Kapitel 9: Umzugshilfe, Kiki-Style
Als erstes fiel mir auf, dass das Fenster offenstand. Die warme Luft eines viel zu weit fortgeschrittenen Sommervormittags drang herein. Mein zweiter, ärgerlicher Gedanke galt dem Wecker, den ich im Halbschlaf wieder ausgeschaltet hatte. Aber noch etwas stimmte nicht.
Ich war allein im Bett, aber sich vergebens um Leichtigkeit bemühende Schritte und der dezente Duft eines teuren Rasierwassers verrieten, dass das nicht für den Rest des Zimmers galt. Vor meinen noch halb geschlossenen Augen erschien eine manikürte Männerhand mit einer schweren goldenen Armbanduhr am Gelenk. Viertel nach Zehn. Die Nachttischschublade wurde geöffnet und wieder zugeschoben.
Mit einem raschen Griff packte ich den Arm des Eindringlings. Gleichzeitig schwang mein Bein unter der Bettdecke hervor und traf den Mann in den Kniekehlen. Ächzend ging er zu Boden. Als er versuchte, sich aufzurichten, stand ich bereits und stellte einen Fuß in seinen Nacken. Ich meinte ein Knirschen unter der Sohle zu spüren.
Der Einbrecher war nicht besonders groß, aber athletisch gebaut. Sein Haar war hellbraun und sorgfältig frisiert. Trotz der wenig vorteilhaften Kauerhaltung, zu der ich ihn zwang, erkannte ich, dass sein dunkelgrauer Nadelstreifenanzug hervorragend geschnitten war. Seine Füße steckten in rahmengenähten braunen Budapestern mit beinahe unversehrten Ledersohlen.
Ein Geräusch ließ mich herumfahren. In der Tür stand Katharina mit zwei belegten Brötchen in den Händen. Von einem fehlte ein Stück.
„Waffmhierlof?“, fragte sie kauend, den Kopf interessiert geneigt.
„Der Kerl hat meinen Nachttisch durchsucht“, antwortete ich atemlos. „Gib mir die Handschellen!“ Sie rührte sich nicht. „Schnell! Und hol Sergej!“
„Ist einkaufen mit Kiki“, keuchte Schmidt, und mir fiel siedendheiß ein, weswegen mir die Uhr gleich so bekannt vorgekommen war. Ich atmete tief durch, nahm den Fuß von seinem Nacken, ließ mich auf die Bettkante fallen und sah dabei zu, wie er sich aufrappelte, seine Garderobe richtete und den Kopf kreisen ließ. Es knackte leise.
„Den Chiropraktiker zahlst du mir!“ Er sah mich mit schmerzverzerrtem Lächeln an. „Und jetzt her mit den Autoschlüsseln.“
„In meiner Hosentasche.“ Ich zeigte mit dem Daumen hinter mich. Ein Klimpern zeigte an, dass Kathi fündig geworden war. „Wozu brauchst du mein Auto?“
„Mach dir um die Göttin mal keine Sorgen.“ Schmidt bedachte mich mit einem nachsichtigen Blick und richtete sich dann an Kathi. „Seine einzige große Liebe.“
„Pff!“, machte die verächtlich und warf das Schlüsselbund herüber. Schmidt fing es mit einer Hand und hielt es mir vor das Gesicht.
„Dein Telefon ist noch im Handschuhfach, hat Kiki gesagt“, erklärte er mir, „und wenn ich den Plan – notabene deinen Plan – richtig verstanden habe, soll ich das ja wohl mitnehmen.“
Ich nickte.„Sergejs hast Du?“, vergewisserte ich mich.
