalb ihres großen Zehs den Nackenbereich. „Na ja, da merke ich erstmal nichts“, stellte sie enttäuscht fest.
„Du kannst ja auch nicht irgendwo wild drauf drücken und ein Wunder erwarten. Nackenmassage für eine Sekunde hilft doch auch nicht“, protestierte Heidi.
„Auch wieder wahr“, gab Nova zu. „Jedenfalls kommen dann im weiteren Verlauf die ganzen Knochenregionen und Organe. Im unteren Bereich sitzen Darm und Blase“, begann sie laut zu lachen. „Nicht, dass man beim Drücken aufs Klo muss!“
Alle vier lachten und stießen mit ihren Kaffeegläsern an.
„Aber hier steht noch mehr“, las Nova weiter vor. „Wenn man die Zehen massiert, gleichzeitig Ober- und Unterseite und die Gehirnregionen anspricht, soll dadurch das sexuelle Verlangen gesteigert werden.“
„Jetzt wird es interessant!“, grinste Heidi.
„Unter den Ballen – also hier…“, Nova drückte dabei an ihren Füßen herum, „erreicht man den Solarplexus und sorgt für Entspannung und Luststeigerung. Durch Massage der Außenseiten der großen Zehen stimuliert man die Geschlechtsorgane und produziert Östrogene bei Frauen und Testosteron bei Männern. Unglaublich!“
„Du kannst durch Massage der großen Zehen auch Glückshormone produzieren!“, teilte Heidi ihr Wissen. „Deshalb liebe ich meine großen Füße, die produzieren noch größere Mengen Glückshormone!“
„Und bei der Ferse, unterhalb der Knöchel und neben der Achillesferse sollen sich die Druckpunkte zur Unterstützung eines Orgasmus finden lassen“, schloss Nova ihren kurzen Vortrag.
„Jetzt wisst ihr, warum Mats und ich es mit Füßen haben. Ihr verpasst wirklich was!“, schwärmte Heidi. „Leni hab ich schon halbwegs überzeugt und ihr werdet es auch noch merken – nein: fühlen. Hoffe ich.“
„Ihr glaubt nicht, wie stimulierend barfuss laufen ist“, meinte Leni. „Am Anfang hast du total Angst dich zu verletzen. Aber das vergeht schnell. Du schaust natürlich viel nach unten und gehst Gefahren aus dem Weg. Aber du beginnst zu erleben, wie unterschiedlich sich die Untergründe anfühlen. Und die Routine kommt schon am zweiten Tag“, erzählte sie weiter.
„Gras und Sand sind natürlich am schönsten, aber jeder Asphalt oder Beton fühlt sich plötzlich total anders an, wo vorher durch Schuhe gefilterter Untergrund im Prinzip identisch empfunden wurde. Glatt, rau, warm, kühl nimmt man direkt wahr. Und ich spüre, wie es bei jedem Schritt total oft im Bauch kribbelt. Die Umwelt wird lebendiger und man selbst auch!“, schwärmte Leni.
„Du stimulierst die ganze Zeit deine Sinne“, fand Heidi. „Ihr verpasst was. Schwarze Sohlen muss man auch erlebt haben. Mit dreißig macht man sowas nicht mehr! Oder seid ihr etwa schon zu erwachsen?“, an Ria und Nova gerichtet.
„Haha“, machte ihre ältere Schwester Ria nur. „Schau dir mal deine schwarzen Sohlen an. Das ist doch fies!“
Demonstrativ streckte Heidi ihr einen Fuß entgegen.
„Leni, zeig nochmal deine Fußsohlen“, bat Nova. „Und du, Heidi, stellst deine direkt daneben.“
Die beiden ließen ihre Fersen in den Sand fallen und platzierten ihre unterschiedlich großen Füße parallel nebeneinander.
„Leni hat den typischen Fußabdruck in schwarz untendrunter. Fünf Zehen, danach Ballen mit diesem Bogen zu den Fersen. Aber Heidi hat einen so hohen Fußspann, dass der Außenrist überhaupt nicht den Boden berührt und fast sauber geblieben ist. Sowas hab ich noch nie gesehen“, bemerkte Nova.
„Ich sag doch, meine Füße sind einzigartig“, warf Heidi ein. „Da könnt ihr noch so viele Fehler suchen – ich liebe meine Füße!“
„Wo deine Schwester so auf Füße abgeht, ist das bei dir gar nicht?“, fragte Nova ihre beste Freundin Ria.
„Ob ich einen Fußfetisch habe?“, antwortete Ria. „Ich glaube nicht. Wir haben andere Prios. Ich mag meine Füße, aber Dominik interessieren sie anscheinend überhaupt nicht.“
„Dominik steht nur auf deinen Arsch und deine Tittis!“, unterbrach Heidi. „Du verpasst was, Sis‘!“
„Ich glaub gar nicht, dass ich mit Dominik was verpasse. Aber ich werde ihn mal anfixen beim Thema Fußmassage. Das würde ich zu gern mal probieren. Ägyptische Zehen wollen doch verwöhnt werden, oder?“, überlegte Ria.
„Wenn ich nicht so in Stimmung bin, Mats dagegen schon, hat er mich mit einer kleinen Zehenmassage schon öfters überzeugen können… Barfusslaufen im Sand hat mich aber auch schon mal ganz nice juckig gemacht, dass ich mit ihm am liebsten in den nächsten Busch gesprungen wäre. Mit Füßen geht definitiv was!“, lachte Heidi.
„Apropos Sand und Laufen – ich würde kurz zur Bude wandern und eine Runde Caipis holen – jetzt, wo es schon nach vier ist“, nutzte Nova die Überleitung und stellte die leeren Kaffeegläser aufs Tablett.
Sie machte sich barfuss auf den Weg durch den Sand und achtete auf jedes ungefilterte Gefühl unter ihren Fußsohlen.
— Fortsetzung folgt —