„Ja doch!“, antwortete Schmidt mit einem Blick, als hätte ich mich nach der Konfession des Papstes erkundigt. „Samt Ladekabel. Und er hat brav alles gelöscht, außer einer SMS von dir und deiner Nummer im Wahlwiederholungsspeicher.“ Er sah auf seine Rolex. „Es wird Zeit. Ich hole das Handy, und ihr ruft mir ein Taxi zum Bahnhof.“
Als die Verschlüsse seines Aktenkoffers einschnappten, wartete der Wagen bereits vor der Tür. Ich legte Schmidt die Hand auf die Schulter.„Tut mir leid.“
Er drehte sich zu mir um.„Die kleine Kampfsporteinlage gerade eben?“
„Die auch“, lächelte ich, „aber vor allem, dass du in diese Sache mit hineingeraten bist.“
„Ist ja nicht deine Schuld, und deine Schwester wird mich schon entschädigen.“
„Ich dachte, das hätte sie schon.“
„Das“, sagte Schmidt würdevoll und wandte sich zum Gehen, „war nur eine kleine Anzahlung. Adios!“
„Hasta la vista, Amigo“, antwortete ich, aber da war die Tür schon hinter ihm ins Schloss gefallen.
„Eins verstehe ich nicht“, sagte Kathi, als wir am Fenster standen und dem davonfahrenden Taxi nachschauten. „Man kann den Bahnhof von hier aus sehen. Warum geht er die paar Meter nicht zu Fuß?“
„Schmidt läuft jeden Morgen fünf Kilometer“, erklärte ich ihr und lächelte vor mich hin, „aber nur auf dem Laufband. Sonst könnte ihn ja jemand beobachten.“
„Du solltest was essen“, wechselte Katharina das Thema, hielt mir das Brötchen hin, das sie die ganze Zeit in der Hand gehabt hatte und musterte mich, spöttisch lächelnd, der Länge nach, „und eventuell auch langsam mal was anziehen.“ Damit verschwand sie im Arbeitszimmer. Für eine Sekunde fragte ich mich, woher die Vertrautheit kam, die ich empfand.
Ich stand – bekleidet – in der Küche und spülte eben den letzten Bissen meines Lachsbrötchens mit einem Schluck Kaffee herunter, als Kiki und Sergej von ihrer Shoppingtour zurückkehrten. Die beiden waren bester Laune, ganz im Gegensatz zu dem greisen türkischen Taxifahrer, der unter der Last ihrer Einkaufstaschen zusammenzubrechen drohte. Ich entschädigte ihn mit einem großzügigen Trinkgeld. Kaum hatte ich die Wohnungstür hinter dem gebeugten Alten geschlossen, kamen die Flüchtlinge aus dem Arbeitszimmer und begutachteten die Einkäufe. Kurze Zeit später hatten sie sich in vier halbwegs normale, hübsche junge Frauen in Jeans, T-Shirts und Chucks verwandelt und begaben sich zurück an die Arbeit. Ich folgte ihnen.
In meinem Arbeitszimmer standen inzwischen nur noch die leeren Möbel, daneben ein großer Stapel Umzugskartons. Die Mädchen verstauten gerade die letzten DVDs. Ich überschlug die Anzahl der Kisten, die sie seit dem frühen Morgen gefüllt hatten und stellte fest, dass in der Abstellkammer nur noch wenige übrig sein konnten. Auf der Suche nach Sergej und einem funktionierenden Telefon verließ ich das Zimmer wieder.
„Ihr könnt jetzt den Bulli beladen“, teilte ich dem Russen mit, der im Gästezimmer meiner Schwester half, ihre Sachen zu packen. Er nickte und ging ins Arbeitszimmer, um gemeinsam mit den Mädchen Gepäck und Kartons in die Tiefgarage zu tragen.
Auf dem sonnenbeschienenen Küchentisch fand ich die Liste, die Kiki noch in der Nacht ausgedruckt hatte, einen Stift, mein altes Prepaid-Handy und das Festnetztelefon. Ich machte mir einen doppelten Espresso und mich dann an die Arbeit.
Eine Stunde und fünf Kaffeetassen später hatte ich endlich einen Spediteur aus einer kleinen Stadt in der Nähe unseres künftigen Zuhauses ausfindig gemacht, der in der Lage war, noch am selben Tag drei Mann und einen LKW herzuschicken, um meinen restlichen Hausrat abzuholen.
Ich drehte den Zettel mit der Liste herum. Auf der Rückseite hatte Kiki handschriftlich ein paar Punkte notiert, die noch zu klären waren. Zuerst wählte ich aus dem Gedächtnis die Nummer der ‚Candy-Bar‘, Dimitris Laden.
„Hallo?“ Ich kannte die Stimme. Das Mädchen hatte ich ihm vor nicht allzulanger Zeit vermittelt. Jetzt kam es mir vor, als sei das Jahrzehnte her.
„Gib mir Dimitri!“, antwortete ich, „Sag ihm, Hank ist dran.“
Rascheln und gedämpftes Gemurmel.„Hank, mein Freund!“ Er klang wie einer, der zwei Nächte im Bau verbracht hatte. „Danke, dass Du Schmidt geschickt hast. Keine Ahnung, wie er das gemacht hat, aber er hat keine halbe Stunde gebraucht, um mich rauszuholen. Hat mich sogar vor dem Knastfrühstück gerettet.“
„Tja, der Mann ist gut.“ Ich ließ ihn mein Lächeln hören. „Aber leicht war’s nicht.“
Dimitri wusste, was ich damit meinte.„Wieviel musstest Du ausgeben?“
Ich sagte es ihm und er zischte durch die Zähne.„Du weißt aber schon, dass ich kein Geld habe?“ Er klang ernstlich besorgt. „Zur Zeit habe ich ja nicht mal einen Laden. Außerdem sind vier Mädchen abgehauen.“
„Da hätte ich vielleicht eine Lösung“, sagte ich beruhigend, erklärte ihm die Lage und meinen Plan, wie wir alle halbwegs unbeschadet herauskommen könnten. Als ich fertig war, schwieg Dimitri. Ich hoffte, ich hatte ihm den sauren Apfel, den ich ihm hinhielt, schmackhaft machen können.
„Oh Mann“, seufzte er schließlich, „Wieviel Bedenkzeit gibst du mir?“
„Gar keine“, antwortete ich unumwunden. Ihm musste klar sein, dass es im Moment kaum eine Alternative zu meinem Vorschlag gab. „Wir verlassen die Stadt noch heute und ich werde Dir vorerst nicht sagen, wohin wir gehen. Je weniger du weißt, desto besser. Nur für den Fall, dass deine Landsleute meine oder Kikis Spur bis zu dir verfolgen und dir ein paar Fragen stellen.“
„Pah, Landsleute!“, schnaubte er. „Ich bin Georgier!“
„Schon recht“, lachte ich. „Mein Verhandlungspartner in Moskau ist ohnehin Engländer.“ Wieder Schweigen. „Was ist nun?“, drängte ich auf eine Entscheidung.
Sein neuerliches Seufzen verriet mir, dass sein Widerstand erlahmte.
„Du kannst meine Wohnung haben“, verbesserte ich mein Angebot und hoffte, dass Dimitri das nicht als Einladung zum Feilschen verstand.
Tat er nicht.„Und wenn der Plan nicht funktioniert?“
„Sitzen wir früher oder später bis zum Hals in der Scheiße“, vervollständigte ich, „aber da sitzt du ja ohnehin schon.“
„Danke für den Hinweis.“ Er stöhnte resigniert. „Also gut.“
„Eine kluge Entscheidung“, lobte ich und hoffte, dass er meine Erleichterung nicht allzudeutlich spürte. „Den Wohnungsschlüssel und etwas Geld bringt meine Schwester dir heute noch vorbei. Bist du den ganzen Tag da?“
Dimitri lachte bitter.„Sonst hätten sie mich gar nicht erst rausgelassen. Hausarrest – wie ein kleines Kind!“
„Freu dich doch“, sagte ich heiter, „wann hast du dich zum letzten Mal so jung gefühlt?“ Ich beeilte mich aufzulegen.
Die Frauen und Sergej kamen im Gänsemarsch die Kellertreppe herauf.
„Alles fertig“, vermeldete Katharina und sah mich abwartend an. Ich wusste nicht, was sie von mir erwartete, aber ich glaube, sie freute sich, dass ich sie in den Arm nahm.
„Heute abend sehen wir uns schon wieder“, sage ich, wie um mich selbst zu vergewissern.
Sie legte wortlos die Hand in meinen Nacken, zog mich zu sich herunter und küsste mich kurz und hart auf den Mund. Dann drehte sie sich um und führte die russische Karawane zurück in die Tiefgarage. Mir war immer noch nicht ganz wohl bei dem Gedanken, bei Tageslicht zum Gutshof zu fahren, aber wir waren uns einig geworden, dass das Risiko, entdeckt und verfolgt zu werden, mit jeder Stunde, die wir in der Stadt blieben, größer würde. Ich verkniff es mir, dem Russentransporter vom Fenster aus hinterherzuschauen.
„Endlich allein!“, grinste Kiki mich an. Ehe ich mich versah, hatte sie sich an mich herangedrängt und mir zwischen die Beine gefasst. Ich schob sie weg.
„Was ist?“, fragte sie lauernd und sah mich an wie ein Boxer, der auf eine Lücke in der Deckung wartet.
„Was soll sein?“, gab ich ärgerlich zurück. „Ich will nicht! Wir haben wichtigere Dinge zu tun.“
„Gott, wie vernünftig!“, schmollte sie und griff nach ihrer Handtasche. Sie trug wieder ihre Stiefel, dazu ein graues Kostüm. Wenn der enge Rock nur eine Handbreit länger gewesen wäre, hätte man sie glatt für eine Dame halten können. „Seit wann hast Du eigentlich deine Pillen nicht mehr genommen?“
Der Themenwechsel und die Tatsache, dass sie keinen weiteren Versuch unternahm, mich zu verführen, erstaunten mich nur kurz. In Gedanken wünschte ich Dimitri viel Spaß und eine gute Kondition.
„Seit unserem Abendessen bei Mario, glaube ich. Warum?“
„Das ist nicht gut.“ Sie legte ihre Hand an meine Wange und sah mir offen in die Augen. „Du wirst sentimental und langweilig.“ Sprachs, drehte sich um und verließ die Wohnung.
Die Absätze ihrer Stiefel klackerten durch das Treppenhaus, dann knallte die Haustür. Ich setzte mich wieder an den Küchentisch und widmete mich dem letzten Punkt auf meiner Liste. Das Schwierigste hatte ich mir mal wieder bis zuletzt aufgehoben.
Ich wählte die lange Nummer, die ganz unten auf dem Zettel stand. Wie Sergej angekündigt hatte, wurde nach dem ersten Läuten am anderen Ende, über 2000 Kilometer weit im Osten, wortlos abgenommen. Nur leises Atmen verriet, dass jemand zuhörte.
„I have a message from Katharina“, sagte ich, nannte die Nummer meines uralten Mobiltelefons und legte auf. Wenn ich meinem Ex-Importeur glauben konnte, hatte ich jetzt ungefähr zehn Minuten Zeit. Zeit, mir einen Kaffee zu machen und nervös zu werden. Hatte ich daran gedacht, die Rufnummernanzeige zu deaktivieren? Immerhin hatte ich das erst achtmal überprüft. War das alte Handy auch wirklich aufgeladen?
Offenbar ja: Neundreiviertel Minuten nach meinem Anruf klingelte es.
Ich atmete tief durch, drückte die Taste mit dem grünen Hörersymbol und schwieg, hörte das sonore Brummen eines schweren Motors und die gedämpften Geräusche des Moskauer Stadtverkehrs.
„Sie haben sich unseren Gepflogenheiten angepasst“, stellte eine amüsierte Stimme mit kaum merklichem englischen Akzent fest. „Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?“
„Mein Name ist Pit, der Einfachheit halber“, antwortete ich. „Mister Gabriel, nehme ich an?“ Ich bemühte mich um einen gelassenen Plauderton.
„Pit – was Sie nicht sagen!“ Er lachte. Nicht spöttisch, eher so, als freute er sich über mein Pseudonym. „Sparen Sie sich doch bitte den Mister – Gabriel genügt.“ Als er nach zweieinhalb stummen Sekunden merkte, dass ich nicht antworten würde, fuhr er fort. „Man hat mir berichtet, dass Sie Neuigkeiten über den Verbleib meines Eigentums haben?“
„Bis gerade eben waren Sie mir eigentlich ganz sympathisch“, raunzte ich und verfluchte mich im selben Moment für meine Unbeherrschtheit. „Aber es stimmt.“ Jetzt durfte ich mir sein Schweigen anhören. Ich malte mir aus, wie er sich seine Gedanken über mich machte. „Beziehungsweise: Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzten, dass Ihr Eigentum, wie Sie sagen, fort ist.“
„Das wäre sehr bedauerlich.“ Ich meinte, Eiswürfelgeklimper zu hören. „Besonders, was unsere gemeinsame Bekannte, in deren Namen Sie angerufen haben, betrifft.“ Gabriel räusperte sich. „Verstehen Sie? Ich meine wirklich außerordentlich bedauerlich. Und ich bin mir ganz sicher, dass Sie meinen Schmerz ob dieses großen Verlusts nachfühlen können.“ Klimpern. Jemand sagte etwas auf Russisch und wurde von Gabriel schroff zurechtgewiesen. „Verzeihen Sie bitte“, wandte er sich wieder mir zu, „was sagte ich gerade?“
„Fragen Sie doch Ihren Lakaien!“, gab ich zurück. „Hören Sie: Ich bin ganz schlecht im Feilschen, im Smalltalk und im Konversationmachen. Ich habe keine Lust, herumzulavieren oder mir Zuhältersprüche anzuhören – egal, wie sorgfältig sie formuliert sein mögen. Alles, was ich möchte, ist Tacheles reden und Ihnen ein Angebot machen. Geht das klar mit Ihnen?“
Wieder Schweigen. Vermutlich war er es nicht gewohnt, dass jemand ihn so anfuhr.
„Sie sind ein Mann nach meinem Geschmack, Pit“, lachte er schließlich, und ich war erleichtert. „Sie haben Mumm. Allerdings weiß ich nicht, wie Sie mich angemessen entschädigen könnten. Immerhin haben Sie mir gleich fünf meiner Mitarbeiter genommen.“
„Das war nicht ich.“
„So? Wer dann? Sie wollen mir ja hoffentlich nicht weismachen, unser Freund Sergej hätte sich plötzlich aus freien Stücken zum Retter gefallener Mädchen berufen gefühlt.“ Er nahm einen Schluck von seinem Drink. „Wie dem auch sei – was haben Sie mir anzubieten?“
„Ich kann Ihnen zu einer Zweigstelle ihres Unternehmens in Deutschland verhelfen. Ein Freund von mir ist bereit, Ihnen seinen Club zu übertragen, wenn Sie ihn als Geschäftsführer einstellen.“
„Hm“, machte er, wenig begeistert, „wo ist der Haken?“
„Es gibt keinen, außer dass ein paar neue Mädchen benötigt würden.“ Ich beschrieb ihm Dimitris Situation und die Candy-Bar.
„Das klingt nicht gerade nach einer Goldgrube“, sagte Gabriel, als ich meinen Bericht beendet hatte, „Eher nach Problemen, Arbeit und wenig Ertrag.“ Er gab sich gelangweilt, aber ich hörte ihm an, dass ich sein Interesse geweckt hatte.
„Der Umsatz wird gewaltig steigen, das garantiere ich Ihnen.“
„Wie können Sie da so sicher sein?“
Ich lächelte und zog den Trumpf aus dem Ärmel.„Sie erinnern sich doch bestimmt noch an den segensreichen Einfluss moderner Medizin auf Ihre Geschäftsentwicklung vor ein paar Jahren.“
„Allerdings. Und Sie können mir diese Medizin besorgen?“ Er versuchte, neutral zu klingen, aber es gelang ihm nicht.
„Soviel Sie wollen. Ein halbes Jahr lang umsonst, danach zum gewohnten Preis. Sie könnten den Vertrieb in Moskau übernehmen. Wir würden an die Candy-Bar liefern, und Sie kümmern sich um den Rest.“ Ich beschloss, auch den Rest meines Pulvers zu verschießen. „Und selbstverständlich wären Sie der Erste, der von neuentwickelten Präparaten erführe.“
Er schwieg lange. Ich hörte dabei zu, wie er sich das Glas neu füllen ließ und einen Schluck nahm.
„Das ist ein faires Angebot“, sagte er schließlich nachdenklich, „Und ich nehme es an. Sie, die Mädchen und Sergej müssen nichts von mir befürchten – wir sind quitt. Ich hoffe sehr, dass Ihnen mein Wort genügt.“
„Ich habe wohl kaum eine Wahl – genausowenig wie Sie. Katharina sagt, Sie sind ein Gentleman.“
„Ach, Katharina“, lachte er bitter. „Erst habe ich sie vertrieben und jetzt auch noch verkauft.“
„Was ist passiert?“, fragte ich. „Die Mädchen wollen nicht darüber sprechen, was vor ihrer Flucht geschehen ist.“
„Ich kann es ihnen nicht verdenken. Sie hatten einiges zu erleiden, und ich bin Schuld daran.“ Gabriel schien zu überlegen, ob er weiterreden sollte. Dann räusperte er sich und tat mir den Gefallen. „Vor ein paar Monaten habe ich einen Mann namens Delicata eingestellt, der mir neue Mädchen besorgen sollte. Anfangs lief alles wunderbar, er lieferte so schnell und zuverlässig, dass ich darüber hinwegsah, dass die Neuen allesamt völlig verängstigt waren. Nach einer Weile kam es öfter vor, dass seine Mädchen verletzt waren, aber auch das habe ich ignoriert. Erst als er begonnen hat, auch die erfahreneren Mitarbeiterinnen regelmäßig krankenhausreif zu prügeln, habe ich ihn gefeuert. Das hat ihn allerdings nicht daran gehindert weiterzumachen. Und schließlich kann man kein Bordell mit geschlossenen Türen betreiben.“
„Es muss doch möglich sein, einen einzelnen Mann kaltzustellen“, wunderte ich mich.
Gabriel lachte unglücklich.„Einen normalen Mann vielleicht, aber nicht den hier. Vier meiner Sicherheitsleute sind mit Schlagringen auf ihn losgegangen. Einer hat überlebt. Delicata hat allen vieren in Sekunden die Knie gebrochen und genüsslich einen nach dem anderen totgetreten. Den einen hat er nur am Leben gelassen, damit der mir davon berichten konnte. Glauben Sie mir, der Mann ist ein Monster, ein Sadist reinsten Wassers. Er hat keinerlei Moral oder Skrupel. Zu allem Überfluss ist er äußerst intelligent, aber sonst ist nichts Menschliches an ihm. Wenn Sie mich fragen, kommt er geradewegs aus der Hölle.“ Die Eiswürfel klirrten.
„Und was tun Sie jetzt?“
„Nichts“, sagte er lapidar. „Ich habe gehört, dass er die Stadt heute nacht verlassen haben soll. Angeblich war er sehr ungehalten darüber, dass ihm jemand sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat.“
„Was für ein Spielzeug ist das?“ Mich beschlich eine böse Ahnung.
„Ein Mädchen aus seiner letzten Lieferung – eine große, schweigsame Asiatin. Seien Sie auf der Hut, mein Freund!“ Kein Spott, nur ernsthafte Besorgnis. „Ich hoffe, unser kleines Geschäft bleibt davon unberührt?“
„Sicher“, antwortete ich abwesend. Noch eine Baustelle.
„Wie kann ich Sie erreichen?“, holte Gabriel mich zurück.
Ich versprach, mich in spätestens drei Tagen zu melden und gab ihm Dimitris Nummer.
„Ich muss jetzt leider Schluss machen“, sagte er. „Es hat mich sehr gefreut, mit Ihnen zu plaudern.“
„Mich auch.“ Ich meinte es ehrlich. „Und trinken Sie nicht so viel so früh am Tag!“
„It’s five o’clock somewhere!“, lachte er rau. „Bitte grüßen Sie die Damen und Sergej von mir.“ Dann war die Leitung tot.
Wieder hielt ein Taxi vor der Tür. Kurz darauf drehte sich der Schlüssel im Schloss der Wohnungstür und Kiki kam schwungvoll herein und roch nach Sex.
„Challo, Bridarchen!“ Sie warf ihre Handtasche auf die Kommode im Flur. „Was sagt Gabriel?“
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